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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 20.02.2001
Aktenzeichen: 15 WF 38/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1600
Die Anfechtung der Vaterschaft des Ehemannes durch die Mutter aus ihrem eigenen Recht ist weder schon deswegen unzulässig, weil die heterologe Insemination, durch die das Kind einvernehmlich gezeugt worden ist, im Ausland vorgenommen worden ist und die Feststellung der Vaterschaft des Samenspenders nicht getroffen werden soll oder kann, noch deswegen, weil die Anfechtung nicht dem Wohl des Kindes dient.
Beschluss

15 WF 38/01 42 F 428/00 AG Stade

In der Kindschaftssache

pp.

wegen Anfechtung der Vaterschaft;

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Klägerin vom 2. Januar 2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stade vom 7. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### am 20. Februar 2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird geändert:

Der Klägerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und zu ihrer Vertretung Rechtsanwältin ####### beigeordnet.

Gründe

I.

Die Parteien sind verheiratet. Wegen Unfruchtbarkeit des Beklagten haben sie in Dänemark eine heterologe Inseminationsbehandlung vornehmen lassen. Aus dieser ist das am 18. September 1998 geborene Kind A. hervorgegangen.

Die Parteien leben seit März 2000 getrennt; die Klägerin ist mit dem Kind aus der Ehewohnung ausgezogen.

Der Beklagte bemüht sich um Umgang mit dem Kind. Die Klägerin verweigert diesen. Auf den Vorschlag, zur Vermittlung gemeinsam das Jugendamt aufzusuchen, hat die Klägerin mit der Einreichung der Vaterschaftsanfechtungsklage reagiert.

Die Klage ist am 12. September 2000 - auf einen zur Fristwahrung gestellten Antrag nach § 65 Abs. 7 Nr. 4 GKG - zugestellt worden. Der Beklagte tritt ihr entgegen.

Das Amtsgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin zurückgewiesen; die Anfechtung der Vaterschaft nach einvernehmlicher heterologer Zeugung sei unzulässig, weil bei der im Ausland vorgenommenen Insemination - anders als im Inland - der Samenspender ungenannt bleibe und daher das Recht des Kindes auf Feststellung seines genetischen Vaters sowie seine unterhalts- und erbrechtlichen Ansprüche nicht sichergestellt seien.

Mit ihrer auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gerichteten Beschwerde macht die klagende Kindesmutter geltend, ihr Anfechtungsrecht könne rechtsgeschäftlich nicht ausgeschlossen werden, seine Ausübung verstoße nicht gegen Treu und Glauben.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Prozesskostenhilfe ist der Klägerin, die die erforderlichen Vorschüsse auf die Kosten des Rechtsstreits nicht aufbringen kann, schon deswegen zu bewilligen, weil die Rechtsfrage, ob der Konsens der Eheleute mit einer heterologen Insemination, bei welcher der Samenspender anonym bleibt, die Anfechtung der Vaterschaft durch die Kindesmutter unzulässig macht, von grundsätzlicher Bedeutung ist und der Klärung durch Ausschöpfung des Instanzenzugs bedarf, sodass nicht schon der Zugang zum erstinstanzlichen Gericht durch Versagung der Prozesskostenhilfe behindert werden darf.

Die Erfolgsaussicht der Klage ist zumindest offen.

1. Zur Anfechtung der Vaterschaft ihres Ehemannes sind Kindesmütter erst seit dem 1. Juli 1998 berechtigt (§ 1600 BGB); zur Zeit der hier zur Zeugung des Kindes A. führenden Inseminationsbehandlung im Jahre 1997 bestand diese Anfechtungsberechtigung noch nicht. Daher ist es schon fraglich, ob die Klägerin mit der Einwilligung in die Insemination überhaupt die Vorstellung verbunden hat, dass sie sich eines eigenen Anfechtungsrechts begeben könne. Wäre dies aber der Fall, so wäre ihr entsprechender Verzicht ebenso unwirksam wie derjenige des Ehemannes, der - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1995, 2921 = FamRZ 1995, 1272; NJW 1995, 2028, 2029 = FamRZ 1995, 861, 862; NJW 1983, 2073 = FamRZ 1983, 686) und des Senats (NJW 1992, 1516) - sein Anfechtungsrecht nicht durch rechtsgeschäftlichen Ausschluss verliert. Insoweit hat das KindRG an der vom Bundesgerichtshof dargelegten Rechtslage, was das Amtsgericht zutreffend gesehen hat, nichts geändert; die im Gesetzgebungsverfahren vehement unternommenen Versuche, die Unzulässigkeit der Vaterschaftsanfechtung nach konsentierter Fremdinsemination im Gesetz festzuschreiben (vgl. BT-Drs. 13/4899 Seite 148), sind von den gesetzgebenden Organen im Hinblick auf die Komplexität der damit im Zusammenhang stehenden weiteren Probleme, deren Lösung noch nicht stimmig konzipiert und abschließend regelbar ist, letztlich verworfen worden (BT-Drs. 13/4899 Seite 52, 166; 13/8511 Seite 7, 69 f.). Infolgedessen erlischt auch nach der jetzt geltenden Gesetzeslage das Anfechtungsrecht nur durch ungenutzten Fristablauf.

2. Die Ausübung des wegen der Unwirksamkeit des Verzichts auf eine Anfechtung fortbestehenden Anfechtungsrechts ist nicht schon wegen ihrer Widersprüchlichkeit zu der mit der Einwilligung in die Fremdinsemination verbundenen Abgabe der Verzichtserklärung rechtsmissbräuchlich. Die Herleitung des Missbrauchseinwands aus dem Widerspruch zur Verzichtserklärung liefe darauf hinaus, die gesetzliche Bewertung des Verzichts als eine unwirksame Erklärung nicht anzuerkennen (BGH NJW 1995, 2921, 2923 = FamRZ 1995, 1272, 1275) und durch eine rechtspolitisch-ideologisch bevorzugte eigene Bewertung zu ersetzen. Die Geltendmachung eines unverzichtbaren Rechts kann demgegenüber nur dann rechtsmissbräuchlich sein, wenn besondere, und zwar fallspezifische, Umstände hinzutreten, an deren Gewicht strenge Anforderungen zu stellen sind (BGH wie vor NJW Seite 2923 bzw. FamRZ Seite 1274/75).

Umstände von besonderem Gewicht sieht das Amtsgericht darin, dass bei der in Dänemark vorgenommenen Insemination - abweichend vom ärztlichen Standesrecht in der BRD (Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer nebst Richtlinien) - der Samenspender anonym bleibe (insofern ist der Sachverhalt mit dem der - in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt gebliebenen - Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf FamRZ 1988, 762 zu Grunde liegenden vergleichbar). Indes ist die faktische Folge, dass weder die Mutter noch das Kind dessen Vaterschaft feststellen lassen können und das Kind seine Ansprüche auf Unterhalt und Beteiligung am Erbe nicht durchsetzen kann, keine außergewöhnliche Situation. Sie tritt, mag auch das sich aus Rechtsmittelverfahren ergebende Bild auf einer Negativauswahl von Lebensverhältnissen beruhen, in einer nicht unerheblichen Häufigkeit auf, wenn die - obgleich verheiratete - Mutter (wie eine nicht verheiratete, der dies im Grundsatz freigestellt ist, § 1629 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 BGB) ihre anderen Geschlechtspartner nicht benennen will oder nicht benennen kann oder von ihr benannte Männer, sofern die ihr gegenüber gemachten Identifizierungsangaben überhaupt zutreffen, nicht auffindbar sind, wie dies insbesondere bei nicht gesicherter Aufenthaltsberechtigung vielfach vorkommt. Unmöglichkeit der Feststellung des genetischen Vaters und der Durchsetzung von Unterhalts- und Erbansprüchen ist mithin keine fallspezifische Besonderheit einer anonymen Samenspende; insofern liegt in ihr auch ein Umstand, der die Anfechtung der ehegeborenen, aber genetisch nicht vorliegenden Vaterschaft durch die Mutter missbräuchlich erscheinen ließe, nicht generell begründet.

Des weiteren kann eine Festschreibung der rechtlichen Zuordnung gegenüber einer Anfechtung der Vaterschaft durch die Mutter, die sie entgegen dem Willen des Ehemannes betreibt, dem Kind im Einzelfall zwar materielle Vorteile bewahren, nicht aber eine ungestörte Vater-Kind-Beziehung erhalten; denn die Mutter wird vom Anfechtungsrecht nur Gebrauch machen, wenn die Familienbindung bereits gestört oder in Auflösung begriffen ist und sie den Ehemann - möglicherweise in Verkennung seiner grundsätzlich fortbestehenden Umgangsberechtigung (§ 1685 Abs. 2 BGB) - aus ihrem und des Kindes Leben ausgrenzen will. In Anbetracht des Störungspotentials, das sie in ihrer Stellung als Mutter - zumindest unterschwellig - gegenüber der Vater-Kind-Beziehung entfalten kann, hat eine bloße Aufrechterhaltung der rechtlichen Zuordnung für das Kind keinen immateriellen oder ethischen Nutzen, zumal da die Mutter dem Kind kaum verschweigen wird, dass der Ehemann nur dem rechtlichen Scheine nach sein Vater ist, es tatsächlich aber nicht von ihm abstammt. Dass allein die materielle Absicherung des Kindes durch Erhaltung von Unterhalts- und Erbansprüchen das Verdikt des Rechtsmissbrauchs gegenüber der Ausübung des der Mutter zustehenden eigenen Anfechtungsrechts rechtfertige, kann durchaus in Zweifel gezogen werden; insoweit kann nicht außer Betracht bleiben, dass die Beachtlichkeit des Unwerturteils bei entsprechendem Verhalten einer nicht verheirateten Mutter eine Gefährdung des Kindeswohls erfordert (und darüber hinaus nicht primär die eigene Berechtigung zur Einwirkung auf den Personenstand des Kindes, sondern die Befugnis zum Handeln für das Kind einem gerichtlichen Eingriff aussetzt, §§ 1629 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2, 1666 BGB).

3. Eine andere, das Verdikt des Rechtsmissbrauchs stützende Wertung wird auch aus § 1600 a Abs. 4 BGB nicht hergeleitet werden können, wonach das eigene Anfechtungsrecht des Kindes von seinem gesetzlichen Vertreter nur verfolgt werden kann, wenn die Anfechtung dem Wohl des Kindes dient. Diese Bestimmung enthält keinen auf das Anfechtungsrecht der Mutter übertragbaren allgemeinen Rechtsgedanken. Das folgt aus der Entstehungsgeschichte der Neuregelung des Abstammungsrechts durch das KindRG. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hatte in § 1600 BGB-E einen zweiten Absatz vorgesehen, nach welchem die Mutter die Vaterschaft zu Lebzeiten des minderjährigen Kindes nur dann anfechten können sollte, wenn die Anfechtung seinem Wohl dient (BT-Drs. 13/4899 Seite 6). Der hiermit beabsichtigten Zurückstellung ihrer eigenen Interessen hinter denen des Kindes ( aaO. Seite 54/55) und der damit verbundenen Rücksichtnahme (aaO. Seite 86) hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme (aaO. Seite 148) entgegengehalten, dass dem Interesse der Mutter, die unzutreffende rechtliche Zuordnung des Kindes zu beseitigen, kein geringerer Wert beizumessen sei als dem - abstrakt - entsprechenden Interesse des Scheinvaters; Interessenkonflikte zwischen Mutter und Kind dürften im gesetzgeberischen Grundsatz nicht einseitig zu Lasten der Mutter entschieden werden; darüber hinaus solle schon der Anschein vermieden werden, die eheliche (Schein-)Vaterschaft sei höher zu bewerten und habe einen stärkeren Bestandsschutz. Der Bundesrat hat deshalb die Streichung des § 1600 Abs. 2 BGB-E vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag in ihrer Gegenäußerung unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die Erneuerung der Anfechtungsfrist bei Eintritt unzumutbarer Vaterschaftsfolgen (§ 1600 b Abs. 5 BGB-E) auf das Kind beschränkt werde, und zur Begründung ausgeführt (aaO. Seite 166), die Mutter könne von ihrem Anfechtungsrecht in aller Regel nur innerhalb der ersten zwei Lebensjahre des Kindes Gebrauch machen, innerhalb dieses Zeitraums könnten sich persönliche Bindungen des Kindes zum Scheinvater noch nicht in einem solchen Maße entwickeln, dass ein etwa vorhandenes Interesse des Kindes am Fortbestand der Vaterschaft das Anfechtungsinteresse der Mutter überwiege. Der Rechtsausschuss des Bundestages ist dem Vorschlag, § 1600 Abs. 2 BGB-E zu streichen, nach Maßgabe der in der Gegenäußerung der Bundesregierung gewünschten Reduktion des § 1600 b Abs. 5 BGB-E gefolgt (BT-Drs. 13/8511 Seite 6, 7); dabei hat er sich zur Begründung sowohl der Argumentation des Bundesrates als auch derjenigen der Bundesregierung aus der Gegenäußerung ausdrücklich angeschlossen (BT-Drs. 13/8511 Seite 70). In diesem Sinne hat sodann der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats die neue gesetzliche Regelung des Anfechtungsrechts der Mutter beschlossen.

4. Hinzuweisen ist noch darauf, dass das Amtsgericht nunmehr das Kind, das nicht Partei des Rechtsstreits ist, beizuladen hat (§ 640 e Abs. 1 ZPO). Zu diesem Zwecke ist die Einrichtung eines Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB) erforderlich, weil das Kind im Verfahren - schon bei der Beiladung - nicht von seinen gesetzlichen Eltern, die jeweils Partei im Rechtsstreit sind, vertreten werden kann. Soweit Kindesinteressen noch von Belang sind, kann das Kind diese durch den zu bestellenden Ergänzungspfleger wahren lassen.



Ende der Entscheidung

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