Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 18.02.2005
Aktenzeichen: 16 U 12/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 119 Abs 1 Satz 2
PKH für die Rechtsmittelinstanz kann trotz § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht bewilligt werden, wenn das Obsiegen 1. Instanz auf einer Irreführung des Gerichts beruht.
16 U 12/05

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters ... sowie der Richter ... und ... am 18. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten, ihm für die Berufungsinstanz Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die G & G GmbH hatte mit dem Beklagten einen Kfz-Überlassungsvertrag geschlossen, der jederzeit kündbar war und gekündigt worden ist. Für die Nutzung des Wagens hatte der Beklagte monatlich 431,03 EUR zzgl. MWSt. zu zahlen, dieser Verpflichtung ist er seit Juli 2004 nicht nachgekommen. Klägerin ist allerdings die G & G OHG, die auch gekündigt hatte; eine Ablichtung des Vertrages war der Klageschrift beigefügt.

Die Klageerwiderung bestand nur aus einem Satz: "Zwischen den Parteien wurde nie ein Kfz-Überlassungsvertrag geschlossen." Außerdem wurde ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom Juli 2004 an die OHG eingereicht, in dem er eine Prüfung des Herausgabeverlangens ankündigte.

Daraufhin ordnete das Landgericht das persönliche Erscheinen der Parteien an und gab der Klägerin zusätzlich auf, den Originalvertrag zum Termin mitzubringen.

In der mündlichen Verhandlung erklärte der Beklagte, die Unterschrift unter dem Vertrag stamme von ihm, sein Prozessbevollmächtigter rügte erstmals die Aktivlegitimation im Hinblick darauf, dass der Vertrag von der G & G GmbH geschlossen worden, Klägerin aber die G & G OHG ist. Der Klägervertreter erklärte daraufhin, die GmbH sei in der OHG aufgegangen.

Das Landgericht bewilligte dem Beklagten Prozesskostenhilfe und wies die Klage mangels Nachweises der Aktivlegitimation mit der Begründung ab, diese sei streitig und die Vorlage von Handelsregisterauszügen würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Die Klägerin hatte in einem - nicht nachgelassenen - Schriftsatz die Handelsregisterauszüge vorgelegt.

Mit der Berufung macht der Beklagte erstmals geltend, ihm stünden Gegenansprüche aus Handelsvertretertätigkeit gegen die Klägerin zu, die Verschmelzung ist nicht mehr streitig.

II.

1. Nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die höhere Instanz grundsätzlich Mutwilligkeit und Erfolgsaussichten des Rechtsmittelbeklagten nicht zu prüfen. Die Partei ist besonders schutzbedürftig, weil das erstinstanzliche Urteil eine Vermutung dafür begründet, dass die Verteidigung des Rechtsmittelbeklagten hinreichende Erfolgsaussicht hat und nicht mutwillig ist (Prot. S. 42 zu § 107). In Rechtsprechung und Literatur (ausführliche Nachweise bei Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 23; ebenso Wax im Münchener Kommentar, Rdn. 38, beide zu § 119 ZPO mit ausführlichen Nachweisen) ist allerdings anerkannt, dass die Schutzbedürftigkeit beispielsweise dann entfällt, wenn das Urteil erschlichen ist oder infolge wesentlich veränderter Verhältnisse (Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung) die Grundlage des erstinstanzlichen Erkenntnisses entfallen ist. Nach Ansicht einiger Gerichte gilt Entsprechendes, wenn die angegriffene Hauptsacheentscheidung offensichtlich unrichtig ist (Rechtsprechungsnachweise bei Stein/Jonas, Fußnote 72 zu § 119 ZPO). Das könnte beispielsweise zu bejahen sein, wenn eine in ihrer Echtheit nicht bestrittene Urkunde vorgelegt wird, die den Rechtsmittelbeklagten daran hindert, seine bisherigen Behauptungen aufrechtzuerhalten.

2. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte gegen seine aus § 138 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht zu vollständigem Vortrag verstoßen, indem er lediglich den Vertragsschluss zwischen den Prozessparteien bestritten, jedoch nicht gesagt hat, aus welchem Grund. Damit hat er das erstinstanzliche Gericht erfolgreich in die Irre geführt, denn die Anordnung des persönlichen Erscheinens und insbesondere die Auflage an die Klägerin, den Vertrag im Original mitzubringen, zeigt deutlich, dass das Landgericht, weil der Beklagte keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen hatte, was er bestreiten wollte, für möglich hielt, dass die Echtheit der Unterschrift bestritten oder behauptet werden würde, im Originalvertrag stehe etwas anderes als in der der Klageschrift beigefügten Abschrift. Das für den Beklagten günstige erstinstanzliche Urteil beruht auch auf dieser Irreführung, denn wenn der Beklagte sich deutlich ausgedrückt und die Verschmelzung zwischen der GmbH und der OHG rechtzeitig bestritten hätte, wären von Seiten der Klägerin die Handelsregisterauszüge vorgelegt worden, sodass ihr Unterliegen wegen angeblich fehlender Aktivlegitimation nicht in Betracht gekommen wäre.

Der Senat vermag sich auch nicht der Argumentation des Beklagten anzuschließen, ihm habe die Verpflichtung zu vollständigem Vortrag deshalb nicht oblegen, weil die Klage bereits unschlüssig gewesen sei, und zwar deshalb, weil Vertragspartnerin die GmbH, Klägerin aber die OHG war. Richtig ist daran nur folgendes: Wenn sich der Beklagte überhaupt nicht gemeldet hätte, dann allerdings hätte ohne Rückfrage des Gerichts kein Versäumnisurteil ergehen dürfen. Hatte er jedoch, wie hier, schriftsätzlich durch einen Anwalt Stellung genommen, der an die OHG geschrieben und dabei die Aktivlegitimation nicht gerügt hatte, dann hätte ein VU ergehen dürfen, wenn im Termin niemand aufgetreten wäre, weil der Beklagte die Aktivlegitimation nicht als Problem ansah. Die Verpflichtung zu vollständigem Vortrag entfällt im Übrigen nicht deshalb, weil das Gericht durch Nachdenken vielleicht auf die Idee hätte kommen können, was der Beklagte wohl gemeint haben könnte. Sie soll vielmehr gerade auch Missverständnisse verhindern, die dadurch entstehen, dass infolge der Arbeitsbelastung Unstimmigkeiten nicht sofort entdeckt werden. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass angesichts der Identität von Vornamen und Namen der beteiligten natürlichen Personen sowie der Anschrift sich die Möglichkeit einer Rechtsnachfolge oder einer Abtretung geradezu aufdrängte, vor allem aber zusätzlich, dass es sich bei der Klägerin um den "Arbeitgeber" des Beklagten handelte, bei dem er als Handelsvertreter tätig war und mit dem er regelmäßigen Kontakt gehabt haben muss.

Dementsprechend war die Erfolgsaussicht neu zu prüfen. Da der Beklagte sich lediglich mit erstmals in der Berufung vorgetragenen Gegenforderungen verteidigt und die Verschmelzung jetzt unstreitig ist, diese Forderungen aber gemäß § 533 Abs. 1 ZPO im Berufungsverfahren nicht geprüft werden dürfen, war Erfolgsaussicht zu verneinen.

Der Senat weist darauf hin, dass die Nichtanwendung des § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine eng begrenzte Ausnahme bleiben muss und nicht schon bloß ungeschicktes oder falsches Taktieren in erster Instanz seiner Anwendung entgegensteht. Im vorliegenden Fall ist er indessen davon überzeugt, dass es sich um eine bewusste Irreführung des Gerichts handelt.

Ende der Entscheidung

Zurück