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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 14.10.2008
Aktenzeichen: 17 WF 130/08
Rechtsgebiete: Brüssel IVO


Vorschriften:

Brüssel IVO (EuGVVO) Art. 27
Macht ein in Großbritannien unter Anwendung englischen Rechts geschiedener Ehegatte vor dem englischen Gericht der Ehesache einen Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen (ancillary relief) anhängig, steht der Zulässigkeit einer zeitlich nachfolgend in Deutschland erhobenen Klage auf Zahlung nachehelichen Unterhalts jedenfalls dann der Einwand doppelter Rechtshängigkeit entgegen, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte in England auf Regelungen zur finanziellen Versorgung (financial provision orders) in Form wiederkehrender Leistungen (periodical payment orders) angetragen hat.
17 WF 130/08

Beschluss

In der Familiensache

hier: Beschwerde gegen Kostenentscheidung

hat der 17. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle am 14. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### sowie durch die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Celle vom 3. Juli 2008 abgeändert:

Die Kosten des Rechtsstreits werden nach Erledigung des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren übersteigt nicht 1.500 EUR.

Gründe:

I.

Die Ehe der Klägerin (deutsche Staatsangehörige) und des Beklagten (britischer Staatsangehöriger) wurde in England durch Urteil des Salisbury County Court unter Anwendung englischen Sachrechts geschieden. Im Jahre 2005 machte die Klägerin bei dem englischen Gericht der Ehesache einen Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen (ancillary relief) anhängig.

Mit ihrer am 4. Juli 2006 erhobenen Klage begehrte sie in Deutschland vor dem Amtsgericht die Zahlung eines nachehelichen Unterhalts von dem Beklagten. Anfang 2008 schlossen die Parteien vor dem englischen Gericht eine Vereinbarung, wonach zur Abgeltung sämtlicher Scheidungsfolgen von dem Beklagten an die Klägerin ein Betrag in Höhe von 30.500 GBP zu zahlen sei. Danach erklärten die Parteien den in Deutschland rechtshängigen Unterhaltsrechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt. Das Amtsgericht hat die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten.

II.

Die gemäß §§ 91a Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache Erfolg. In Abänderung der angefochtenen Entscheidung waren die Kosten des ersten Rechtszuges der Klägerin aufzuerlegen.

1. In materiellrechtlicher Hinsicht geht der Beklagte zurecht davon aus, dass auf die unterhaltsrechtliche Beziehung der Parteien kein deutsches Sachrecht anzuwenden war.

Das Unterhaltsstatut beurteilt sich nach dem Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2. Oktober 1973 (HUÜ 73). Nach Art. 8 HUÜ 73 ist bei einer Ehescheidung, die in einem Vertragsstaat des HUÜ 73 ausgesprochen oder anerkannt worden ist, für die Unterhaltspflichten zwischen geschiedenen Ehegatten das Recht des tatsächlichen Scheidungsstatut maßgeblich. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, denn die von einem englischen Gericht ausgesprochene Ehescheidung wird in Deutschland ex lege nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (Brüssel IIaVO) ohne ein besonderes Verfahren anerkannt. Das Unterhaltsstatut folgt daher dem das Scheidungsstatut beherrschenden englischen Recht, wobei es im Hinblick auf Art. 3 HUÜ 73 unbehelflich ist, dass Großbritannien selbst nicht zu den Vertragsstaaten des HUÜ 73 gehört. Der auch von Deutschland zugunsten des Heimatrechts erklärte Vorbehalt nach Art. 15 HUÜ 73 greift unter den obwaltenden Umständen nicht ein, weil der Beklagte kein deutscher Staatsangehöriger ist.

Inwieweit sich aus dem Vorstehenden Bedenken an der Schlüssigkeit der von der Klägerin erhobenen Klage auf nachehelichen Unterhalt ergeben und diese Bedenken die Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO beeinflussen könnten, bedarf indessen keiner näheren Erörterung. Denn das Amtsgericht konnte es bereits nicht offen lassen, ob der auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt gerichteten Klage von vornherein der von Amts wegen zu berücksichtigende Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegenstand. Denn soweit dies der Fall ist, entspricht es grundsätzlich nicht der Billigkeit, diejenige Partei mit den Kosten zu belasten, die bei einer streitigen Entscheidung mit dem Einwand doppelter Rechtshängigkeit voraussichtlich durchgedrungen wäre (vgl. BAG Beschluss vom 19. April 1983 - 1 AZR 392/80 - veröffentlicht bei juris).

2. Im rechtlichen Ausgangspunkt hindert nach ständiger Rechtsprechung auch die - zeitlich früher eingetretene - Rechtshängigkeit einer Streitsache im Ausland das inländische Verfahren, wenn Identität des Streitgegenstandes vorliegt und mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (vgl. BGH Urteile vom 10. Oktober 1985 - I ZR 1/83 - NJW 1986, 2195 f. und vom 28. Mai 2008 - XII ZR 61/06 - FamRZ 2008, 1409, 1410).

a) Im vorliegenden Fall besteht dabei allerdings die Besonderheit, dass sich die beiden von der Klägerin angerufenen Gerichte in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union befinden. Deshalb ist zunächst zu klären, ob der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (im Folgenden: Brüssel IVO) betroffen ist. Nach Art 1 Abs. 1 Brüssel IVO fallen grundsätzlich alle zivilrechtlichen Streitigkeiten in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung, sofern nicht bestimmte Rechtsgebiete nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel IVO ausgeschlossen worden sind. Unterhaltssachen fallen unter die Verordnung (arg. Art. 5 Nr. 2 Brüssel IVO), während umgekehrt Angelegenheiten betreffend die ehelichen Güterstände unter den Katalog der ausgeschlossenen Rechtsgebiete fallen (Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel IVO). Da das hier in Deutschland streitgegenständliche Verfahren unzweifelhaft eine Unterhaltssache zum Gegenstand hatte, hängt die Anwendbarkeit der Brüssel IVO davon ab, ob das in England vor dem Salisbury County Court geführte Verfahren ebenfalls eine Unterhaltssache im Sinne der Verordnung betraf oder sich (nur) auf die ehelichen Güterstände bezog.

aa) Wie in anderen Staaten des common law existiert auch in England und Wales kein kodifiziertes materielles Recht, das die Ansprüche der geschiedenen Ehegatten regelt. Stattdessen gibt es Vorschriften über richterliche Eingriffsbefugnisse, die es dem Richter erlauben, die Scheidungsfolgen mit einem sehr weiten Ermessensspielraum zu regeln. Diese im Matrimonial Causes Act 1973 (MCA 1973) geregelten Eingriffsbefugnisse betreffen Regelungsgegenstände, die nach deutschem Verständnis in Unterhalt, Güterrecht, Versorgungsausgleich sowie Hausrats und Wohnungszuweisung zu unterscheiden wären. Nach der Art des Eingriffs ist nach dem englischen Recht zwischen Anordnungen zur finanziellen Versorgung (financial provision orders) und Anordnungen zur Vermögenszuweisung (property adjustment orders) zu unterscheiden, die aber auch miteinander kombiniert werden können. Zur finanziellen Versorgung kann das Gericht insbesondere eine Verpflichtung zu Zahlung wiederkehrender Leistungen (periodical payment orders. sec. 23 (1) (a) MCA) und deren Sicherung (secured provision order) sowie die Zahlung einer gegebenenfalls in Raten zu zahlenden Pauschalsumme (lump sum. sec. 23 (1) (c) MCA) anordnen. Die Ermächtigung zur Vermögenszuordnung erstreckt sich insbesondere darauf, einen Ehegatten zu verpflichten, dem anderen Teil Vermögensgegenstände zu übertragen oder ihm Nutzungsrechte daran einzuräumen (sec. 24 MCA) oder Vermögensgegenstände zu veräußern und den Erlös zu teilen (sec. 24A MCA). Güterstände in einem kontinentaleuropäischen Sinne gibt es im englischen Recht nicht (Weller IPrax 1999, 15, 17). Charakteristisch für das englische Familienrecht ist vielmehr, dass sich aus der jeweiligen Kombination der richterlichen Eingriffsmöglichkeiten teilweise unauflösbare Verschränkungen zwischen Elementen ergeben können, die nach deutschem Rechtsverständnis dem Unterhaltsrecht und dem Güterrecht zugehörig sind.

bb) Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung den Begriff der Unterhaltssache in Abgrenzung zu ehelichen Güterständen mit Blick auf die Entscheidungen englischer Gerichte für das europäische Recht in der Weise ausgelegt, dass eine Entscheidung über Unterhaltspflichten immer dann vorliege, wenn eine Leistung dazu bestimmt sei, den Unterhalt eines bedürftigen Ehegatten zu sichern oder wenn die Bedürfnisse und die Mittel beider Ehegatten bei seiner Festsetzung berücksichtigt werden. Bezweckt die Leistung dagegen nur die Aufteilung der Güter zwischen den Ehegatten, so betrifft die Entscheidung die ehelichen Güterstände (EuGH Slg. 1997, I1147 - van den Boogaard = IPRax 1999, 35 f.). Eine Unterhaltssache kann daher unter Umständen auch in dem Begehren nach einer Pauschalzahlung (lump sum) oder einer Vermögensübertragung zu sehen sein, wenn dadurch der Unterhalt des Unterhaltsberechtigten gesichert werden soll.

cc) Nach den vorliegenden Unterlagen hat die Klägerin bei dem Salisbury County Court auf eine Regelung der Scheidungsfolgen (ancillary relief) angetragen, die zwar keine Vermögenszuweisungen (property adjustment order), wohl aber Anordnungen zur finanziellen Versorgung der Klägerin zum Gegenstand haben sollten. Diese sollten insbesondere auf Zahlung wiederkehrender Leistungen (periodical payments order) und auf Anordnungen zur Sicherung der wiederkehrenden Geldleistungen (secured provision order) gerichtet sein. Zwar erstreckte sich der Antrag auch auf die mögliche Zahlung einer Pauschalsumme (lump sum). dies steht nach dem weiten Unterhaltsbegriff des EuGH allerdings der Annahme nicht entgegen, dass das Verfahren eine Unterhaltssache und nicht eine ausschließlich güterrechtliche Streitigkeit zum Gegenstand hatte, wie die Klägerin meint.

b) Aus der Anwendbarkeit der Brüssel IVO folgt zunächst, dass sich die Frage, ob vor den Gerichten der beiden Mitgliedsstaaten derselbe Anspruch geltend gemacht worden ist, nicht nach dem Streitgegenstandsbegriff der ZPO, sondern nach dem Streitgegenstandsbegriff beurteilt, den der EuGH für Art. 27 Abs. 1 Brüssel IVO entwickelt hat, um einander widersprechende Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten zu verhindern (vgl. Musielak/Stadler ZPO 6. Auflage Art. 27 EuGVVO Rn. 5). Danach kommt es darauf an, ob der Kernpunkt der Verfahren der Gleiche ist (EuGH Slg. 1987, 4861 = NJW 1989, 665, 666 - Gubisch. BGH Urteil vom 6. Februar 2002 - VIII ZR 106/01 - NJW 2002, 2795, 2796). Daran trägt der Senat keinen Zweifel. Insbesondere die von der Klägerin in England begehrten wiederkehrenden Leistungen (periodical payment orders) weisen deutliche strukturelle Übereinstimmungen zu laufenden Unterhaltsrenten nach deutschem Rechtsverständnis auf, was sich insbesondere auch daraus erschließt, dass wiederkehrende Leistungen bei Wiederverheiratung des berechtigten Ehegatten entfallen (Süß/Ring/Odersky, Eherecht in Europa, England und Wales, Rn. 43. Weller IPrax aaO, S. 19. vgl. in Deutschland § 1586 Abs. 1 BGB).

c) Steht - wie im vorliegenden Fall - die Identität des Streitgegenstandes fest, stellt sich im Anwendungsbereich der Brüssel IVO die Frage nach der positiven Anerkennungsprognose nicht, weil nach Art. 33 Abs. 1 Brüssel IVO die in einem Mitgliedsstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedsstaaten automatisch anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die von der Klägerin erhobene Klage von vornherein unzulässig gewesen ist und der Abweisung durch Prozessurteil wegen doppelter Rechtshängigkeit unterlegen hätte. Einer vorherigen Aussetzung des Verfahrens nach Art. 27 Abs. 1 Brüssel IVO hätte es dabei nicht bedurft, weil der Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, dass sich das zuerst angerufene englische Gericht bereits für zuständig erklärt hatte (Art. 27 Abs. 2 Brüssel IVO). Dies geschah im Übrigen auch ersichtlich zu Recht, weil sich dessen internationale Zuständigkeit aus der Verbundzuständigkeit des englischen Gerichts der Ehesache (Art. 5 Nr. 2, 3. Alt. Brüssel IVO) ergab.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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