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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 24.10.2008
Aktenzeichen: 2 W 216/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1
Wird ein großes Versicherungsunternehmen von ihrem Versicherungsnehmer nicht an ihrem Geschäftsort (F.), sondern an einem anderen Landgericht (Lüneburg) auf Zahlung in Anspruch genommen, sind Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht erstattungsfähig, wenn das Versicherungsunternehmen einen fingierten Schadensfall vermutet, die Angelegenheit deshalb eine Spezialabteilung bearbeitet hat und die schriftliche Information eines beim Prozessgericht ansässigen Rechtsanwalts ausreichend und zumutbar war.
2 W 216/08

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. L. als Einzelrichter am 24. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 31. Juli 2008 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 23. Juli 2008 geändert.

Die aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Lüneburg vom 12. Juni 2008 von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten werden auf 2.103,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 23. Juni 2008 festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte nach einem Beschwerdewert von 1.403,34 EUR.

Gründe:

I.

Der Kläger nahm die Beklagte, eine große deutsche Versicherung mit Sitz in F., vor dem Landgericht Lüneburg auf Zahlung mit der Begründung in Anspruch, die Beklagte habe als Kaskoversicherer dafür aufzukommen, dass in S. der von ihm versicherte PKW aufgebrochen und hieraus Gegenstände entwendet worden seien. Die Beklagte hatte einen nur vorgetäuschten Diebstahl vermutet und ließ deshalb die Schadensakte von die hierfür zuständigen Spezialabteilung in ihrem Hause bearbeiten. Nach gerichtlicher Inanspruchnahme beauftragte sie mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Rechtsstreit einen in W. ansässigen Rechtsanwalt. Dieser nahm im Rechtsstreit drei Termine vor dem Landgericht wahr. Das Landgericht wies die Klage ab und legte dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auf. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Unter dem 20. Juni 2008 hat die Beklagte Kostenfestsetzung beantragt. Hierbei hat der Beklagtenvertreter für jeden Termin beim Landgericht Reisekosten, Abwesenheitsgelder sowie hinsichtlich eines Termins Übernachtungskosten in Höhe von zusammen 1.403,34 EUR geltend gemacht. Der Kläger hat eingewendet, die Beklagte sei eine über ganz Deutschland verteilte große Versicherung. Ihr sei es zumutbar und möglich gewesen, einen am Sitz des Gerichts ansässigen Anwalt schriftlich bzw. ggf. fernmündlich zu informieren. Fahrtkosten, Abwesenheitsgelder und Übernachtungskosten seien daher nicht erstattungsfähig. Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, über keine Rechtsabteilung zu verfügen, die Schadensfälle bearbeite. Es habe sich um einen Fall gehandelt, bei dem eine Reihe von Indizien dafür gesprochen hätten, dass der behauptete Schadensfall lediglich fingiert gewesen sei. Aus diesem Grund sei eine Spezialabteilung mit der Regulierung betraut gewesen. Mit dieser seien aufgrund der Komplexibilität zahlreiche persönliche Besprechungen nebst Aktenstudien notwendig gewesen.

Mit Beschluss vom 23. Juli 2008 hat das Landgericht die von dem Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 3.507,12 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Es hat gemeint, die Reisekosten, Abwesenheitsgelder und die Übernachtungskosten seien in vollem Umfang erstattungsfähig, da sie die fiktiven Reisekosten eines Rechtsanwaltes mit Kanzleisitz am Geschäftsort der Beklagten nicht übersteigen würden. Die Beklagte verfüge auch nicht über eine eigene Rechtsabteilung, die mit der Sachbearbeitung betraut sei. Sie sei deshalb grundsätzlich nicht zu ausschließlich schriftlicher und telefonischer Informationserteilung in der Lage. Deshalb habe die Beklagte auch nicht einen am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt beauftragen müssen.

Gegen diesen dem Kläger am 28. Juli 2008 zugestellten Beschluss ist mit Schriftsatz vom 31. Juli 2008, beim Landgericht am 4. August 2008 eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt worden. Mit ihr wird geltend gemacht, die Beklagte führe selber aus, dass eine Spezialabteilung gebildet worden sei. Diese sei ohne weiteres zu schriftlicher oder fernmündlicher Information in der Lage gewesen. Der angefochtene Beschluss erläutere auch nicht, warum eine solche Informationserteilung nicht möglich gewesen sei. Die sog. Spezialabteilung bei der Beklagten habe die Materie aufgearbeitet. Wie es unter diesen Umständen zu zahlreichen persönlichen Besprechungen kommen müsse könne nicht nachvollzogen werden.

Die Beklagte verteidigt die landgerichtliche Entscheidung. Sie trägt vor, eine schriftliche oder telefonische Informationserteilung sei vorliegend nicht möglich gewesen. Eingehende Mandantengespräche hätten sich wegen der komplexen Materie gerade nicht erübrigt. insbesondere sei der Vorgang bei der Beklagten nicht abschließend aufbereitet worden. Der Betrugssachbearbeiter der Beklagten sei kein Jurist. Bevor die Beklagte den massiven Betrugsvorwurf in das gerichtliche Verfahren eingeführt hätte, hätte dies intensiv und unter Abwägung möglicher Konsequenzen aufgearbeitet werden müssen.

Demgegenüber macht der Kläger geltend, der vorliegende Rechtsstreit sei keineswegs komplexer als andere Rechtsstreitigkeiten zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer. Ob der Sachbearbeiter der Beklagten Jurist sei, sei ohne Belang. die Beklagte habe Tatsachen zu liefern.

Mit Beschluss vom 10. Oktober 2008 hat das Landgericht der sofortige Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Es hat ergänzend darauf hingewiesen, dass eine Erstattungsfähigkeit der Reisekosten nur dann nicht in Betracht komme, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts festgestanden hätte, dass ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte habe lediglich eine Spezialabteilung mit der Sache betraut. ein Jurist sei nicht beteiligt gewesen, weshalb nicht von Anfang an festgestanden habe, dass ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich gewesen sei. Die Beklagte habe glaubhaft mitgeteilt, dass eingehende Mandantengespräche stattgefunden hätten.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO statthaft und zulässig. Sie ist als namens und in Vollmacht des Klägers selbst eingelegte Beschwerde auszulegen. Zwar heißt es eingangs der sofortigen Beschwerde, dass "wir" gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss sofortige Beschwerde einlegen, weshalb es sich auch um eine von den Prozessbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen und damit unzulässig erhobene sofortige Beschwerde handeln könnte. Da mit der sofortigen Beschwerde aber nur eine zu hohe Vergütungspflicht des Klägers gerügt wird, ein persönliches oder wirtschaftliches Interesse der Prozessbevollmächtigten des Klägers an der Beschwerdeeinlegung also nicht besteht, ist die Beschwerde bei verständiger Auslegung als eine solche anzusehen, die tatsächlich im Namen und in Vollmacht des Klägers erhoben worden ist.

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Landgericht im Streitfall angenommen, dass der Kläger der Beklagten Reisekosten, Tage und Abwesenheitsgelder sowie Übernachtungskosten zu erstatten hat. Ein Anspruch auf Erstattung solcher Kosten besteht im Streitfall nicht.

Allerdings ist die Rechtspflegerin im Grundsatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Zuziehung eines am Wohn oder Geschäftsort der Parteien bzw. in der Nähe ansässigen Rechtsanwaltes regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO abzusehen ist, und deshalb auch grundsätzlich Reisekosten, Anwesenheitsgelder und Übernachtungskosten im Rahmen der Kostenfestsetzung zu berücksichtigen sind (vgl. BGH NJW 2008, 2122. NJW 2007, 2048. NJW-RR 2005, 922). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist und ihre Belange in angemessener Weise wahrgenommen wissen will, in aller Regel deshalb einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn oder Geschäftsortes beauftragen wird, weil sie annimmt, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich sein wird (vgl. BGH NJW 2003, 898).

Die Rechtspflegerin hat allerdings übersehen, dass dieser Grundsatz nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht uneingeschränkt gilt. Der Bundesgerichtshof hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigungsmaßnahme notwendig ist i. S. d. § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO, eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist (BGH NJW 2003, 901, 902. NJW-RR 2005, 1662. NJW 2007, 2048). Denn bei dem Kostenfestsetzungsverfahren handelt es sich um ein Massenverfahren, das einer zügigen und möglichst unkomplizierten Abwicklung bedarf. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof die Notwendigkeit einer Beauftragung eines am Wohn oder Geschäftssitz einer Partei ansässigen Rechtsanwalts u. a. grundsätzlich dann verneint, wenn die Sache bei einem gewerblichen Unternehmen von Mitarbeitern bearbeitet wird, die in der Lage sind, einen am Gerichtsort seine Kanzlei unterhaltenden Prozessbevollmächtigten umfassend über das Streitverhältnis ins Bild zu setzen. Er hat gemeint, dies sei dann anzunehmen, wenn es sich um rechtskundiges Personal handele und der Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufweise (BGH NJW-RR 2008, 654. NJW-RR 2004, 857 f. und 1724 f.). Denn in diesen Fällen steht schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts fest, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Zu Unrecht hat die Rechtspflegerin im Streitfall diese Voraussetzungen verneint.

Auch wenn es sich bei dem Sachbearbeiter der Beklagten um keinen Juristen handelt, handelt es sich offenkundig um einen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtskundigen Mitarbeiter der Beklagten. Dies folgt daraus, dass die Beklagte nach eigenem Vorbringen eine Spezialabteilung für die Bearbeitung fingierter Schadensfälle besitzt und damit über Fachpersonal verfügt, das die Rechtsfragen, die bei der Bearbeitung solcher Schadensfälle typischerweise auftreten, durchaus zu überblicken vermag. Gerade auch der vorliegende Rechtsstreit zeigt, dass besondere Rechtsfragen, die ein Prozessbevollmächtigter nicht auch ohne weiteres allein hätte beantworten können, bei der eine besondere Rechtskunde des Sachbearbeiters der Beklagten erforderlich war und die eine mündliche Besprechung erforderlich gemacht hätte, nach dem landgerichtlichen Urteil nicht aufgeworfen waren.

Vielmehr lag der Schwerpunkt des Falles, wie es bei der Annahme eines fingierten Schadensfalles typisch ist, im tatsächlichen Bereich. Dass und warum ein fingierter Schadensfall vorliegen könnte, vermag ein Sachbearteiter einer eigens für diese Fälle gegründeter Spezialabteilung aber ohne weiteres zu überblicken und schriftlich darzulegen. Dass der Streitfall besondere Schwierigkeiten aufgewiesen hätte, die es erforderlich gemacht hätten, persönliche Gespräche zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dem Sachbearbeiter zu führen, behauptet die Beklagte mit einer "komplexen Materie" ohne jede Substanz. Weder aus der Akte, noch aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, worin diese Komplexibilität liegen könnte und worin das Erfordernis angeblich mehrerer mündlicher Besprechungen bestanden haben könnte. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat im Rechtsstreit lediglich drei Schriftsätze gefertigt, in denen maßgebliche Ausführungen zur Sach- und Rechtslage gemacht worden sind. Die Klagerwiderung vom 15. Februar 2007 ist im Textteil lediglich zwei Seiten lang. Im Schriftsatz vom 23. August 2007 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten lediglich zur durchgeführten Beweisaufnahme Stellung genommen. dass die auf nicht einmal einer Seite verfassten Ausführungen ein Mandantengespräch erforderlich gemacht hätten, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Der rund 1,5 Seiten lange Schriftsatz vom 19. April 2008 hat sich lediglich mit den Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachtens auseinander gesetzt und letztlich lediglich dessen Feststellungen bekräftigt.

Wenn die Beklagte daher geltend macht, es habe im Streitfall eine komplexe Materie vorgelegen, die eine schriftliche oder telefonische Informationserteilung unmöglich gemacht hätte, fehlt hierzu jeder Anhaltspunkt. Schon gar nicht ist ersichtlich, dass persönliche Besprechungen notwendig gewesen wären. Bezeichnenderweise erklärt die Beklagte auch nicht, wann, wo und mit welchem Sachbearbeiter der Beklagten Gespräche über welche Punkte stattgefunden haben sollen. Soweit das Landgericht eine Glaubhaftmachung angenommen hat, fehlt es bereits an schlüssigem Vortrag.

Bestand danach ein Anspruch der Beklagten auf Erstattung von Reisekosten, Abwesenheitsgeldern und Übernachtungskosten nicht, waren lediglich die Verfahrensgebühr in Höhe von 535,60 EUR, die Terminsgebühr in Höhe von 494,40 EUR, die Auslagengebühr in Höhe von 20 EUR, die jeweilige Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 199,50 EUR und die verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 854,28 EUR im Rahmen der Kostenfestsetzung anzusetzen. Diese Kosten belaufen sich auf insgesamt 2.103,78 EUR.

Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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