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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 171/08
Rechtsgebiete: GVG, NJVollzG


Vorschriften:

GVG § 158
NJVollzG § 144 Abs. 2
1. Die Frage der Zuständigkeit des ersuchenden Richters ist nach § 158 GVG vom ersuchten Richter nicht zu prüfen.

2. Aus § 144 Abs. 2 NJVollzG folgt keine Pflicht zur persönlich vorzunehmenden Überwachung. Eine Übertragung der Durchführung auf einen anderen Richter ist daher zulässig.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

2 Ws 171/08

In dem Ermittlungsverfahren

wegen Mordes

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Amtsgerichts U. auf Entscheidung gemäß § 159 GVG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Amtsgericht ####### am 29.05.2008 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts S. vom 18. April 2008 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Ersuchen des Amtsgerichts U. um Rechtshilfe zulässig ist.

Gründe:

I.

Der Beschuldigte befindet sich seit dem 8. Februar 2008 in der vorliegenden Sache in Untersuchungshaft in der JVA S. aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts T. vom selben Tage (2 Gs 10/08). Haftgrund ist u. a. die Annahme von Verdunklungsgefahr. Den Eltern des Beschuldigten sind am 17. März 2008 vom Amtsgericht U. als dem gemäß § 134 Abs. 1 Nr. NJVollzG zuständigen Vollzugsgericht Dauerbesuchserlaubnisse erteilt worden. Zugleich wurde die optische und akustische Überwachung der Besuche durch den ersuchten Richter des Amtsgerichts S. angeordnet. Nach Zurückweisung des entsprechenden Rechtshilfeer-suchens des Amtsgerichts U. durch das Amtsgericht S. hat das Amtsgericht U. mit Beschluss vom 3. April 2008 die akustische und optische Überwachung der genehmigten Besuche der Eltern des Beschuldigten in der JVA S. im Wege der Rechtshilfe dem Amtsgericht S. übertragen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass nach § 144 Abs. 2 NJVollzG die Übertragung der Zuständigkeit für die Durchführung der akustischen Überwachung auf die Vollzugsbehörde ausgeschlossen sei und sie dementsprechend durch einen Richter zu erfolgen habe. Das Amtsgericht S. hat mit Beschluss vom 18. April 2008 das Ersuchen zurückgewiesen und sich zur Begründung darauf berufen, dass nach § 144 Abs. 2 NJVollzG lediglich die Entscheidung über die akustische Überwachung nicht auf die Vollzugsbehörde übertragen werden dürfe. Eine Übertragung auf die Staatsanwaltschaft sei möglich und ohnehin die praktikabelste Lösung.

Das Amtsgericht U. hat die Sache dem Senat gemäß § 159 GVG vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts S. vom 18. April 2008 aufzuheben. Der Beschuldigte und dessen Eltern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Der Antrag des Amtsgerichts U. gemäß § 159 Abs. 1 GVG gegen die Ablehnung des Rechtshilfeersuchens durch das Amtsgericht S. ist zulässig und begründet.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der das Gesuch ablehnenden Entscheidung sowie zur klarstellenden Feststellung, dass dem Ersuchen um Rechtshilfe nachzukommen ist.

Die Nachprüfung der Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens nach § 159 Abs. 1 Satz 1 GVG bezieht sich nur darauf, ob die ablehnende Entscheidung den Voraussetzungen des § 158 GVG entspricht (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 159 GVG Rdnr. 1). Nach § 158 Abs. 1 GVG darf ein Rechtshilfeersuchen grundsätzlich nicht ablehnt werden. Eine Ausnahme gilt gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 GVG aber dann, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist.

Dies ist hier nicht der Fall. Verboten im Sinne dieser Vorschrift sind nach ganz herrschender Meinung nur solche Handlungen, die schlechthin - in abstracto - rechtlich unzulässig sind (vgl. dazu Meyer-Goßner, a. a. O., § 158 Rdnr. 2; BGH NJW 1990, 2936). Verboten sind ferner solche Handlungen, die vom zuständigen Gericht selbst vorzunehmen sind und nicht einem Rechtshilfegericht übertragen werden dürfen (vgl. dazu Löwe-Rosenberg-Boll, StPO, 25. Aufl., § 158 GVG, Rdnr. 4).

Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

1) Die Durchführung einer optischen und akustischen Überwachung der Besuche eines Untersuchungsgefangenen ist, sofern diese richterlich angeordnet wurde, eine zulässige Maßnahme im Rahmen der Untersuchungshaft. Sie beruht auf § 144 Abs. 1 NJVollzG oder, bis zu dessen Erlass, auf § 119 Abs. 3 StPO.

Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit der Besuchsüberwachung könnten hier deshalb bestehen, weil sie von dem nach dem NJVollzG zuständigen Vollzugsgericht angeordnet wurde und dessen Verfassungsmäßigkeit jedenfalls fraglich ist (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des OLG Oldenburg vom 12.02.2008, 1 Ws 87/08). Ob die Anordnung der Besuchsüberwachung und die Übertragung der Durchführung auf den ersuchten Richter durch das zuständige Gericht und im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens erfolgte, ist nach § 158 GVG vom ersuchten Richter aber nicht zu prüfen (so ausdrücklich für die Zuständigkeit Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 158 Rdnr. 4; Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl., § 158 Rdnr. 26; für die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens zusätzlich Löwe-Rosenberg-Boll, a. a. O., § 158 Rdnr. 3). Die Frage der Zuständigkeit des ersuchenden Richters ist mithin nach dem oben beschriebenen Prüfungsumfang im Rahmen des § 159 GVG auch für die Entscheidung des Oberlandesgerichtes nach § 159 GVG ohne Bedeutung. Der Senat hat sich daher mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsregelungen im NJVollzG im Rahmen dieser Entscheidung nicht zu befassen.

2) Auch ein Fall einer vom zuständigen Gericht selbst vorzunehmenden Handlung liegt bei der Durchführung der Besuchsüberwachung von Untersuchungsgefangenen nicht vor. Eine solche Pflicht zur persönlich vorzunehmenden Überwachung könnte allenfalls aus § 144 Abs. 2 NJVollzG folgen. Nach dieser Vorschrift ist die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die akustische Überwachung zur Abwehr einer Verdunklungsgefahr und für die Durchführung einer solchen Maßnahme auf die Vollzugsbehörde ausgeschlossen. Während Nr. 27 Untersuchungshaftvollzugsordnung, dort Absatz 1 Satz 2, eine solche Übertragung der Überwachung auf einen Anstaltsbeamten ausdrücklich vorsieht, soll dies nach § 144 Abs. 2 NJVollzG nicht mehr zulässig sein. Hieraus folgt jedoch nicht, dass damit eine Übertragung der Durchführung einer solchen Maßnahme auf einen ersuchten Richter unzulässig ist. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut, noch aus den Gesetzesmaterialien, noch aus dem Sinn dieser Vorschrift.

a) Der Wortlaut der Vorschrift bezieht sich nur auf die Übertragung auf die Vollzugsbehörde, also gerade nicht auf die Übertragung auf einen anderen Richter.

b) Aus den Gesetzesmaterialien folgt, dass außerdem eine Übertragung auf die Staatsanwaltschaft ausgeschlossen sein sollte. Im schriftlichen Bericht zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen, LT Drucksache 15/4325, S. 51, heißt es ausdrücklich, dass abweichend vom Entwurf das Gericht diese Zuständigkeit nicht mehr auf die Staatsanwaltschaft übertragen können solle, da diese nach der Neukonzeption der Zuständigkeitsvorschrift keine eigenen Kompetenzen mehr haben solle. Auch nach den Gesetzesmaterialien ist eine Übertragung auf einen ersuchten Richter folglich nicht ausgeschlossen.

c) Auch der Sinn des § 144 Abs. 2 NJVollzG schließt eine Übertragung der Durchführung auf einen anderen Richter nicht aus.

Der Sinn des § 144 Abs. 2 NJVollzG könnte darin liegen, sicherzustellen, dass die Besuchsüberwachung in Fällen der Verdunkelungsgefahr von einer Person vorgenommen wird, die über ausreichende Verfahrenskenntnis verfügt, um beurteilen zu können, ob ein Fall von Verdunkelungsgefahr vorliegt. Diese Überlegung dürfte indessen bei Erlass des Gesetzes keine Rolle gespielt haben. Wenn es auf die Verfahrenskenntnis hätte ankommen sollen, müsste, wie nach der in der StPO vorgesehenen Regelung, grundsätzlich nicht der Vollstreckungsrichter, sondern der Haftrichter, die Staatsanwaltschaft oder das erkennende Gericht die Überwachung vornehmen, wobei es dabei ausreichen müsste, die Überwachung auf einen Polizeibeamten zu übertragen, der mit den Ermittlungen betraut ist.

Der Sinn des Übertragungsausschlusses in den Fällen der Besuchüberwachung dürfte daher unter Rückgriff auf die Gesetzessystematik darin liegen, dass mit der Besuchsüberwachung - wie auch bei der Textkontrolle des Schriftverkehrs, bei der gemäß § 146 Abs. 3 NJVollzG ebenfalls eine Übertragung ausgeschlossen ist - besonders intensive Grundrechtseingriffe für den Untersuchungsgefangenen verbunden sind. Der Ausschluss der Übertragung der Überwachung auf die JVA dürfte demnach den Zweck haben, hier eine richterliche Kontrolle zu garantieren. Dann ist aber auch eine Übertragung der Durchführung auf einen ersuchten Richter zulässig.

d) Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem vom Amtsgericht S. zitierten Erlass des Justizministeriums vom 27. Dezember 2007 - 4104-S 4.173. Zwar heißt es dort, dass das Vollzugsgericht diese Maßnahmen "in persona" vorzunehmen hat. Im nächsten Satz wird jedoch darauf hingewiesen, dass davon unberührt bleiben die allgemeinen Regelungen über Rechts- und Amtshilfe. Im Übrigen enthalten Justizverwaltungsanordnungen ohnehin keine Verbote i. S. von § 158 GVG, da sie keine Rechtsnormen setzen (vgl. dazu Löwe-Rosenberg-Boll, a. a. O., § 158 Rdnr. 5).

e) Da also § 144 Abs. 2 NJVollzG die Übertragung der Durchführung der Besuchsüberwachung auf einen ersuchten Richter nicht verbietet, kommt es auch insoweit auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift nicht an. Auch nach der bundesgesetzlichen Regelung in § 119 Abs. 3 StPO i. V. m. Nr. 27 Untersuchungshaftvollzugsordnung ist die Übertragung der Besuchsüberwachung auf einen anderen Richter zulässig.

3) Soweit vom Amtsgericht S. schließlich gerügt wird, dass die Übertragung der Durchführung der Besuchsüberwachung auf einen ersuchten Richter unpraktikabel und unzweckmäßig ist, gehört auch dies nicht zu den Gründen, aus denen gemäß § 158 Abs. 1 GVG ein Rechtshilfeersuchen abgelehnt werden dürfte (BGH NJW 1990, 2936). Darauf, dass die im NJVollzG getroffenen Regelungen zur Besuchskontrolle insgesamt Fragen zu Zweckmäßigkeit und Praktikabilität aufwerfen, kommt es daher ebenfalls nicht an.

Ende der Entscheidung

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