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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 22 Ss 189/03
Rechtsgebiete: StGB, OWiG, EBO, AEG


Vorschriften:

StGB § 316 b
StGB § 316 b Abs. 1 Nr. 1
OWiG § 79 Abs. 6
OWiG § 83 Abs. 3
EBO § 64 b Abs. 2 Nr. 2
AEG § 26 Abs. 1 Nr. 1 c
AEG § 28 Abs. 1 Nr. 6
AEG § 28 Abs. 2
Der Aufenthalt von Personen auf Eisenbahngleisen mit der Folge der Einstellung des Fahrbetriebs stellt kein Unbrauchmachen einer dem Betrieb dienenden Sache i. S. d. § 316 b Abs. 1 Nr. 1 StGB dar, weil durch ihn nicht auf die Substanz der Gleise eingewirkt und deren Funktionsfähigkeit nicht gemindert wird.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

22 Ss 189/03

In der Strafsache

wegen Störung öffentlicher Betriebe

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts ####### vom 29. August 2003 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 29. Januar 2004 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen vorsätzlichen unbefugten Aufenthalts innerhalb von Bahngleisen zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt.

(Angewendete Vorschriften: § 64 b Abs. 2 Nr. 2 EBO, §§ 26 Abs. 1 Nr. 1 c, 28 Abs. 1 Nr. 6 AEG).

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Die Verfahrenskosten erster Instanz und die Kosten des Revisionsverfahrens werden zur Hälfte der Landeskasse auferlegt, die in diesem Umfang auch die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat. Im Übrigen trägt diese Kosten der Angeklagte.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht ####### hatte den Angeklagten durch Urteil vom 20. Januar 2003 wegen gemeinschaftlicher Störung öffentlicher Betriebe in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts ####### den Angeklagten unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen wegen gemeinschaftlicher Störung öffentlicher Betriebe zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer festgestellt, dass er keine Einkünfte erzielt, sondern den ehelichen Haushalt versorgt und seine beiden 13- und 15-jährigen Kinder betreut. Die Ehefrau des Angeklagten leitet als Angestellte eine ambulante Krankenpflegestation.

Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts führte in den frühen Morgenstunden des 15. Mai 2001 die Deutsche Bahn AG/DB Cargo den Transport abgebrannter Atombrennstäbe aus norddeutschen Atomkraftwerken zur Wiederaufarbeitung in das französische La Hague durch. Der Zug mit den so genannten Castorbehältern sollte um 04:47 Uhr vom Rangierbahnhof Maschen abfahren und um 05:08 Uhr den Bahnhof Lüneburg auf der Hauptstrecke von Norden nach Süden passieren. Die so genannte Anti-Atomkraftbewegung hatte am 14. Mai 2001 in Harburg (Kreis Winsen/Luhe) eine gegen den Transport gerichtete Demonstration durchgeführt, an der auch der Angeklagte teilgenommen hatte. Dabei wurde zu einer Protestaktion in Lüneburg aufgerufen, woraufhin der Angeklagte von Harburg nach Lüneburg fuhr. Der Einsatzleiter der Bundesgrenzschutzinspektion, POK #######, erfuhr von der geplanten Kundgebung bei Dienstbeginn am 15. Mai 2001 gegen 03:00 Uhr morgens. Da die vorangegangenen Transporte nach La Hague störungsfrei verlaufen waren, erfolgte zunächst nur ein Einsatz in der üblichen Personalstärke der Bundesgrenzschutzinspektion. Es wurde auch kein allgemeines Versammlungsverbot erlassen. Ab 04:30 Uhr versammelten sich zunächst zehn bis fünfzehn Personen auf einer Grünfläche schräg gegenüber des Bahnhofsgebäudes. Bis 04:45 Uhr vergrößerte sich die Gruppe auf etwa fünfzig Personen. Gegen 04:45 Uhr betrat die Gruppe, in der sich der Angeklagte befand, die Wartehalle des Bahnhofsgebäudes. Der Angeklagte fiel den Bundesgrenzschutzbeamten dadurch auf, dass er wiederholt über sein Mobiltelefon Gespräche führte. Nach einem Gespräch teilte er den Teilnehmern der Protestkundgebung mit, dass der Zug mit den Atombrennstäben in Maschen abgefahren sei. Aus der Gruppe erfolgte der Aufruf "Los geht's!" und die Gruppe setzte sich auf dem Bahnsteig 1 in Richtung Norden in Bewegung. Der Einsatzleiter der Bundesgrenzschutzinspektion teilte der Einsatzleitstelle telefonisch mit, dass möglicherweise Personen die Gleisanlagen betreten könnten. Der hiervon in Kenntnis gesetzte Fahrdienstleiter ####### veranlasste daraufhin die Sperrung der Gleise 201 bis 203 in nördlicher und südlicher Richtung um 04:50 Uhr. Damit waren die Gleise im Bereich des Personenbahnhofs zwischen den Signalen N 202 und S 202 komplett gesperrt. Zugleich veranlasste der Fahrdienstleiter die Sperrung des Streckengleises zwischen Lüneburg und Bardowick in Richtung Bardowick. Der Angeklagte begab sich mit mehreren Demonstranten an das Ende des Bahnsteigs 1 im Norden des Lüneburger Hauptbahnhofs. Dort befindet sich ein Hinweisschild der Deutschen Bahn AG, dass Unbefugten der Zutritt auf die offenen Gleisanlagen untersagt ist. Der Einsatzleiter der Bundesgrenzschutzinspektion forderte die Demonstranten auf, das Betreten der Bahngleise zu unterlassen. Der Angeklagte und die übrigen Demonstranten folgten dieser Aufforderung jedoch nicht und betraten hinter dem Bahnsteig die offenen Schienenanlagen mit an dieser Stelle zwei Gleisen. Die Demonstranten setzten ihren Zug zunächst ca. 200 m weiter in Richtung Norden fort, wobei sich einige unmittelbar auf dem Gleis in Richtung Norden bewegten. Nachdem der Einsatzleiter die Demonstranten noch einmal darauf hingewiesen hatte, dass der Aufenthalt im Gleisbereich rechtswidrig sei und sie zum Verlassen des Gleises aufgefordert hatte, rief der Angeklagte "Wir müssen weiter! Die sind zu wenige, die können uns nicht aufhalten." Der Angeklagte äußerte weiter, man müsse sich zum Gleisdreieck begeben, weil dort eine Ausweich- bzw. Nebenstrecke zum Westbahnhof verlaufe, die eine Umleitung des Castor-Transports über den Westbahnhof ermögliche. Gegen 05:00 Uhr konnten zwölf Beamte des Polizeikommissariats Lüneburg beim Bahnkilometer 132,4 in Höhe der Bahnüberführung Lüner Weg eine Absperrung bilden. Einige Mitglieder der Demonstrantengruppe setzten sich an dieser Stelle auf das von Norden nach Süden führende Gleis, andere auf das in die Gegenrichtung führende Gleis. Zwischen 05:00 Uhr und 05:03 Uhr konnten einige der Demonstranten von den Gleisen getragen werden. Es gelang den Demonstranten dann, die Polizeikette zu durchbrechen und sich vor der Weiche, von der u. a. auch die Gleise in Richtung Lüneburger Westbahnhof abgehen, auf dem Gleis niederzusetzen. Der Angeklagte nahm an der Blockade der Weiche nicht teil. Er hatte sich gegen 05:07 Uhr vom Kern der Demonstrantengruppe getrennt. Er begab sich auf den Grünstreifen neben den Gleisen, beobachtete das weitere Geschehen von dort und führte erneut Telefonate mit seinem Mobiltelefon. Nachdem die Demonstranten erneut der Aufforderung des Einsatzleiters der Bundesgrenzschutzinspektion, die Gleise zu verlassen, keine Folge geleistet hatten, wurde die Räumung der Gleise angeordnet und die Demonstranten durch Einsatzkräfte von den Gleisen getragen. Die Räumung der Gleise dauerte bis 05:12 Uhr. Die Gleissperrung führte dazu, dass der Castor-Transport gegen 04:52 Uhr auf seinem Weg von Norden kommend in Höhe Bardowick zum Stillstand gebracht wurde. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Zug elf Minuten vor dem Fahrplan. In der Zeit zwischen 04:50 Uhr und 05:36 Uhr war der Lüneburger Bahnhof auf den Strecken Hamburg-Hannover und Hannover-Hamburg für den gesamten Güter- und Pendlerverkehr unpassierbar. Von dieser Sperrung waren siebzehn Personenreisezüge (acht Fernzüge und neun Züge im Personennahverkehr) sowie dreizehn Güterzüge, die sämtlich durch den Bahnhof Lüneburg hätten fahren sollen, betroffen. Unter anderem musste auch ein von Hamburg regulär um 05:21 Uhr abfahrender ICE über Rotenburg umgeleitet werden.

Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als gemeinschaftliche Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316 b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewertet, weil er mit anderen den Betrieb von Unternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen, dadurch gestört habe, dass er eine dem Betrieb dienende Sache unbrauchbar gemacht habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist weitgehend begründet. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit.

1. Der festgestellte Sachverhalt trägt die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316 b Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht.

Zwar handelt es sich bei der Deutschen Bahn AG und ihrem Tochterunternehmen DB Cargo um den öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen i. S. des § 316 b Abs. 1 Nr. 1 StGB, deren Betrieb infolge der durch das Verhalten des Angeklagten und seiner Mitdemonstranten verursachten Gleissperrung auch zeitweilig verhindert wurde, weil der Fahrbetrieb zum Ruhen kam. Der Angeklagte hat jedoch nicht eine dem Betrieb dienende Sache im Sinne der genannten Bestimmung unbrauchbar gemacht. Das Unbrauchbarmachen setzt zwar keine Beschädigung der Sache voraus (vgl. Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, StGB, 26. Aufl., § 316 b Rdnr. 7). Jedoch muss die Einwirkung auf die Sache selbst vorgenommen werden (vgl. LK-Wolff, StGB, 11. Aufl., § 317 Rdnr. 5). Von § 316 b StGB werden dagegen Störungen oder Einstellungen der Betriebstätigkeit nicht erfasst, die im Gefolge einer Einwirkung auf Menschen entstehen (vgl. SK-Horn, StGB, 7. Aufl., § 316 b Rdnr. 10). So liegt der Fall hier. Am Tattag kam es nicht deshalb zum Ruhen des Fahrverkehrs, weil der Angeklagte und seine Mitdemonstranten dies durch direkte Einwirkung auf die Gleisanlagen oder die Züge der Deutschen Bahn AG verursachten. Vielmehr haben sie durch das Betreten der Gleisanlagen psychisch auf die Fahrdienstleiter und Zugführer eingewirkt, die daraufhin den Fahrbetrieb einstellten, um die Demonstranten nicht in die Gefahr schwerer Verletzungen oder gar des Todes zu bringen.

Der Senat folgt nicht der in einem vergleichbar gelagerten Fall ergangenen Entscheidung des Amtsgerichts Lüneburg (Nds.Rpfl. 2004, 49), in der der Aufenthalt von Demonstranten auf Gleisen dem Blockieren der Gleise z. B. durch Findlinge gleichgesetzt worden ist. Der Gesetzeswortlaut würde bei dieser Auslegung unzulässig überdehnt. Zwar wird in beiden Fällen ein verständiger Zugführer den Zug zum Stehen bringen. Das Amtsgericht hat jedoch nicht beachtet, dass der Aufenthalt von Personen auf Eisenbahngleisen keine Einwirkung auf die Substanz der Gleise mit der Folge einer Minderung ihrer Funktionsfähigkeit darstellt.

2. Die damit gebotene Aufhebung des angefochtenen Urteils führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht #######. Der Senat kann vielmehr entsprechend §§ 83 Abs. 3, 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind und lediglich eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit erfolgen kann (OLG Bremen VRS 65, 36, 38; BayObLG bei Rüth, DAR 1986, 251; KK-Steindorf, OWiG, 2. Aufl., Rdnr. 13 zu § 83).

a) Die Feststellungen der Strafkammer belegen, dass der Betroffene vorsätzlich gegen § 64 b Abs. 2 Nr. 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO), §§ 28 Abs. 1 Nr. 6, 26 Abs. 1 Nr. 1 c des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) verstoßen hat, indem er sich unbefugt innerhalb der Gleise aufgehalten hat. Das Verhalten des Betroffenen war nicht durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG gerechtfertigt. Die Inanspruchnahme von Grundrechten findet ihre Grenze, wenn sie gegen Gesetze verstößt und Rechtsgüter Anderer - insbesondere unbeteiligter Dritter - verletzt (vgl. BVerfGE 104, 92, 108, 111; BGHSt. 44, 34, 41). Durch die Blockade der Bahngleise ist jedenfalls erheblich in die Persönlichkeitsrechte der Zugführer und der Bahnreisenden eingegriffen worden.

b) Der Senat hat unter Berücksichtigung der nach § 28 Abs. 2 AEG möglichen Geldbuße von bis zu 5.000 € gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 500 € verhängt. Er hat dabei die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen und sein vorsätzliches Verhalten bedacht. Ferner war zu berücksichtigen, dass durch das Verhalten des Betroffenen zwar kein Personen- oder Sachschaden verursacht worden ist, es andererseits aber zu erheblichen Behinderungen und Beeinträchtigungen der Deutschen Bahn AG und ihrer Kunden gekommen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465, 467, 473 StPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Angeklagte sein Rechtsmittelziel mit dem Wegfall der strafrechtlichen Ahndung im Wesentlichen erreicht hat.

Ende der Entscheidung

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