Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 18.04.2007
Aktenzeichen: 22 W 68/06
Rechtsgebiete: AufenthG, ZPO


Vorschriften:

AufenthG § 106 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
Im Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft findet bei Abgabe des Verfahrens nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch nicht entsprechend Anwendung.

Wurde Abschiebungshaft nicht vollzogen, fehlt es am Rechtsschutzinteresse an nachträglicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Maßnahme.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

22 W 68/06

In der Abschiebehaftsache

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weiteren sofortigen Beschwerden des Betroffenen gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 25. August 2006 und gegen den Beschluss derselben Kammer vom 19. September 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### am 18. April 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Die gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg 25. August 2006 gerichtete weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 7. September 2007 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Fahlbusch wird insoweit zurückgewiesen.

Der Betroffene trägt die Kosten dieses weiteren Beschwerdeverfahrens.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

2. Auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 26. September 2006 werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 19. September 2006 und der Beschluss des Amtsgerichts Stadthagen vom 22. August 2006 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Inhaftierung des Betroffenen seit dem 29. August 2006 bis zu seiner Entlassung am 29. September 2006 rechtswidrig war.

Dem Betroffenen wird insoweit Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., H., bewilligt.

Für dieses Beschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; Auslagen des Betroffenen werden nicht erstattet. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Stadthagen hat gegen den Betroffenen durch Beschluss vom 23. Mai 2006 Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG für die Dauer von bis zu drei Monaten angeordnet und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Daneben wurden die weiteren erforderlichen Entscheidungen über die Fortdauer der Abschiebungshaft dem Amtsgericht, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in der der Betroffene untergebracht war, übertragen. Der Betroffene wurde nach seiner Festnahme und der Vorführung vor dem Richter bereits am 23. Mai 2006 in die Justizvollzugsanstalt Hannover, Abt. Langenhagen, aufgenommen. Dort verbüßte er vom 21. Juli 2006 bis zum 29. August 206 eine Rest-Ersatzfreiheitsstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bückeburg vom 23. Februar 2005.

Die Akten waren derweil beim Amtsgericht Stadthagen verblieben, das am 9. August 2006 einen Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Haft nach § 10 FreihEntzG ablehnte. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Bückeburg mit Beschluss vom 25. August 2006 zurückgewiesen.

Am 22. August 2006 ordnete das Amtsgericht Stadthagen die Verlängerung der Abschiebungshaft um sechs Wochen sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an und bestimmte erneut das Amtsgericht am Haftort als für die weiteren Entscheidungen zuständig. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Bückeburg am 19. September 2006 zurückgewiesen.

Auf Antrag der Ausländerbehörde ist der Betroffene am 29. September 2006 aus der Abschiebungshaft entlassen worden.

Der Betroffene hat sowohl gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 25. August 2006 als auch gegen den Beschluss vom 19. September 2006 am 7. bzw. 26. September 2006 weitere sofortige Beschwerde mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Er rügt die Zuständigkeit der entscheidenden Gerichte.

II.

1.

Das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 25. August 2006 hat keinen Erfolg.

a) Die weitere sofortige Beschwerde ist nach §§ 27, 29 FGG i.V.m. § 7 FreihEntzG zwar grundsätzlich statthaft; sie ist jedoch mangels Rechtsschutzinteresses mit dem erhobenen Feststellungsbegehren unzulässig.

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 17. März 2006 - 22 W 10/06 - dargelegt hat, besteht an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Abschiebungshaft kein Rechtsschutzinteresse, wenn diese nur als Überhaft angeordnet ist.

So liegt die Sache hier. Der Betroffene hat auf der Basis dieser Entscheidung der Kammer und vorgehend des Amtsgerichts Stadthagen vom 9. August 2006 keine Abschiebungshaft erlitten, denn er verbüßte in dem hier der Anfechtung eröffneten Zeitraum Ersatzfreiheitsstrafe.

Zwar begann die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe erst am 21. Juli 2006 und damit nahezu zwei Monate nach der Anordnung der Abschiebungshaft. Diese aber war durch Beschluss des Amtsgerichts Stadthagen vom 23. Mai 2006 angeordnet und nicht angefochten worden. Erst mit dem am 27. Juli 2007 gestellten Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Haft war die Prüfung über die Rechtmäßigkeit der Haft durch das Landgericht und den Senat im Grundsatz wieder eröffnet; für die davor liegende Zeit kann sich der Betroffene nicht nachträglich auf die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung berufen. Der Betroffene verbüßte auch noch Ersatzfreiheitsstrafe, als das Landgericht Bückeburg als letzte Tatsacheninstanz am 25. August 2006 über die Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung der Haft entschied.

Danach war die weitere sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen; auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit der entscheidenden Gerichte kommt es nicht an.

b) Mangels Erfolgsaussicht für das weitere Beschwerdeverfahren war insoweit Prozesskostenhilfe gemäß §§ 14 FGG, 114 ZPO nicht zu bewilligen.

c) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 13 a Abs. 2 FGG, 14, 15 FreihEntzG.

2.

Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Bückeburg vom 19. September 2006, mit dem die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stadthagen vom 22. August 2006 angeordnet worden ist, hat dagegen Erfolg.

a) Die Beschwerde ist mit dem Feststellungsbegehren zulässig und begründet.

Die Verlängerung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht Stadthagen war rechtsfehlerhaft. Damit war die auf dieser Rechtsgrundlage erfolgte Inhaftierung des Betroffenen rechtswidrig.

(1)

Das Amtsgericht Stadthagen war für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungshaft nicht zuständig.

Die örtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anordnung von Maßnahmen nach § 62 AufenthG richtet sich gem. § 106 Abs. 2 AufenthG nach dem FreihEntzG. Dessen § 4 findet dabei nach § 12 FreihEntzG für Entscheidungen über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung keine Anwendung. Dies bedeutet, dass für die Fortdauerentscheidung das Gericht zuständig ist, das über die Anordnung der Freiheitsententziehung entschieden hat (vgl. Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, Teil F, § 12, Rn. 1). Danach wäre das AG Stadthagen zuständig gewesen.

Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit ist jedoch durch eine Abgabeentscheidung nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufentG möglich. Eine derartige Abgabeentscheidung hat das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 23. Mai 2006 getroffen. Die Wirksamkeit dieser Bestimmung unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen rechtlichen Bedenken. Aufgrund dieser Anordnung ist mit der Aufnahme des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Hannover das Amtsgericht Hannover für die weiteren Entscheidungen zuständig geworden.

(2)

Daran ändert auch nichts, dass das Amtsgericht Stadthagen die Akten nicht an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet hat. Maßgeblich für die Wirksamkeit der Abgabeentscheidung ist hier - wie allgemein bei gerichtlichen Entscheidungen - dass der Beschluss gefasst und verkündet worden ist.

Die Übersendung der Akten ist entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zuständigkeitswechsel. § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO findet keine entsprechende Anwendung.

Dagegen spricht bereits der Wortlaut der einschlägigen Vorschrift. Die hier einschlägige Spezialnorm des § 106 Abs. Abs. 2 S. 2 AufenthG enthält gerade keinen entsprechenden Passus über die Anhängigkeit erst bei Akteneingang.

Auch aus gesetzessystematischen Gründen ist eine entsprechende Anwendbarkeit zu verneinen. Bestimmungen der ZPO sind, soweit ihre entsprechende Anwendung nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur dann heranzuziehen, wenn eine Regelungslücke besteht, der die Anwendung von Normen der ZPO ungeachtet der Besonderheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebietet (BGH NJW 1990, 1794). Das ist hier nicht der Fall. Die Regelung der Abgabe in § 106 Abs. 2 AufenthG ist umfassend und abschließend.

§ 281 Abs. 2 S. 3 ZPO enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken. Die Norm bezieht sich ausschließlich auf die örtliche und/oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte im Zivilverfahren, die von den Parteien beeinflusst werden kann, z.B. durch Gerichtsstandsvereinbarungen (§ 38 ZPO) oder Verweisungsanträge (§ 281 Abs. 1 ZPO). Demgegenüber sind die Vorschrift über die Zuständigkeit im FGGVerfahren regelmäßig zwingender Natur (vgl. Keidel/Kunze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 7 Rdn. 24). Zwar mögen in echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die ZPO-Vorschriften über die Zuständigkeit herangezogen werden (vgl. BGH Z 139, 305 zur Anwendbarkeit von § 281 ZPO im WEG-Verfahren). Das Verfahren über die Anordnung der Abschiebungshaft ist indes gerade kein echtes Streit, sondern ein Antragsverfahren.

Auch Sinn und Zweck des § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO gebieten nicht dessen entsprechende Anwendung. Diese Vorschrift soll mögliche Unklarheiten über die Zeit des - im Zivilverfahren in vielfacher Hinsicht rechtlich bedeutsamen - Anhängigkeitswechsels bei einem nicht verkündeten Verweisungsbeschluss vermeiden (Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 281 ZPO Rdn. 15). Der Beschluss über die Anordnung der Abschiebungshaft und die Abgabe sind hier aber - wie üblich - in Anwesenheit des Betroffenen und eines Vertreters der antragstellenden Behörde verkündet worden. Mit der Aufnahme des Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Hannover konnten daher keine Zweifel an der Zuständigkeit des Amtsgerichts Hannover bestehen.

(3)

Der Mangel der örtlichen Zuständigkeit für die weiteren Entscheidungen über die Abschiebungshaft ist auch nicht nachträglich geheilt worden. Das Landgericht Bückeburg ist nicht das gemeinsame übergeordnete Gericht der zweiten Tatsacheninstanz für die Amtsgerichte Stadthagen und Hannover und konnte daher nicht in eigener Zuständigkeit entscheiden (dazu BGH, Beschluss vom 8. März 2007 - V ZB 149/06; Keidel/Kunze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 7 Rdn. 37).

(4)

Dieser Rechtsfehler ist auch so schwerwiegend, dass die auf dieser Basis vollzogene Inhaftierung des Betroffenen als rechtswidrig anzusehen ist.

Dahinstehen mag, ob jeder - nicht geheilte - Fehler bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zwingend die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung nach sich ziehen muss (dazu Vorlagebeschluss des OLG München vom 19. September 2006 34 Wx 080/06; BGH aaO). Denn hier hat das Amtsgericht erst ausdrücklich eine Entscheidung über die Abgabe getroffen, und dann aber dennoch weiter selbst entschieden. Dieses widersprüchliche Verhalten erscheint als so schwerwiegender Verfahrensfehler, dass hier die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft geboten ist.

Auf den entsprechenden Antrag des Betroffenen war nach alldem unter Aufhebung der Beschlüsse des Amtsgerichts Stadthagen vom 22. August 2006 und des Landgerichts vom 19. September festzustellen, dass die Inhaftierung des Betroffenen seit dem Ende der Überhaft am 29. August 2006 bis zu seiner Entlassung am 29. September 2006 hinaus rechtswidrig war.

b) Der Senat hat dem Betroffenen für dieses weitere Beschwerdeverfahren nach §§ 14 FGG, 114 ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt, weil die Rechtsverfolgung aus den zuvor ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussicht hat.

c) Gerichtskosten nach § 14 FreihEntzG waren wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht zu erheben, § 16 KostO.

Eine Erstattung der Auslagen zwischen den Verfahrensbeteiligten findet nicht statt. Der Senat hat davon abgesehen, die Auslagen des Betroffenen dem Landkreis nach § 16 FreihEntzG aufzuerlegen, denn in materiellrechtlicher Hinsicht lag ein begründeter Anlass für den Antrag auf Anordnung der Fortdauer der Sicherungshaft im Sinne von § 16 Satz 1 FreihEntzG vor. Der Landkreis hat den Antrag auf Verlängerung der Abschiebungshaft zwar bei einem Gericht gestellt, das für die Entscheidung nicht zuständig war. Dies aber konnte der Landkreis nicht erkennen. Wenn ihm auch der Abgabebeschluss vom 23. Mai 2006 bekannt war, so durfte er angesichts der vom Amtsgericht am 9. August 2006 und vom Landgericht am 25. August 2006 getroffenen Entscheidungen von einer fortdauernden Zuständigkeit des Amtsgerichts Stadthagen ausgehen.

Ende der Entscheidung

Zurück