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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 17.11.2005
Aktenzeichen: 3 W 142/05
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 68
1. Setzt das Landgericht als Berufungsgericht für den Berufungsrechtszug den Streitwert fest, findet hiergegen die Beschwerde statt. Zuständig für die Beschwerdeentscheidung ist das Oberlandesgericht.

2. Eine Beschwer ist auch bei zuvor erklärtem Einverständnis mit der beabsichtigten Streitwertfestsetzung zu bejahen (im Anschluss an OLG Celle, 16 W 46/05, NdsRpfl 2005, 324).


3 W 142/05

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Streitwertbeschwerde der Kläger vom 31. August 2005 gegen den Streitwertbeschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 24. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ... am 17. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Landgerichts Stade vom 24. August 2005 abgeändert und der Streitwert auf 3.878,67 EUR festgesetzt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung rückständiger Rechtsanwaltsgebühren.

Mit Urteil vom 26. November 2004 hat das Amtsgericht Stade die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Kläger zur gesamten Hand 1.059,40 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 8. März 2002 zu zahlen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Landgericht Stade eingelegt und die Aktivlegitimation der Kläger bestritten. Zusätzlich hat die Beklagte die Schlechterfüllung des Rechtsanwaltsvertrages eingewandt. Der Auftrag sei dahin gegangen, die Rechtskraft ihres Scheidungsverfahrens solange hinauszuzögern, bis die Beklagte eine 30jährige Ehezeit erreicht hätte. Dieses Ziel sei wegen einer Pflichtverletzung der Kläger nicht erreicht worden. Daraus hat die Beklagte einen Schaden abgeleitet, der zunächst in Höhe von 2.507,33 EUR für Rückforderungsansprüche wegen überzahlten Trennungsunterhalts bestehe. In Höhe von 700,47 EUR habe sie zudem einen weiteren Schaden, da der Scheidungsunterhalt geringer ausgefallen sei als der Trennungsunterhalt. Schließlich habe sie einen immateriellen Schaden dadurch erlitten, dass sie durch das prozessuale Verhalten der Kläger im Scheidungsverfahren nicht mehr eine 30jährige Ehezeit, die für sie eine ethische Wertgröße darstelle, erreicht habe. Die Beklagte hat ihre vermeintlichen Gegenansprüche in der genannten Reihenfolge zur Aufrechnung gestellt.

Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen und in der Entscheidung aufrechenbare Gegenansprüche der Beklagten verneint. Auf Antrag der Beklagtenvertreter hat das Landgericht den Streitwert für das Berufungsverfahren nach Anhörung der Kläger mit Beschluss vom 24. August 2005 auf 1.059,40 EUR festgesetzt. Die Kläger hatten zuvor in ihrer Stellungnahme geäußert, der Streitwert folge dem Klageantrag.

Mit einem am 31. August 2005 beim Landgericht Stade eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage haben die Kläger Streitwertbeschwerde erhoben. Sie haben die Auffassung vertreten, die Beklagte habe mit den zur Aufrechnung gestellten Forderungen in Wirklichkeit eine Hilfsaufrechnung vorgenommen. Über die jeweiligen Gegenforderungen sei auch eine der Rechtskraft fähige Entscheidung des Landgerichts ergangen, sodass hinsichtlich der ersten Aufrechnungsposition 1.059,40 EUR zum Streitwert hinzuzuaddieren seien, der zweite Gegenanspruch sei mit 700,47 EUR Streitwert erhöhend. Schließlich sei der geltend gemachte Anspruch wegen immaterieller Schäden in Höhe mindestens der Klagesumme zu beziffern, sodass weitere 1.059,40 EUR zum Streitwert hinzuzurechnen seien. Gemäß § 45 Abs. 3 GKG sei der Streitwert damit auf insgesamt 3.878,67 EUR festzusetzen.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat ausgeführt, eine Streitwerterhöhung sei nicht vorzunehmen. Das Landgericht habe eine Pflichtverletzung der Kläger im Scheidungsverfahren nicht erkennen können, die Gegenansprüche seien deshalb nicht zum Tragen gekommen. Streitwertbestimmend sei damit einzig der Klageantrag.

Mit Beschluss vom 23. September 2005 hat das Landgericht der Streitwertbeschwerde nicht abgeholfen. Es hat die Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 ZPO für unzulässig erachtet, weil mit dem Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts keine Entscheidung erster Instanz ergangen sei. Im Übrigen hat das Landgericht sodann die Streitwertbeschwerde als Gegenvorstellung ausgelegt und insoweit ausgeführt, die Aufrechnung sei nach dem Wortlaut der Erklärung unbedingt und nicht hilfsweise erklärt worden, § 45 Abs. 3 GKG finde somit keine Anwendung.

Hiergegen richten sich die Kläger mit einem am 11. Oktober 2005 beim Landgericht Stade eingegangenen Schriftsatz, den sie mit "Gegenvorstellung sowie weitere Beschwerde" überschrieben haben. Die Kläger rügen, dass das Landgericht die Beschwerde nicht nach § 68 Abs. 3 GKG, sondern nach der Zivilprozessordnung behandelt habe. Nach den - maßgeblichen - Regelungen des Gerichtskostengesetzes sei eine Streitwertbeschwerde auch gegen eine Festsetzung des Berufungsgerichts möglich.

Das Landgericht hat der "weiteren Beschwerde" nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft gemäß § 68 Abs. 1 GKG. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und die Beschwer der Kläger ist höher als 200 EUR. Die Beschwer der Kläger ist auch nicht mit Blick auf ihre Erklärung, der Streitwert folge dem Klageanspruch, zu verneinen. Zwar wird teilweise vertreten, nicht beschwert sei, wer sich zuvor mit der Festsetzung eines bestimmten Streitwertes einverstanden erklärt habe (vgl. HansOLG Hamburg, MDR 1977, 407; Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., 2005, GKG, § 68 Rdn. 9). Dabei wird dogmatisch auf die formelle Beschwer abgestellt, die immer dann fehlt, wenn die gerichtliche Entscheidung nicht hinter dem gestellten Antrag zurückbleibt. Dies ist für den Regelfall zutreffend, kann jedoch auf die Streitwertfestsetzung nicht übertragen werden. Denn diese ist der Disposition der Parteien entzogen, der Streitwert ist vielmehr von Amts wegen festzusetzen (vgl. OLG Celle, NdsRpfl. 2005, 324 [325]). Auch die teilweise vertretene Auffassung, das Einverständnis mit der Festsetzung eines bestimmten Streitwertes stelle einen Rechtsmittelverzicht dar (OLG Hamburg a.a.O.), überzeugt nicht. Denn für das Hauptsacheverfahren ist allgemein anerkannt, dass ein gegenüber dem Gegner oder dem Gericht vor Urteilserlass erklärter Rechtsmittelverzicht unwirksam ist. Gründe, warum das Verfahren der Streitwertfestsetzung anders beurteilt werden sollte, sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Celle ebenda; OLG Köln, OLGR 2000, 119 [120]).

2. Bei der - inhaltlichen - Entscheidung ist auf den Schriftsatz der Kläger vom 31. August 2005 abzustellen. Dem als "weitere Beschwerde und Gegenvorstellung" überschriebenen Schriftsatz vom 11. Oktober 2005 kommt keine selbständige Bedeutung zu. Das Landgericht hätte, soweit es der Beschwerde nicht abhelfen wollte, die Akten unmittelbar an das Rechtsmittelgericht weiterleiten müssen. In seinem Beschluss vom 23. September 2005 hat das Landgericht nämlich übersehen, dass sich die Streitwertbeschwerde nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung richtet und § 567 Abs. 1 ZPO vorliegend nicht anwendbar ist. Vielmehr findet über § 72 Nr. 1, 2. Halbsatz GKG die Vorschrift des § 68 Abs. 1 GKG Anwendung. Anders als in der vor dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz anzuwendenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F. enthält § 68 Abs. 1 GKG keinen Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen des Rechtsmittelgerichts mehr. Bereits dies spricht dagegen, aus § 567 Abs. 1 ZPO den allgemeinen Gedanken abzuleiten, dass eine Beschwerdemöglichkeit gegen Entscheidungen der zweiten Instanz nicht gegeben ist. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er die vorher in § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F. enthaltene Rechtsmittelbeschränkung auch in das neue Recht übernommen. Dass dies nicht auf einem Redaktionsversehen beruht, belegen auch die Gesetzesmaterialien, die - zwar ohne weitere Erläuterung in der Begründung zum Gesetzesentwurf davon ausgehen, dass mit der Neufassung nunmehr eine Streitwertbeschwerde auch dann zulässig sein soll, wenn das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung erlassen hat (vgl. BTDrs. 15/1971, S. 158).

3. Das zuständige Rechtsmittelgericht ist für die Fälle, in denen das Landgericht als Berufungsgericht einen Streitwertbeschluss erlassen hat, das Oberlandesgericht. Zwar bestimmt § 66 Abs. 3 Satz 2 GKG, auf den § 68 Abs. 1 Satz 4 GKG verweist, das "nächst höhere Gericht" als Beschwerdegericht. Im zivilprozessualen Instanzenzug würde dies für den Fall, dass das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden hat, für den nach dem Gerichtsverfassungsgesetz allein denkbaren Fall der Rechtsbeschwerde der Bundesgerichtshof sein. Bereits wegen § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, der bestimmt, dass eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht stattfindet, verbietet sich eine solche Auslegung jedoch. Denn damit liefe die gesetzgeberische Intention ins Leere. Die Auslegung des Begriffs des "nächst höheren Gerichts" bestimmt sich danach allein anhand der Gerichtsorganisation. Hierfür spricht auch die Formulierung des § 66 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz GKG. Wäre nämlich der zivilprozessuale Instanzenzug gemeint, wäre die Vorschrift überflüssig. Denn ihr Inhalt ergäbe sich bereits unmittelbar aus § 119 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GVG, wonach das Oberlandesgericht Rechtsmittelgericht etwa für das Amtsgericht als Familiengericht ist. Die Vorschrift des § 66 Abs. 3 S. 2 GKG will demnach verhindern, dass als "nächst höheres Gericht" in diesen Fällen das nach der Gerichtsorganisation vorgesehene Landgericht statt das Oberlandesgericht zuständig würde.

Dies führt zwar dazu, dass die Streitwertfestsetzung einer weiter gehenden Überprüfung unterliegt als die Hauptsacheentscheidung. Dieses Ergebnis erscheint wenig zielführend, findet sich aber sowohl im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut als auch dem gesetzgeberischen Willen.

4. Der Senat hat davon abgesehen, eine - inhaltliche - Abhilfeentscheidung des Landgerichts einzuholen. Zwar sieht § 572 Abs. 1 ZPO vor, dass das Ausgangsgericht über die Abhilfe oder Nichtabhilfe entscheiden muss. Insoweit ist zu fragen, ob eine echte Nichtabhilfeentscheidung auch dann vorliegt, wenn das Ausgangsgericht ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung für nicht gegeben ansah. Dies kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Einerseits ist eine ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdegericht (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 572 Rn. 4). Andererseits lassen die Ausführungen des Landgerichts im Beschluss vom 23. September 2005 erkennen, dass sich das Landgericht auch inhaltlich mit dem Vorbringen der Kläger auseinandergesetzt hat.

5. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht § 45 Abs. 3 GKG nicht angewendet. Die Vorschrift sieht eine Erhöhung des Streitwertes um den Wert der Gegenforderung vor, soweit mit einer bestrittenen Gegenforderung nur hilfsweise aufgerechnet wird und über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung eine der Rechtskraft fähige Entscheidung ergeht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat einzelne ihr nach ihrer Auffassung zustehende Gegenforderungen zur Aufrechnung gestellt und diese Forderungen mit Ausnahme des immateriellen Ersatzanspruches auch beziffert. Die Aufrechnung erfolgte auch nicht unbedingt, sondern hilfsweise. Zwar lässt der reine Wortlaut in der Formulierung der Berufungsbegründung vom 22. Februar 2005 auf eine unbedingte Aufrechnung schließen. Allerdings ist auch diese Erklärung mit Blick auf die übrigen Ausführungen auslegungsbedürftig. Der Gesamtzusammenhang der Berufungsbegründung lässt eindeutig darauf schließen, dass die Beklagte nach wie vor die Klageabweisung wegen fehlender Aktivlegitimation der Kläger begehrte. Erst danach hat sie die Gegenansprüche in der Reihenfolge ihrer Nennung zur Aufrechnung bestellt. Dieses Vorgehen entspricht deutlich einer Hilfsaufrechnung. Schließlich stellte das Landgericht auch rechtskräftig fest, dass Gegenansprüche der Beklagten nicht bestanden. Das Landgericht hat dabei zwar zunächst allgemein eine Pflichtverletzung der Kläger verneint, insoweit aber zwangsläufig auch rechtskräftig festgestellt, dass jeder einzelne von der Beklagten geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Damit sind alle Voraussetzungen für eine Wertaddition gemäß § 45 Abs. 3 GKG erfüllt. Es war danach eine Streitwertaddition in der Form vorzunehmen, dass, jeweils begrenzt auf den Klagewert, die einzelnen zur Aufrechnung gestellten Positionen hinzuzuaddieren waren. Dies gilt auch für den geltend gemachten immateriellen Schaden. Aus dem Gesamtzusammenhang wird deutlich, dass die Beklagte sich insoweit eines Anspruchs berühmte, der mindestens der Klageforderung entsprach.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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