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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 20.04.2007
Aktenzeichen: 3 W 46/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
BGB § 138
BGB § 488
BGB § 491
1. Es kann i. S. d. § 114 ZPO mutwillig sein, wenn die Prozesskostenhilfe beantragende Beklagte sich der Erledigungserklärung des Klägers nicht anschließt, sondern weiterhin Klagabweisung beantragt, obgleich sie den Eintritt eines erledigenden Ereignisses nicht substantiiert bestreitet.

2. Zur Abgrenzung zwischen echter Mitdarlehensnehmerschaft und einseitig verpflichtender Mithaftungsübernahme, konkret zur Frage, ob die Ehefrau echte Mitdarlehensnehmerin wird, wenn das Darlehen der Renovierung oder dem Umbau des im Alleineigentum ihres Ehemannes stehenden Wohnhauses dient, in dem auch sie wohnt.

3. Zur Sittenwidrigkeit wegen krasser finanzieller Überforderung und zu der insoweit anzustellenden Zukunftsprognose. Auf Angaben der Darlehensnehmerin zu einer zukünftig längeren Arbeitszeit und einem damit einhergehenden höheren Verdienst kann sich die Bank grundsätzlich verlassen.


3 W 46/07

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2 vom 11. April 2007 gegen den Beschluss der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 29. März 2007, mit dem der Antrag der Beklagten zu 2 vom 6. Februar 2007 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden war, am 20. April 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beklagte zu 2 hat die Gerichtskosten ihrer sofortigen Beschwerde zu tragen. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage vom 7. Dezember 2006 die Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch genommen.

Am 18. Mai 2004 schlossen die Klägerin und die Beklagten einen bis zur Zuteilung eines Bausparvertrages endfälligen Darlehensvertrag über einen Darlehensnennbetrag von 19.000 EUR. Die monatliche Zinsrate betrug 64,13 EUR, mit einer Risikoversicherungsrate insgesamt 68,21 EUR. Das als Zwischenkredit bezeichnete Darlehen war zweckgebunden und sollte erst zur Auszahlung gelangen, nachdem - u. a. - die Beklagten Handwerker oder Materialrechnungen über 10.450 EUR vorlegten.

Nach einer Mahnung mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 kündigte die Klägerin den Darlehensvertrag gegenüber den Beklagten wegen Zahlungsverzugs mit Schreiben vom 27. Dezember 2005.

Die beklagten Eheleute, die ungeachtet zwischenzeitlicher Trennung in einem Haus, dessen Eigentümer der Beklagte zu 1 ist, wohnen, haben die Klage am 11. Januar 2007 zugestellt erhalten.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2007 hat die Klägerin unter Hinweis auf zwischenzeitliche Begleichung der Klagforderung durch den Beklagten zu 1 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Beklagte zu 2 hat mit Schriftsatz vom 6. Februar 2007 Klagabweisung und daneben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Darlehensvertrag sei so auszulegen, dass die Beklagte zu 2 nicht Mitdarlehensnehmerin, sondern Bürgin geworden sei. Sie sei in keiner Weise von dem Darlehen begünstigt gewesen und hätte auf Grund ihres Teilzeitverdienstes von nur 859 EUR pro Monat das Darlehen ohnehin nicht bedienen können.

Diesem Vorbringen ist die Klägerin entgegengetreten. Sie verweist auf einen von beiden Beklagten am 21. April 2004 unterzeichneten Antrag auf Bauspardarlehen, in dem es zu den Einkommensverhältnissen der Beklagten zu 2 heißt, dass sie ca. 1.000 EUR monatlich verdiene, sie aber ab Juli 2004 wöchentlich zehn Stunden länger arbeiten werde.

Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen, weil die beabsichtigte Prozessführung der Beklagten zu 2 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.

Auf Grund der vorgelegten Unterlagen sei von einer Zahlung durch den Beklagten zu 1 nach Klagzustellung auszugehen. Die Beklagte zu 2 habe keine Bürgschaft übernommen, sondern einen Darlehensvertrag mitunterzeichnet. Da der Beklagte zu 1 Alleineigentümer des Hauses sei, für dessen Renovierung der Kredit aufgenommen worden sei, spreche aber mehr für eine bloße Mithaftung der Beklagten zu 2. Es fehle allerdings an einer Sittenwidrigkeit wegen krasser Überforderung der Beklagten zu 2.

Dagegen wendet sich die Beklagte zu 2 mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Das Landgericht habe verkannt, dass für die Sittenwidrigkeit auf die Umstände bei Vertragsschluss abzustellen sei. Die Bezifferung eines höheren Verdienstes der Beklagten zu 2 sei rein spekulativ gewesen. Auch die Ansicht des Landgerichts zur Rechtzeitigkeit der Zahlung begegne durchgreifenden Bedenken.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13. April 2007 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Hinsichtlich der Frage der krassen Überforderung sei auf die Angaben in den Darlehensantrag vom 21. April 2004 abzustellen. Ein wirksamer Beweisantritt hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Zahlung liege nicht vor; der von der Beklagten zu 2 als Zeuge benannte Beklagte zu 1 komme als Zeuge nicht in Betracht.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2 ist zulässig, namentlich fristgerecht eingelegt worden (§§ 127 Abs. 2 S. 2, 3, 567 ff. ZPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf Klagabweisung durch die Beklagte zu 2 dürfte bereits i. S. d. § 114 Satz 1 ZPO mutwillig sein.

Eine Partei, die einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe nicht geltend machen könnte und die Prozesskosten im Falle der Niederlage selbst tragen müsste, würde vorliegend nicht Klagabweisung beantragen, sondern ebenfalls, wie durch die Klägerin bereits geschehen, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären. Im Falle der übereinstimmenden Erledigterklärung bemisst sich der Gebührenstreitwert ab Erledigterklärung nach den entstandenen Kosten. Für den Fall der lediglich einseitigen Erledigterklärung wird, wenn auch insoweit vieles umstritten ist, die Auffassung vertreten, der Wert orientiere sich weiterhin an der Hauptsache (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 26. Aufl., Rn. 16 zu § 3 m. w. N.). An der Erledigung der Hauptsache durch Zahlung seitens des Beklagten zu 1 bestehen keine vernünftigen Zweifel. Einen substantiierten Angriff der Beklagten zu 2 gegen das Kontenbuchungsblatt der Klägerin gibt es nicht. Es kommt darauf aber aus den nachfolgenden Gründen nicht entscheidend an.

2. a) Die Beklagte zu 2 ist entgegen ihrer Ansicht nicht Bürgin geworden.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 2 Bürgin hätte werden sollen, gibt es auch nicht ansatzweise. Der hier in Rede stehende Darlehensvertrag weist sie ausdrücklich als "Darlehensnehmer" aus und unterscheidet nicht zwischen ihr und ihrem Ehemann. Der Vortrag der Beklagten zu 2 dürfte aber ohnehin dahingehend zu verstehen sein, dass sie meint, nicht echte Mitdarlehensnehmerin, sondern lediglich Mithaftende geworden zu sein. Das hat auch das Landgericht zutreffend in dieser Weise gesehen. Maßgebend für die Abgrenzung zwischen der Begründung einer echten Mitdarlehensnehmerschaft und einer Mithaftungsübernahme ist die von den Vertragsparteien tatsächlich gewollte Rechtsfolge. Dieser Parteiwille bei Abschluss des Darlehensvertrages ist - wie auch sonst - im Wege der Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Zu den in der Rechtsprechung anerkannten Auslegungssätzen gehört dabei die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung, sowie die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner. Wie bereits angeführt, spricht der Wortlaut des Darlehensvertrages für eine echte Mitverpflichtung der Beklagten zu 2. Der Vertrag unterscheidet nicht zwischen beiden Darlehensnehmern. Freilich ist anerkanntermaßen dem Wortlaut angesichts der Stärke der Verhandlungsposition der kreditgebenden Bank und der Verwendung von Vertragsformularen grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen als sonst. Im Kern ist somit danach zu fragen, ob ein eigenes - sachliches und/oder persönliches - Interesse an der Kreditaufnahme bestand und als im Wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung bzw. Verwendung der Darlehensvaluta mitentschieden werden durfte. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, liegt bloße Mithaftung vor (vgl. nur BGH, WM 2005, 418, 419; BGHZ 146, 37, 41 f.). Zwischen den Parteien ist nicht im Streit, dass das Haus, für dessen Renovierung oder Umbau die Darlehensmittel verwendet werden sollten, im Alleineigentum des Beklagten zu 1 steht. Das war der Klägerin auch bei Vertragsabschluss bekannt oder jedenfalls - was ausreicht - erkennbar (vgl. Senat, NJW 2004, 2598). Das Alleineigentum des Beklagten zu 1 spricht gegen die Annahme, die Beklagte zu 2 hätte ein eigenes, nicht nur mittelbares Interesse an der Darlehensaufnahme gehabt und sei mithin echte Mitdarlehensnehmerin geworden (ebenda; s. aber auch BGH, WM 2004, 1083 für den Fall eines gemeinsam genutzten, im Alleineigentum eines Ehegatten stehenden Pkw). Dass die Beklagte zu 2 in dem Haus nach wie vor wohnt, genügt allein nicht ohne Weiteres zur Annahme einer echten Mitdarlehensnehmerschaft.

b) Der Senat kann jedoch, wie auch das Landgericht dies bereits getan hat, diese Frage letztlich dahingestellt sein lassen und vorliegend unterstellen, dass die Beklagte zu 2 - ähnlich einer Bürgin - bloß Mithaftende für die Schuld des Beklagten zu 1 sein sollte, denn es fehlt an einer krassen finanziellen Überforderung der Beklagten zu 2.

Im Fall der bloßen Mithaftung gelten, anders als im Fall der echten Mitdarlehensnehmerschaft, die von der Rechtsprechung ursprünglich zur Bürgschaft entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit der Verpflichtung naher Angehöriger.

Bei einseitig verpflichtenden Verträgen, wie einem - hier unterstellten - eine bloße Mithaftung begründenden Vertrag zwischen Bank und privatem Sicherungsgeber, bei denen eine Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB von vornherein ausscheidet, weil es an einem Leistungsaustausch fehlt, tritt stattdessen bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit im objektiven Bereich an die Stelle eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung ein krasses Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner nahe stehenden Mithaftenden. Ein solches Missverhältnis begründet, wenn dem Hauptschuldner der Mithaftende auf Grund einer Ehe oder vergleichbaren engen Beziehung emotional eng verbunden ist und sich deshalb bei einer Mitschuldübernahme sehr häufig nicht von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lässt, auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände die widerlegliche (§ 292 ZPO) tatsächliche Vermutung, dass die Bank die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass auch in den Fällen, in denen die Mithaftung einen relativ geringen Betrag ausmacht, die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit der Mithaftung naher Angehöriger gelten, wenn der Mithaftende nur über relativ geringfügige Einkünfte verfügt (Senat, OLGR 2004, 311; NJWRR 2006, 131; s. a. OLG Frankfurt NJW 2004, 2392; LG Mönchengladbach, NJW 2006, 67).

Weiter steht hier einer Sittenwidrigkeit der übernommenen Mithaftung der Beklagten zu 2 nicht entgegen, dass für sie vorliegend die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO besteht. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang offen gelassen. Nach der Rechtsprechung des Senats ändert die Möglichkeit von Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung nichts an einer Sittenwidrigkeit der Mithaftung eines nahen Angehörigen, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (MDR 2006, 1243; NJWRR 2006, 131, ebenso Tiedtke, NJW 2005, 2498, Fn. 10 und 11). Die Restschuldbefreiung, die ein jahrelanges Wohlverhalten des Schuldners voraussetzt und diesen damit erheblich belastet, soll schwerlich dazu dienen, die Folgen eines sittenwidrigen Verhaltens der Banken zu egalisieren.

Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend. Dabei hat es nicht ohne weiteres mit dem Hinweis sein Bewenden, die krasse finanzielle Überforderung liege immer dann vor, wenn der Verpflichtete außer Stande sei, die laufenden Zinsen auf Dauer aufzubringen (vgl. BGHZ 146, 37, 42). Es ist vielmehr auch eine Zukunftsprognose anzustellen (vgl. BGH, WM 2005, 421, 422), wobei wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten der Senat in der Vergangenheit bereits auf § 309 Abs. 1 Nr. 2 InsO abgestellt hat (vgl. Senat, OLGR 2004, 311; MDR 2006, 1243), wo der Gesetzgeber die Vermutung aufgestellt hat, dass sich die Einkommens und Vermögensverhältnisse des Schuldners während des gesamten Insolvenzverfahrens und der anschließenden Frist bis zur gesetzlichen Restschuldbefreiung nicht ändern. Dessen ungeachtet hat vorliegend zu gelten, dass die Beklagte zu 2 sich nicht allein darauf berufen kann, bei Vertragsabschluss habe ihr Verdienst bei nur 859 EUR monatlich gelegen. In dem Antrag auf Bauspardarlehen an die Klägerin, der vom 21. April 2004 datiert, mithin einige Wochen vor Unterzeichnung des hier in Rede stehenden Darlehensvertrages, hat die Beklagte zu 2 nicht nur angegeben, monatlich ca. 1000 EUR zu verdienen, sondern auch, dass sie bereits in naher Zukunft, nämlich ab Juli 2004, wöchentlich zehn Stunden mehr arbeiten werde. Das Landgericht hat zutreffend diese Angabe seiner Beurteilung der Sittenwidrigkeit zu Grunde gelegt und dabei auch nicht verkannt, dass die Richtigkeit der Angaben der Beklagten zu 2 in dem Antrag vom 21. April 2004 durch ihre Angaben in dem Prozesskostenhilfeantrag bestätigt wird. Unter Zugrundelegung dieser Angaben zur Mehrarbeit, an denen sich die Beklagte zu 2 festhalten lassen muss, durfte die Klägerin bei Abschluss des hier in Rede stehenden Darlehensvertrages im Mai 2004 davon ausgehen, dass die Beklagte zu 2 nicht finanziell krass überfordert ist. Dass diese Angabe einer längeren Arbeitszeit und damit eines höheren Verdienstes rein spekulativ gewesen sei, wie die Beklagte zu 2 in ihrer Beschwerde meint, ergibt sich substantiiert weder aus ihrem Vortrag noch aus dem Antrag vom 21. April 2004, sodass auch nicht ersichtlich ist, woraus sich für die Klägerin hätte ergeben sollen, dass diese nach Zeitpunkt und Menge der Mehrarbeit konkrete Angabe nur spekulativ sein sollte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. Nr. 1811 Kostenverzeichnis (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) sowie § 127 Abs. 4 ZPO.

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