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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 08.08.2008
Aktenzeichen: 31 Ss 20/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 353
StPO § 313
Der Zulässigkeit der Sprungrevision nach § 335 StPO steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nur zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt worden ist und mithin für den Fall der Berufung diese gemäß § 313 StPO der Annahme bedurft hätte.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

31 Ss 20/08

In der Strafsache

wegen versuchten Betruges

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts H. vom 2. April 2008 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch die Richter am Oberlandesgericht #######, ####### und ####### am 8. August 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts H. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht H. hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. April 2008 wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 250,00 EUR verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen verlangte der Angeklagte, der Rechtsanwalt ist, mit Schriftsatz vom 26. Februar 2007 von der Staatsanwaltschaft H. die Zahlung von Schadenersatz aus Amtspflichtverletzung in Höhe von 359,37 EUR und führte zur Begründung an, dass es sich dabei um Anwaltskosten handele, die in einem Zivilrechtsstreit seines Mandanten R. gegen den Beklagten K. wegen Herausgabe eines Kompressors entstanden seien. Dieser Rechtsstreit hätte nicht geführt werden müssen, wenn die Staatsanwaltschaft nicht den bei ihr asservierten Kompressor bereits während eines ersten von dem Angeklagten für R. geführten Zivilrechtsstreits gegen K. auf Zustimmung zur Herausgabe des Kompressors durch die Staatsanwaltschaft an R. wieder an K. herausgegeben hätte oder wenn sie dies dem Angeklagten zumindest rechtzeitig mitgeteilt hätte. Weiter hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte in dem Anspruchsschreiben vom 26. Februar 2007 bewusst unerwähnt ließ, dass seinem Mandanten R. in dem zweiten Zivilrechtsstreit Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, um so die Staatsanwaltschaft darüber zu täuschen, dass in Wirklichkeit kein Schaden entstanden war. Die Staatsanwaltschaft wies den Schadenersatzanspruch mit Schreiben vom 7. Mai 2007 zurück.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts H. zurückzuverweisen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Die Sprungrevision ist zulässig.

Das innerhalb der Wochenfrist (§§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) zunächst unbestimmt erhobene Rechtsmittel ist rechtzeitig innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) als - gemäß § 335 StPO statthafte - Sprungrevision bezeichnet und unter Anbringen der Revisionsanträge begründet worden.

Der Zulässigkeit der Sprungrevision steht nicht entgegen, dass der Angeklagte nur zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt worden ist und mithin für den Fall der Berufung diese gemäß § 313 StPO der Annahme bedurft hätte. Dies entspricht der Rechtsprechung der hiesigen Strafsenate (vgl. 3. Strafsenat, Nds. Rpfl. 1997, 162. 2. Strafsenat, Beschl. v. 28. Juli 1993, 2 Ss 203/93) und der herrschenden Meinung (vgl. BayObLG StV 1993, 572 [zustimmend BGHSt 40, 395]. OLG Düsseldorf VRS 88, 188. OLG Karlsruhe StV 1994, 292. OLG Zweibrücken NStZ 1994, 119. OLG Stuttgart NStZRR 1996, 75. KG NStZ 1999, 146. OLG Rostock, Beschl. v. 10. April 2003, 1 Ss 37/03, juris. OLG Schleswig VRR 2008, 150. LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 335 Rdnr. 1a. KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl., § 335 Rdnr. 16. jew. m. w. Nachw.) an. Die Gegenmeinung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 335 Rdnr 21. Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 335 Rdnr. 5. KK-Ruß, § 313 Rdnr. 4. Ostendorf ZRP 1994, 335. Scheffler GA 1995, 45) überzeugt nicht. Zwar liegt sie auf der Linie des mit der Einführung der Annahmeberufung verfolgten gesetzgeberischen Ziels der Entlastung der Justiz. die im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ins Auge gefasste Umgestaltung des Revisionsrechts - nämlich die Abschaffung der Sprungrevision bzw. die Einführung einer Zulassungsrevision - ist jedoch nicht Gesetz geworden (vgl. Nachweise bei KK-Kuckein a. a. O.). Außerdem würde bei Zugrundelegen der Mindermeinung die Zulässigkeit der Revision von den Zufälligkeiten der Dauer das Annahmeverfahrens abhängen (vgl. LR-Hanack a. a. O.). Der Gesetzeswortlaut steht der herrschenden Ansicht nicht entgegen. Denn der Begriff "zulässig" in § 335 Abs. 1 StPO hatte ursprünglich seinen einzigen Bezugspunkt in § 312 StPO und ist dementsprechend im Sinne von "statthaft" auszulegen (vgl. BayObLG a. a. O.).

2. Die Sprungrevision ist auch begründet.

a) Bereits die auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Die Aufklärungsrüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn die Revisionsbegründung teilt neben der Behauptung, das Gericht habe Ermittlungen unterlassen, zu denen es sich aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht gedrängt sehen musste, die Tatsache mit, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, das Beweismittel, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen müssen, das Ergebnis, das von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre, und die Umstände, auf Grund derer sich das Gericht zu der Beweiserhebung gedrängt sehen musste (vgl. Meyer-Goßner, § 244 Rdnrn. 80, 81 m. w. Nachw.).

Die Rüge ist auch begründet. Die Revision macht zu Recht geltend, dass das Amtsgericht sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu hätte gedrängt sehen müssen, den Zeugen R., den Auftraggeber des Angeklagten, zu vernehmen, der im Ermittlungsverfahren ausgesagt hat, dass der Angeklagte ihm gegenüber sowohl schriftlich als auch mündlich erklärt habe, er wolle die Anwaltskosten als Schadenersatz gegenüber der Staatsanwaltschaft geltend machen und nicht die bewilligte Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen, weil in letzterem Falle die Gefahr bestehe, dass der Zeuge bei Verbesserung seiner Vermögensverhältnisse von der Landeskasse in Regress genommen werde. Durch das Unterlassen dieser Vernehmung hat der Tatrichter die Aufklärungspflicht verletzt.

§ 244 Absatz 2 StPO begründet die von Amts wegen zu beachtende Pflicht des Gerichts, alle Beweise zu erheben, soweit aus den Akten, durch Anträge oder Anregungen oder sonst durch den Verfahrensablauf bekannt gewordene Tatsachen zum Gebrauch von Beweismitteln drängen oder ihn nahe legen (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O. Rdnr. 12). Danach ist die Aufklärungspflicht auch verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise in Frage gestellt hätte (vgl. BGH NStZRR 2005, 88. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1). Dem ist das Amtsgericht nicht in vollem Umfang gerecht geworden.

Eine Verurteilung wegen versuchten Betruges setzt voraus, dass der Täter in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen schädigen will. Wenn der Täter dagegen meint, dass der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, fehlt ihm sowohl der Schädigungsvorsatz als auch die Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern. Daher begeht selbst derjenige, welcher zur Erlangung eines ihm oder dem Dritten seiner Ansicht nach zustehenden Vermögensvorteils den vermeintlichen Schuldner täuscht, keinen versuchten Betrug (vgl. BGHSt 3, 160. 20, 136. 42, 268). Ein versuchter Betrug läge hier also nicht vor, wenn der Angeklagte gemeint haben sollte, dass sein Mandant alternativ zu dem Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten durch die Landeskasse auf Grund der bewilligten Prozesskostenhilfe auch einen Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten durch die Landeskasse als Schadenersatz auf Grund einer Amtspflichtverletzung der Staatsanwaltschaft hatte und dass es für seinen Mandanten günstiger wäre, die zweite Alternative zu wählen, weil bei dieser nicht die Gefahr eines Regresses nach § 124 ZPO oder einer späteren Ratenforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO bestand. Dafür, dass es sich so verhalten hat, spricht die Aussage des Zeugen R. im Ermittlungsverfahren. Die Aufklärung dieser Möglichkeit des Tathergangs durch Vernehmung des Zeugen war auch nicht etwa auf Grund der Erwägung des Amtsgerichts als entbehrlich anzusehen, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, dass es später zu einem Regress nach § 124 ZPO oder einer Ratenforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO kommen könnte (UA S. 9). Denn dies ändert nichts daran, dass der Angeklagte diese Möglichkeit in Betracht gezogen und allein in der Absicht gehandelt haben könnte, diese Gefahr - mag sie noch so entfernt gewesen sein - im Interesse einer optimalen Vertretung seines Mandanten auszuschalten. Es ist auch nicht ersichtlich, auf Grund welcher Tatsachen das Amtsgericht die zumindest nicht völlig fernliegende Möglichkeit einer späteren Ratenforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO auszuschließen vermochte, zumal es den Zeugen R. nicht vernommen hat.

Darüber hinaus wäre durch Vernehmung des Zeugen R. aufzuklären gewesen, ob der Angeklagte ihm gegenüber Erklärungen dahingehend abgegeben hat, dass er über die Anwaltskosten hinaus noch andere Forderungen, nämlich insbesondere Kosten für die Anmietung eines Ersatzkompressors, als Schadenersatz gegen die Staatsanwaltschaft als begründet ansah, die nicht von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgedeckt waren. Hierzu finden sich ebenfalls Angaben des Zeugen in seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren. Auch dies könnte den Schuldspruch in Frage stellen. Denn an der erforderlichen Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern, fehlt es auch dann, wenn der Täter einen anderen zu einer Leistung veranlassen will, die dieser nach Ansicht des Täters nicht aus dem angegebenen, sondern aus einem anderen Rechtsgrund schuldet, und die Leistung, die durch die Täuschung veranlasst werden soll, die Geltendmachung des wirklich oder vermeintlich bestehenden Anspruchs ausschließt (vgl. LK-Tiedemann, StGB, 11. Aufl., § 263 Rdnr. 270 m. w. N.).

b) Daneben hält das Urteil auch der Nachprüfung auf Grund der zulässig erhobenen Sachrüge nicht Stand. Denn die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen versuchten Betruges auch unabhängig von dem bereits aufgezeigten Aufklärungsmangel nicht. Ihnen lässt sich nämlich nicht entnehmen, worin der vom Angeklagten erstrebte rechtswidrige Vermögensvorteil bestand.

Nach den Feststellungen steht nicht in Frage, dass die Anwaltskosten in der vom Angeklagten angesetzten Höhe entstanden sind. Jedenfalls wird dem Angeklagten insofern eine Täuschung nicht zur Last gelegt. Weiter steht fest, dass der Angeklagte diese Kosten auf Grund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seinen Mandanten von der Landeskasse erstattet verlangen konnte. Daneben war er gemäß § 126 ZPO berechtigt, die Kosten im eigenen Namen gegenüber dem Beklagten K. geltend zu machen und hat auch den dazu notwendigen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22. Januar 2007 erwirkt. Ob der Angeklagte die Anwaltskosten gegen die Landeskasse im Rahmen der Prozesskostenhilfe nach §§ 49, 55 RVG geltend gemacht hat oder ob er sie gemäß § 126 ZPO erfolgreich gegenüber K. durchgesetzt hat, ist indes nicht festgestellt. Hiernach ist offen, ob die Anwaltskosten in dem Zeitpunkt, als der Angeklagte sie gegenüber der Staatsanwaltschaft als Schadenersatz geltend machte, schon von anderer Stelle beglichen waren. War dies nicht der Fall, kommt eine Verurteilung wegen versuchten Betruges nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte die Absicht hatte, die Kosten mehrfach geltend zu machen, und zumindest damit rechnete, dass sie neben der Staatsanwaltschaft auch noch aus einer der beiden anderen Quellen beglichen werden. Denn nur dann wäre die Absicht einer rechtswidrigen Bereicherung, nämlich durch mehrfache Erstattung der Anwaltskosten, festzustellen.

Die Erwägung des Amtsgerichts, dass der gegenüber der Staatsanwaltschaft geltend gemachte Schaden nicht eingetreten sei, weil Prozesskostenhilfe bewilligt war, greift demgegenüber zu kurz. Letztlich handelt es sich um eine tatsächlich bestehende Forderung gegenüber der Landeskasse (Justizfiskus). Wird diese nur einmal gegenüber der Landeskasse geltend gemacht, fehlt es sowohl am Vorsatz hinsichtlich der Herbeiführung eines Vermögensschadens als auch an der Absicht der Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils.

3. Da die getroffenen Feststellungen nicht vollständig sind und es nicht gänzlich auszuschließen ist, dass eine neue Hauptverhandlung noch Aufschlüsse zu erbringen vermag, kam eine Freisprechung durch den Senat nicht in Betracht (vgl. Meyer-Goßner, § 354 Rdnr. 3). Die Sache war daher gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts H. zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz StPO Gebrauch zu machen, bestand kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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