Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 11.02.2005
Aktenzeichen: 4 AR 19/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Ein Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts für eine streitgenössische Klage sollte in der Regel in einem möglichst frühen Verfahrensstadium gestellt werden, nach vorangegangenem Mahnverfahren z. B. spätestens mit der Anspruchsbegründung. Stellt ihn der Kläger erst, nachdem er über längere Zeit - hier: ein halbes Jahr in amtsgerichtlichen Verfahren - vor den verschiedenen Streitgerichten getrennte Verfahren gegen zwei Beklagte geführt hat, weil er angesichts einer prozessleitenden Beweisanordnung die Vernehmung des Beklagten des einen Verfahrens als Zeuge in dem anderen Verfahren verhindern will, kann der so spät gestellte Antrag missbräuchlich sein.
4 AR 19/05

Beschluss

In dem Verfahren

über die Bestimmung des zuständigen Gerichts

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ... am 11. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung von 3.853,88 EUR. Grundlage der Haftung des Beklagten C. ist dessen Eintritt in einen Leasingvertrag zwischen der Klägerin und einer Frau I. B. über einen PKW Opel. Der Beklagte B. wird aufgrund einer behaupteten selbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch genommen. Die Forderung war von der Klägerin zunächst im Mahnverfahren verfolgt worden; nach Einlegung von Widersprüchen begründete die Klägerin den Anspruch, und zwar jeweils mit Schriftsatz vom 23. Juni 2004 beim Mahngericht (Amtsgericht Hamburg). Dieses hat die Sachen entsprechend den Angaben der Klägerin in den Mahnbescheidsanträgen hinsichtlich des Beklagten C. an das für ihn örtlich zuständige Amtsgericht Gifhorn und hinsichtlich des Beklagten B. an das für ihn örtlich zuständige Amtsgericht Gütersloh abgegeben, wobei das Amtsgericht Gifhorn zeitlich früher befasst war. Die Beklagten traten jeweils den Klagen entgegen und beriefen sich - neben anderen Zeugen - wechselseitig auf ihr Zeugnis über Absprachen über die Modalitäten bei der Vertragsübernahme. Das Amtsgericht Gifhorn hatte mit Verfügung vom 23. November 2004 bereits terminiert und zu dem Termin prozessleitend den Beklagten in der Sache des Amtsgerichts Gütersloh, B., in seiner Eigenschaft als Zeuge in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Gifhorn geladen. Das Amtsgericht Gütersloh hatte im Hinblick auf das weiter "gediehene" Verfahren vor dem Amtsgericht Gifhorn die Aussetzung des Gütersloher Verfahrens angeregt. Erst in diesem Verfahrensstadium beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts; im Termin vom 4. Januar 2005 vor dem Amtsgericht Gifhorn ist von einer Vernehmung des Zeugen/Beklagten B. abgesehen und die Sache auf den Bestimmungsantrag der Klägerin dem Oberlandesgericht Celle vorgelegt worden.

Beide Beklagte treten dem Bestimmungsantrag entgegen; die Klägerin habe ihr Wahlrecht nach § 35 ZPO bereits endgültig ausgeübt und sich für jeweils selbständige Klagen vor den jeweiligen Wohnsitzgerichten der Beklagten entschieden. Davon könne sie jetzt, wo sie wechselseitige Zeugenstellungen der Beklagten im jeweiligen Parallelverfahren befürchte, nicht mehr abrücken. Demgegenüber hält die Klägerin eine gemeinsame Rechtsverfolgung wegen des einheitlichen Streitgegenstands für zweckmäßig; ein Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO könne auch noch nach Klageerhebung gestellt werden.

II.

Das Oberlandesgericht Celle ist für die Entscheidung über den Antrag nach § 36 Abs. 2 ZPO zuständig. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

1. Auch wenn der Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ("verklagt werden sollen") die Annahme nahe legen könnte, ein Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts müsse vor Klageerhebung gestellt werden, ist nach ganz h. M. und ständiger Rechtsprechung auch des erkennenden Senats eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch noch nach Klageerhebung zulässig (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 36, Rdnr. 16). Auch steht die durch entsprechende Bezeichnungen der jeweiligen Wohnsitzgerichte der Beklagten als Streitgericht getroffene Wahl der Klägerin einem Bestimmungsantrag nicht wegen der Bindungswirkung einer Wahl nach § 35 ZPO entgegen. Denn es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin bezüglich der Beklagten überhaupt eine Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen, nämlich dem allgemeinen und einem besonderen Gerichtsstand, hatte. Zumindest der Beklagte B., der selbst am Vertrag nicht als Partei beteiligt war und für den deshalb auch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO keinen vom allgemeinen Gerichtsstand abweichenden Gerichtsstand begründen könnte, konnte nur am allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden. Die Beklagten unterliegen einem Missverständnis, wenn sie in der Unwiderruflichkeit der Wahl eines Gerichtsstandes nach § 35 ZPO ein Hindernis sehen, welches einer Gerichtsstandsbestimmung entgegen stehe. Denn Zweck des § 35 ZPO ist nur, im Sinne der perpetuatio fori einen Wechsel bereits bei einem zuständigen Gericht anhängiger Verfahren zu anderen Gerichten, die ebenfalls zuständig sind, zu vermeiden. Dagegen geht es im Rahmen der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO um ein ganz anderes Problem, nämlich darum, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Verfahrensökonomie dann, wenn z. B. bei mehreren Streitgenossen ein gemeinsamer Gerichtsstand nicht besteht, dennoch ein einheitliches Verfahren zu ermöglichen. Da die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts nur durch das nach § 36 ZPO zuständige Gericht, also eben durch gerichtliche Entscheidung, vorgenommen werden kann, kann die Frage, ob ein gemeinsames Gericht zu bestimmen ist, naturgemäß nicht Gegenstand eines Wahlrechts eines Klägers im Sinne von § 35 ZPO sein. Denn das Wahlrecht bezieht sich nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur auf die Wahl unter mehreren zuständigen Gerichten, während der Kläger (natürlich) nicht durch Wahl bindend darüber entscheiden kann, ob ein gemeinsames Gericht bei fehlendem gemeinsamen Gerichtsstand bestimmt werden soll. Deshalb kann ein gemeinsames Gericht im Grundsatz auch noch nach Klageerhebung bestimmt werden, und zwar nach vorangegangenem Mahnverfahren nach Widerspruch und sogar noch nach Abgabe gemäß § 696 ZPO (BayObLG Rechtspfleger 2003, 139, 140; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36, Rdnr. 16). Wenn also die Klägerin ihre Anspruchsbegründungen vom 23. Juni 2004 mit einem Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verbunden hätte, hätte der Senat einem solchen Antrag entsprochen, weil im Allgemeinen bei der Geltendmachung einer Forderung gegen Gesamtschuldner und im Besonderen einer Forderung gegen den Leasingnehmer und den Leasingbürgen eine Prüfung des Anspruchs in einem einheitlichen Verfahren sinnvoll und zweckmäßig erscheint. Auf diese Weise können nicht nur unterschiedliche Ergebnisse in verschiedenen Gerichtsverfahren über dieselbe Frage vermieden werden, sondern es können zugleich auch durch Bündelung der gerichtlichen Prüfung Ressourcen gespart werden.

2. Indessen greift dieser Gesichtspunkt nicht mehr durch, wenn ein Kläger zunächst über rund ein halbes Jahr nach Anspruchsbegründung vor zwei Amtsgerichten getrennte Gerichtsverfahren gegen Streitgenossen betreibt und erst dann einen Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stellt (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36, Rdnr. 16 a. E.). Zwar mag auch jetzt noch das Ziel einer einheitlichen Entscheidung und - da das Amtsgericht Gifhorn eine Beweisaufnahme nur nach § 273 ZPO vorbereitet, aber noch nicht ausgeführt hat - auch das Ziel der Vermeidung zweier Beweisaufnahmen über dieselbe Frage erreichbar sein. Indessen ist bei der Gerichtsstandsbestimmung dann, wenn bereits getrennte Verfahren über längere Zeit betrieben worden sind, Zurückhaltung geboten. Denn das Ziel der Ersparnis von Ressourcen lässt sich am ehesten erreichen, wenn zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auf ein einheitliches Verfahren hingewirkt wird; nur so kann vermieden werden, dass sich mehrere Gerichte parallel zueinander über längere Zeit - hier: ein halbes Jahr bei einem amtsgerichtlichen Verfahren - mit denselben Fragen befassen müssen. Würde man dagegen einen Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts auch noch in einem weit voran geschrittenen Verfahrensstadium zulassen, wäre zum einen die von dem dann nicht bestimmten Gericht bereits investierte Arbeit "für die Katz" (damit würde dieses aber vermutlich leben können, wenn es dann wenigstens keinen weiteren Aufwand bis zur Entscheidung mehr treiben muss) und ein Kläger, der erst so spät einen Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO stellt, muss sich nachträglich sagen lassen, dass er wenigstens eines der beiden Gerichte überflüssigerweise bemüht hat. Zum andern und vor allem aber bestünde bei großzügiger Zulassung von Bestimmungsanträgen auch in vorangeschrittenem Prozessstadium die Gefahr, dass sie von einem Instrument zur Wahrung von Rechtseinheitlichkeit und Ersparnis gerichtlicher Ressourcen zu einem bloßen Mittel der Prozesstaktik mutieren.

So liegt es offensichtlich im vorliegenden Fall. Die Klägerin und ihre Bevollmächtigten haben zu Beginn des streitigen Verfahrens, als es tunlich gewesen wäre, keinen Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts gestellt, aus welchen Gründen auch immer, sei es, dass sie sich in beiden oder wenigstens einem der Verfahren einen unstreitigen Abschluss (etwa durch Versäumnisurteil) erhofften, sei es, dass "doppelte Verfahren auch doppelte Gebühren" bringen, sei es, dass sogar in Widerspruch zum Gedanken der Rechtseinheitlichkeit spekuliert worden sein mag, dass dann, wenn zwei verschiedene Gerichte nebeneinander über dieselbe Frage entscheiden, die Chance, wenigstens in einem Verfahren zu gewinnen, größer ist. Selbst als die Klägerin anhand der Klageerwiderung, die die Beklagten in beiden Verfahren jeweils mit Schriftsätzen vom 30. August 2004 zu den Akten gereicht haben, erkannte, dass sie gegenüber keinem der Beklagten einen unstreitigen Titel würde erlangen können, hat sie in der Führung jeweils getrennter Prozesse kein Problem gesehen. Erst als ihr durch die prozessleitende Anordnung einer Beweisaufnahme durch das Amtsgericht Gifhorn bewusst wurde, dass die getrennte Führung der Verfahren für sie den Nachteil haben könnte, dass der Beklagte B. des Verfahrens aus Gütersloh vor dem Amtsgericht Gifhorn als Zeuge des dortigen Beklagten C. vernommen werden sollte, hat sie den am 4. Januar 2005 anstehenden Termin mit dem Antrag vom 27. Dezember 2004, der erst am Terminstage zu den Akten gelangte, "zum Platzen" gebracht, weil das Amtsgericht Gifhorn angesichts der vorrangigen Entscheidung über diesen Antrag (mit Recht) keinen Sinn darin sah, die vorbereitete Beweisaufnahme durchzuführen. (Wäre der geladene Zeuge vernommen, also bereits eine Beweisaufnahme durchgeführt worden, wäre eine Gerichtsstandsbestimmung schon deswegen nicht mehr zulässig gewesen, BayObLGZ 87, 389; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36, Rdnr. 16 a. E.) Wie sehr die Ausschaltung der Zeugenstellung Motiv der Klägerin für die Antragstellung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war, geht in aller Deutlichkeit aus der Stellungnahme der Klägerin zu der Anregung des Amtsgerichts Gütersloh, das dortige Verfahren auszusetzen, hervor: Ihre Zustimmung zu einer Aussetzung stehe unter dem "Vorbehalt, dass keiner der Beklagten in beiden ortsverschiedenen Verfahren als Zeuge zur Verfügung stehen kann" (Schriftsatz vom 27. Dezember 2004, Bl. 98 der Akte 14 C 545/04 AG Gütersloh).

Es liefe aber auf einen Missbrauch der Möglichkeit der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts hinaus, wenn ein Kläger erst einmal zwei Gerichte nebeneinander mit gleich gerichteten Klagen befassen und dabei - ohne irgendeine Rücksichtnahme auf Prozessökonomie - in Ruhe "abwarten könnte, wie es läuft", und erst dann, wenn es möglicherweise schlechter als erhofft "läuft", den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gleichsam als "Notbremse" zur Vermeidung ihm ungünstiger wechselseitiger Zeugenstellung der jeweiligen Prozessgegner benutzen könnte. Wer den § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zugrunde liegenden Zweck der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über gleiche Probleme und die Ersparnis von Ressourcen ernst nimmt, muss deshalb in der Regel den Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts möglichst frühzeitig stellen. Dabei sieht der Senat davon ab, insoweit allgemeine Regeln oder sonst starre Grenzen zu ziehen, bis zu welchem abstrakten Verfahrensabschnitt eine Bestimmung noch möglich ist. Denn ob der § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu Grunde liegende Zweck erreicht werden kann, hängt auch von den konkreten Umständen des einzelnen Verfahrens ab. So wäre es z. B. nicht sinnvoll, als allgemeine Grenze eine Antragstellung nach vorangegangenem Mahnverfahren schon in der Anspruchsbegründung zu fordern: Wird z. B. für zwei Beklagte ein gemeinsames Streitgericht angegeben, welches jedoch nur für einen Beklagten zuständig ist, mag es nahe liegen, dass der Kläger zunächst abwartet, ob der andere Beklagte die Zuständigkeit rügt. Immerhin wäre in dieser Konstellation - im Gegensatz zur der hier von der Klägerin gewählten Gestaltung der Abgabe an verschiedene Streitgerichte - erreicht, dass bis zur Antragstellung nur ein Streitgericht mit der Sache befasst ist. Dagegen würde sich anbieten, dass jedenfalls dann, wenn verschiedene Streitgerichte zur Abgabe nach § 696 ZPO im Mahnverfahren bezeichnet sind, ein Kläger, der eine gemeinsame Klage begehrt, den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO tunlichst schon mit der Anspruchsbegründung stellen sollte. Jedenfalls aber ist die zeitliche Grenze überschritten, wenn der Antrag erst in so spätem Verfahrensstadium gestellt wird, dass er sich nicht mehr als Mittel der Rechtseinheitlichkeit und Prozessökonomie, sondern als "Notbremse" zur Vermeidung missliebiger Zeugenaussagen darstellt.

Wie die beiden beteiligten Amtsgerichte im Interesse der Prozessökonomie die nun einmal vorliegenden getrennten Verfahren betreiben, etwa durch Aussetzung eines der beiden, sofern nunmehr unbedingte Zustimmung erteilt wird, haben die Streitgerichte zu entscheiden und nicht der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 3 Nr. 3 ZPO.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36, Rdnr. 33).

Ende der Entscheidung

Zurück