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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: 6 W 56/02
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB § 812 Abs. 1 Satz 1
AGBG § 9
1. Der Bauunternehmer kann vom Bauherren im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Inanspruchnahme eines Bürgen aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verlangen, wenn sich aus den zugrunde liegenden Vertragsunterlagen ohne weiteres die Unwirksamkeit der der Bürgschaftsverpflichtung zugrunde liegenden Sicherungsabrede ergibt.

2. Ein Verfügungsgrund liegt jedoch nur dann vor, wenn dem Bauunternehmer im Falle eines Abwartens bis zur Hauptsacheentscheidung ein schwer wiegender Nachteil droht. Dies ist etwa der Fall, wenn die Geltendmachung eines Rückzahlungsanspruchs erkennbar ungesichert ist, z. B. wegen drohender Insolvenz des Bauherren oder dem Erfordernis einer Klage im Ausland. Dagegen genügt der bloße Umstand, dass der Bauherr gegenüber dem Bürgen dessen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft auf erstes Anfordern ankündigt, in der Regel nicht, um einen Verfügungsgrund annehmen zu können.


6 W 56/02

Beschluss

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 24. April 2002 gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 22. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ######, den Richter am Oberlandesgericht ##### und den Richter am Oberlandesgericht ##### am 30. April 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf 5.500,77 Euro (= 10.758,57 DM) festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Die Antragstellerin kann im Wege der einstweiligen Verfügung nicht die Anordnung verlangen, daß die Antragsgegnerin es zu unterlassen habe, die ##### Bank auf Zahlung aus der von dieser übernommenen Bürgschaft Nr. 210 55 95 07676 vom 14. Juli 1995 über DM 32.275,71 in Anspruch zu nehmen. Zwar hat die Antragstellerin entgegen der Auffassung des Landgerichts einen Verfügungsanspruch schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht (nachfolgend zu 1). Dagegen fehlt es an der schlüssigen Darlegung sowie Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes (nachfolgend zu 2).

1. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin gem. §§ 930, 940 ZPO ergibt sich daraus, daß der Antragsgegnerin kein Anspruch auf Auszahlung der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 14. Juli 1995 gegen die #####Bank zusteht, da es an einer wirksamen der Bürgschaftserteilung zugrundeliegenden Sicherungsabrede zwischen den Parteien fehlt, und durch die Inanspruchnahme der Bürgschaft seitens der Antragsgegnerin lediglich eine formale Rechtsstellung missbräuchlich ausgenutzt würde.

Zwar begründet die Bürgschaft eine von der Verpflichtung des Hauptvertrages verschiedene, rechtlich selbständige Verpflichtung, die ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und daher grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld ist (BGH, NJW 2001, 1857). Bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern muss der Bürge darüber hinaus auf die Anforderung grundsätzlich sofort zahlen. Einwendungen können in der Regel erst im Rückforderungsprozess geltend gemacht werden (BGHZ 136, 27, 32; NJW 2001, 1857). Ausnahmen gelten jedoch dann und sind schon im Erstprozess zu beachten, wenn sich die Berechtigung der Einwendungen aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt (BGH, NJW 2001, 1857; BauR 1995, 251, 252). In diesen Fällen missbraucht der Gläubiger, der sich gleichwohl auf die ihm durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern eingeräumte formale Stellung beruft, seine vertraglichen Befugnisse. Ein derartiger Ausnahmetatbestand ist insbesondere dann gegeben, wenn der Bürgschaftsvertrag nur der Erfüllung der Sicherungsabrede dient, die der Gläubiger mit dem Hauptschuldner getroffen hat, sich aus dieser jedoch kein Anspruch auf Erhalt einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ergibt (BGH, NJW 2001, 1857; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 7. Teil Rdnr. 42f.; 10. Teil Rdnr. 3).

Ist hiernach offensichtlich oder zumindest für jedermann beweisbar, dass trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, kann nicht nur der Bürge die Leistung verweigern. Vielmehr kann auch der Hauptschuldner im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verlangen, dem Gläubiger die Inanspruchnahme des Bürgen zu untersagen (OLG Köln, BauR 1998, 555, 558; KG, BauR 1997, 665, 666; OLG München, NJW-RR 1996, 534, 535; Koeble/Kniffka, 10. Teil Rdnr. 2 - 4). Dies gilt auch dann, wenn der Hauptschuldner sich in dem einstweiligen Verfügungsverfahren darauf beruft, die von ihm gewährte Bürgschaft sei ohne wirksame zugrundeliegende Sicherungsabrede gewährt worden (KG, OLG München, a.a.O., Kniffka/Koeble, 10. Teil Rdnr. 9, 13).

Hier ergibt sich aus den vorgelegten Vertragsunterlagen, dass die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Auszahlung der Bürgschaft auf erstes Anfordern vom 14. Juli 1995 gegen die Dresdner Bank hat. Zunächst sind die Abreden der Parteien in der Verhandlungsniederschrift vom 25. August 1993 (Bl. 33 f d. A.) sowie in § 13 der Vertragsbedingungen (Bl. 36 d. A.) über die Sicherheitsleistungen, die durch Bezugnahme jeweils ausdrücklich Bestandteil des zwischen den Parteien am 8./14. September 1993 geschlossenen Vertrages (Bl. 31 f. d. A.) sowie des Nachtragsvertrages vom 11./21. März 1994 (Bl. 37 d. A.) geworden sind, unwirksam. In § 13 der von der Antragsgegnerin gestellten Vertragsbedingungen heißt es u. a.:

'Als Sicherheit für die Erfüllung der Gewährleistungsansprüche werden 5% der Brutto-Abrechnungssumme bei der Schlußrechnung einbehalten. Der Auftragnehmer kann nach Abnahme und der Beseitigung von Mängeln den Einbehalt mit einer Bürgschaft ablösen.'

§ 12 der Vertragsbedingungen sieht ferner eine fünfjährige Gewährleistungsfrist vor, die mit der mangelfreien Abnahme der Leistungen beginnt.

In Nr. 9 der Verhandlungsniederschrift vom 25. August 1993 ist bestimmt:

'b) Der AN stellt gleichfalls nach dem Muster des AG eine unbefristete Gewährleistungsbürgschaft einer deutschen Bank in Höhe von 5% der Abrechnungssumme. Dieses trifft nur zu, wenn der AG beim Bauherrn seine Barsicherheit entsprechend ablösen kann.'

Entsprechend gewährte die Antragstellerin, nachdem die Antragsgegnerin zunächst einen 5%igen Einbehalt von 32.275,71 DM auf die Schlussrechnung der Antragstellerin vom 19. September 1994 vorgenommen hatte (Bl. 38 d. A.), zur Ablösung des Einbehalts der Antragstellerin die Bürgschaft vom 14. Juli 1995. Hierbei handelte es sich, wie von der Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vom 24. April 2002 glaubhaft gemacht wurde (Bl. 62 d. A.), um einen von der Antragsgegnerin vorgegeben Mustertext, in den die Antragstellerin lediglich die noch offenen Textlücken ausfüllte. In dieser Bürgschaftsurkunde ist als vorformulierte Vertragsbestimmung bereits aufgenommen, dass der Bürge auf erstes und einseitiges Anfordern der Antragsgegnerin zahlen soll.

Diese von der Antragsgegnerin gestellten Vertragsbedingungen verstoßen gegen § 9 AGBGB a. F. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrages, wonach der Besteller 5% der Auftragssumme bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten darf und dieser Einbehalt ausschließlich durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, den anderen Teil entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil das Ablösungsrecht einer Bürgschaft auf erstes Anfordern keinen angemessenen Ausgleich für diesen Sicherheitseinbehalt darstellt (BGHZ 136, 27, 31-33; NJW 2001, 1857, 1858). In diesen Fällen ist die Klausel insgesamt unwirksam, so dass dem Sicherungsgeber ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB auf Rückgewähr der Bürgschaftsurkunde gegen den Gläubiger zusteht (BGH, a.a.O.). Wegen dieses der Antragstellerin mithin zustehenden Rückübertragungsanspruchs stellt sich die Inanspruchnahme der Bürgin durch die Antragsgegnerin als rechtsmissbräuchlich dar.

Wegen der schon hieraus folgenden Unwirksamkeit der Sicherungsabrede kann die Frage, ob sich ein Verfügungsanspruch auch daraus ergibt, dass die Urkunde vom 14. Juli 1995 entgegen den zugrundeliegenden Vereinbarungen nicht nur Gewährleistungs-, sondern auch eine Erfüllungsbürgschaft beinhaltet, ebenso offen bleiben wie die weitere Frage, ob etwa bestehende Gewährleistungsansprüche der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin bereits verjährt sind oder nicht.

2. Die sofortige Beschwerde hat jedoch gleichwohl keinen Erfolg, weil die Antragstellerin keinen Verfügungsgrund schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Ein Verfügungsgrund liegt nur dann vor, wenn ohne die beantragte Maßnahme die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt wesentlich erschwert werden könnte. Hierfür genügt nicht die bloße Tatsache der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede sowie die bevorstehende Inanspruchnahme der Bürgin durch die Antragsgegnerin (OLG Frankfurt, BauR 1998, 1280, 1281; Knifka/Koeble, 10. Teil Rdnr. 14). Allein dieser Umstand stellt noch keine das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung unerträglich machende Rechtsbeeinträchtigung dar. Dies ist vielmehr in der Regel nur dann der Fall, wenn der Antragstellerin der Verlust des Geldbetrages oder ein sonstiger schwerwiegender Nachteil droht. Eine solche Konstellation ist etwa gegeben, wenn die Geltendmachung eines eventuellen Rückzahlungsanspruchs ungesichert ist, etwa weil die Gefahr einer Insolvenz des Gläubigers besteht oder der Anspruch im Ausland durchgesetzt werden müsste (OLG Frankfurt; Kniffka/Koeble, je a.a.O.).

Derartige Umstände sind hier von der Antragstellerin schon nicht vorgetragen. Sie hat lediglich geltend gemacht, ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung werde die Bürgin die Auszahlung an die Antragsgegnerin vornehmen. Dies genügt für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes indessen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert richtet sich nach § 20 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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