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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 19.09.2001
Aktenzeichen: 9 U 102/01
Rechtsgebiete: RVO


Vorschriften:

RVO § 636
RVO § 637
1. Auch ein Realverband kann Unternehmen im Sinne der §§ 636, 637 RVO sein.

2. Bezeichnet die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft einen Unfall als in einem landwirtschaftlichen Unternehmen erlittenen Arbeitsunfall, hindert dies das erkennende Gericht regelmäßig nicht, den Unfall (auch) als einen im Unternehmen eines Realverbandes erlittenen anzusehen.


9 U 102/01

Verkündet am 19. September 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. Januar 2001 verkündete Grund- und Teilurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 25.000 abwenden, wenn nicht die Beklagten vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Wert der Beschwer für die Klägerin: DM 176.664,28.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von den Beklagten u.a. materiellen Schadensersatz und Zahlung einer Geldrente nach dem Unfalltod ihres Ehemannes #######.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes, dessen Leiter ihr Ehemann war. Als Hofeigentümerin ist die Klägerin Mitglied der 'Realgemeinde #######', eines Realverbandes nach dem Realverbandsgesetz. Zum Vermögen dieser Realgemeinde zählen etwa 37 ha Wald. Anfang 1996 fand auf einem Waldgrundstück des Verbands eine Holzfällaktion statt, an der u.a. der Ehemann der Klägerin, der Beklagte zu 1 und der zwischenzeitlich verstorbene Ehemann der Beklagten zu 2 - dessen Erbin diese ist - teilnahmen. Die eigentlichen Fällarbeiten nahm der Beklagte zu 1 vor, die übrigen Teilnehmer entasteten die Bäume, luden sie auf Anhänger und fuhren sie ab.

Am 10. Januar 1996 gegen 13:45 Uhr fällte der Beklagte zu 1 eine ca. 22 m hohe Kiefer. Der Ehemann der Klägerin, der sich im Gefahrenbereich des zu fällenden Baumes - für den Beklagten zu 1 durch Sträucher verdeckt - befand, wurde von einem Ast der zu Boden stürzenden Kiefer am Kopf, der nicht durch einen Helm geschützt war, getroffen und tödlich verletzt. Aufgrund eines nicht fachgerechten Baumschnittes war die Kiefer nicht in die ursprünglich vorgesehene Fallrichtung gestürzt.

Gegen den Beklagten zu 1 sowie den Ehemann der Beklagten zu 2, die als sogenannte 'Holzgeschworene' der Realgemeinde an der Baumfällaktion teilgenommen hatten, wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die vom Amtsgericht ####### (Az. #######) erlassenen Strafbefehle wegen fahrlässiger Tötung sind rechtskräftig.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass der Beklagte zu 1 als Baumfäller und der Beklagte zu 2 als 'Holzgeschworener' verantwortlich dafür gewesen seien, dass die Unfallverhütungsvorschriften (Tragen eines Schutzhelms; Nichtbetreten des Baumfällbereichs) nicht eingehalten worden seien.

Die Beklagten haben darauf verwiesen, dass der Ehemann der Klägerin wie ein Arbeitnehmer der Realgemeinde tätig geworden sei und daher eine Haftungsprivilegierung nach der RVO eingreife. Jedenfalls habe der Ehemann der Klägerin auch eigene Kenntnis von den Unfallverhütungsvorschriften gehabt und diese in vorwerfbarer Weise missachtet. Bei Tragen eines Schutzhelms wären zudem die Kopfverletzungen nicht tödlich gewesen.

Das Landgericht hat Gutachten des Sachverständigen ####### zur Frage der Vermeidbarkeit eines tödlichen Ausganges der Unfalles bei Tragen eines Schutzhelmes eingeholt. Es hat sodann ein Grund- und Teilurteil erlassen, in dem eine Haftung des Beklagten zu 1 und des Ehemannes der Beklagten zu 2 dem Grunde nach zu 3/4 bejaht worden ist.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Auffassung vertreten, dass zu ihren Gunsten eine Haftungsprivilegierung eingreife. Sie bestreiten, dass dem Beklagten zu 1 und dem Ehemann der Beklagten zu 2 hinsichtlich des Unglücksfalles ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könne. Jedenfalls aber müsse sich die Klägerin aufgrund des Verhaltens ihres Ehemannes eine höhere Mitverschuldensquote anrechnen lassen.

Die Beklagten beantragen,

das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Stade vom 11. Januar 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen

sowie hilfsweise die Haftung der Erben des ursprünglichen Beklagten zu 2 auf dessen Nachlass zu beschränken.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen

sowie hilfsweise als Sicherheit im Rahmen des § 711 ZPO die unwiderrufliche, unbefristete, selbstschuldnerische und schriftliche Bürgschaft einer Bank, die einem anerkannten Einlagensicherungsfond angehört oder einer öffentlichen Sparkasse zuzulassen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, nimmt jede Mitverantwortlichkeit ihres getöteten Ehemannes für den Unglücksfall in Abrede und vertritt die Auffassung, dass eine Haftungsprivilegierung zugunsten der Beklagten daran scheitere, dass es ein Unternehmen 'Realgemeinde #######' nicht gebe und überdies ihr Ehemann als Betriebsleiter ihres landwirtschaftlichen Betriebes für sie als Eigentümerin und Mitglied der Realgemeinde tätig geworden sei, mithin seine Tätigkeit jedenfalls ihrem landwirtschaftlichen Betrieb zuzurechnen sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Zwar geht auch der Senat aus den vom Landgericht aufgezeigten Gründen, auf die gem. § 543 ZPO verwiesen wird, davon aus, dass der Beklagte zu 1 und der Ehemann der Beklagten zu 2 für den Unfalltod des Ehemannes der Klägerin haftungsrechtlich verantwortlich sind. Gleichwohl scheitert eine Haftung daran, dass sich die Beklagten auf eine Haftungsprivilegierung nach der auf den hier zu beurteilenden Schadensfall noch anzuwendenden Reichsversicherungsordnung berufen können. Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, ob sich der Haftungsausschluss aus § 636 RVO oder aus § 637 RVO ergibt.

Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Bei dem Unfall vom 10. Januar 1996 handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Unternehmen der 'Realgemeinde #######'.

a) Unternehmen i.S. der §§ 636, 637 RVO kann - wie sich aus § 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO ergibt - , ein 'Betrieb', eine 'Einrichtung' oder auch nur eine 'Tätigkeit' sein. Kennzeichnend für die Unternehmenseigenschaft ist eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Tätigkeit, die auf einen einheitlichen Zweck ausgerichtet ist und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt wird (BGH NJW 1991, 174 ff.). Diese Merkmale erfüllt die 'Realgemeinde #######'. Das zum Verbandsvermögen gehörende Waldgebiet wird gemeinschaftlich genutzt. Aufgearbeitetes Holz wird verkauft und der Erlös nach Abzug der Kosten auf alle Miteigentümer anteilig verteilt. Die gesamte Wirtschaftsführung (vgl. §§ 16 ff. der Satzung der Realgemeinde) obliegt der Realgemeinde #######. Die Tätigkeiten dienen daher der gemeinsamen forstwirtschaftlichen Nutzung des zum Verbandsvermögen gehörenden Waldes. Kraft ihrer organisatorischen Ausrichtung ist daher die 'Realgemeinde #######' als Unternehmen i.S. der §§ 636, 637 RVO anzusehen (vgl. für den Fall einer Waldgenossenschaft: BGH NJW 1991, 174 ff.).

b) Aufgrund des Bescheides der Hannoverschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 29. Januar 1997 steht für den Senat bindend fest, dass der Unfall des Ehemannes der Klägerin ein Arbeitsunfall i.S. des § 548 RVO war, vgl. § 638 Abs. 1 Nr. 1 RVO.

c) Aus dem Bescheid der Hannoverschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft vom 29. Januar 1997 folgt jedoch nicht, dass sich der Unfall des Ehemannes der Klägerin nicht im Unternehmen der 'Realgemeinde #######' ereignet hat. Zwar ist in diesem Bescheid der Unfall als ein in dem landwirtschaftlichen Unternehmen (der Ehefrau des Klägers) erlittener Arbeitsunfall bezeichnet, doch hindert diese Feststellung den Senat nicht, den Unfall als einen solchen anzusehen, den der Kläger im Unternehmen der Realgemeinde erlitten hat. Eine Bindungswirkung im vorstehenden Sinne könnte dem Bescheid nur dann zukommen, wenn in ihm zum Ausdruck gebracht worden wäre, dass sich der Unfall nur in dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Klägerin und nicht in dem der Realgemeinde ereignet hat (vgl. BGH VersR 1977, 959; BGH VersR 1983, 728; BGH VersR 1990, 1161 ff.). Dem Bescheid der Berufsgenossenschaft kann aber nicht entnommen werden, dass diese eine Entscheidung darüber treffen wollte, der Unfall habe sich nur in dem landwirtschaftlichen Unternehmen der Klägerin ereignet. Der zum Verbandsvermögen der Realgemeinde gehörende Verbandsanteil der Klägerin, nämlich ihr ausweislich des von ihr vorgelegten Buchabschlusses für das Wirtschaftsjahr 1995/96 ca. 5 ha großes Forstgebiet, ist zugleich Teil des landwirtschaftlichen Betriebes der Klägerin. Die Berufsgenossenschaft konnte daher den Unfall ohne weiteres auch dem selbständigen Unternehmen der Klägerin zuordnen, ohne die Zuordnung zu dem Unternehmen der Realgemeinde auszuschließen (BGH VersR 1990, 1161 ff. unter Hinweis auf BSGE 27, 233).

2. Das Haftungsprivileg entfällt - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht etwa deshalb, weil der Ehemann der Klägerin 'nicht in einer arbeitnehmertypischen Situation sozialer Abhängkeit' war. Denn für den Geschädigten ist dieses Kriterium ohne Belang (BGH VersR 1975, 1002; BGH VersR 1983, 687; BGH VersR 1996, 1412 f); lediglich im Rahmen des § 637 RVO spielt die Weisungs- und Direktionsbefugnis für die Frage eine Rolle, ob der Schädiger als Betriebsangehöriger in den Unfallbetrieb eingegliedert war.

3. Es bedarf keiner Klärung, ob die Beklagten gem. § 636 RVO oder gem. § 637 RVO privilegiert sind, weil in beiden Fällen die Klage erfolglos bleibt. Daher kann die bisher nicht eindeutig zu beantwortende Frage, ob der Beklagte zu 1 und der Ehemann der Beklagten zu 2 zur Zeit des Schadensfalles Mitglied der Realgemeinde waren oder lediglich - dieser Punkt ist unstreitig - als erster und zweiter Holzgeschworener für die Realgemeinde tätig waren, im Ergebnis offen bleiben. Denn als Mitglied der Realgemeinde wären die für den Schadensfall verantwortlichen Personen Unternehmer i.S. des § 636 RVO, als Holzgeschworene Betriebsangehörige i.S. des § 637 RVO, während der Ehemann der Klägerin, der unstreitig niemals Mitglied der Realgemeinde war, jedenfalls eine Tätigkeit für den Betrieb der Realgemeinde ausgeübt hatte.

a) Der Begriff des Unternehmers bestimmt sich auch für den Bereich der landwirtschaftlichen Unfallversicherung nach § 658 RVO (vgl. § 792 RVO). Nach Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen geht. Unternehmer ist damit derjenige, dem das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens, der Wert oder Unwert der in dem Unternehmen verrichteten Arbeiten unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereicht, der also das Unternehmerrisiko trägt (BGH VersR 1988, 1276 f). Da nach Abschnitt III der Satzung der Realgemeinde ####### die Mitglieder alle wesentlichen Entscheidungen der Realgemeinde über das Organ 'Mitgliederversammlung' unmittelbar beeinflussen, insbesondere über die Leitung der Realgemeinde und die Verwendung des Gewinns entscheiden, kommt ihnen unmittelbar eine Unternehmerstellung zu (für die Mitglieder einer Jagdgenossenschaft: BGH VersR 1977, 968 f; für die Mitglieder einer Waldgenossenschaft: BGH VersR 1990, 1161 ff.). Waren der Beklagte zu 1 und der Ehemann der Beklagten zu 2 hingegen nicht Mitglied der Realgemeinde, dann sind sie aufgrund ihrer Tätigkeit als erster und zweiter Holzgeschwoener im Rahmen der Anfang Januar 1996 durchgeführten Holzfällaktion der Realgemeinde als Betriebsangehörige i.S. des § 637 RVO anzusehen. Denn die Holzfällaktion erfolgte für die Realgemeinde, in deren Organisationsgefüge die vorgenannten Personen als Holzgeschworene eingebunden waren.

b) Der Ehemann der Klägerin war für die Realgemeinde ####### und nicht

- wie die Klägerin meint - , für ihren landwirtschaftlichen Betrieb, dessen Leiter der Ehemann der Klägerin war, tätig.

Bei der hier maßgeblichen Frage, ob der getötete ####### für den Unfallbetrieb (Realgemeinde #######) oder seinen Stammbetrieb (landwirtschaftliches Unternehmen der Klägerin) tätig geworden ist, kommt es allein darauf an, welchem Aufgabenbereich seine Tätigkeit zuzuordnen ist. Hat er eine Aufgabe wahrgenommen, die sowohl in den Aufgabenbereich seines Stammunternehmens als auch in den des Unfallunternehmens fiel, so ist in der Regel anzunehmen, dass er allein zur Förderung der Interessen seines Stammunternehmens tätig geworden ist, so dass der Versicherungsschutz in dem Unfallbetrieb nicht ausgelöst wird (BGH VersR 1989, 67; BGH VersR 1990, 994; BGH VersR 1996, 1412 f).

Vorliegend ist die Tätigkeit allein für die Realgemeinde ####### erfolgt. Der Holzeinschlag erfolgte ausschließlich im Interesse der Realgemeinde und ihrer Mitglieder, ein Zusammenhang mit der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin als Leiter des landwirtschaftlichen Betriebs der Klägerin bestand nicht. Die Verpflichtung zur Beteiligung an der Holzfällaktion war nicht in dem landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin angelegt, sie ergab sich vielmehr aus ihrer Mitgliedschaft in der Realgemeinde. Dabei war die Klägerin auch nicht etwa deshalb - selbst oder durch Beauftragung bestimmter Personen - zur Mitwirkung an der Holzfällaktion verpflichtet, weil sie Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes, sondern weil sie Inhaberin eines Verbandsanteiles der Realgemeinde war. Die vom Ehemann der Klägerin erbrachte Tätigkeit hatte daher keinen Bezug zum landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin, sie diente diesem Betrieb nicht einmal mittelbar. Vielmehr ging die Klägerin durch ihre Mitgliedschaft in der Realgemeinde gewissermaßen einer anderweitigen wirtschaftlichen Tätigkeit außerhalb ihres eigenen Betriebs nach, wobei sie sich der Hilfe ihres Ehemannes bediente; die von der Realgemeinde für ihre Mitglieder erzielten Erlöse sind keine Einkünfte aus deren landwirtschaftlichen Betrieben. Die Stellung des Ehemanns der Klägerin war deshalb auch nicht derjenigen eines Arbeitnehmers vergleichbar, welcher Aufgaben für seinen Stammbetrieb wahrnimmt, die diesem vergütet werden.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1; 708 Nr. 10, 711; 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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