Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 03.11.1999
Aktenzeichen: 15 W 1646/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1835 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1836 Abs. 2 Satz 4
Leitsatz:

Die materiell-rechtlichen Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 S. 2, 1836 Abs. 2 S. 4 BGB finden keine Anwendung, soweit die Tätigkeiten des Betreuers vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelungen am 01.01.1999 ausgeübt wurden (Aufgabe der Senatsrechtsprechung FamRZ 19999, 1610 = BtPrax 1999, 237).


Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 15 W 1646/99 14-T-4265/99 LG Leipzig

Beschluss

des 15. Zivilsenats

vom 03.11.1999

In dem Betreuungsverfahren

betreffend

- Betroffener -

mit den Beteiligten:

1.

- Betreuer und Beschwerdeführer -

Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt

2.

- Beschwerdegegner -

erlassen durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzenden,

Richter am Oberlandesgericht und Richter am Landgericht als beisitzende Richter

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers vom 07.09.1999 wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 13.08.1999 aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 10.05.1999 dahingehend abgeändert, dass dem Betreuer für seine Tätigkeiten im Zeitraum vom 05.11.1997 bis 31.03.1998 Vergütung und Aufwendungsersatz in Höhe von insgesamt 4.506,39 DM bewilligt wird.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Der Wert der weiteren Beschwerde wird auf 1.347,85 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) ist selbständiger Berufsbetreuer. Mit Schriftsatz vom 21.03.1999, eingegangen bei Gericht am 23.03.1999, beantragte er, ihm für den Zeitraum vom 05.11.1997 bis 31.03.1998 eine wegen Mittellosigkeit des Betroffenen aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung in Höhe von 3.634,87 DM zu bewilligen. Darüber hinaus begehrte der Betreuer für den vorbezeichneten Abrechnungszeitraum die Zahlung von Aufwendungsersatz in Höhe von 291,75 DM sowie von 15 % Mehrwertsteuer auf Vergütung und Auslagen in Höhe von insgesamt 579,77 DM.

Mit Beschluss vom 10.05.1999 setzte das Amtsgericht Leipzig - Vormundschaftsgericht - den dem Betreuer für seine Tätigkeit vom 05.11.1997 bis 31.03.1998 zu bewilligenden Gesamtbetrag auf 3.158,54 DM fest. Dabei blieben die von dem Betreuer vor dem 23.12.1997 ausgeführten Tätigkeiten unberücksichtigt, da nach Auffassung des Vormundschaftsgerichts die entsprechenden Ansprüche nach §§ 1835 Abs. 1, 1836 Abs. 2 BGB verwirkt seien, weil sie nicht binnen 15 Monaten nach ihrer Entstehung geltend gemacht worden seien.

Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 10.05.1999 gerichtete Beschwerde des Betreuers vom 26.05.1999 wies das Landgericht Leipzig mit Beschluss vom 13.08.1999 zurück. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die von dem Betreuer geltend gemachten Ansprüche auf Betreuervergütung und Aufwandsentschädigung für den Zeitraum vom 05.11.1997 bis 23.12.1997 gemäß der am 01.01.1999 in Kraft getretenen Neuregelung der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB erloschen seien. Mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift habe die Ausschlussfrist nicht erst mit Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes am 01.01.1999, sondern bereits mit Entstehung der geltend gemachten Ansprüche begonnen zu laufen. Eine analoge Anwendung von Art. 169 Abs. 2 EGBGB komme nicht in Betracht.

Gegen diesen ihm am 25.08.1999 zugestellten Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 13.08.1999 richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers vom 07.09.1999. Der Betreuer ist im wesentlichen der Auffassung, dass der Gesetzgeber eine Anwendung des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes nur auf nach dem Inkrafttreten des Gesetzes liegende Sachverhalte vorgesehen habe. Es käme einer Enteignung gleich, wenn die gesetzliche Neuregelung Ansprüche rückwirkend ausschließen würde, für die bislang keine Ausschlussfrist gelaufen sei. Auch sei der Rechtsgedanke des Art. 169 EGBGB zugrunde zu legen.

Der Beteiligte zu 2) ist mit Schriftsatz vom 15.10.1999 dem weiteren Rechtsmittel des Betreuers entgegengetreten.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers vom 07.09.1999 ist gemäß §§ 69 e Satz 1, 56 g Abs. 5 Satz 2 FGG statthaft. Das Landgericht hat die sofortige weitere Beschwerde im Beschluss vom 13.08.1999 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 2 FGG auch zulässig. Der Betreuer hat die sofortige weitere Beschwerde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

2. Die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers vom 07.09.1999 hat auch in der Sache Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 13.08.1999 beruht auf einer Verletzung des Gesetzes, soweit dem Betreuer eine Vergütung und Aufwandsentschädigung für den Zeitraum vom 05.11.1997 bis 23.12.1997 versagt wurde. Die entsprechenden Ansprüche sind nicht gemäß der am 01.01.1999 in Kraft getretenen Neuregelung der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB erloschen.

§§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB, wonach Ansprüche auf Ersatz von Aufwendungen und Vergütung erlöschen, wenn sie nicht binnen 15 Monaten nach ihrer Entstehung gerichtlich geltend gemacht werden, finden keine Anwendung, soweit die Tätigkeiten des Betreuers vor dem Inkrafttreten dieser Neuregelung am 01.01.1999 ausgeübt wurden. Seine insbesondere mit Beschluss vom 29.06.1999, Az.: 15 W 949/99, vertretene gegenteilige Rechtsauffassung gibt der Senat auf.

a) Art. 5 Abs. 2 BtÄndG ordnet an, dass das Betreuungsrechtsänderungsgesetz am 01.01.1999 in Kraft tritt, soweit Änderungen des BGB betroffen sind. Da Übergangsregelungen vom Gesetzgeber nicht vorgesehen wurden, sind nach dem 01.01.1999 im BtÄndG enthaltene formelle Vorschriften von den zur Entscheidung berufenen Gerichten zu beachten (BayObLG BtPrax 1999, 195). Materiell-rechtlich sind hingegen auf vor Inkrafttreten des BtÄndG abgeschlossene Sachverhalte die seinerzeit geltenden Normen anzuwenden (OLG Zweibrücken, NJW 1999, 2125). Dies entspricht einem letztlich dem Vertrauensschutz geschuldeten althergebrachten Grundsatz im Deutschen Recht, nach dem bei einer durch Rechtsänderungen hervorgerufenen temporalen Kollission einschlägiger Vorschriften grundsätzlich das zum Zeitpunkt, da der zu beurteilende Lebenssachverhalt seinen Abschluss gefunden hat, geltende Recht maßgeblich ist (vgl. beispielsweise nur Art. 220 Abs. 1 EGBGB, § 18 ZSEG, § 73 GKG, § 134 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, § 131 Abs. 7 Satz 1 GWB, Art. 316 Abs. 1, 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 318 Abs. 2, 319 EGStGB, Art. 39 EGHGB; BGH NJW 1989, 2054; Palandt-Edenhofer, BGB, 58. Aufl., § 1836 Rdn. 3, Einl. vor § 1922 Rdn. 1; Zöller-Geimer, ZPO, 21. Aufl., vor § 1025 Rdn. 11).

b) Die durch das BtÄndG neu gefassten Regelungen der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB enthalten Ausschlussfristen mit materiell-rechtlicher Wirkung. Bereits der Wortlaut spricht für diese Auffassung, ordnet er doch das Erlöschen des Ersatz- bzw. Vergütungsanspruchs an, wenn dieser nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung gerichtlich geltend gemacht wird. Des weiteren ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung, dass es sich bei den Regelungen der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB um materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfristen handelt. In der Gesetzesbegründung heißt es:

"Gegen ein missbräuchliches "Auflaufenlassen" der Aufwendungsersatz- oder Vergütungsschuld wird die Staatskasse dabei durch Ausschlussfristen geschützt, die dem Vormund überschaubare Abrechnungszeiträume eröffnen, ohne die Staatskasse mit all zu kurzfristigen Abrechnungswünschen zu überlasten." (BT-Drucks. 13/7158, S. 17).

c) Daher finden die Neuregelungen der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB keine Anwendung auf vor dem 01.01.1999 abgeschlossene Sachverhalte. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betreuer Vergütung oder Ersatz von Aufwendungen für Tätigkeiten begehrt, die vor Inkrafttreten des BtÄndG stattgefunden haben. Die Entstehung dieser Ansprüche ist untrennbar mit der Durchführung der vergütungsfähigen Tätigkeiten des Betreuers verbunden, so dass der Ersatz- bzw. Vergütungsanspruch einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft, soweit die einzelne zu vergütende Tätigkeit vor dem 01.01.1999 beendet wurde.

Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdegerichts würde dazu führen, dass Ersatz- und Vergütungsansprüche für die Tätigkeiten des Betreuers vor dem 01.08.1997 mit Inkrafttreten des BtÄndG am 01.01.1999 erloschen wären. Der Umstand aber, dass ein kraft Gesetzes bereits entstandener und fälliger Anspruch durch das Wirksamwerden einer Gesetzesänderung mit sofortiger Wirkung erlischt, stößt nicht nur auf verfassungsrechtliche Bedenken, sondern verletzt auch das schützenswerte Vertrauen des Betreuers in den Bestand seiner Forderung. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Betreuer die Möglichkeit gehabt hätte, in Erwartung der Gesetzesänderung zum 01.01.1999 seine Ansprüche noch im Jahr 1998 geltend zu machen. Die Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB konnten erst mit ihrem Inkrafttreten Rechtswirkungen entfalten, so dass ein Betreuer nicht gehalten war, bereits vor dem 01.01.1999 diese Regelungen bei der Geltendmachung seiner Ansprüche zu berücksichtigen.

Schließlich ergibt sich auch aus der dem Vormundschaftsgericht in §§ 1835 Abs. 1 Satz 4, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB eingeräumten Möglichkeit, dem Betreuer entsprechend § 15 Abs. 3 ZSEG eine abweichende Frist zur Geltendmachung seiner Ansprüche einzuräumen, dass die verfahrensgegenständlichen Ausschlussfristen auf eine Tätigkeit des Betreuers vor dem 01.01.1999 keine Anwendung finden. Der Gesetzgeber hat durch die entsprechende Anwendung von § 15 Abs. 3 ZSEG versucht, den besonderen Erfordernissen des Einzelfalls zu begegnen, um dem Betreuer seine Vergütungsansprüche zu sichern. Diesem Willen des Gesetzgebers würde eine Anwendung der Ausschlussfristen von §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB auf Tätigkeiten des Betreuers vor dem 01.01.1999 zuwiderlaufen, da für die Tätigkeiten des Betreuers vor dem 01.08.1997 der Ersatz- bzw. Vergütungsanspruch des Betreuers mit Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes erloschen wäre, ohne dass eine Verlängerung der Frist zur Geltendmachung in Betracht käme. Es ist daher vielmehr von einem Willen des Gesetzgebers dahingehend auszugehen, dass die Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB auf Tätigkeiten des Betreuers vor dem 01.01.1999 keine Anwendung finden sollen.

III.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Der Geschäftswert wurde nach §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück