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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 14.03.2000
Aktenzeichen: 15 W 2381/99
Rechtsgebiete: BVormVG, BGB, KostO


Vorschriften:

BVormVG § 1 Abs.1
BVormVG § 1 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 1836 a
BGB § 1908 i
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 1
Leitsätze

1. Pädagogische Kenntnisse eines Lehrers sind besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung i.S.d. §§ 1 Abs.1 BVormVG, 1836a, 1908 i BGB nutzbar sein können.

2. Ein in der ehemaligen DDR erworbener Hochschulabschluss als Diplomlehrer kann zur Erhöhung der Vergütung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BVormVG führen.


Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 15 W 2381/99 14 T 7830/99 Landgericht Leipzig

Beschluss

des 15. Zivilsenats

vom

14.03.2000

In dem Betreuungsverfahren

betreffend:

- Betroffener -

mit den Beteiligten:

1.

- Beschwerdeführer -

Prozessbevollmächtigter:

2.

- Beschwerdegegner -

hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ......., Richter am Amtsgericht .......... Richter am Amtsgericht ....... als beisitzende Richter

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 27.12.1999 wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 06.12.1999 aufgehoben und der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 21.06.1999 dahingehend abgeändert, dass dem Beteiligten zu 1) für seine Betreuertätigkeit für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 31.03.1999 aus der Staatskasse eine Vergütung und ein Aufwendungsersatz in Höhe von insgesamt 827,51 DM bewilligt wird.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 600,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung nach dem Gesetz über die Vergütung von Berufsvormündern (BVormVG).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig - Vormundschaftsgericht - vom 13.08.1998 wurde Frau .............. als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 1) zur Betreuerin für den am .......... geborenen Betroffenen bestellt. Als Aufgabenkreis wurden die Sorge für die Gesundheit des Betroffenen, die Aufenthaltsbestimmung, die Vertretung gegenüber Behörden sowie die Geltendmachung von Ansprüchen bestimmt.

Am 01.06.1999 beantragte der Beteiligte zu 1) für die Tätigkeit seiner Vereinsbetreuerin in der Zeit vom 01.01.1999 bis 31.03.1999 eine aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung in Höhe von 930,47 DM. Dem Antrag lag ein Stundensatz in Höhe von 54,00 DM zugrunde.

Mit Beschluss vom 21.06.1999 wies das Amtsgericht Leipzig den Antrag des Beteiligten zu 1) teilweise zurück und bewilligte diesem eine Vergütung in Höhe von 493,68 DM.

Zur Begründung führte das Vormundschaftsgericht unter anderem aus, dass nach Ausbildung und Qualifikation der Vereinsbetreuerin gemäß § 1 Abs. 1 BVormVG i. V. m. Artikel 4 BtÄndG lediglich ein Stundensatz von 31,50 DM zu gewähren sei.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 21.06.1999 richtete sich die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 02.07.1999 mit der dieser vor allem geltend machte, dass sich die Vergütung nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BVormVG bestimme.

Die Betreuerin verfüge über einen Hochschulabschluss als Diplomlehrer in der Fachrichtung Chemie und Mathematik. Während dieser Ausbildung habe sie jeweils vier Semester Pädagogik und Psychologie belegt. Darüber hinaus habe sie ab 1992 weitere Fortbildungen unter anderem auf den Gebieten Recht, Betriebswirtschaftslehre und EDV absolviert sowie an einer 440stündigen berufsbegleitenden Fortbildung für Berufsbetreuer im Jahr 1998/99 teilgenommen. Damit habe sie ausreichend verwertbare Kenntnisse im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BVormVG erworben.

Die sofortige Beschwerde hat das Landgericht Leipzig mit Beschluss vom 06.12.1999 zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich die Höhe der Vergütung nach den für die Führung der Vormundschaft nutzbaren Fachkenntnissen des Betreuers sowie nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Betreuungsgeschäfte bestimme. Dabei seien Fachkenntnisse nur solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und regelmäßig nicht durch Lebenserfahrung erworben würden.

Bei den von der Betreuerin erworbenen Fachkenntnissen im Rahmen ihrer Hochschulausbildung handele es sich um solche aus dem mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich. Die pädagogisch-psychologische Ausbildung sei mit dem Ziel erfolgt, die Betreuerin in die Lage zu versetzen, Schülern mathematische und naturwissenschaftliche Lehrinhalte zu vermitteln. Die Kenntnisse seien nicht geeignet, die Betreuung zu erleichtern. Entsprechendes gelte im Ergebnis für die Fortbildungen, da diese keine abgeschlossene Ausbildung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BVormVG darstellen würden.

Gegen den am 14.12.1999 zugestellten Beschluss richtet sich die weitere sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 27.12.1999, die am selben Tage bei Gericht eingegangen ist. Die Beteiligte zu 1) macht geltend, dass die Betreuerin aufgrund ihres Hochschulabschlusses über besondere Kenntnisse im Sinne von § 1 BVormVG verfüge. So habe sie durch das Studium im Hauptfach Mathematik ein mathematisches Grundverständnis erworben, welches für die Vermögenssorge nutzbar sei. Zu berücksichtigen sei im Übrigen, dass die Betreuerin umfangreiche pädagogische und psychologische Kenntnisse erworben und in diesen Fachgebieten auch eine Hauptprüfung abgelegt habe. Hierdurch sei sie nicht nur in die Lage versetzt worden, Schülern Lehrinhalte zu vermitteln, vielmehr sei sie auch auf den pädagogisch richtigen Umgang mit Menschen vorbereitet worden.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß § 69 e Satz 1, § 56 g Abs. 5 Satz 2 FGG statthaft.

Das Rechtsmittel ist nach §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 2 FGG auch zulässig. Insbesondere ist die sofortige weitere Beschwerde durch Anwaltsschriftsatz vom 27.12.1999 form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Die Vereinsbetreuerin verfügt über besondere Kenntnisse, die zur Führung der Betreuung nutzbar sind und durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule erworben wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BVormVG).

Sie hat eine Ausbildung zur Diplomlehrerin für Mathematik und Chemie absolviert und damit Fachkenntnisse erlangt, die ihr insbesondere für die Erledigung der ihr übertragenen Vermögenssorge sowie die Vertretung gegenüber Behörden hilfreich sind.

Der Beteiligte zu 1) hat daher unter Berücksichtigung des gemäß Artikel 4 BtÄndG vorzunehmenden Abzuges von 10 % Anspruch auf einen Stundensatz in Höhe von 54,00 DM.

Der Senat hält bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BVormVG erhöhte Stundensätze zu gewähren sind, an den Grundsätzen seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 20.10.1999, Az.: 15W 1637/99 = OLG-NL, 2000, Seite 41 ff. - Grundschullehrerin/Staatlich anerkannte Erzieherin -; Beschluss vom 22.11.1999, Az.: 15 W 1734/99 - Finanzkauffrau -; Beschluss vom 08.12.1999, Az.: 15 W 2011/99 - Krankenschwester -; Beschluss vom 27.01.2000, Az.: 15 W 2374/99 - Zahnärztin -) fest.

"Besondere Kenntnisse" sind danach solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und die regelmäßig nicht durch Lebenserfahrung erworben werden (vgl. auch BT-Drucks. 13/7158, Seite 14).

Für die Betreuung "nutzbar" sind diese Kenntnisse, wenn sie für die Erledigung der dem Betreuer zugewiesenen Aufgaben hilfreich sind, wobei es nicht auf Umfang und Schwierigkeit der konkreten Betreuung ankommt. Notwendig, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass die Fachkenntnisse verwendbar sein können. Durch eine Ausbildung erworben sind die im vorgenannten Sinne nutzbaren Fachkenntnisse dann, wenn die Ausbildung in ihrem Kernbereich auf deren Vermittlung ausgerichtet ist (so auch BayObLG 3 ZBR 282/99 vom 27.10.1999).

Für eine Betreuung stets nutzbar sind Rechtskenntnisse, was bereits aus der stärkeren Betonung der rechtlichen Betreuung durch das Betreuungsänderungsgesetz folgt.

Ungeachtet dessen ist allerdings auch unter der neuen Gesetzeslage der Grundsatz der persönlichen Betreuung, der einen möglichst engen Kontakt zwischen Betreuer und Betreutem und das Bemühen um ein persönliches Vertrauensverhältnis voraussetzt (§ 1901 BGB), ausdrücklich aufrechterhalten geblieben. Daher kann auch jedes durch entsprechende Abschlüsse dokumentierte Fachwissen, dass soziale Kompetenzen im Verhältnis zum Betreuten und zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit vermittelt, für die Betreuung nutzbar sein (so auch Wagnitz/Engers, FamRZ 1998, 1273, 1275). Dies können - wie der Senat in der Vergangenheit entschieden hat - sozialpädagogische und psychologische, gerade im Aufgabenbereich Gesundheitsfürsorge aber auch medizinische und im Aufgabenkreis Vermögenssorge wirtschaftliche Kenntnisse sein. Eine Beschränkung der Gewährung der erhöhten Vergütungsstufen des § 1 BVormVG auf bestimmte Berufsgruppen - etwa auf Juristen, Diplompsychologen und Diplomsozialpädagogen - vermag der Senat jedenfalls im Ergebnis weder dem Wortlaut noch dem Zweck des Gesetzes zu entnehmen. Zwar mag es sein, dass bei den vorgenannten Berufsgruppen eine Einstufung in eine höhere Vergütungsgruppe besonders nahe liegt. Den Umkehrschluss, dass einem Betreuer, der nicht über einen dieser Abschlüsse verfügt, dann auch nicht die Vergütung nach dem Höchstsatz des § 1 Abs. 1 BVormG zustehen kann, kann der Senat indes nicht ziehen. Vielmehr ist im Einzelfalle zu prüfen, ob die jeweilige Ausbildung des Betreuers die typisierten Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVormVG erfüllt.

Ausgehend hiervon liegen in der Person der Betreuerin die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BVormVG vor. Sie verfügt über einen nach Maßgabe des Art. 37 des Einigungsvertrages anerkannten Hochschulabschluss als Diplomlehrerin für Mathematik und Chemie. Nach dem Inhalt der zu den Akten gereichten Unterlagen hat sie im Rahmen ihrer Ausbildung über vier Semester die Fächer Pädagogik und Psychologie belegt und entsprechende Hauptprüfungen mit der Notenstufe "2" absolviert. Dann sind der Betreuerin pädagogische und psychologische Fähigkeiten aber auch nicht nur bei Gelegenheit eines etwa im Kern auf die bloße Wissensvermittlung auf dem Gebiet der Mathematik und Chemie ausgerichteten Studiums vermittelt worden. Vielmehr haben die entsprechenden Ausbildungen angesichts ihres zeitlichen und inhaltichen Umfangs und ihrer Prüfungsrelevanz selbst Teil am Kern des Studiums. An seiner Auffassung (vgl. Beschluss vom 22.11.1999, Az.: 15 W 1709/99), die insoweit durch eine Ausbildung mit Hochschulabschluss erworbenen pädagogischen und psychologischen Fähigkeiten seien auf den Umgang mit Kindern und hier auch nur auf die Weitergabe von Fachwissen beschränkt, hält der Senat nicht fest. Pädagogische und psychologische Fähigkeiten lassen sich nicht in solche aufspalten, die nur Kindern zugute kommen, und solche, die gegenüber jedermann nutzbar sind. Im Rahmen eines auf das Lehramt ausgerichteten Studiums erlangte diesbezügliche Kenntnisse und Fähigkeiten übersteigen auch im Verhältnis zu Erwachsenen das jedermann zu Gebote Stehende. Sie sind dann auch im allgemeinen und insbesondere im vorliegenden Falle entsprechend nutzbar.

In Beantwortung der Frage, ob psychologische und pädagogische Kenntnisse für die Betreuung im Sinne des Gesetzes nutzbar sind, ist nämlich auf den übertragenen Wirkungskreis abzustellen. Aufgaben der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitsfürsorge erfordern bei den oft nicht einfachen Persönlichkeitsbildern der Betreuten in besonders hohem Maße soziale Kompetenz und zwischenmenschliche Kommunikationsfähigkeit. Dies zu leisten, ist die Betreuerin aufgrund ihrer entsprechenden Ausbildung in der Lage. Denn ihr sind im pädagogischen und psychologischen Teil des Studiums Kontakt- und Kommunikationsmuster vermittelt worden, die sie leichter Zugang zur Person auch in schwierigen Fällen finden lassen. Hinzu kommt, dass das der Betreuerin zu Gebote stehende pädagogische Wissen und ihr psychologisch geschultes Einfühlungsvermögen im Umgang mit Behörden dienlich sein kann, ist von ihr doch zu erwarten, dass sie die Interessen des Betreuten besonders wirksam vertreten kann. Entsprechendes gilt für die der Betreuerin obliegende Geltendmachung von Ansprüchen.

Nach alledem war die Vergütung unter Berücksichtigung der mit der sofortigen weiteren Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts Leipzig auf 827,51 DM festzusetzen.

III.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 13 a Abs. 1 FGG. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Rechtsfrage und der Tatsache, dass eine gefestigte Rechtsprechung bisher nicht vorliegt, sieht der Senat keine Veranlassung, von dem Grundsatz, dass im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit jeder seine Kosten selbst zu tragen hat ( vgl. Bumiller/ Winkler, FGG, 7. Aufl., § 13 a, Rn. 13 ff. m. w. N.) abzuweichen.

Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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