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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 24.04.2001
Aktenzeichen: 15 W 581/01
Rechtsgebiete: FGG, AuslG, FreihEntG, KostO


Vorschriften:

FGG § 27
FGG § 29
AuslG § 57 Abs. 3 Satz 2
AuslG § 57 Abs. 3
AuslG § 57 Abs. 2
AuslG § 57
FreihEntG § 16
FreihEntG § 3 Satz 2
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 2
Leitsätze:

1. Eine Verlängerung von Sicherungshaft über die regelmäßige Höchstdauer von sechs Monaten hinaus ist auch dann, wenn der Ausländer seine Abschiebung verhindert, wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Verhältnismäßigkeit nur zulässig, wenn die Haft dadurch nicht länger andauert, als es zur Sicherung ihres Zwecks, die Abschiebung zu ermöglichen, erforderlich ist.

2. Das setzt voraus, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung ernstlich betreibt und konkrete Maßnahmen zu ihrer Vorbereitung trifft; sind Passersatzpapiere zu beschaffen, muss die Ausländerbehörde mit der gebotenen Beschleunigung alle ihr nach dem Stand der Ermittlungen eröffneten Möglichkeiten nutzen, die wahre Identität des ausreisepflichtigen Ausländers zu ermitteln.


Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 15 W 0581/01 14 T 2052/01 LG Leipzig

des 15. Zivilsenats

vom 24.04.2001

In dem Abschiebehaftverfahren

hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ,

den Richter am Oberlandesgericht und

den Richter am Landgericht

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die weitere sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 11.04.2001 werden der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 04.04.2001 -14 T 2052/01 - und der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 28.02.2001 - 3 ER XIV 76/01 -

aufgehoben.

Der Antrag des Beschwerdegegners vom 26.02.2001 auf Verlängerung der Sicherungshaft gegen den Betroffenen über den 28.02.2001 hinaus wird

zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdegegner hat die dem Betroffenen in beiden Beschwerderechtszügen entstandenen Auslagen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Betroffenen notwendig.

3. Der Beschwerdewert wird auf DM 5.000,00 festgesetzt.

Gründe:

1. Der Beschwerdeführer, der am 13.04.2000 illegal nach Deutschland einreiste und noch am selben Tag ohne Ausweisdokumente aufgegriffen wurde, befindet sich seit dem 14.04.2000 in Sicherungshaft gemäß § 57 Ausländergesetz, die mehrfach, zuletzt mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 28.02.2001 bis zum 31.05.2001, verlängert worden ist. Die sofortige Beschwerde gegen die vorgenannte Entscheidung hat das Landgericht Leipzig mit dem angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete weitere sofortige Beschwerde ist gemäß den §§ 27 und 29 FGG in Verbindung mit § 103 Abs. 2 Ausländergesetz und § 3 Satz 2 Freiheitsentziehungsgesetz zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Denn die weitere Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft ist jedenfalls deshalb nicht länger gerechtfertigt, weil die Freiheitsentziehung unverhältnismäßig geworden ist.

2. Zwar eröffnet § 57 Abs. 3 Satz 2 Ausländergesetz grundsätzlich die Möglichkeit, die Sicherungshaft über die regelmäßige Höchstdauer von 6 Monaten hinaus um höchstens weitere 12 Monate auf dann maximal 18 Monate zu verlängern, wenn der Ausländer seine Abschiebung verhindert. Es spricht viel dafür, dass diese Voraussetzung hier erfüllt ist. Es liegt zwar kein offenkundiger Fall der sogenannten "Totalverweigerung" vor, in dem der Ausländer jegliche Angabe zur Personenfeststellung verweigert. Da bisher indes jeder Versuch, die vom Beschwerdeführer gemachten Angaben zu verifizieren, gescheitert ist, liegt die Annahme nahe, dass der Beschwerdeführer seine wahre Identität durch Falschangaben vorsätzlich verschleiert; auch darin liegt im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der Beschwerdeführer, wie er selbst mehrfach eingeräumt hat, sich seiner Ausweisdokumente entledigt hat, um seine Abschiebung unmöglich zu machen, eine Verhinderung der Abschiebung im Sinne von § 57 Abs. 3 Ausländergesetz.

Dies rechtfertigt es gleichwohl nicht, bei weiteren Anordnungen von Sicherungshaft ohne Weiteres die gesetzlich vereinbarte Höchstdauer auszuschöpfen. Denn der gerade bei einer Freiheitsentziehung zu beachtende verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) gebietet es, dass die Haft nicht länger andauert, als es zur Sicherung ihres Zweckes, die Abschiebung zu ermöglichen, unbedingt erforderlich ist (OLG Braunschweig, FGPrax 1996, 37, 38; OLG Frankfurt NVWZ Beilage 1/1996, Seiten 7 und 8 sowie Beilage 5/1996, Seite 39; BayObLGZ 1998, 64, 65). Das setzt voraus, dass die Ausländerbehörde die Abschiebung ernstlich betreibt und konkrete Maßnahmen zu ihrer Vorbereitung trifft; sind Passersatzpapiere zu beschaffen, so muss die Ausländerbehörde mit der gebotenen Beschleunigung alle ihr nach dem Stand der Ermittlungen eröffneten Möglichkeiten nutzen, die wahre Identität des ausreisepflichtigen Ausländers zu ermitteln (OLG Düsseldorf, FGPrax 1995, 128; Kayser, FGPrax 1996, 81, 84). Daran fehlt es hier.

3. Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Beschwerdeführers, die gegen ihn angeordnete Sicherungshaft sei schon deshalb aufzuheben, weil sie - jedenfalls inzwischen - den Charakter einer unzulässigen Beugehaft angenommen habe. Daran ist - als abstrakter Rechtssatz - richtig, dass Abschiebehaft als Beugehaft nicht statthaft ist (vgl. OLG Frankfurt, NVWZ Beilage 1/1996, Seite 6, 7); sie dient allein dazu, die Abschiebung in den von § 57 Abs. 2 Ausländergesetz vorgesehenen Fällen zu sichern. Ein solches Sicherungsbedürfnis besteht nicht, wenn die Ausländerbehörde die Abschiebung gar nicht aktiv betreibt, sondern sich darauf beschränkt abzuwarten, ob der Ausländer seine offenbar falschen Angaben zur Person korrigiert und damit die Feststellung seiner wahren Identität ermöglicht (OLG Frankfurt, a.a.O.; BayObLG NVWZ Beilage 8/1996, Seite 64; OLG Saarbrücken, NVWZ Beilage 1/1997, Seite 3); es besteht auch nicht, wenn die Möglichkeiten zur Identifizierung erschöpft sind und die Ausländerbehörde deshalb keine sinnvollen Maßnahmen zur Vorbereitung der Abschiebung (mehr) treffen kann, sondern nur noch eine durch keine konkreten Anhaltspunkte gestützte Hoffnung hegt, "irgendwie" an Heimreisepapiere für den Ausländer zu gelangen (BayObLG BayVBl 1998, 284). An die Erfolgsaussichten von Identifizierungsmaßnahmen darf allerdings gerade in Fällen der Identitätsverschleierung kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, will man eine derartige gezielte Abschiebungsverhinderung nicht geradezu provozieren. Solange die Ausländerbehörde daher nachvollziehbaren - auch dürftigen - Indizien nachgeht und nicht völlig haltlos Ermittlungen "ins Blaue hinein" anstellt, steht es der Anordnung von Sicherungshaft nicht entgegen, dass die Erfolgsaussichten dieser Fahndungstätigkeit zunächst offen sind und nur zur Identifizierung führen "können", wie das Landgericht hier angenommen hat.

Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Bedenken gegen die grundsätzliche Eignung der von dem Beschwerdegegner ergriffenen Maßnahmen zur Feststellung der Personalien des Beschwerdeführers. Er ist zunächst unter Einschaltung der Botschaft den eigenen Angaben des Beschwerdeführers nachgegangen, hat sodann im Verlauf des Verfahren erkennbar gewordene Anhaltspunkte für eine Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers aufgegriffen und schließlich, nachdem dieser Ansatz aufgrund von dessen Verweigerungshaltung ergebnislos abgebrochen werden musste, eine Personenfeststellung über das Bundeskriminalamt eingeleitet. Dass die schiere Dauer dieser Ermittlungsmaßnahmen im Ergebnis auch eine Beugewirkung zu Lasten des Beschwerdeführers herbeiführen kann, macht die angegriffene Sicherungshaft ebenfalls nicht allein deshalb unzulässig. Diese repressive Wirkung darf nur nicht Ziel und Zweck (auch nicht Nebenzweck) der Abschiebungshaft sein, weil dies mit deren rein instrumentellem Charakter unvereinbar wäre. Stellt sich aber eine mögliche Beugewirkung als unvermeidbare Nebenfolge zeitaufwendiger, aber dennoch sinnvoller Ermittlungsmaßnahmen ein, hat der Ausländer dies als Konsequenz der gesetzlichen Regelung des § 57 Abs. 3 Ausländergesetz grundsätzlich hinzunehmen; das von Verfassungs wegen gebotene Korrektiv ergibt sich in diesem Zusammenhang allein daraus, dass die Konsequenz eben "unvermeidbar" sein muss, weil die durch das Verhinderungsverhalten des Ausländers notwendig gewordenen Maßnahmen zur Beschaffung von Passersatzdokumenten trotz aller erforderlichen Beschleunigung in kürzerer Zeit nicht zum Abschluss gebracht werden konnten.

4. An dieser Beschleunigung fehlt es aber im vorliegenden Fall. Dem Beschwerdegegner lag schon im Juli 2000 der negative Bescheid der Botschaft der Republik vom 14.07.2000 (Ausländerakte Bl. 28) vor, dass nach den Personenangaben des Beschwerdeführers eine Identitätsfeststellung nicht möglich sei. Dass der Beschwerdegegner für die Dauer des unmittelbar anschließenden, durch einen Antrag des Beschwerdeführers vom 25.07.2000 eingeleiteten Asylverfahrens von eigenen weiteren Identifizierungsmaßnahmen zunächst abgesehen hat, mag noch zu akzeptieren sein. Dieses Verfahren war indes mit dem 31.08.2000 zum Nachteil des Beschwerdeführers bestandskräftig abgeschlossen, so dass es jedenfalls nunmehr dem Beschwerdegegner oblag, die Klärung der Identität des Beschwerdeführers wieder zu betreiben. In diesem Zusammenhang ist bereits zweifelhaft, ob die erneute Einschaltung der Botschaft am 21.09.2000 eine sinnvolle Maßnahme war, um das Verfahren ergebnisorientiert vorwärts zu bringen. Zwar ist dieser neuerliche Antrag unter Hinweis auf eine mögliche abweichende Schreibweise des Namens des Beschwerdeführers erfolgt. Es ist jedoch schon im Ansatz fraglich, ob sich daraus zusätzliche, bis dahin nicht überprüfte Identifizierungsmöglichkeiten hätten ergeben können, weil der Botschaft bereits im ersten Verfahren ein vom Beschwerdeführer selbst in kyrillischer Schrift ausgefülltes Antragsformular für Passersatzpapiere vorgelegen hatte, so dass die Originalschreibweise seines Namens dort bekannt war und Transkriptionsprobleme in die lateinische Schrift nicht die Ursache für die Identifikationsschwierigkeiten sein konnten. Jedenfalls aber war dieser neuerliche Versuch, eine Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers festzustellen, mit dessen Vorstellung in der Botschaft am 26.09.2000, zumindest aber mit den neuerlichen negativen Bescheid der Botschaft vom 12.10.2000 (beim Beschwerdegegner eingegangen am Tag darauf) gescheitert.

Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich zu diesem Zeitpunkt bereits 6 Monate in Abschiebungshaft befand, durfte der Beschwerdegegner in dieser Lage nicht bis zum 15.11.2000 (vgl. Ausländerakte Bl. 73) zuwarten, bevor er die aus dem Asylverfahren ersichtlichen Anknüpfungspunkte für eine Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers aufgriff und bei der dortigen Botschaft einen weiteren Antrag auf Ausstellung von Passersatzdokumenten stellte. Der kurzzeitige "Hungerstreik" des Beschwerdeführers im Oktober 2000 (abgebrochen mit der Einlieferung in das Justizvollzugskrankenhaus Leipzig am 23.10.2000) stand einer zügigeren Handhabung nicht entgegen. Angesichts der höchst ungewissen Erfolgsaussichten des neuerlichen Identifizierungsversuchs (an dem der Beschwerdeführer von Anfang an mitzuwirken sich geweigert hat) wäre auch zu erwägen gewesen, den weiteren Versuch einer Personenfeststellung unter Inanspruchnahme der Hilfe des Bundeskriminalamtes, der schließlich erst am 12.02.2001 eingeleitet wurde, parallel zu dem Verfahren vor der Botschaft zu betreiben. Organisatorische Schwierigkeiten , die damit ggf. hätten verbunden sein können, wären vom Beschwerdegegner vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt bereits bis zum 22.12.2000 verlängerten Sicherungshaft hinzunehmen gewesen.

Bei dieser Sachlage hält die Einschätzung des Landgerichts, die weitere Verlängerung der Sicherungshaft über den 28.02.2001 hinaus sei von § 57 Ausländergesetz gedeckt, einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand. Der Senat kann insoweit ohne Zurückverweisung der Sache selbst entscheiden und den Haftverlängerungsantrag unter Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen zurückweisen, weil der zeitliche Ablauf des Abschiebungsverfahrens aus den Akten unmittelbar ersichtlich ist.

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht angezeigt, da insoweit die Kostenordnung gilt (vgl. § 14 Freiheitsentziehungsgesetz) und der Kostenbeamte hierüber Kraft eigener Kompetenz befindet. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 16 Freiheitsentziehungsgesetz.

Der festgesetzte Beschwerdewert ergibt sich aus § 131 Abs. 2 in Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO.



Ende der Entscheidung

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