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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 02.05.2002
Aktenzeichen: 2 Ss 167/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 47 Abs. 1
StGB § 56 Abs. 2
Zu den Voraussetzungen der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: 2 Ss 167/02

vom 02. Mai 2002

in der Strafsache gegen

wegen Diebstahls

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Chemnitz vom 03. Januar 2002 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen, die der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zu Grunde liegen, welche aufrechterhalten bleiben - aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Chemnitz hat mit Urteil vom 25. Juli 2001 gegen den Angeklagten wie folgt für Recht erkannt:

"1. Der Angeklagte A. ist schuldig des Diebstahls.

2. Er wird deshalb angewiesen, seine Rehabilitationsmaßnahme beim Arbeits- und Therapiezentrum für psychisch Kranke in S. nach besten Kräften zu absolvieren und zu beenden.

Zum 31. Oktober 2001 hat er dem Gericht über seine Erfahrungen und persönliche Entwicklung einen schriftlichen Bericht von 2 bis 3 DIN A4-Seiten vorzulegen.

3. Ihm wird aufgegeben, nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe 40 Stunden gemeinnützige Arbeit bis 31. Januar 2002 zu leisten. Von der Auferlegung der Kosten des Verfahrens und der notwendigen Auslagen wird abgesehen."

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz mit Telefax vom 26. Juli 2001, eingetroffen beim Amtsgericht am selben Tag, form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit undatiertem, am 02. Oktober 2001 beim Landgericht Chemnitz eingegangenem, Schriftsatz wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Die 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Chemnitz hat mit Urteil vom 03. Januar 2002 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 25. Juli 2001 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt. Eine Strafaussetzung zur Bewährung erfolgte nicht.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Telefax seines Verteidigers vom 08. Januar 2002, eingetroffen beim Landgericht am 09. Januar 2002, form- und fristgerecht Revision eingelegt. Nachdem die Zustellung des Urteils an seinen Verteidiger am 31. Januar 2002 erfolgt war, hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. Februar 2002, eingetroffen beim Landgericht am selben Tag, die Revision form- und fristgerecht begründet; er hat beantragt, "das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Berufung der Staatsanwaltschaft Chemnitz vom 26.7.2001, welche mit Schriftsatz vom 01.10.2001 begründet und auf den (den) Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, zurückzuweisen"; hilfsweise wurde beantragt, die Sache zur anderweitigen Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat mit Schreiben vom 09. April 2002 beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Chemnitz vom 03. Januar 2002 als unbegründet zu verwerfen.

Nachdem der Antrag der Staatsanwaltschaft seinem Verteidiger am 12. April 2002 zugestellt worden war, hat der Angeklagte mit Telefax seines Verteidigers vom 26. April 2002 seine Rüge der Verletzung materiellen Rechts weiter ausgeführt.

II.

1. Die zulässige Revision hat teilweise Erfolg.

Das Landgericht hat der Verhängung der einmonatigen Freiheitsstrafe und der Ablehnung der Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung folgende Erwägungen zu Grunde gelegt:

"Zugunsten des Angeklagten sprachen sein von Schuldeinsicht und Reue gekennzeichnetes Geständnis sowie vor allem der Umstand, dass er die entwendete Hose zirka 30 Minuten nach dem Diebstahl zurückbrachte. Hierfür waren jedoch weniger Reue als vielmehr der Umstand für die Entscheidung des Angeklagten bestimmend, dass er im Geschäft seinen Rucksack mit seiner Anschrift zurückgelassen hatte.

Zu seinen Lasten sprachen die Vorstrafen sowie der Umstand, dass der Angeklagte nun bereits zum zweiten Mal innerhalb laufender Bewährung eine Straftat beging, wobei es sich bei den anderen Delikten auch um einschlägige Vorstrafen handelte.

Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, so insbesondere auch der Tatsache, dass die Geschädigte ausdrücklich keinen Strafantrag stellte, weil für sie kein wirtschaftlicher Schaden eingetreten war, erachtet die Kammer eine kurzzeitige Freiheitsstrafe von 1 Monat für tat- und schuldangemessen.

Die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB war im Hinblick auf die einschlägigen Vorstrafen unerlässlich. Obwohl der Angeklagte zur Tatzeit wusste, dass er unter laufender Bewährung stand, beging er den Diebstahl.

Zur Einwirkung auf den Angeklagten war der Ausspruch einer Freiheitsstrafe unerlässlich, zumal auch zwischenzeitlich die Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz erlassen wurde.

Diese Freiheitsstrafe konnte nicht gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, denn der Angeklagte erhielt bereits zweimal die Möglichkeit einer Bewährung un beging gleichwohl weitere einschlägige Straftaten. Daher bestehen für die Kammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte ausgerechnet eine dritte Bewährungsverurteilung zur Warnung dienen lassen würde und zukünftig keine weiteren Straftaten mehr begehen würde. Vielmehr ist nun zur Einwirkung auf den Angeklagten die Vollstreckung dieser kurzzeitigen Freiheitsstrafe unerlässlich."

Diese Darlegungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach § 47 Abs. 1 StGB verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Die Vorschrift des § 47 StGB bezweckt, die in der Regel schädliche kurzfristige Freiheitsstrafe zur Ausnahme zu machen (sogenannte ultima-ratio-Klausel; BT-Drs. V/4094 Seiten 5 und 6; BGHSt 24, 40 ff.; OLG Düsseldorf Strafverteidiger 1986, 63 [64]).

Besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen vor, wenn entweder bestimmte Tatsachen die konkrete Tat von den durchschnittlichen, gewöhnlich vorkommenden Taten gleicher Art unterscheiden oder wenn bestimmte Eigenschaften (z. B. kriminelle Neigungen) oder Verhältnisse (z. B. Begehung mehrerer Taten, Vorstrafen) bei dem Täter einen Unterschied gegenüber dem durchschnittlichen Täter solcher Taten begründen. Bei Vorliegen solcher Umstände darf Freiheitsstrafe nur verhängt werden, wenn sie unerlässlich ist, und zwar entweder zur Einwirkung auf den Täter und/oder zur Verteidigung der Rechtsordnung.

Unerlässlich bedeutet mehr als das Gebotensein im Sinne von § 56 Abs. 3 StGB. Gerade der Unterschied in der Ausdrucksweise beider Bestimmungen soll dies hervorheben. Unerlässlich ist eine Freiheitsstrafe nur dann, wenn eine andere schuldangemessene Sanktion keinesfalls ausreicht und wenn auf sie nicht verzichtet werden kann (OLG Düsseldorf a.a.O.).

Da die spezialpräventive Wirkung kurzer Freiheitsstrafen vom Gesetzgeber für den Regelfall gerade verneint wird, bedarf es einer besonders sorgfältigen Gesamtwürdigung und Begründung, wenn im Einzelfall nach Meinung des Tatrichters gleichwohl eine andere strafrechtliche Reaktion als eine kurzzeitige Freiheitsstrafe nicht ausreicht (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1970, 956 [957]). Dieses dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung tragende Erfordernis ist auch bei mehreren einschlägigen Vorstrafen und Rückfälligkeit während des Laufs einer Bewährungszeit zu beachten (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

Die Darlegungen des Landgerichts zur Verhängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe von einem Monat werden diesen Anforderungen nicht gerecht.

Zwar hat die Jugendkammer erwogen, dass die Geschädigte ausdrücklich keinen Strafantrag gestellt hat und kein wirtschaftlicher Schaden eingetreten ist.

Zum einen hat sie jedoch weitere wesentliche zu Gunsten des Verurteilten sprechende Umstände außer Acht gelassen.

Das Landgericht hat nämlich weder berücksichtigt, dass -nach seinen eigenen Feststellungen - der Angeklagte auf Grund einer schizotypen Störung bei Begehung des Diebstahls in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war, noch, dass er die vom Amtsgericht Chemnitz mit Urteil vom 26. November 1998 (9 Ls 740 Js 35703/98) festgesetzte Bewährungszeit von zwei Jahren immerhin bis einen Monat vor deren Ablauf erfolgreich absolviert hatte, diesem Urteil ausschließlich ein Bagatelldelikt zu Grunde lag -Entwendung einer Packung Doppelherz im Wert von 19,99 DM - und seit der Begehung der gegenständlichen Tat bis zur Berufungshauptverhandlung bereits ein Jahr und zwei Monate vergangen waren, ohne dass der Angeklagte - soweit ersichtlich - erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten wäre.

Zum anderen hat es die Verhängung der (denkgesetzlich kürzesten, vgl. § 38 Abs. 2 StGB) kurzzeitigen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB in erster Linie "im Hinblick auf die einschlägigen Vorstrafen" als unerlässlich angesehen, "zumal auch zwischenzeitlich die Bewährung durch Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz erlassen wurde."

Bei der Berücksichtigung von mehreren "Vorstrafen" lässt die Jugendkammer außer Acht, dass nach ihren eigenen Feststellungen der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 10. Oktober 2001 nur zwei Eintragungen enthält, das Amtsgericht Chemnitz mit seinem Urteil vom 12. November 1997 (7 Ls 450 Js 33753/96) gegen den Angeklagten gerade keine "Vorstrafe" ausgesprochen, sondern ihn nach § 27 JGG ausschließlich schuldig gesprochen sowie die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt hat und dieses Urteil später gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG in das Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 26. November 1998 (9 Ls 470 Js 35703/98) einbezogen worden ist.

Die weitere Erwägung des Landgerichts begründet die Besorgnis, dass es die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe (auch) deshalb für unerlässlich ansah, weil nach seiner Ansicht der Erlass der sechsmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 26. November 1998 angesichts der einschlägigen Rückfälligkeit des Angeklagten zu Unrecht erfolgt war und es diesen Umstand zu seinen Lasten berücksichtigt hat; dies wäre rechtsfehlerhaft.

Angesichts dessen, dass das Landgericht die 2. Alternative des § 47 Abs. 1 StGB nicht erörtert hat und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist, war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch insoweit aufzuheben, als eine Freiheitsstrafe von einem Monat verhängt worden ist.

Der Senat weist darauf hin, dass im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 47 Abs. 1 StPO in der Regel auch zu untersuchen ist, ob eine (eventuell empfindliche) Geldstrafe den Angeklagten genügend beeindrucken kann, um ihn nicht wieder rückfällig werden zu lassen (vgl. OLG Hamm MDR 1970, 779; OLG Frankfurt NJW 1970, 956 [957]) . Dies gilt vorliegend umso mehr, weil auf den Angeklagten - soweit ersichtlich - noch nie versucht worden ist, durch die Verhängung einer Geldstrafe einzuwirken. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten ist nämlich nur dann unerlässlich, wenn die Ahndung der Tat mit einer Geldstrafe keinesfalls ausreichend erscheint, um den Strafzweck der spezialpräventiven Einwirkung auf ihn zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird das Landgericht insbesondere darauf abzustellen haben, ob der Angeklagte seit der Begehung der gegenständlichen Tat weiterhin nicht straffällig geworden ist. Sollte er indes erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten sein, könnte auch nach Auffassung des Senats die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf ihn unerlässlich sein.

2. Die weitergehende Revision war als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

Da der Rechtsfehler außerhalb des Bereichs der Feststellungen liegt, auf denen die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts beruht, konnten die Feststellungen insoweit aufrechterhalten bleiben. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass das Landgericht bei der neuen Verhandlung keine Tatsachen feststellen darf, die den aufrechterhaltenen Feststellungen widersprechen (vgl. Kleinknecht-Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 353 Rdnr. 21). Der erneuten Anhörung eines psychiatrischen Sachverständigen bedarf es danach nicht.

Ende der Entscheidung

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