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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 13.08.2009
Aktenzeichen: 2 Ss 352/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 176 Abs. 4 Nr. 4
"Pornographischen Darstellungen entsprechendes Reden" im Sinne des § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB braucht nicht selbst alle Merkmale des Begriffs "pornographisch" zu erfüllen. Der Tatbestand verlangt lediglich Reden, das pornographischen Darstellungen "entspricht"; eine Einschränkung des Tatbestands auf das im engsten Sinne pornographische Material ist schon deshalb nicht durchführbar, weil es bei dem Reden an einer Verkörperung fehlt. Die Beurteilung, ob das Reden im Einzelfall den Tatbestand erfüllt, hat wertend unter Berücksichtigung der Belange des Jugendschutzes als Schutzzweck des § 176 StGB zu erfolgen.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 2 Ss 352/09

Beschluss

vom 13. August 2009

in der Strafsache gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 19. März 2009 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Am 13. November 2007 verurteilte das Amtsgericht Dresden den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB zu der Freiheitsstrafe von zehn Monaten und setzte die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung aus. Das Landgericht Dresden änderte auf die Berufung des Angeklagten hin mit Urteil vom 19. März 2009 den Rechtsfolgenausspruch und verurteilte ihn zu der Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es ebenfalls zur Bewährung aussetzte. Die weitergehende Berufung des Angeklagten verwarf es, ebenso wie die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft.

Gegen das landgerichtliche Urteil richtet sich die zulässige, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Den Feststellungen des Landgerichts zufolge fuhren die damals beide 11 Jahre alten Kinder T. und C. am Nachmittag des 12. Januar 2006 mit einem Dresdner Linienbus von der Schule nach Hause. Im selben Bus befand sich der Angeklagte.

"Im Bus war ausreichend Platz. Dennoch stellte sich der Angeklagte...mit seiner Vorderseite so dicht neben T., dass diese sich äußerst unangenehm bedrängt fühlte. Der Angeklagte stand etwa zehn Minuten lang trotz ausreichend vorhandenen Platzes so dicht gedrängt bei dem Mädchen, bis er ebenso wie T. und C. an der Haltestelle Ch.-Straße aus dem Bus ausstieg.

Der Angeklagte verließ den Bus als erster, ging aber dann so langsam, damit er, wie von ihm beabsichtigt, nach wenigen Schritten von den beiden Mädchen eingeholt wurde. Als sich T. neben dem Angeklagten und neben ihr wiederum C. befand, wandte sich der Angeklagte an T. und fragte diese leise, aber für sie deutlich wahrnehmbar entweder: "Hast Du meinen "Schwanz" gesehen?" oder "Hast Du meinen Schwanz gespürt?". Nachdem die völlig verblüffte T. dies ängstlich verneint hatte, sagte der Angeklagte zu ihr ebenfalls leise: "Ich hatte ihn doch extra draußen"; was T. wiederum deutlich wahrgenommen hat. Die die Begrifflichkeiten zwar kennende, aber in sexueller Hinsicht völlig unerfahrene T. war dadurch sehr verstört und ging mit ihrer Freundin C. schnell davon. Im Weggehen äußerte der Angeklagte noch in Richtung der beiden Mädchen: "Du hast bestimmt eine schöne Muschi". T., die geschockt war und nur schnell weg wollte, nahm zwar wahr, dass der Angeklagte nochmal was gesagt hatte und ging davon aus, dass es sich um etwas "Sexuelles" handelte, verstand den Wortlaut aber nicht mehr. Ihre Freundin C. verstand dies aber deutlich.

Dem Angeklagten war von Anfang an bewusst, dass T. und C. noch nicht 14 Jahre alt und damit Kinder waren. Er handelte in sexueller Motivation."

Das Landgericht wertete dieses Geschehen, insbesondere die Äußerungen "Hast Du meinen Schwanz gesehen" oder "Hast Du meinen Schwanz gespürt"..."Ich hatte ihn doch extra draußen", als sexuellen Missbrauch der beiden Kinder gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB, weil er auf sie durch Reden, das dem Vorzeigen von pornographischen Abbildungen oder Darstellungen bzw. dem Abspielen von Tonträgern pornographischen Inhalts "entspräche", eingewirkt habe. Diese Würdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Unzweifelhaft waren die festgestellten Äußerungen sexualbezogen und von entsprechender Motivation des Angeklagten - nämlich in der Absicht, sich, das Kind oder einen Dritten sexuell zu erregen - getragen. Zwar erfüllen nicht bereits sämtliche Äußerungen dieser Art gegenüber Kindern den objektiven Tatbestand der Strafvorschrift (so schon BGHSt 1, 168, 174; BGHSt "5,118, 124 zu § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF). Oberflächliche Äußerungen oder lediglich "grob sexuelles" Reden genügen nicht (Laufhütte in LK, 11. Aufl. § 176 Rdnr. 13), selbst wenn sie grob schamlos sind (Renzikowski in MüKo-StGB, § 176 Rdnr. 44).

Der Tatbestand verlangt aber nur "entsprechendes" Reden und berücksichtigt dadurch die Tatsache, dass eine Einschränkung des Tatbestands auf das im engsten Sinne pornographische Material schon deshalb nicht durchführbar wäre (vgl. Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform, 6. Wahlperiode, S. 1507 ff.; Horstkotte ebenda S. 1508), weil es bei dem Reden an einer Verkörperung fehlt. Auch braucht das "pornographischen Darstellungen entsprechende" Reden nicht selbst alle Merkmale des Begriffs "pornographisch" zu erfüllen (BGHSt 29, 29). Daher kommt es entgegen der Ansicht des Revisionsführers bei dem Reden gerade nicht auf eine Schilderung sexueller Vorgänge in übersteigerter, anreisserischer Weise an und bedarf keiner abschließenden Definition dieses Begriffes (vgl. dazu Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 184 Rdnr. 5, 5a).

Maßgeblich für die Erfüllung des strafrechtlichen Tatbestands ist allein, dass die Äußerung nach ihrer Art und Intensität pornographischem Material entspricht, wobei ein "Einwirken" durch solches Reden eine Einflussnahme tiefergehender Art verlangt (Horstkotte a.a.O. 46. Sitzung S. 1510; BGH bei Dallinger MDR 1974, 546; BGH NJW 1976, 1984; BGH NJW 1980, 791; BGH NStZ 1991, 485). Der Senat vertritt dabei die Ansicht, dass die Beurteilung, ob das Reden "nach seiner Art und Intensität pornographischem Material entspricht", wertend unter Berücksichtigung der Belange des Jugendschutzes als Schutzzweck des § 176 StGB zu erfolgen hat.

Diese an die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB zu stellenden Anforderungen sind mit den gezielt an die Kinder gerichteten Sätzen "Hast Du meinen Schwanz gesehen? Ich hatte in doch extra draußen" erfüllt - selbst unter Außerachtlassung aller vom Landgericht ergänzend herangezogenen Verhaltensweisen des Angeklagten, wie "das mehrminütige dichte Herantreten im Bus", die langsame Gehgeschwindigkeit nach dem Aussteigen sowie seine abschließende Äußerung "Du hast bestimmt eine schöne Muschi". Sexualbezogenheit der Worte allein reicht zwar, wie die Revision zu Recht betont, nicht aus. Hier aber ist eine Konfrontation der Kinder mit vulgär-sexuell gefärbtem Reden ("Schwanz sehen") unter Verstärkung dieser sexuellen Tendenz ("extra draußen") verwirklicht. Die damit bei den Kindern assozierte Vorstellung von einem Mann, der ihnen absichtlich sein aus der Hose hängendes Glied zeigt, verletzt das durch § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB geschützte Rechtsgut einer von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörten Kindesentwicklung.

2. Auch hat das Landgericht einen tiefergehenden Einfluss der Redensarten auf beide Kinder im Sinne eines "Einwirkens" festgestellt; während C . noch am Ende des Schulheimwegs verstört und verängstigt war (UA S. 10), war T. über den augenblicklichen Schrecken hinaus noch längere Zeit von dem Erlebnis beeinflusst, litt zwei Wochen an Angstzuständen, Albträumen und hatte Angst, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren (UA S. 9/10).

III.

Die Feststellungen tragen den Schuldspruch; die revisionsrechtliche Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat gleichfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Sein Rechtsmittel war daher insgesamt als unbegründet zu verwerfen.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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