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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 29.11.2004
Aktenzeichen: 2 U 1507/04
Rechtsgebiete: EStG, HGB


Vorschriften:

EStG § 36
HGB § 109
Der Gesellschafter einer in Insolvenz befindlichen Personenhandelsgesellschaft ist aus seiner gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht heraus gehalten, die zu Lasten der Masse abgeführten Zahlungen auf die Kapitalertragssteuer und auf den Solidaritätszuschlag als anzurechnenden Zinsabschlag in die Einkommenssteuererklärung einzustellen. Unterlässt er dies, erwächst der Gesellschaft gegen ihn ein Schadenersatzanspruch in Höhe der abgeführten Beträge.
Oberlandesgericht Dresden Beschluss

des 2. Zivilsenats

vom 29.11.2004

Aktenzeichen: 2 U 1507/04

In dem Rechtsstreit

wegen gesellschaftsrechtlicher Forderung

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hxxxxxxxx, Richterin am Oberlandesgericht Bxxxxx und Richterin am Landgericht Dr. Sxxxxxxxxxx

beschlossen:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 16.07.2004 - 4 O 5779/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

- Streitwert der Berufung: EUR 7.227,27 -

Gründe:

Die Berufung der Beklagten war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen, da sie im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg bietet und eine Entscheidung durch mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.

I.

Die Beklagte ist wegen einer Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gehalten, der Klägerin als Schadensersatz EUR 7.227,27 nebst erstinstanzlich zugesprochener Zinsen zu bezahlen.

1. Die Beklagte war als Alleinerbin des am 14.09.1996 verstorbenen Kommanditisten Hxxxxxx Kxxxxxxxxx der Gemeinschuldnerin gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 43 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.V.m. § 2 Nr. 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Schuldnerin der auf die Zinseinkünfte der Masse zu entrichtenden Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlages. Hiermit einhergehend sind die zu Lasten der - an den Zinserträgen berechtigten (vgl. BFHE 176, 248 [250 f.]) - Masse abgeführte Kapitalertragsteuer sowie der Solidaritätszuschlag einkommensteuerrechtlich als inländischer Zinsabschlag der Beklagten zu behandeln und damit entweder auf deren Einkommensteuerschuld anzurechnen oder aber bei einem Überschuss an diese auszukehren (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 4 EStG; zusammenfassende Darstellung bei: Onusseit/Kunz, Steuern in der Insolvenz, 2. Aufl., Rn. 572 ff.).

2. Angesichts der sich daraus ergebenden Diskrepanz zwischen der zivilrechtlichen Gläubigerstellung an den Zinsforderungen und der steuerlichen Zurechnung der abgeführten Steuerbeträge oblag es der Beklagten, die zu ihren Gunsten abgeführten Steuerbeträge als anzurechnenden Zinsabschlag in ihre Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1997 bis 2001 einzustellen und den hierdurch erlangten Steuervorteil an die Klägerin auszukehren (vgl. LG Freiburg NZI 2000, 87 [88]; LG Hildesheim, Urteil vom 11.05.2004 - 3 O 527/03 -; Onusseit, EWiR 1999, 1169 f.; im Ergebnis ebenso: BFH ZIP 1995, 1275 [1277]; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 18.03.2004 - 4 K 3137/02 -; Schöne/Ley, DB 1993, 1405 [1410]).

a) Die dargelegte steuerrechtliche Situation führte zu einer mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen unvereinbaren Verlagerung von Gesellschaftsvermögen auf die Beklagte und war damit unter gesellschaftsrechtlichem Blickwinkel systemfremd.

(aa) Die Abführung der Steuerbeträge hat unabhängig davon zu einer Mehrung des Vermögens der Beklagten geführt, dass diese den mit dem Zinsabschlag erlangten Steuervorteil mangels Abgabe von Einkommenssteuererklärungen faktisch nicht realisiert hat.

(bb) Die hierdurch bei der persönlichen Einkommenssteuerlast entstandenen Vorteile erfolgten ohne gesellschaftsrechtliche Grundlage.

(1) Die Mehrung des Gesellschaftervermögens kann nicht - wie vereinzelt erwogen (vgl. LG Freiburg a.a.O.; LG Hildesheim a.a.O.) - im gesellschaftsrechtlichen Sinne als Entnahme verstanden werden, da ihr jedes voluntative Element sowohl auf Seiten der Klägerin als auch und erst recht, auf Seiten der Beklagten fehlt. Daher sind auf die vorliegende Sachlage auch nicht jene Grundsätze übertragbar, die im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.01.1995 - II ZR 42/94 - (ZIP 1995, 462 [464 f.]) zu abgeführten Kapitalertragsteuerbeträgen auf - infolge eines Gewinnverwendungsbeschlusses - ausgeschüttete Gewinne einer Kapitalgesellschaft entwickelt worden sind.

Im Übrigen wäre ein Rechtsgrund für die Erlangung der mit dem Zinsabschlag verbundenen wirtschaftlichen Vorteile selbst dann nicht erkennbar, wenn dieser im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Beklagten einer Entnahme gleichgestellt würde.

(2) Auch fehlte es bei der Abführung von Kapitalertragsteuer zu Lasten der Masse an jedweder sonstigen gesellschaftsrechtlichen Legitimation für eine Verlagerung des Gesellschaftsvermögens auf den Gesellschafter.

b) Allein nach gesellschaftsrechtlichen Kriterien kann sich aber bestimmen, ob und in welchem Umfang die Beklagte berechtigt sein konnte, aus der Masse Vermögen zu empfangen (vgl. BGH ZIP 1995, 462 [464 f.]).

Die Binnen-Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und der Beklagten werden ausschließlich durch das Gesellschaftsrecht geprägt, sodass nach diesem zu beurteilen ist, ob und in welchem Umfang Gesellschaftsvermögen der Beklagten zufließen und inwieweit sie eine solche Vermögensmehrung zu Lasten des Gesellschaftsvermögens behalten darf. Dies gilt selbst dann, wenn - wie vorliegend - die Vermögensverschiebung kraft Gesetzes zu erfolgen hat, dieser normativen Pflicht aber erkennbar keine gesellschaftsrechtliche Zielrichtung innewohnt.

c) Der Klägerin stand auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um das der Gesellschaft entzogene Vermögen wieder der Masse zuzuführen.

aa) Aus steuerrechtlichen Gründen konnte die Klägerin weder eine Nicht-Veranlagungsbescheinigung noch eine Freistellungsbescheinigung für die Zinsabschlagsteuer nach § 44a Abs. 1 und 4 EStG erlangen (vgl. BFHE 176, 248 [249 f.], BFH, Urteil vom 18.09.1996 - I R 56/95 -; Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 06.04.1995 - 1 K 465/95 - [Verfassungsbeschwerde gegen die letztgenannten Entscheidungen durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.1997 - 2 BvR 54/97 - zurückgewiesen]; Welzel, DStZ 1993, 197 [200]; Maus, ZIP 1993, 74 [746]). Ebenso wenig war der Klägerin eröffnet, an Stelle der Beklagten die - zur Anrechnung der Kapitalertragsteuer erforderlichen - Einkommensteuererklärungen abzugeben.

bb) Der Beklagten kann des Weiteren nicht darin beigetreten werden, dass sich die Klägerin auf einen aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht abzuleitenden Anspruch auf Abtretung etwaiger Steuererstattungsansprüche hätte verweisen lassen müssen.

(1) Dem steht bereits entgegen, dass zwischen dem der Gesellschaft durch die Abführung der Kapitalertragssteuer und des Solidaritätszuschlags entstandenen Vermögensnachteil einerseits sowie einem etwaigen Anspruch des Gesellschafters auf Steuererstattung andererseits zumindest in aller Regel keine betragsmäßige Identität besteht, da Grund und Höhe des Erstattungsanspruches von den konkreten steuerlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen abhängen und die abgeführten Beträge insoweit einen bloßen Rechnungsposten bilden.

(2) Dies gilt selbst dann, wenn der Beklagten - wie diese behauptet - in Höhe der abgeführten Steuerbeträge Erstattungsansprüche erwachsen sein sollten.

Zwar hätten diese nach näherer Maßgabe von § 46 Abs. 1 bis 3 AO, § 36 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums abgetreten werden können (vgl. Heinike, in: Schmidt, EStG, 23. Aufl., § 36 Rn. 57 m.w.N.; Kruse/Drüen, in: Tipke/Kruse, Abgabeordnung, § 37 Rn. 45 und § 46 Rn. 7). Aber selbst bei einer Zession wäre der Erstattungsanspruch für die Klägerin faktisch nicht wirkungsvoll durchzusetzen gewesen. Zum einen wäre die Klägerin auch im Falle einer Abtretung nicht befugt gewesen, an Stelle der Beklagten ein Steuerfestsetzungsverfahren einzuleiten (vgl. für Pfändungsgläubiger: BFHE 191, 311 [313 f.]; BFHE 187,1 [5 ff.]; BGHZ 157, 195 [198 ff.]). Zum anderen kannte die Klägerin die steuerlichen Verhältnisse der Beklagten nicht und hätte sich daher sämtliche Informationen und Unterlagen von der Beklagten beschaffen müssen. Damit wäre aber auch für diese im Ergebnis mit dem von ihr in Betracht gezogenen Vorgehen nichts Wesentliches gewonnen gewesen, da der Aufwand für eine sachdienliche Unterrichtung der Klägerin nicht spürbar unter jenem für die Abgabe einer Einkommenssteuererklärung gelegen hätte.

cc) Als steuerrechtlich einzig praktikabler Weg zur Rückführung des der Beklagten gesellschaftswidrig zugeflossenen Vorteils wäre deshalb verblieben, dass diese den Zinsabschlag durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung wirtschaftlich realisiert und dann an die Masse ausgekehrt hätte.

d) Bei Abwägung der beiderseitigen Belange wären die hiermit für die Beklagte verbundenen Belastungen auch zumutbar gewesen, zumal sie hinsichtlich der Jahre 1997 bis 2000, in denen sie bereits Einkommensteuererklärungen abgegeben hatte, lediglich nach näherer Maßgabe von § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 172 Abs. 1 Nr. 2d, § 169 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 AO eine Änderung der Steuerbescheide hätte beantragen müssen und die Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 mangels sonstiger einkommensteuerrechtlich relevanter Vorgänge einen eher moderaten Aufwand bedingt hätte. Wäre aber die Beklagte durch eine Abgabe von Einkommensteuererklärungen nur in sehr begrenztem Umfange belastet worden und hätte die Klägerin nur bei einer entsprechenden Mitwirkung der Beklagten die zu Lasten der Masse abgeführten Kapitalertragsteuerbeträge von immerhin EUR 7.227,27 (einschließlich Solidaritätszuschlag) wieder der Masse zuführen können, bestand bei Abwägung der wechselseitigen Belange aus der - durch die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht berührten - gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht heraus eine entsprechende Mitwirkungsobliegenheit.

3. Gegen diese hat die Beklagte verstoßen, indem sie nicht binnen angemessener Frist dem Finanzamt Pxxxx gegenüber jene steuerlichen Erklärungen abgegeben hat, die ihr gesellschaftsrechtlich oblagen.

4. Infolge der Verletzung dieser Pflicht entstand der Klägerin zumindest im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Vermögensnachteil in Höhe der Klageforderung, da die Beklagte bei pflichtgemäßem Vorgehen die abgeführte Kapitalertragsteuer und den anteiligen Solidaritätszuschlag vom Finanzamt Pxxxx bis Anfang Oktober 2003 erstattet erhalten hätte.

5. Ob die Beklagte die ihr im Falle eines pflichtgemäßen Vorgehens entstandenen notwendigen Aufwendungen, wie etwa Steuerberatungskosten, vom Erstattungsbetrag hätte in Abzug bringen dürfen, kann dahinstehen.

II.

Der Senat sieht sich an einer Beschlussfassung nach § 522 Abs. 2 ZPO auch nicht durch § 522 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 ZPO gehindert.

Zwar wurde im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.01.1995 - II ZR 42/94 (ZIP 1995, 462 ff.) die Auskehrungspflicht auf die dem Gesellschafter auf Grund der abgeführten Kapitalertragsteuer tatsächlich erstatteten Beträge begrenzt. Dies beruhte aber allein darauf, dass die auf ausgeschüttete Gewinne der Kapitalgesellschaft abgeführte Kapitalertragsteuer statuarisch als Entnahme zu behandeln war und nach der Satzung eine Entnahmebefugnis nur in Höhe der persönlichen Steuer zugebilligt wurde. Damit weicht der Senat aber mit der dargelegten Sicht nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, sondern befindet sich mit dieser insoweit in Einklang, als sich nach den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen zu beurteilen hat, ob die mit dem Zinsabschlag verbundene Verlagerung von Gesellschaftsvermögen beim Gesellschafter zu verbleiben hat oder nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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