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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 11.12.2001
Aktenzeichen: 2 W 1848/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 57 Abs. 2
BGB § 29
Bei einer Klage gegen eine über keinen Geschäftsführer verfügenden GmbH kommt der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO Vorrang vor einer Notgeschäftsführerbestellung nach § 29 BGB analog zu.
Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 2 W 1848/01

des 2. Zivilsenats

vom 11.12.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Werklohnforderung hier: Bestellung eines Prozesspflegers

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vizepräsident des Oberlandesgerichts H., Richterin am Landgericht B. und Richterin am Landgericht E.

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 24.10.2001 - 6 O 2066/01 - aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an das Landgericht Leipzig

zurückverwiesen.

- Gegenstandswert der Beschwerde: DM 19.762,52 -

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde dagegen, dass das Landgericht ihren Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers zur Durchführung einer Klage gegen die - derzeit über kein Vertretungsorgan verfügende - Beklagte zurückgewiesen hat.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und führt in analoger Anwendung von § 539 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz, da diese die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO verfahrensfehlerhaft versagt hat.

1. Keiner abschließenden Entscheidung bedarf dabei, wie sich § 57 ZPO und § 29 BGB analog zueinander bei einem von einer prozessunfähigen juristischen Person betriebenen Aktivprozess oder bei Rechtsstreitigkeiten zwischen der juristischen Person und ihren Mitgliedern bzw. Gesellschaftern verhalten (vgl. BayObLGZ 1998, 179 [184]; OLG Zweibrücken ZIP 2001, 973 [974]; KG BB 2000, 998 [999]; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rn. 8)

2. Zumindest bei einem von einem sonstigen Gläubiger gegen die prozessunfähige juristische Person gerichteten Rechtsstreit kann eine Beschlussfassung nach § 57 Abs. 2 ZPO nicht unter Hinweis auf ein mögliches Vorgehen nach § 29 BGB analog abgelehnt werden.

a) Das jedes hoheitliche Handeln prägende Verhältnis- mäßigkeitsgebot gebietet, bei derartigen Sachlagen von der Einsetzung eines Notgeschäftsführers Abstand zu nehmen.

aa) Die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO ist für die Gesellschaft weit weniger einschneidend als die gerichtliche Bestellung eines Vertretungsorgans.

So hätte etwa die vom Landgericht für notwendig erachtete Berufung eines Notgeschäftsführers zur Folge, dass ohne entsprechenden Willen der Gesellschafter ein Dritter die Beklagte uneingeschränkt rechtsgeschäftlich verpflichten könnte und in sämtliche Einzelheiten ihres Geschäftsbetriebs, einschließlich sämtlicher Betriebsgeheimnisse, Einblick erlangte. Auch hätte ein Notgeschäftsführer von der Beklagten eine ungleich höhere Vergütung als ein Prozesspfleger zu beanspruchen, da ihm sämtliche den Geschäftsführer einer GmbH treffenden Pflichten, alle über § 31 BGB vermittelten deliktischen Verantwortlichkeiten inbegriffen, oblägen.

bb) Diese nachhaltigen Eingriffe in originäre statuarische und normative Befugnisse der Gesellschafter sind nicht durch anerkennenswerte Belange des Gläubigers zu rechtfertigen, da für dessen sachgerechte Rechtsverfolgung die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 57 Abs. 2 ZPO ohne Weiteres genügt (im Ergebnis ebenso: OLG Stuttgart MDR 1996, 198; Münchener Kommentar/Reuter, BGB, 4. Aufl., § 29 Rn. 11; Erman/H.P.Westermann, BGB, 10. Aufl., § 29 Rn. 2; für Insolvenzverfahren: Kulzer, ZIP 2000, 654 [655]; tendenziell auch: OLG Zweibrücken ZIP 2001, 973 [975]).

b) Dieses Verständnis der Wechselwirkungen zwischen § 57 Abs. 2 ZPO einerseits und § 29 BGB analog andererseits wird auch dem Willen des historischen Gesetzgebers gerecht, der davon ausgegangen ist, dass bei einer gegen die juristische Person gerichteten Klage einem Vorgehen nach § 57 ZPO Vorrang vor der gerichtlichen Bestellung eines Vertretungsorganes gebührt (vgl. Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches, I. Band, S. 407)

c) Die gegenteilige Sicht (vgl. BayObLGZ 1998, 179 [184]; KG BB 2000, 998 [999]; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rn. 8; jeweils m.w.N.) vermag hingegen nicht aufzuzeigen, welche Vorteile die gerichtliche Einsetzung eines Vertretungsorganes mit sich bringen soll. Insbesondere lässt sich die weit höhere Eingriffsintensität des von der Vorinstanz für erforderlich erachteten Weges nicht damit rechtfertigen, dass in einem dem Erkenntnisverfahren etwa nachfolgenden Vollstreckungsverfahren Situationen eintreten können, bei denen der Gläubiger auf die Bestellung eines Notgeschäftsführers angewiesen sein mag.

3. Kann aber die Klägerin auf eine Notgeschäftsführerbe- stellung nach § 29 BGB analog nicht verwiesen werden, ist ihr gemäß § 57 Abs. 2 ZPO ein Prozesspfleger zu bestellen. Es ist auf absehbare Zeit nicht damit zu rechnen, dass die Beklagte durch einen Beschluss ihrer Gesellschafterversammlung ein Vertretungsorgan erlangen wird. Die hiermit verbundene Gefahr in Verzug wird entgegen den Erwägungen im landgerichtlichen Nichtabhilfebeschluss vom 26.11.2001 auch nicht dadurch gehindert, dass es der Beklagten ohne einen gesetzlichen Vertreter nicht ohne Weiteres möglich sein mag, ihr Vermögen zu veräußern.

Ende der Entscheidung

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