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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 08.07.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 277/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 2 Abs. 1
StGB § 2 Abs. 3
StGB § 57 Abs. 5 Satz 2
§ 57 Abs. 5 Satz 2 StGB kann wegen des Rückwirkungsverbotes des § 2 Abs. 1 und 3 StGB nicht auf Fälle angewendet werden, in denen die Anlasstat vor Inkrafttreten des 2. Justizmodernisierungsgesetzes (31. Dezember 2006) begangen worden ist.
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 277/09

Beschluss

vom 08. Juli 2009

in der Strafvollstreckungssache

wegen Einschleusens von Ausländern

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bautzen vom 28. April 2009 aufgehoben.

2. Es wird abgelehnt, die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dresden vom 24. Januar 2008, Az.: StVK 57/2008, zu widerrufen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Ingolstadt hatte gegen den Verurteilten am 29. Januar 2001 wegen Einschleusens von Ausländern eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 11. Mai 2004 hatte das Amtsgericht Ingolstadt die Strafaussetzung widerrufen, weil gegen den Verurteilten am 08. April 2003 ein Haftbefehl in einer anderen, nicht näher bezeichneten Strafsache ergangen war. Die Strafe wurde nach Festnahme des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Dresden vollstreckt.

Mit Beschluss vom 24. Januar 2008 (StVK 57/2008) hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dresden die Vollstreckung des letzten Drittels der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Bewährungszeit von drei Jahren bestimmt. Der Verurteilte wurde sodann am 02. März 2008 in dieser Sache aus der Strafhaft entlassen. Er wurde jedoch nicht auf freien Fuß gesetzt, weil nunmehr gegen ihn Untersuchungshaft in einer anderen Strafsache vollzogen wurde. In diesem Strafverfahren verhängte das Landgericht Nürnberg-Fürth am 27. Januar 2009 gegen den Verurteilten wegen gemeinschaftlichen Betruges in 22 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Sämtliche zugrundeliegenden Taten waren im Jahr 2005 begangen worden.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. April 2009 die mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dresden vom 24. Januar 2008 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 5 Satz 2 StGB widerrufen. Das Landgericht Dresden habe bei seiner Entscheidung aufgrund der Unschuldsvermutung zu Gunsten des Verurteilten nicht berücksichtigen können, dass er wegen Betruges verfolgt wurde. Wäre die Strafverfolgung bereits zum damaligen Zeitpunkt durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen gewesen, so hätte das Landgericht Dresden den Rest der zu vollstreckenden Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen den Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Ablehnung des Antrags auf Widerruf der Strafaussetzung.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung liegen nicht vor. Der Widerruf kann nicht auf die im Jahr 2005 begangenen Taten des Verurteilten gestützt werden.

Zwar geht die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bautzen in ihrer angefochtenen Entscheidung zu Recht davon aus, dass zum heutigen Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 57 Abs. 5 Satz 2 StGB seinem Wortlaut nach erfüllt sind. Denn die neuen Taten sind nach der Verurteilung durch das Amtsgericht Ingolstadt und vor der Strafaussetzungsentscheidung durch das Landgericht Dresden begangen worden. Zudem spricht der Inhalt der vorgelegten Akten dafür, dass die im Jahr 2005 begangenen Taten zum Zeitpunkt des Aussetzungsbeschlusses des Landgerichts Dresden entweder der Strafvollstreckungskammer noch gar nicht bekannt waren oder aber - wie das Landgericht Bautzen annimmt - mit Blick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. BT-Drs. 16/3038, S. 58; Fischer, StGB 56. Aufl. § 57 Rdnr. 43 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall steht einem Widerruf der Strafaussetzung jedoch entgegen, dass § 57 Abs. 5 Satz 2 StGB erst nach Begehung der Taten im Jahr 2005 durch Art. 22 Nr. 3 Buchst. b des Gesetzes vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I 3416; 2. Justizmodernisierungsgesetz) mit Wirkung vom 31. Dezember 2006 (Art. 28 Abs. 1 2. Justizmodernisierungsgesetz) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden ist.

§ 57 Abs. 5 Satz 2 StGB kann deshalb wegen des Rückwirkungsverbotes entsprechend § 2 Abs. 1 und 3 StGB nicht angewendet werden. Denn auch wenn durch § 57 Abs. 5 Satz 2 StGB eine Strafe oder sonstige Maßnahme für eine begangene Tat nicht neu festgesetzt wird, hat die Vorschrift doch zumindest teilweise auch einen materiell-rechtlichen Gehalt, weil Sie mittelbar die Folgen einer neuen Straftat regelt, und unterliegt damit dem Rückwirkungsverbot des § 2 StGB, das für den gesamten Bereich materiell-rechtlicher Regelungen im Strafrecht gilt (vgl. OLG Stuttgart StV 2008, 37 m.w.N.; Fischer, § 57 Rdnr. 42; OLG Dresden StV 2008, 313. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2008, 91 m.w.N. (jeweils für § 56 f Abs. 1 Satz 2 StGB)).

III.

Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde trägt in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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