Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 11.09.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 409/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 68 b Abs. 1 Nr. 3
Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68 b StGB unterliegen immanenten Schranken, die sich sowohl aus dem spezialpräventiven Zweck der Führungsaufsicht als auch aus dem notwendig inneren Bezug der Weisung zur jeweils zugrundeliegenden Straftat ergeben; das Überschreiten dieser immanenten Beschränkung stellt einen Weisungsfehlgebrauch dar und führt zur Gesetzeswidrigkeit.
Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 409/09

Beschluss

vom 11. September 2009

in der Führungsaufsichtssache gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

hier: nachträgliche Weisung bei der Führungsaufsicht

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig in Döbeln vom 03. Juni 2009 aufgehoben.

2. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 13. August 2008 wird abgelehnt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Der Beschwerdeführer war am 28. März 2002 vom Landgericht Leipzig wegen Beischlafs zwischen Verwandten und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Die Taten geschahen von Juni 1997 bis September 2001 zum Nachteil seiner beiden heute 27 Jahre bzw. 21 Jahre alten, jetzt jeweils einen eigenen Hausstand führenden leiblichen Töchter M. (geboren 1982) und Ma. (geboren 1988) in deren 15. bis 17. Lebensjahr (M.) bzw. 13. Lebensjahr (Ma.). Die Strafe hatte der Beschwerdeführer bis zum 11. Oktober 2007 vollständig verbüßt.

Mit Beschluss vom 03. September 2007, bestätigt durch Senatsbeschluss vom 15. Januar 2008 (Az.: 2 Ws 479/07), stellte die zuständige Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig in Döbeln den gesetzlichen Eintritt der Führungsaufsicht fest (§ 68 f Abs. 1 S. 1 StGB). Zugleich erteilte sie dem aus der Haft Entlassenen Weisungen zur Lebensführung gemäß § 68 b Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Diesen Weisungen kommt der Verurteilte den Berichten seiner Bewährungshelferin zufolge nach.

Kontakt zur jüngeren Tochter Ma. hat der Beschwerdeführer nicht. Zwischen ihm und seiner älteren Tochter M. gibt es Meinungsverschiedenheiten über die Erziehung und die Hygiene der leiblichen Kinder seiner Tochter. Der Verurteilte ist der Meinung, die Tochter sei mit der Kindeserziehung überfordert. Nach einem Bericht der Bewährungshilfe vom 29. August 2008 "befindet er sich im fast ständigen Streit mit seinen Kindern und hier vor allem mit seiner ältesten Tochter. Die beiden streiten und vertragen sich im Wechsel. Wenn sie streiten, zeigen sie sich gegenseitig an. Die Streitigkeiten werden dabei generell über die drei Kinder der Tochter ausgetragen. Momentan versucht Herr K., der Tochter das Sorgerecht für die drei Kinder entziehen zu lassen. Dass die Tochter tatsächlich mit der Erziehung ihrer drei Kinder oft überfordert ist, ist mir bekannt. Auch sie selbst erkennt dieses Problem...."

Das in den Fall eingeschaltete Jugendamt der Stadt Leipzig hat Kenntnis von der Vorstrafe des Beschwerdeführers. Mit Schreiben vom 05. September 2008 an die Führungsaufsichtstelle teilt es mit, dass die vom Beschwerdeführer angezeigte Kindeswohlgefährdung sich bei Kontrollbesuchen nicht bestätigt habe. In die Erziehung der drei Kinder sei der Beschwerdeführer nicht einbezogen. Überdies sei die Familie (der Tochter) belehrt, dass Umgangskontakte zwischen den Kindern und ihrem Großvater, dem Beschwerdeführer, nur unter Aufsicht erfolgen dürften.

Mit weiterem Schreiben vom 23. Dezember 2008 berichtet die Bewährungshelferin von einer vom Amtsgericht Leipzig zivilgerichtlich erlassenen einstweiligen Verfügung eines dreimonatigen Kontaktverbots, das die Tochter gegen den Beschwerdeführer erwirkt habe.

Aufgrund dieser Streitigkeiten sah sich die Führungsaufsichtsstelle veranlasst, im Rahmen der Maßregel auf eine Weisungsergänzung durch die Staatsanwaltschaft hinzuwirken. Dem Verurteilten solle verboten werden, "zu seinen Töchtern sowie deren Kindern von sich aus weder postalisch, telefonisch noch persönlich Kontakt aufzunehmen und sich ihnen und ihrem Wohnbereich in einem Umkreis von 500 m zu nähern (§ 68 b Abs. 1 Nr. 3 StGB)." Es bestehe nach Auffassung der Führungsaufsichtsstelle ein "deutliches Gefährdungspotential" hinsichtlich der Sicherheit seiner Töchter. Die angeregte Weisung diene dem Opferschutz.

Andererseits regte die Bewährungshelferin ergänzend in einem Schreiben vom 17. März 2009 gegenüber der Strafvollstreckungskammer an zu prüfen, "inwieweit die Möglichkeit besteht, auch die Töchter anzuweisen, sich vom Vater fernzuhalten, da zumindest die Tochter M. den Vater sonst auch "vertreiben" würde."

Mit Beschluss vom 03. Juni 2009 erteilte die Strafvollstreckungskammer schließlich dem Verurteilten die ergänzende Weisung, "zu seinen Töchtern...sowie deren Kindern keine Kontakt aufzunehmen, weder persönlich noch telefonisch noch per Post (§ 68 b Abs. 1 Nr. 3 StGB)." Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verurteilten vom 18. Juni 2009, der die Strafvollstreckungskammer nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält das Rechtsmittel für unbegründet.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Nach §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO hat der Senat die angefochtene Weisung allerdings nur darauf zu überprüfen, ob sie gesetzeswidrig ist. Eine Gesetzeswidrigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die Weisung im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (std. Rechtsprechung; vgl. Appl in KK-StPO, 6. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 453 Rdnr. 12; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. § 453 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei der Regel, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewährungsanordnungen).

Gemessen hieran hat die vorliegend angefochtene Weisung keinen Bestand. Sie löst sich von ihrer gesetzlichen Aufgabe, als spezifisches Instrument der Führungsaufsicht spezialpräventiv auf den Betroffenen einzuwirken, um der Gefahr weiterer Straftaten entgegenzuwirken. Mit der Überschreitung dieser immanenten Beschränkung, die sich aus dem Zweck der Führungsaufsicht ergibt, liegt Gesetzeswidrigkeit vor.

a) Die der Strafvollstreckungskammer überlassene Gestaltungsfreiheit bezüglich der Weisungen ist dadurch begrenzt, dass sie nicht Ungesetzliches verlangen dürfen, die Voraussetzungen besonders geregelter Rechtsfolgen nicht unterlaufen und an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen stellen dürfen (§ 68 b Abs. 3 StGB).

Im Maßregelrecht - und damit auch in ihrer weisungsmäßigen Ausgestaltung - gilt deshalb das verfassungsrechtlich aus dem Übermaßverbot herzuleitende Subsidiaritätsprinzip. Die Einschränkung der Lebensführung eines Betroffenen (auch unter Berücksichtigung der Überwachungskomponente der Führungsaufsicht) hat sich stets daran zu orientieren (vgl. § 68 b Abs. 3 StGB), nur das zur Zweckerreichung Unerlässliche anzuordnen (vgl. hierzu LK-Schöch, StGB 12. Aufl., Vor § 61 Rdnr. 74 f., m.w.N.)

Denn die Führungsaufsicht nach § 68 f StGB hat die Aufgabe, (rückfall)gefährdete und deshalb für die Allgemeinheit gefährliche Täter in ihrer Lebensführung in Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (BVerfGE 55, 28, 29). Führungsaufsicht soll damit nicht nur Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit geben, sondern auch den Verurteilten führen und überwachen. Wenn diese umfassende Sozialisierungshilfe wirksam sein soll, setzt dies Weisungen voraus, die auf den Täter, die Tat(en), deretwegen er verurteilt wurde, und - damit zusammenhängend - auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten möglichst genau abgestimmt sind (std. Rechtsprechung des Senats).

b) Ein richterlich angeordnetes Personenkontaktverbot (Weisung nach § 68 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) dient unmittelbar der Straftatverhütung. Die mit dem Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht vom 13. April 2007 (BGBl. I, 513 ff.) eingefügte Möglichkeit, den Kontakt "zur verletzten Person" zu unterbinden oder einzuschränken, dient überdies dem konkreten Opferschutzinteresse (Begr. BTDrucks. 16/1993, S. 18). Letzteres allerdings im Lichte der begangenen maßregelbegründenden Straftat.

Das im konkreten Fall angeordnete Kontaktverbot hingegen löst sich von seinem inneren Bezug zur grundlegenden Straftat. Es dient nicht mehr dem Opferschutz im Sinne des § 68 b Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern unterläuft die vorliegend allein gegebene familien-/zivilgerichtliche Zuständigkeit. Damit aber hat die Strafvollstreckungskammer ihre Weisungsmöglichkeit nach Führungsaufsichtsrecht sachfremd zur Gestaltung eines (bestrittenen !) zivilrechtlich zu prüfenden Unterlassungsanspruchs überschritten. Sie hat die immanente Beschränkung der Weisung, die sich aus der maßregelbegründenen Straftat ergibt, nicht beachtet.

Die mittlerweile 27 Jahre alte, mit eigener Familie selbständig einen Hausstand führende Tochter ist nicht in der Gefahr, erneut Opfer einer Straftat nach §§ 174 ff. StGB zu werden. Anhaltspunkte für die Gefahr eines Übergriffs des Beschwerdeführers auf seine Enkelkinder liegen nicht vor; sie sind angesichts der Einschaltung des Jugendamts auch nicht naheliegend zu befürchten. Die hier vorliegenden Meinungsverschiedenheiten, die zwischen den erwachsenen Beteiligten herrschen, sind vielmehr innerfamiliär ohne engeren Bezug zu den damaligen Straftaten. Sie haben ihren Schwerpunkt allein im Zivilrecht. Der Beschwerdeführer bestreitet die Berechtigung der zivilrechtlich erwirkten einstweiligen Anordnung; zuständig zur Klärung und zur Bestätigung (oder Aufhebung) der Untersagungsverfügung nach §§ 823, 1004 BGB sind daher - wie auch bereits geschehen - die Zivilgerichte.

Soweit die anregende Führungsaufsichtsstelle meint, der Beschwerdeführer sei "bestrebt, in gewisser Weise auch die Kontrolle über das Leben seiner Tochter, seinem ehemaligen Opfer, zu erlangen", hat sie nicht bedacht, dass es zu vermeiden gilt, einen Verurteilten in seinem sozialen Ambiente zu diskreditieren und ihm Statusverletzungen zuzufügen, die ihn in seiner persönlichen Stabilität eher verunsichern als stützen (NK-Frehse/Ostendorf, StGB 2. Auflage § 68 b Randnr. 5). Jede per Weisung gegebene Verhaltensvorschrift begründet eine zusätzliche Versagensmöglichkeit. Der hier konkret vorliegende (Zivilrechts)Streit ohne engeren Straftatbezug zwischen Vater und erwachsener Tochter ist daher für führungsaufsichtsrechtliche - zumal strafbewehrte (§ 145 a StGB) -Weisungen nicht tauglich.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt in Ermangelung eines anderen Kostenschuldners die Staatskasse; die Auslagenentscheidung folgt der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück