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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 01.09.2009
Aktenzeichen: 20 WF 751/09
Rechtsgebiete: RVG, ZPO


Vorschriften:

RVG § 55
RVG § 59
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1 b
ZPO § 123
ZPO § 126
Die Staatskasse kann die nach § 59 Abs. 1 RVG auf sie übergegangenen Vergütungsansprüche eines beigeordneten Rechtsanwalts gegen den Gegner geltend machen, auch wenn diesem ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist.
Oberlandesgericht Dresden 20. Zivilsenat - Familiensenat

Aktenzeichen: 20 WF 751/09

Beschluss

vom 01.09.2009

In der Familiensache

wegen Kostenansatz

hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Möhring, Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski und Richter am Oberlandesgericht Angermann

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hohenstein-Ernstthal vom 15. Mai 2005 wie folgt abgeändert:

Die Erinnerung der Beklagten gegen die Kostenrechnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hohenstein-Ernstthal vom 22.10.2008 - Kassenzeichen: KSB 632081293100 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrte mit seiner Klage eine Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs, in dem er sich zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verpflichtet hatte. Durch Urteil vom 17.07.2008 änderte das Amtsgericht - Familiengericht - Hohenstein-Ernstthal den Unterhaltstitel antragsgemäß ab und erlegte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Zuvor hatte es beiden Parteien ratenlose Prozesskostenhilfe bewilligt und jeweils einen Rechtsanwalt beigeordnet. Beide Parteivertreter ließen sich die Anwaltsvergütung nach § 55 RVG festsetzen und erhielten den festgesetzten Betrag von der Staatskasse ausgezahlt, der Klägervertreter i.H.v. 1.086,47 EUR. Der Kläger ließ sich die darüber hinausgehenden Anwaltskosten i.H.v. 378,60 EUR gegen die Beklagte festsetzen.

Durch Kostenrechnung vom 22.10.2008 (Kassenzeichen KSB 632081293100) hat die Staatskasse von der Beklagten die Rückerstattung dieser an den Klägervertreter ausgezahlten Anwaltsvergütung i.H.v. 1.086,47 EUR begehrt. Hiergegen hat sich die Beklagte mit ihrem Rechtsmittel unter Hinweis auf die ihr bewilligte Prozesskostenhilfe gewandt. Der Rechtspfleger hat der Kostenerinnerung nicht stattgegeben, sondern sie dem Richter zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat durch Beschluss vom 15. Mai 2009 der Erinnerung abgeholfen und angeordnet, dass die Beklagte an die Staatskasse keinerlei Zahlungen auf die verauslagte Anwaltsvergütung zu leisten habe. Zur Begründung hat er ausgeführt: Aus § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO ergebe sich, dass die Staatskasse diese auf sie übergegangenen Anwaltskosten nicht gegen die Beklagte geltend machen könne.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Staatskasse.

II.

1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat in voller Besetzung. Die Einzelrichterin hat das Verfahren auf den Senat übertragen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 66 Abs. 6 Satz 1 und 2 GKG.

2. Die Beschwerde ist gemäß § 66 Abs. 2 ZPO zulässig. Fristen waren nicht einzuhalten. Der Beschwerdewert von 200,00 EUR ist erreicht. Die Beschwerde entspricht der Form des § 66 Abs. 5 GKG.

3. Die Beschwerde ist begründet. Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenansatz des Familiengerichts ist unbegründet. Der angefochtene Kostenansatz ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat nach dem Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hohenstein-Ernstthal vom 17. Juli 2009 die Verfahrenskosten zu tragen. Damit war der dem Kläger im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt gemäß § 126 ZPO berechtigt, seine Gebühren und Auslagen in eigenem Namen von der Beklagten beizutreiben. Dieser Anspruch ist mit der Befriedigung des Rechtsanwalts aus der Staatskasse nach § 59 Abs. 1 RVG auf diese übergegangen und verfahrensmäßig gemäß § 59 Abs. 2 RVG durchzusetzen. Der Anspruch ist unabhängig davon durchsetzbar, dass der Beklagten ebenfalls ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Denn § 123 ZPO beschränkt die Wirkungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe auf die Gerichtskosten und die eigenen außergerichtlichen Kosten der Partei (so Bundesgerichtshof FamRZ 1997, 1141, zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, FamRZ 2008, 2140, zitiert nach Juris; OLG Köln FamRZ 2004, 37, zitiert nach Juris; OLG Oldenburg FamRZ 2009, 633, zitiert nach Juris mit Anmerkung Götsche Juris PR-FamR 9/2009 Anmerkung 4; Motzer in MK ZPO, 3. Aufl., § 122 Rdn. 13).

In Rechtsprechung und Literatur finden sich allerdings beachtliche Stimmen, die wie das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung die Gegenansicht vertreten. Sie führen aus: § 123 ZPO werde von § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO eingeschränkt; die Staatskasse sei deswegen gehindert, die dem Anwalt der obsiegenden Partei ausgezahlte Anwaltsvergütung von der unterlegenen Partei geltend zu machen. Zur Begründung wird einerseits auf den Wortlaut des § 122 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO ("Rechtsanwälte") abgestellt. Andererseits wird zwar eingeräumt, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig sei, sondern beide Auslegungsvarianten zulasse. Entscheidend sei jedoch, dass nach den Gesetzesmaterialien die auf die Staatskasse übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Rechtsanwälte auch die "übergegangenen Ansprüche der dem Gegner beigeordneten Rechtsanwälte" umfassen sollten. Schließlich entspreche diese Auffassung dem Ziel der Prozesskostenhilfe, die wirtschaftlich unvermögende Partei nicht an der Durchsetzung ihrer individuellen Rechtsposition zu hindern; der Staat unterstütze deshalb mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe die "unbemittelte Partei" und würde sich letztlich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen, wenn er andererseits die Mittel, die er zu Unterstützung des ebenfalls bedürftigen Prozessgegners aufwendet, bei einer Partei beitreibt, deren Mittellosigkeit gerade zu einer Unterstützung zum Anlass genommen worden sei (vgl. OLG München FamRZ 2001, 1156, zitiert nach Juris Rdn. 7 bis 10 unter Hinweis auf weitere Rspr.; Philippi in Zöller ZPO 27. Aufl., § 122 Rdn. 6; Fischer in Musielak ZPO 6. Aufl. § 122 Rdn. 5; Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 122 Rdn. 8).

In der Tat geht die Begründung des Regierungsentwurfs tatsächlich davon aus, dass "die auf die Staatskasse 'übergegangenen Ansprüche der beigeordneten Anwälte' (Buchstabe b) nicht nur die Ansprüche der Rechtsanwälte sind, die der Partei beigeordnet waren. Erfasst werden auch die nach § 130 BRAGO (= § 59 RVG) übergegangenen Ansprüche der dem Gegner beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Partei. Dieser Fall kann eintreten, wenn beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt ist. Die ersatzpflichtige Partei soll auch dann nur höchstens die in ... (§ 115 ZPO) ... vorgesehenen Beträge an die Staatskasse zahlen" (Begründung des Regierungsentwurfs, Bundestagsdrucksache 8/3068 Seite 30).

Dieser Wille des Gesetzgebers kann jedoch nicht berücksichtigt werden; er hat nicht hinreichend Ausdruck im Gesetzestext gefunden. Hier folgt der Senat dem Bundesgerichtshof in der schon zitierten Entscheidung (so schon der 21. Zivilsenats des OLG Dresden, Beschluss vom 27. März 2008 - 21 WF 191/08 -, nicht veröffentlicht). § 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO betrifft allein das originäre Verhältnis der Staatskasse zu der Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, umfasst jedoch nicht den Kostenerstattungsanspruch, welcher dem beigeordneten Rechtsanwalt nach § 126 ZPO gegen den unterlegenen Gegner zusteht und der auf die Staatskasse übergegangen ist. Dass unter Buchstabe b die Rechtsanwälte im Plural erscheinen, ist dem Umstand geschuldet, dass einer Partei auch im Wege der Prozesskostenhilfe mehrere Anwälte beigeordnet werden können, heute schon unter dem Gesichtspunkt, dass ihr Mitglieder einer Sozietät beigeordnet werden können. Dann aber ist für die Auslegung nicht ausschlaggebend, dass die Rechtsanwälte im Plural erwähnt werden. So wird gerade auch von der zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts München eingeräumt, dass der Wortlaut des § 122 ZPO zumindest nicht eindeutig ist. Gegen die Auslegung des Oberlandesgerichts München spricht die Gesetzessystematik von § 122 ZPO und § 123 ZPO. Auch ist nicht zu begründen, dass die bedürftige Partei besser gestellt sein soll, wenn auch ihr Gegner leistungsunfähig ist. Zumal sie auch in diesem Fall nicht davor geschützt ist, dass der Gegner sich die Kosten zunächst gegen sie festsetzen lässt und vollstreckt, bevor er Vergütung von der Staatskasse verlangt. Entsprechendes gilt, wenn gegen ihn später der bewilligende Prozesskostenhilfebeschluss aufgehoben wird.

III.

Eine Kostenentscheidung war weder für das Erinnerungsverfahren noch für das Beschwerdeverfahren veranlasst. Beide Verfahren sind gemäß § 66 Abs. 8 GKG gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Ende der Entscheidung

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