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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 23 WF 646/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 121 Abs. 3
1. Auch nach dem Wegfall des Lokalisierungsgebots zum 01.01.2000 kann im Rahmen von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts" grundsätzlich auf § 121 Abs. 3 ZPO gestützt werden.

2. Die uneingeschränkte Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts kommt in Familiensachen wegen der hier einer Partei grundsätzlich zustehenden Erstattung der ihr entstehenden Fahrtkosten für Informationsgespräche mit einem am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt schon dann in Betracht, wenn die dem auswärtigen Rechtsanwalt entstehenden Reisekosten die der Partei zu erstattenden Fahrtkosten nicht wesentlich übersteigen.


Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 23 WF 646/06

Beschluss

des 23. Zivilsenats - Familiensenat -

vom 28. September 2006

In der Familiensache

wegen Scheidung

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 23. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Z Richter am Oberlandesgericht Dr. S und Richter am Landgericht D

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Weißwasser vom 18. Mai 2006 - Az.: 2 F 106/06 - dahin abgeändert, dass die im Rahmen der Beiordnung ausgesprochene Beschränkung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts" entfällt.

2. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wohnt wie der Antragsgegner in 02906 Niesky; örtlich zuständig für den mit Schriftsatz vom 05.04.2006 eingereichten Antrag auf Ehescheidung ist das Familiengericht beim Amtsgericht in 02943 Weißwasser. Die Antragstellerin hat mit der Ehescheidung eine Rechtsanwältin aus 02826 Görlitz beauftragt, die zugleich mit dem Antrag auf Ehescheidung einen Prozesskostenhilfeantrag beim Familiengericht eingereicht hat. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Antragstellerin und dem Amtsgericht beträgt 33,6 km, die Entfernung zwischen der Rechtsanwaltskanzlei in Görlitz und dem Amtsgericht beträgt 57,2 km.

Das Amtsgericht hat der Antragstellerin durch Beschluss vom 18.05.2006 Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung der für die Antragstellerin tätigen Rechtsanwältin aus Görlitz bewilligt, aber angeordnet, dass die Beiordnung zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts erfolge. Ihr Einverständnis zu dieser Einschränkung hat die Rechtsanwältin nicht erteilt. Der Beschluss des Familiengerichts ist der Rechtsanwältin am 24.05.2006 zugegangen. Mit der am 29.05.2006 eingegangenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin das Ziel, dass eine Beiordnung ohne Einschränkung erfolge. Zur Begründung verweist die Antragstellerin auf die Änderung von § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO und § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO; nach der neuen Rechtslage sei der beim Prozessgericht zugelassene, aber nicht ortsansässige Rechtsanwalt nicht mehr gehindert, seine Reisekosten geltend zu machen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 07.06.2006 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht die Auffassung vertreten, es sei nicht ersichtlich, dass die Beiordnung eines auswärtigen Rechtsanwalts notwendig sei, da im Amtsgerichtsbezirk von Weißwasser genügend Rechtsanwälte zur Vertretung der Antragstellerin zur Verfügung stünden.

II.

1.

Die Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht nach § 569 Abs. 1, 2 ZPO eingelegt.

2.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, der Antragstellerin ist Rechtsanwältin Schmidtmann aus Görlitz ohne die vom Amtsgericht vorgenommene Einschränkung beizuordnen.

2.1.

Das Amtsgericht hat die Versagung der beantragten uneingeschränkten Beiordnung der Rechtsanwältin auf § 121 Abs. 3 ZPO gestützt. Danach kann ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

2.2.

Diese Vorschrift verlangt grundsätzlich auch nach dem Wegfall des Lokalisierungsgebots durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 17.12.1999 (BGBl. I, S. 2448) weiterhin Gültigkeit (herrschende Meinung, vgl. nur Brandenburgisches OLG FamRZ 2005, 2005; OLG Karlsruhe NJW 2005, 2718; OLG Nürnberg NJW 2005, 687; OLG Düsseldorf RPfleger 2004, 709; KG FamRZ 2005, 2006; OLG Köln MDR 2005, 1130; OLG Hamm FamRZ 2006, 350; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.10.2005 - 5 WF 190/05 - (zitiert nach juris); Musielak-Fischer, ZPO, 4. Aufl., § 121 Rdn.18; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 121 Rdn.58 jeweils m.w.N.).

2.3.

Soweit vereinzelt vertreten wird, durch den mit der Einführung des RVG erfolgten Wegfall von § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO und § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. fehle es an einer Rechtsgrundlage für eine Einschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines beim Prozessgericht ortsansässigen Rechtsanwalts (OLG Oldenburg, Beschluss vom 06.01.2006 - 3 UF 45/05 - NJW 2006, 851) überzeugt dies den Senat nicht. Durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wurden nur die vorerwähnten Vorschriften aufgehoben, nicht jedoch die für die Prozesskostenhilfe maßgebliche Norm des § 121 Abs. 3 ZPO. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß; eine vollständige Gleichstellung von unbemittelten und bemittelten Prozessparteien muss auch vor dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwirklicht werden (BVerfGE 22, 83; 63, 380; 81, 347). Der Gesetzgeber kann vielmehr gestalten, in welchem Ausmaß eine Angleichung stattfindet (Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 121 Rdn.12), von dieser Gestaltungsfreiheit hat er im einschränkenden Sinne des § 121 Abs. 3 ZPO in erster Linie zur Vermeidung unnötiger Reisekosten Gebrauch gemacht (Brandenburgisches OLG FamRZ 2005, 2005).

2.4.

Nachdem die Neuregelung der Erstattung von Reisekosten also grundsätzlich die Regelung des § 121 Abs. 3 ZPO unberührt gelassen hat, ist auch weiterhin eine Beschränkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts wie im hier zu beurteilenden Fall möglich. Allerdings ist die Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts" nicht automatisch schon dann vorzunehmen, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht am Gerichtsort hat. Die Beschränkung der Beiordnung nach § 121 Abs. 3 ZPO verlangt vielmehr, dass ein auswärtiger Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, "wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen". Zusätzliche Kosten über die Beiordnung eines am Prozessgerichts zugelassenen Rechtsanwalts hinaus können zulässigerweise aber auch entstehen, sofern nach § 121 Abs. 4 ZPO der Partei ein weiterer Rechtsanwalt (Verkehrsanwalt) beizuordnen ist. In diesem Zusammenhang hat der BGH im Beschluss vom 23.06.2004 - XII ZB 61/04 - NJW 2004, 2749 ausgeführt, dass das Gericht bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozessgericht niedergelassenen Rechtsanwalts immer auch zu erwägen hat, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen.

2.5.

Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich ist, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits sowie die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen. Solche besonderen Umstände können etwa vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist, wenn ihr eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und dergleichen (BGH NJW 2004, 2749 m.w.N.).

2.6.

Bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts im Rahmen eines Scheidungsverfahrens, dessen Umfang und Schwierigkeit im Hinblick auf etwaige Folgesachen zu Beginn der Beauftragung meistens noch gar nicht feststeht, kann - wenn es sich nicht um eine einverständliche Scheidung handelt - das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 121 Abs. 4 ZPO regelmäßig angenommen werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.10.2005 - 5 WF 190/05 -). Dieser Auffassung tritt der Senat bei. Bei einer Scheidung handelt es sich um einen grundsätzlich sehr emotionalen Rechtsstreit, bei dem einer davon betroffenen Partei nicht zugemutet werden kann, nur schriftlich mit ihrem Prozessbevollmächtigten zu kommunzieren. Im hier zu beurteilenden Fall hätte daher die Antragstellerin zulässigerweise einen Rechtsanwalt in ihrem Wohnort Niesky mit ihrer Vertretung in der Scheidungssache beauftragen dürfen.

2.7.

Darüber hinaus ist stets ein Vergleich der im konkreten Fall anfallenden Kosten beider Alternativen (Informationsreise einer Partei zu einem am Gerichtsort domizilierenden Prozessbevollmächtigten oder weiterer Rechtsanwalt am Wohnort) der Partei vorzunehmen. Im Rahmen einer verfassungsgemäßen Auslegung des Rechtsbegriffs der besonderen Umstände ist eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO schon dann geboten, wenn die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Ort des Prozessgerichts zugelassenen Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen (BGH NJW 2004, 1749; OLG Naumburg OLGR Naumburg 2005, 567).

2.8.

Ausweislich der aus dem Routenplaner falk.de gewonnenen Erkenntnisse beträgt die Entfernung vom Wohnort der Antragstellerin in Niesky zum Amtsgericht in Weißwasser 33,6 km, die Entfernung zwischen der Rechtsanwaltskanzlei der beauftragten Rechtsanwältin und dem Amtsgericht 57,2 km und die Entfernung zwischen Rechtsanwältin und Mandantin 23,6 km. Die von der in Görlitz tätigen Rechtsanwältin verursachten Fahrtkosten beziehen sich auf 23,6 km (57,2 km ./. 33,6 km) pro Fahrt mehr als die Fahrtkosten, die der Antragstellerin bei Informationsgesprächen mit einem am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt entstehen würden. Nach Ziffer 7003 des RVG-Vergütungsverzeichnisses werden Fahrtkosten pro Kilometer mit 0,30 EUR vergütet; bei Zugrundelegung von Hin- und Rückfahrt entstehen damit 2 x 57,2 km x 0,30 EUR = 34,32 EUR Fahrkosten. Die der Partei fiktiv entstehenden Kosten für eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt wären demgegenüber in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG (von Eicken/Hellstab/Lappe/Madert/Mathias, Die Kostenfestzung, B 454) mit 2 x 33,6 x 0,25 EUR = 16,80 EUR zu berechnen. Der Mehrbetrag beläuft sich auf lediglich 17,52 EUR. Diese nur unwesentliche Mehrung der von der Staatskasse zu tragenden Kosten ist vor dem Hintergrund der oben genannten Überlegungen und dem Grundsatz, dass ein rechtsunkundiger Bürger seinen Prozessbevollmächtigten grundsätzlich frei wählen darf, hinzunehmen. Die Einschränkung der Beiordnung im angefochtenen Beschluss war daher aufzuheben.

3.

Schließlich ist der angefochtene Beschluss des Familiengerichts bereits deshalb fehlerhaft, weil das Amtsgericht die Beiordnung auf die Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts beschränkt hat, ohne vorab eine Stellungnahme der die unbeschränkte Beiordnung begehrenden Rechtsanwältin einzuholen, ob sie mit einer derartigen Beschränkung einverstanden ist. Dies stellt einen Verstoß gegen die Grundsätze der Gewährung rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens dar. Aus der Tatsache, dass ein auswärtiger Rechtsanwalt unter Geltung des § 121 Abs. 3 ZPO gleichwohl beim Prozessgericht seine Beiordnung beantragt, kann nicht geschlossen werden, dass er mit einer eingeschränkten Beiordnung einverstanden ist und auf die ihm übliche Weise zustehenden Reisekosten verzichtet. Ohne dass ausdrücklich erklärte Einverständnis kann nicht von einer stillschweigenden Einwilligung in die Beschränkung der Beiordnung ausgegangen werden, das Gericht ist nicht befugt, ohne weiteres über fremde Rechte zu disponieren (vgl. BGH NJW 2004, 2750; OLG Brandenburg JurBüro 2005, 370; OLG Düsseldorf Rpfleger 2005, 710; OLG Köln, MDR 2005, 1130; Brandenburgisches OLG, Beschlüsse vom 31.01.2005 - 10 WF 13/05 - OLG-NL 2005, 211 und vom 23.02.2005 - 9 WF 3124/05 - FamRZ 2005, 2005; OLG Düsseldorf RPfleger 2004, 709; a.A. OLG Karlsruhe NJW 2005, 2718; KG FamRZ 2005, 2006 m.w.N.; zum Streitstand auch: Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl., § 121 Rdn.14 Fn. 50 und 52 m.w.N.).

III.

Weil die Beschwerde der Antragstellerin teilweise Erfolg hat, fallen Gerichtskosten nicht an. Außergerichtliche Kosten sind nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Die Rechtsbeschwerde wird nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da der Senat von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg, Beschluss vom 06.01.2006 - Az.: 3 UF 45/05 -, NJW 2006, 851, abweicht und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

Ende der Entscheidung

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