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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 29.11.2000
Aktenzeichen: 3 Ws 37/00
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 453 Abs. 1 Satz 1
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 453 Abs. 2 Satz 1
StPO § 453 Abs. 2 Satz 2
StPO § 268 a
StPO § 268 a
StPO § 453
StGB § 56 e
StGB § 56 b
StGB § 56 c
StGB § 56 d
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Dresden

3. Strafsenat

Aktenzeichen: 3 Ws 37/00 2 Ns 440 Js 27028/98 LG Chemnitz Ws-G 752/00 S StA OLG Dresden

Beschluss

vom 29. November 2000

in der Strafsache gegen

DVS,

geboren am

wohnhaft

Verteidiger: Rechtsanwalt R L

wegen gefährlicher Körperverletzung

Tenor:

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 19. Oktober 2000 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Bewährungszeit zwei Jahre beträgt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Am 18.11.1999 hat das Amtsgericht Chemnitz den Verurteilten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zusammen mit dem Urteil hat das Amtsgericht einen Bewährungsbeschluss verkündet und darin die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt, dem Verurteilten aufgegeben, dem überwachenden Gericht jeden Wohnsitz- und Aufenthaltswechsel unter Angabe des Aktenzeichens unverzüglich mitzuteilen sowie einen Geldbetrag in Höhe von 1 500,00 DM in monatlichen Raten zu je 500,00 DM an den Geschädigten, beginnend ab dem 1. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats, zu zahlen und dem Gericht den Zahlungsnachweis unaufgefordert vorzulegen.

Mit Urteil vom 19.04.2000 hat das Landgericht Chemnitz die gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung des Verurteilten verworfen. Einen eigenen Bewährungsbeschluss hat es zu diesem Zeitpunkt nicht erlassen.

Nachdem die Revision des Verurteilten durch den Beschluss des Senats vom 19.09.2000 als unbegründet verworfen worden war, hat das Landgericht Chemnitz mit Beschluss vom 19.10.2000 "festgestellt", dass "der Bewährungsbeschluss aus dem Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 18.11.1999 aufrechterhalten bleibt".

Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit Verteidigerschriftsatz vom 07.11.2000 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht Chemnitz hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden hat beantragt, die Beschwerde des Verurteilten aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde des Verurteilten hat Erfolg.

1. Da es sich bei dem angefochtenen Beschluss um eine Entscheidung handelt, die in analoger Anwendung von § 453 Abs. 1 Satz 1 StPO ergangen ist, ist die - einfache - Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1, § 453 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet, denn der angefochtene Beschluss ist gesetzwidrig (§ 453 Abs. 2 StPO).

Mit Erlass des Berufungsurteils, durch das ein erstinstanzliches Urteil abgeändert oder die Berufung als unbegründet verworfen wird (also nicht in den Fällen der §§ 322 Abs. 1 Satz 2, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO), entfällt der Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts (s. OLG Düsseldorf, NJW 1956, 1889; OLG Hamm, MDR 1992, 989). Das Berufungsgericht muss daher einen neuen selbständigen Beschluss nach § 268 a StPO erlassen, wenn auch sein Urteil dies erfordert; es muss diesen Beschluss gemäß § 268 a Abs. 1, 2. Halbsatz StPO mit dem Urteil verkünden.

Wird versehentlich unterlassen, einen Beschluss zu verkünden, kann dies nach Auffassung des Senats nicht mehr nachgeholt werden. Nachträglich kann nur die gesetzlich (§ 56 a Abs. 1 Satz 2 StGB) vorgesehene Mindestdauer der Bewährungszeit festgestellt werden.

a) In der Literatur wird unter Bezugnahme auf die insoweit nicht näher begründeten Entscheidungen des Kammergerichts Berlin (NJW 1957, 275) und des Oberlandesgerichts Celle (MDR 1970, 68) die Auffassung vertreten, der Bewährungsbeschluss gemäß § 268 a StPO könne, falls er in der Hauptverhandlung versehentlich nicht verkündet worden sei, in entsprechender Anwendung des § 453 StPO nachträglich erlassen werden (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl., § 268 a Rdnr. 22; Fischer in KK-StPO 4. Aufl., § 453 Rdnr. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 453 Rdnr. 2; Schlüchter in SK StPO (Stand Mai 1995) § 268 a Rdnr. 3; Pfeiffer, StPO 2. Aufl., § 453 Rdnr. 1). Diese Auffassung, für die spricht, dass eine effektive Bewährungsüberwachung durch die Erteilung von Weisungen erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht wird, vertreten auch die Oberlandesgerichte Koblenz (MDR 1981, 423), Köln (NStZ 1991, 453) und Düsseldorf (MDR 1982, 1042).

b) Der Senat vermag dieser Auffassung jedoch nicht zu folgen.

Aus dem Wortlaut des § 268 a Abs. 1, 2. Halbsatz StPO ergibt sich eindeutig, dass der Bewährungsbeschluss "mit dem Urteil", also nicht erst nachträglich zu fassen und zu verkünden ist. Das erkennende Gericht muss den Beschluss daher in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung, also gegebenenfalls mit Schöffen, verkünden, was bei einer nachträglichen Entscheidung nicht mehr möglich ist. Zudem gründet sich die Entscheidung auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse über die persönliche und wirtschaftliche Situation des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung, die sich nachträglich geändert haben kann. Auch bilden die Festsetzung der Bewährungszeit sowie die Anordnung von Weisungen und Auflagen mit dem Urteil selbst eine notwendige innere Einheit, was schon daraus folgt, dass der Bewährungsbeschluss gegenstandslos wird, wenn das Urteil entfällt. Vor allem ergibt sich dieser Zusammenhang aber daraus, dass die Frage, ob die Verurteilung als solche im Zusammenwirken mit Weisungen und Auflagen eine günstige Prognose rechtfertigt, oftmals entscheidend dafür ist, ob die Strafaussetzung zur Bewährung überhaupt angeordnet werden kann (s. OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 126; Julius in Heidelberger Kommentar zur StPO 2. Aufl. § 268 a Rdnr. 4).

Dem steht nicht entgegen, dass nach § 56 e StGB Entscheidungen nach den §§ 56 b bis d StGB nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden können. Solche nachträglichen Entscheidungen können nur dann ergehen, wenn sich entweder die objektive Situation geändert hat oder das Gericht von schon vorher bestehenden Umständen erst nachträglich erfahren hat oder sich bekannte Umstände durch neue Einsichten anders darstellen (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 126; LG Freiburg/Br., MDR 1992, 798).

c) Die Nachholung eines versehentlich unterlassenen Bewährungsbeschlusses ist daher unzulässig (so jetzt auch OLG Düsseldorf, B.v. 03.05.1999 - 4 Ss 73/99). Etwas anderes gilt nur, wenn sich der vom erkennenden Gericht vorgesehene Inhalt des Bewährungsbeschlusses aus den Urteilsgründen ergibt, da es sich in diesem Fall nicht um eine "neue" Beschlussfassung, sondern lediglich um die Dokumentation einer bereits vom zuständigen erkennenden Gericht getroffenen Entscheidung handelt (so auch OLG Frankfurt/M., StV 1983, 24; Engelhardt in Karlsruher Kommentar StPO 4. Aufl., § 268 a Rdnr. 9; KMR-Paulus § 453 Rdnr. 7). Eine derartige Fallgestaltung liegt aber hier nicht vor.

d) Daher war aus Gründen der Klarheit die gesetzliche Mindestdauer der Bewährungszeit von zwei Jahren festzustellen (vgl. LG Kempten, NJW 1978, 839, 840; LG Freiburg, MDR 1992, 798; OLG Hamm StV 1993, 121).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO in analoger Anwendung.

Ende der Entscheidung

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