Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 4 U 2106/06
Rechtsgebiete: VVG, ALB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 1 Abs. 2 S. 2
ALB § 13
ZPO § 829
ZPO § 836
1. Die Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Versicherungsnehmers aus einem Lebensversicherungsvertrag erfasst auch die Befugnis ein (widerrufliches) Bezugsrecht eines Dritten zu widerrufen.

2. Die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und die Anweisung an den Drittschuldner, gepfändete Beträge auf ein von der Klägerin benanntes Konto zu überweisen, genügt für einen Widerruf der Bezugsberechtigung nicht.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 4 U 2106/06

Verkündet am 22.02.2007

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2007 durch

Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Boie, Richter am Oberlandesgericht Glaß und Richter am Oberlandesgericht Schlüter

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 16.10.2006 - Az. 2 O 584/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 16.8.2004 (K 4) aus einer von dem am 19.3.2005 verstorbenen Versicherungsnehmer S S abgeschlossenen Lebensversicherung in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob eine zugunsten von Frau K S und in den Versicherungsvertrag aufgenommene widerrufliche Bezugsberechtigung durch diesen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss widerrufen wurde. Es wird im Übrigen auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit Urteil vom 16.10.2006 hat das Landgericht die auf Zahlung von 26.846,00 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen und die Auffassung vertreten, es liege weder ein ausdrücklicher noch ein konkludenter Widerruf des Bezugsrechts vor, die Klägerin sei mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss lediglich an die Stelle des Versicherungsnehmers gerückt. Ihr sei zudem spätestens seit Ende August 2004 bekannt gewesen, dass ein Widerrufsrecht bestehe, das noch ausgeübt werden müsse. Von diesem Widerrufsrecht habe sie bis zum Tode des Versicherungsnehmers keinen Gebrauch gemacht.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie ist im Anschluss an das Urteil des OLG Köln vom 1.10.2001 (VersR 2002, 1544) der Auffassung, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei mit einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter oder den Versicherungsnehmer selbst vergleichbar und führe damit generell zum Widerruf der Bezugsberechtigung aus einer Lebensversicherung. Die Erklärung und Anweisung an den Drittschuldner, gepfändete Beträge an die Klägerin auf das dort benannte Konto zu überweisen, könne nur als Widerruf aufgefasst werden. Eine gegenläufige Erklärung der Beklagten, aus der die Klägerin habe entnehmen müssen, dass über den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinaus eine weitere Erklärung von ihr gefordert werde, sei nicht erfolgt und könne insbesondere deren Schreiben vom 24.8.2005 (K 5) nicht entnommen werden. Die Auffassung der Beklagten würde schließlich dazu führen, dass sie weder an die Begünstigte, die den Originalversicherungsschein nicht vorlegen könne, noch an die Vollstreckungsgläubigerin zahlen müsse.

Sie beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu verurteilen, an sie - die Klägerin -26.836,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 23.4.2005 zu zahlen, hilfsweise

Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Orginalversicherungsscheins.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei allein auf die für den Erlebensfall versprochene Leistung zugegriffen worden. Für den Todesfall sei lediglich das Widerrufsrecht als Nebenrecht gepfändet, das Gestaltungsrecht aber in der Folge bis zum Tode des Versicherungsnehmers nicht ausgeübt worden.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch aus §§ 1 Abs. 1 S. 2 VVG, 13 ALB i.V.m. §§ 829, 836 ZPO auf Auszahlung der Todesfallleistung hat. Das der Klägerin zustehende Pfändungspfandrecht ist nach Eintritt des Versicherungsfalles zugunsten der Bezugsberechtigten erloschen, § 166 Abs. 2 VVG.

1. Zwar wäre die Klägerin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des AG Zwickau (zugestellt am 20.4.2004, Anlage K 4) zum Widerruf der Bezugsberechtigung berechtigt gewesen. An der Wirksamkeit dieses Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hat auch die Beklagte keine Zweifel geäußert. Bei einer Vollstreckung in eine Lebensversicherung erfasst die Pfändung und Überweisung automatisch die Gestaltungsrechte als Nebenrechte mit (allg. Auffassung, vgl. BGHZ 45, 162, 165; OLG Köln, VersR 2002, 1544; Zöller-Stöber, ZPO, 26. Aufl., § 836 Rn 4; Hasse, VersR 2005, 15ff.). Hierzu zählt insbesondere das Recht zum Widerruf einer Bezugsberechtigung (OLG Köln, aaO.).

2. Das Bezugsrecht ist hier aber vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht widerrufen worden. Es ist hierfür freilich nicht erforderlich, dass der Pfändungsgläubiger ausdrücklich die Begriffe "Widerruf" und "Bezugsberechtigung" verwendet (in diesem Sinne auch OLG Köln, aaO., a.A. wohl Zöller-Stöber, aaO., § 829 Rn 33). Vielmehr genügt es, wenn nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben aus Empfängersicht der Wille des Vollstreckungsgläubigers hinreichend klar zum Ausdruck gebracht wird, dass die Bezugsberechtigung widerrufen werden soll. Die Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in der Einzelzwangsvollstreckung allein macht indes den Widerruf der Bezugsberechtigung nicht entbehrlich. Die Überweisung einer Forderung zur Einziehung führt lediglich dazu, dass der Vollstreckungsgläubiger die gepfändete Forderung im eigenen Namen geltend machen und hierzu vom Versicherungsnehmer auch die Herausgabe des Versicherungsscheines verlangen kann. Zugleich kann der Schuldner - obwohl er Forderungsgläubiger bleibt -hierüber nicht mehr zum Nachteil des Gläubigers verfügen (Zöller-Stober, aaO, § 836 Rn 5). Durch die Überweisung der mit der Versicherungsforderung verbundenen Gestaltungsrechte erhält der Gläubiger die Möglichkeit, die Bezugsberechtigung zu widerrufen (Hasse, aaO.). Ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, steht zu seiner Disposition.

Mit der Situation bei Eröffnung eines Konkurs/Insolvenzverfahrens ist die Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vergleichbar. Die ältere Rechtsprechung des BGH (VersR 1993, 689), wonach es im Konkursfall einer gesonderten Widerrufserklärung nicht bedürfe, wenn der Verwalter nicht die Vertragserfüllung wählt, beruhte auf den Besonderheiten des Konkursverfahrens und lässt sich auf die hiesige Konstellation nicht übertragen. Nach § 17 KO fiel bei einem vor Konkurseröffnung geschlossenen Vertrag, der weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner erfüllt worden war, der ursprüngliche Erfüllungsanspruch mit der Konkurseröffnung weg, und das Rechtsverhältnis zwischen dem Gemeinschuldner und seinem Vertragspartner wurde in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet (BGH aaO., vgl. auch BGHZ 103, 250; 116, 156 - sog. Erlöschenstheorie). An die Stelle des gegenseitigen Vertrages trat, sofern der Konkursverwalter nicht die Erfüllung wählte, der einseitige Anspruch des Vertragsgegners auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, der nach § 26 KO nur als Konkursforderung geltend gemacht werden konnte. Diese Regelung wurde mit § 103 InsO, der bei Wahl der Nichterfüllung durch den Insolvenzverwalter zum Erlöschen des Versicherungsvertrages mit der Folge eines Widerrufes der zuvor erklärten Bezugsrechte führt, in die InsO übernommen. Anders stellt sich die Situation in der Einzelzwangsvollstreckung dar. Ein Abwicklungsverhältnis entsteht hier nicht, vielmehr lässt die Pfändung und Überweisung die Forderung in ihrem Bestand unberührt. Im Gegensatz zum Konkursverwalter muss der Vollstreckungsgläubiger daher den Versicherungsvertrag kündigen, wenn er sich hiervon lösen und etwa den Rückkaufswert geltend machen will (§§ 165, 176 VVG; vgl. Zöller, aaO., § 836 Rn 4). Gleiches gilt für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 166 VVG, bei dem es sich - wie bei der Kündigung - um ein Gestaltungsrecht handelt. Unabhängig hiervon begegnet die Anwendung der Erlöschenstheorie auf die hier gegebene Konstellation auch deswegen Bedenken, weil der BGH im Anschluss an seine neuere Rechtsprechung, wonach die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur zur Folge hat, dass die gegenseitigen Ansprüche auf weitere Leistung ihre Durchsetzbarkeit verlieren (BGHZ 155,87), ausdrücklich offen gelassen hat, ob die Erlöschenstheorie weiterhin Anwendung finden kann (BGH VersR 2005, 923).

Von einem konkludenten Widerruf ist hier auch nicht deswegen auszugehen, weil nach dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 20.4.2004 gepfändete Beträge auf das benannte Konto der Klägerin überwiesen werden sollten. Die Beklagte als Empfängerin musste dies bei verständiger Würdigung nach dem Empfängerhorizont nicht als Widerruf der Bezugsberechtigung auffassen. Dies würde voraussetzen, dass die Klägerin die Beklagte mit der Erklärung unmittelbar zu einer Zahlung aufgefordert hätte. So liegt der Fall hier indes nicht. Die Klägerin hatte sich die Forderung nicht an Zahlungs statt, sondern nur zur Einziehung überweisen lassen. Zudem war im Zeitpunkt der Pfändung der Versicherungsfall noch nicht eingetreten. Ob die Klägerin in dieser Situation den Versicherungsvertrag kündigen und den Rückkaufswert vereinnahmen oder bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit abwarten wollte, war dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ebenfalls nicht zu entnehmen. Ein "gepfändeter Betrag", den die Klägerin von der Beklagten verlangt hätte, bedurfte bei dieser Sachlage noch einer weiteren Konkretisierung durch die Klägerin. Die Auszahlung eines bestimmten Betrages kam nicht in Betracht, solange nicht feststand, ob die Klägerin kündigen will und auf den Rückkaufswert abzielt. Eine Kündigung lässt sich dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aber ebenfalls nicht entnehmen. Die Beklagte konnte die Pfändung und Überweisung mithin nur so verstehen, dass die Klägerin zunächst die Stellung des Versicherungsnehmers einnehmen und sich die Entscheidung über das weitere Vorgehen noch vorbehalten wollte. Von einem Widerruf der Bezugsberechtigung konnte sie demgegenüber schon deshalb nicht ausgehen, weil diese der Klägerin erst aufgrund der Drittschuldnererklärung vom 24.8.2005 (K 5) bekannt gemacht worden ist. Dass die Beklagte vom Fortbestand der Bezugsberechtigung ausging, zeigt ihre Drittschuldnererklärung, mit der sie auf das widerrufliche Bezugsrecht hingewiesen hat. Hätte die Klägerin die Bezugsberechtigung zugleich mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss widerrufen wollen, hätte sie das Schreiben vom 24.08.2005 zum Anlass einer entsprechenden Klarstellung nehmen müssen.

Entgegen der Auffassung des OLG Köln (VersR 2002, 1544) ist bei der Pfändung einer Versicherungsforderung das Bestehenlassen des Bezugsrechts auch nicht von vornherein sinnlos und nicht schon deshalb von einem konkludenten Widerruf des Bezugsrechts auszugehen. Denkbar ist etwa, dass der Dritte sich bereit erklärt, die der Pfändung zugrunde liegende Forderung zu begleichen, um sich sein Bezugsrecht zu erhalten und der Gefahr vorzubeugen, dass der Pfandgläubiger den Versicherungsvertrag kündigt und sich den Rückkaufswert auszahlen lässt. Diese Möglichkeit wäre ihm genommen, wenn man bereits in der Pfändung einen konkludenten Widerruf der Bezugsberechtigung sähe. Denn zu einer Wiederbestellung des Bezugsrechts wäre der Pfandgläubiger dann nicht berechtigt, der Bezugsberechtigte wäre vielmehr unwiderruflich aus seiner Position verdrängt (Hasse, aaO., IV. 3 a)). Schließlich wäre der Pfandgläubiger bei Annahme eines konkludenten Widerrufs der Bezugsberechtigung besser gestellt als der Versicherungsnehmer selbst, dessen Kündigung des Versicherungsvertrags noch nicht zum Widerruf des Bezugsrechts führt (OLG Köln, VersR 2002, 26 m.w.N. zur Gegenmeinung). Ob in einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der konkludente Widerruf einer Bezugsberechtigung schon deshalb nicht gesehen werden kann, weil der Beschluss keine Willenserklärung des Vollstreckungsgläubigers, sondern eine hoheitliche Handlung darstellt, kann hiernach dahinstehen (Hasse, aaO., II 1a) aa); Bruck/Möller/Winter, VVG, 8. Aufl. H Rn 233, a.A. allerdings ohne Begründung Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. § 13 ALB 86 Rn 14).

Diesem Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, die Beklagte müsse dann auch an die Bezugsberechtigte nicht leisten, weil diese den Originalversicherungsschein nicht vorlegen könne. Der Vorlage des Originalversicherungsscheines bedarf es nicht. Er stellt nach allgemeiner Auffassung ein Legitimationspapier im Sinne des § 808 BGB dar mit der Folge, dass die Versicherung weder die materielle Inhaberschaft des Anspruchs noch die Verfügungsmacht des Inhabers des Versicherungsscheins bei Erbringung der vertraglichen Leistung zu prüfen hat. Bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung des Inhabers des Versicherungsscheins - die die Beklagte hier geltend macht - wird sie aber von ihrer Leistungspflicht nicht frei. Umgekehrt hindert sie § 808 BGB nicht, an die Bezugsberechtigte als Gläubigerin der Versicherungsforderung nach Eintritt des Versicherungsfalls auch ohne Vorlage der Legitimationsurkunde zu leisten. Da § 808 BGB allein dem Schutz des Schuldners dient, steht es ihm grundsätzlich frei, ob er sich hierauf beruft oder nicht (vgl. BGH NJW 1988, 700; OLG Hamm VersR 1996, 615).

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Da die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss generell den Widerruf der Bezugsberechtigung in einem Lebensversicherung umfasst, bislang höchstrichterlich nicht entschieden ist, war die Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO zuzulassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 26.836,00 EUR.

Ende der Entscheidung

Zurück