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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 29.03.2000
Aktenzeichen: 8 U 477/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBG


Vorschriften:

BGB §§ 611 ff.
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 1
Das in den AGB eines Schulvertrages einer privaten Grundschule (hier Montessori-Schule) vorgesehene Recht des Schulträgers, den Schulvertrag halbjährlich ohne Vorliegen von Gründen kündigen zu können, verstößt gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG und ist unwirksam.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 8 U 477/00

Verkündet am 29.03.2000

In der Familiensache

wegen einstweiliger Verfügung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2000 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Häfner, Richter am Amtsgericht Krewer und Richterin am Landgericht Flury

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 27.01.2000 - Az.: 1 O 39/00 - wird

zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

(abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO)

Die 8-jährige Klägerin besucht die 3. Klasse der Montessori-Schule, einer freien integrativen Grundschule in . Der zwischen den Parteien abgeschlossene Schulvertrag soll nach dessen § 9 Ziff. 1 mit der Entlassung des Schülers nach Abschluss der 4. Klasse enden. Darüber hinaus sieht § 10 des Schulvertrages eine Kündigungsmöglichkeit für beide Seiten zum 31. Januar oder 31. Juli des jeweiligen Schuljahres vor, wobei die Kündigungsfrist einen Monat beträgt. Darüber hinaus ist dort vorgesehen, dass der Schulträger ohne Frist den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen kann. Beispiele für das Vorliegen eines wichtigen Grundes sind im Vertrag aufgeführt.

Mit Schreiben vom 19.12.1999 kündigte der beklagte Schulträger den Schulvertrag ohne Angabe von Gründen zum 31.01.2000. Hintergrund für diese Kündigung waren Auseinandersetzungen zwischen der Mutter der Klägerin und dem beklagten Schulträger hinsichtlich der Umsetzung der Montessori-Konzeption, in deren Rahmen auch die staatliche Schulaufsichtsbehörde eingeschaltet wurde. Der beklagte Schulträger beruft sich in seiner Kündigung jedoch nicht hierauf, sondern macht vielmehr von seinem in § 10 des Schulvertrages festgelegten Recht zur ordentlichen Kündigung ohne Angabe von Gründen Gebrauch. Die Klägerin selbst gab keinen Anlass für eine Vertragsbeendigung.

Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob das in § 10 des Schulvertrages auch dem Schulträger eingeräumte Recht zur ordentlichen Kündigung im Hinblick auf § 9 AGBG unwirksam ist.

Auf Antrag der Klägerin - vertreten durch ihre Mutter - erließ das Landgericht am 07.01.2000 eine einstweilige Verfügung, in der dem beklagten Schulträger unter Meidung eines Ordnungsgeldes geboten wurde, der Klägerin über den 31.01.2000 hinaus den Schulbesuch in der Montessori-Schule zu ermöglichen. Auf den durch den Beklagten eingelegten Widerspruch hin bestätigte das Landgericht durch Urteil vom 27.01.2000 die einstweilige Verfügung. Die Kammer sah in der Kündigungsregelung eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin, die gemäß § 9 AGBG unwirksam sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die in § 10 des Schulvertrages vorgesehene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ohne Angabe von Gründen zum 31.01. und 31.07. jeden Jahres insoweit für unwirksam angesehen, als dieses Recht dem Schulträger eingeräumt wird. Die Kündigung des beklagten Schulträgers ist somit unwirksam, so dass der Klägerin der mit der einstweiligen Verfügung geltend gemachte Anspruch auf Fortsetzung des Schulverhältnisses zusteht. Auch ein Grund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Verfügungsgrund) ist hier zu bejahen.

1. Die Kündigung ist unwirksam, da das in § 10 des Schulvertrages enthaltene Recht des Schulträgers zur ordentlichen Kündigung den Schüler entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und damit gemäß § 9 AGBG unwirksam ist.

a) Bei dem Text des Schulvertrages handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen, auf die das AGB-Gesetz Anwendung findet. Dies wird auch von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt.

b) Eine Unwirksamkeit der Kündigungsklausel ergibt sich nicht schon aus § 10 Ziff. 3 AGBG. Diese Vorschrift, nach der die Vereinbarung eines Kündigungsrechtes des Verwenders (Beklagten) ohne sachlich gerechtfertigten und im Vertrag angegebenen Grund für unwirksam erklärt wird, gilt nicht für Dauerschuldverhältnisse, wie das vorliegende.

c) Das Recht des beklagten Schulträgers zur ordentlichen Kündigung gemäß § 10 des Schulvertrages ist jedoch mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren und daher unwirksam (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 AGBG).

Die als Vergleichsmaßstab heranzuziehenden gesetzlichen Regelungen sind dem Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff. BGB) zu entnehmen, da es sich bei dem Schulvertrag um einen Dienstvertrag handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 15.05.1999, Az. 8 W 851/98, in Juris gespeichert; Vogel, Das Recht der Schulen und Heime in freier Trägerschaft, 2. Aufl., S. 193 f.). Ein Recht des Schulträgers zur Kündigung des Schulvertrages ohne Vorliegen eines Grundes sehen weder die gesetzliche Regelung des Dienstvertragsrechtes noch andere gesetzliche Regelungen vor.

aa) Zwar räumt § 627 Abs. 1 BGB bei einem Dienstverhältnis, welches Dienste höherer Art betrifft, beiden Seiten ein nur durch Abs. 2 der genannten Vorschrift eingeschränktes Kündigungsrecht ein; Voraussetzung ist jedoch, dass das Dienstverhältnis nicht dauerhaft ist und keine festen Dienstbezüge gezahlt werden.

Der Schulvertrag zwischen den Parteien bestand zum Zeitpunkt der Kündigung 2 Jahre und 3 Monate und sollte mindestens 4 Jahre laufen. Dies genügt für die Annahme einer Dauerhaftigkeit, welche die Anwendbarkeit der Kündigungsregelung des § 627 Abs. 1 BGB ausschließt (BGHZ 120, 108, 111 = NJW 1993, 326; OLG Celle, NJW-RR 1995, 1465). Darüber hinaus war gemäß § 11 des Schulvertrages ein monatliches Schulgeld zu entrichten, was festen Dienstbezügen des beklagten Schulträgers entspricht.

bb) Auch das ordentliche Kündigungsrecht des § 621 BGB käme hier nicht zur Anwendung. Gemäß § 620 Abs. 2 BGB gilt diese Regelung nämlich nicht, wenn die Dauer des Dienstverhältnisses weder bestimmt noch aus der Beschaffenheit oder dem Zweck der Dienste zu entnehmen ist. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass befristete Dienstverhältnisse zwar außerordentlich - also bei Vorliegen eines wichtigen Grundes -, nicht jedoch ordentlich kündbar sein sollen.

Bei dem vorliegenden Schulvertragsverhältnis handelt es sich um ein befristetes Dienstverhältnis im Sinne des § 620 Abs. 2 BGB. Zwar wurde der Schulvertrag gemäß dessen § 8 auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Er endet jedoch nach seinem § 9 Ziff. 1 mit der Entlassung des Schülers nach Abschluss der 4. Klasse. Die Dauer des Dienstverhältnisses ist daher bestimmt, so dass die Kündigungsmöglichkeit des § 621 BGB nicht eingreift (BGHZ 90, 280 = NJW 1984, 1531 unter II.2.a).

cc) Weitergehende Rechte zur ordentlichen Kündigung des vorliegenden Schulvertrages sieht das Gesetz nicht vor.

Insbesondere kommen § 5 des Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG) und §§ 13, 15 des Berufsbildungsgesetzes als gesetzliche Vorschriften, die vergleichbare Sachverhalte regeln, hier nicht in Betracht, da diese Vorschriften für Direktunterrichtsverträge weder unmittelbar noch entsprechend gelten (BGH, NJW 1984, 1531, 1532 m.w.N.).

Auch das für öffentliche Schulen geltende Sächsische Schulgesetz sieht einen Schulausschluss nur bei schwerem oder wiederholtem Fehlverhalten des Schülers vor (§ 39 Abs. 3 SächsSchulG).

dd) Von dieser gesetzlichen Regelung weicht die formularmäßige Vereinbarung eines ordentlichen Kündigungsrechtes des beklagten Schulträgers in § 10 Satz 3 und 4 des Schulvertrages zum Nachteil der klagenden Schülerin ab. Die gesetzlichen Beschränkungen der Kündigungsmöglichkeiten sind auch wesentliche Grundgedanken im Sinne des § 9 Abs. 2 Ziff. 1 AGBG. Wesentlich ist ein gesetzlicher Grundgedanke dann, wenn die abbedungene Regelung einem wesentlichen Schutzbedürfnis eines Vertragspartners dient oder wesentliche Ordnungsvorstellungen des geltenden Rechtes verkörpert (Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, § 9 Rdn. 133). Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebotes darstellt (BGH, NJW-RR 1996, 1009).

Sowohl § 620 Abs. 2 BGB als auch die einschränkenden Voraussetzungen des § 627 BGB bringen nach Auffassung des Senates keine bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers zum Ausdruck, sondern stellen wesentliche Ordnungsvorstellungen und Ausprägungen des Gerechtigkeitsgebotes dar. Hintergrund des § 620 Abs. 2 BGB ist, dass bei befristeten Dienstverhältnissen der Leistungsumfang des Vertrages bereits durch das die Befristung bestimmende gewisse Ereignis bestimmt wird. Die anfängliche Bestimmung des Leistungsumfanges durch die Befristung ist eine dem Dauerschuldverhältnis immanente Abrede und begründet, da beide Vertragsparteien die Befristung kennen, einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich des Umfanges der Hauptleistungsansprüche und - pflichten. Da §§ 620 Abs. 2 und 627 BGB dispositives Recht sind, können die Parteien zwar neben der Befristung auch ein ordentliches Kündigungsrecht vereinbaren (BAG AP Nr. 55 zu § 620). Dies ist jedoch eine Ausnahme und bedarf einer ausdrücklichen individualvertraglichen Übereinkunft. Eine formularmäßige Vereinbarung eines Rechtes zur ordentlichen Kündigung ermöglicht es dem Verwender, unter Umgehung des durch die Befristung gesetzten Vertrauenstatbestandes hinsichtlich des Leistungsumfanges im Dauerschuldverhältnis diesen nachträglich nach eigenem Ermessen zu ändern. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind.

Das ordentliche Kündigungsrecht des Beklagten ist mit diesen wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren und daher unwirksam.

Soweit der Beklagte darauf hinweist, die Klausel entspreche den Vorgaben der Rechtsprechung, die vielfältig entschieden habe, dass Schulverträge ein Kündigungsrecht vor dem vereinbarten Ausbildungsende vorsehen müssten, geht dies an der Sache vorbei. Die Kündigungsmöglichkeiten für den Schulträger und den Schüler sind nicht nur wegen der unterschiedlichen Interessenlage, sondern vorliegend auch deshalb voneinander unabhängig zu beurteilen, weil nur die durch den Verwender der AGB ihm selbst eingeräumte Kündigungsmöglichkeit der Kontrolle nach dem AGBG unterfällt. Die dem Schüler gleichzeitig eingeräumte Kündigungsmöglichkeit bleibt davon unberührt. Im Übrigen versteht es sich von selbst, dass wegen der unterschiedlichen Interessenlage keineswegs der Grundsatz aufgestellt werden kann, die Kündigungsmöglichkeiten für Schulträger und Schüler müssten in gleicher Weise ausgestaltet werden. Dies zeigt schon die gesetzliche Regelung des § 11 Ziff. 12 c AGBG, der dem Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen gewisse Kündigungsmöglichkeiten einräumt, ohne dass dies auch für den Verwender gelten muss. Im Übrigen trägt der Verwender der AGB, hier also der beklagte Schulträger, das Risiko, dass dem Vertragspartner aus der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel Vorteile erwachsen. Soweit das Vertragsgefüge dadurch völlig einseitig zu Lasten des Verwenders verschoben wird, ließe sich die Ungleichheit im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ausgleichen (BGH, NJW 1998, 450, 451). Dies ist hier aber in keiner Weise der Fall. Im Übrigen ist es aus der Sicht des Senates keineswegs geboten, für Schüler und Schulträger Kündigungsrechte gleichen Umfanges vorzusehen.

b) Die angegriffene Kündigungsklausel stellt auch deshalb eine unangemessene Benachteiligung des Schülers dar, weil sie wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist (§ 9 Abs. 2 Ziff. 2 AGBG). Bereits aus § 9 des Schulvertrages ergibt sich, dass Ziel des Vertragsverhältnisses jedenfalls der erfolgreiche Abschluss der 4. Klasse der Grundschule ist. Da das pädagogische Konzept der Montessori-Schulen von dem staatlicher Schulen nicht unerheblich abweicht, wie sich aus der vorgelegten Konzeption ergibt, bedeutet ein Wechsel auf eine staatliche Schule für ein Grundschulkind eine erhebliche Umstellung und damit auch Belastung. Dass eine Schule ohne Vorliegen wichtiger Gründe einem Schüler einen derartigen Wechsel zumutet, stellt nach Auffassung des Senates eine unangemessene Benachteiligung im Sinne dieser Vorschrift dar.

Nach alledem ist die Kündigung des beklagten Schulvereins unwirksam, da die Kündigungsklausel gegen § 9 des AGBG verstößt. Eine Umdeutung in eine Kündigung aus wichtigem Grund kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der beklagte Schulverein nicht für sich in Anspruch nimmt, dass ein wichtiger Grund vorläge. Darüber hinaus wäre eine solche Umdeutung wohl auch unzulässig.

2. Am Bestehen eines Verfügungsgrundes bestehen keine Zweifel. Auch der beklagte Schulverein stellt nicht in Abrede, dass der Schulwechsel für die Klägerin eine erhebliche Belastung darstellen würde.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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