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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 07.02.2007
Aktenzeichen: Ss (OWi) 188/06
Rechtsgebiete: PolizeiVO, SächsPolG


Vorschriften:

PolizeiVO § 18 Abs. 1 Nr. 23
PolizeiVO § 18 Abs. 2
PolizeiVO § 15 Abs. 3
SächsPolG § 1 Abs. 1
SächsPolG § 9 Abs. 1
SächsPolG § 14
Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie verstößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen Anleinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig" vom 19. Mai 2004 entspricht insoweit den Anforderungen, weil im Stadtgebiet von Leipzig Freilaufflächen für Hunde (so genannte Hundewiesen) in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: Ss (OWi) 188/06

Beschluss

vom 07. Februar 2007

in der Bußgeldsache gegen

wegen: Verstoßes gegen die Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 15. November 2005 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Betroffene hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Leipzig hat die Betroffene am 15. November 2005 wegen vorsätzlichen Nichtführens des Hundes an der Leine auf öffentlichen Flächen, die nicht als Freilauffläche ausgewiesen sind, zu einer Geldbuße von 70,00 EUR verurteilt.

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis 09.45 Uhr im Naherholungsgebiet Silbersee in 04279 Leipzig, Ausgang B.-Kellermann-Straße einen Hund nicht an der Leine, obwohl der fragliche öffentliche Platz nicht als Frei(lauf)fläche (für Hunde) ausgewiesen ist. Der Hund lief unangeleint in einem Abstand von circa vier Metern neben der Betroffenen. Im fraglichen Bereich befanden sich keine sonstigen Personen oder Tiere.

Gegen das Urteil hat die Betroffene durch ihren Verteidiger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen. Mit der Sachrüge macht der Verteidiger insbesondere geltend, dass die Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Leipzig hinsichtlich ihrer Regelung über den Leinenzwang für Hunde im gesamten Stadtgebiet gegen höherrangiges Recht sowie das verfassungsrechtliche Bestimmtheits- und Übermaßgebot verstoße und daher unwirksam sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der Senat - Der Einzelrichter - die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 15. November 2005 zur Fortbildung des Rechts zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu Lasten der Betroffenen aufgedeckt.

1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Regelungen des § 18 Abs. 1 Nr. 23 i.V.m. § 15 Abs. 3 der Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Stadt Leipzig (Beschluss der Ratsversammlung vom 19. Mai 2004, veröffentlicht im Leipziger Amtsblatt Nr. 12 vom 12. Juni 2004).

Gemäß § 15 Abs. 3 der vorgenannten Polizeiverordnung müssen "Hunde ... auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sowie in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen, sofern diese nicht als Freilaufflächen ausgewiesen sind, zum Schutz von Mensch und Tier stets von einer geeigneten Person an der Leine geführt werden".

Ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die genannte Vorschrift kann gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 23 i.V.m. mit Absatz 2 der Polizeiverordnung mit einer Geldbuße von 5,00 bis 1.000,00 EUR, bei fahrlässigem Handeln bis 500,00 EUR, geahndet werden.

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene am 10. März 2005 in der Zeit von 09.30 Uhr bis 09.45 Uhr im Naherholungsgebiet Silbersee in 04279 Leipzig, Ausgang B.-Kellermann-Straße, einen Hund nicht an der Leine, obwohl der öffentliche Platz nicht als Freifläche ausgewiesen ist. Der Hund lief unangeleint in einem Abstand von circa vier Metern neben der Betroffenen. Es herrschten Außentemperaturen von circa minus drei bis minus vier Grad und es befanden sich in diesem Bereich keine sonstigen Personen oder Tiere. Vorsätzliches Handeln der Betroffenen in Kenntnis des Leinenzwangs hat das Amtsgericht daraus entnommen, dass die Betroffene nach ihren eigenen Angaben den zuvor nicht angeleinten Hund unverzüglich angeleint habe, nachdem sie ein Fahrgeräusch wahrgenommen hatte.

2. Die Polizeiverordnung der Stadt Leipzig vom 19. Mai 2004 ist wirksam; sie verstößt insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht.

a) Ermächtigungsgrundlage für die genannte Polizeiverordnung ist § 9 Abs. 1 i.V.m. den §§ 1 Abs. 1 und 14 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen (SächsPolG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. August 1999 (SächsGVBl S. 466). Danach können die örtlichen Polizeibehörden (hier der Gemeinderat der Stadt Leipzig) zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Sächsischen Polizeigesetz (hier der Gefahrenabwehr) Polizeiverordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren erlassen. Dass von jedem Hund, unabhängig von seiner Rasse und Größe, abstrakte Gefahren ausgehen, ist unzweifelhaft. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung vom 03. Juli 2002 (BVerwGE 116, 347 ff. = NVwZ 03, 95 ff.), die sich allerdings im Wesentlichen mit Bestimmungen der niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung befasste, in der Abgrenzung der Begriffe "abstrakter Gefahr" gegen "Gefahrenvorsorge" festgehalten, dass von Hunden unzweifelhaft (abstrakte) Gefahren ausgehen, die den Erlass von Verordnungen nach dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht ermöglichen. Dies wird vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 06. Mai 2003 (VBlBW 03, 354 f.) ebenso bestätigt wie vom OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. September 2006, 7 C 10539/06.OVG. Soweit das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2005 (NdsVBl 05, 130 ff.) unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03. Juli 2002 der Auffassung ist, es sei wissenschaftlich nicht belegt, dass von allen Hunderassen generell eine abstrakte Gefahr für Menschen und andere Hunde ausgehe, ist diese Entscheidung vereinzelt geblieben; sie beruht offensichtlich auf einem unrichtigen Verständnis der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Demgemäß hatte bereits der Bundesgerichtshof in der Vorlageentscheidung vom 18. April 1991, 4 StR 518/90 (BGHSt 37, 366 bis 373 = NJW 91, 1691 bis 1692) hinsichtlich des Leinenzwangs für Hunde ausgeführt, dass im Zusammenhang mit allgemeinem Ordnungsrecht vielfältige Gefahren von Hunden ausgehen können, so für Menschen, die sie verletzen, beschmutzen oder auch nur erschrecken können; aber auch für die Kleidung sowie mitgeführte und abgestellte Sachen, die sie zerstören, beschädigen und unkontrolliert verunreinigen können; für sonstige Tiere, namentlich auch andere Hunde; schließlich für die Sauberkeit öffentlicher und angrenzender Flächen und Wege. Polizeiliche Maßnahmen, mit denen Gefährdungen von Personen und Sachen durch (auf der Straße) freilaufende Hunde abgewehrt werden sollen, seien keine verkehrspolizeilichen Aufgaben, sondern gehörten zur allgemeinen Gefahrenabwehr.

b) Dass ein ordnungsbehördlich geregelter allgemeiner Leinenzwang für Hunde grundsätzlich weder gegen das höherrangige Tierschutzgesetz noch gegen das Grundrecht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verstößt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. OLG Hamm NVwZ 02, 765 f. mit Nachweisen).

c) Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz steht vorliegend ebenfalls nicht in Rede, weil beim Vorliegen von abstrakten Gefahren, die von Hunden ausgehen, eine differenzierende Regelung nach Art und Größe sowie Gefährlichkeit von Hunderassen nicht erforderlich ist (vgl. VGH Baden-Württemberg und OVG Rheinland-Pfalz jeweils a.a.O.).

d) Die Polizeiverordnung über öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Leipzig verstößt hinsichtlich ihrer Festlegungen über die Auferlegung eines Leinenzwangs für Hunde im gesamten Stadtgebiet auch sonst nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Denn anders als die von der Betroffenen genannte Entscheidung des OLG Hamm vom 08. April 2001 (NVwZ 2002, 765 f.) erstreckt sich in Leipzig der Leinenzwang nicht auf das gesamte Gemeindegebiet. Vom Leinenzwang sind Hunde auf ausgewiesenen sogenannten "Freilaufflächen" befreit. Wie die Betroffene selbst mitteilt, gibt es gegenwärtig in der Stadt Leipzig insgesamt 47 Standorte sogenannter "Hundewiesen" auf einer Fläche von insgesamt 16,72 Hektar. Soweit die Rechtsbeschwerde moniert, diese "Hundewiesen" seien nicht als sogenannte "Freilaufflächen" entsprechend der Polizeiverordnung ausgewiesen, vermag der Senat dem nicht zu folgen; denn ersichtlich sind "Freilaufflächen" für Hunde mit "Hundewiesen" vom Bedeutungsinhalt identisch.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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