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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 13.02.2007
Aktenzeichen: Ss (OWi) 721/06
Rechtsgebiete: GG, SächsPolG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
SächsPolG § 1 Abs. 1
SächsPolG § 9 Abs. 1
SächsPolG § 14
Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie verstößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen Anleinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung der Stadt Plauen" vom 3. Februar 2006 entspricht insoweit den Anforderungen.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: Ss (OWi) 721/06

Beschluss

vom 13. Februar 2007

in der Bußgeldsache gegen

wegen: Verstoßes gegen die Polizeiverordnung der Stadt Plauen

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 01. Juni 2006 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Plauen zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Plauen hat die Betroffene mit Urteil vom 01. Juni 2006 wegen eines (vorsätzlichen) Verstoßes gegen die in der Polizeiverordnung der Stadt Plauen geregelte Anleinpflicht für Hunde innerhalb des Stadtgebiets zu einer Geldbuße von 400,00 EUR verurteilt.

Hiergegen hat die Betroffene durch ihren Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese rechtzeitig mit der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde der Betroffenen kostenpflichtig als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg. Soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, war sie antragsgemäß als unbegründet zu verwerfen.

1. Die Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Regelungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 3 der Polizeiverordnung der Stadt Plauen in der Fassung vom 19. April 2002, welche inhaltlich § 4 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 3 der Polizeiverordnung der Stadt Plauen in der (Neu-)Fassung vom 03. Februar 2006 entsprechen. Nach den Urteilsfeststellungen ließ die Betroffene am 28. November 2005 um 11:00 Uhr ihren Hund in Plauen auf der Moritzstraße unangeleint herumlaufen, obwohl sie wusste, dass es sich dort um eine öffentliche Straße handelt, auf der die Verpflichtung besteht, Hunde an der Leine zu führen.

2. Die genannte Polizeiverordnung der Stadt Plauen vom 19. April 2002 in der nunmehrigen Fassung vom 03. Februar 2006 (welche den Anleinzwang inhaltsgleich regelt) ist wirksam; sie verstößt insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht.

a) Die Polizeiverordnung der Stadt Plauen findet ihre Ermächtigungsgrundlage in §§ 9 Abs. 1, 1 Abs. 1, 14 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. August 1999 (SächsGVBl. S. 466). Danach können die örtlichen Polizeibehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Sächsischen Polizeigesetz Polizeiverordnungen zur Abwehr abstrakter Gefahren erlassen.

Die insoweit erforderliche abstrakte Gefahr folgt vorliegend bereits aus der allgemeinen Lebenserfahrung. Von Hunden gehen unzweifelhaft Gefahren aus, die aus der allgemeinen Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens resultieren. Zum Verhaltensrepertoire von Hunden gehören das Beißen, Hetzen, Reißen, Anspringen, Schnappen, Nachrennen und Beschnüffeln, das sich bei freilaufenden Hunden spontan und unberechenbar äußert und zu einer Gefährdung unbeteiligter Dritter führen kann, welche die Schwelle der bloßen Lästigkeit überschreitet. So hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 03. Juli 2002 (BVerwGE 116, 347 bis 358), in der Abgrenzung der Begriffe "abstrakte Gefahr" gegen "Gefahrenvorsorge" ausdrücklich festgehalten, dass von Hunden unzweifelhaft (abstrakte) Gefahren ausgehen, die grundsätzlich den Erlass von Verordnungen nach dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht rechtfertigen können. Die Auffassung, dass von freilaufenden Hunden abstrakte Gefahren für die Öffentlichkeit ausgehen, wird auch von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Übrigen geteilt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06. Mai 2003, VBlBW 03, 354, 355; VG Hamburg, Urteil vom 01. September 2003, 5 VG 3300/2000; zuletzt: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. September 2006, 7 C 10539/06.OVG; anderer Ansicht mit unzutreffender Begründung die vereinzelt gebliebene Entscheidung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2005, NdsVBl 2005, 130 ff.).

b) Der in § 4 Abs. 2 der genannten Polizeiverordnung angeordnete Leinenzwang verstößt auch im Übrigen nicht gegen höherrangiges Recht. Die Regelung ist geeignet, erforderlich und im Einzelfall auch angemessen, um dem verfolgten öffentlichen Zweck, Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Belästigungen, die von freilaufenden Hunden ausgehen, zum Erfolg zu verhelfen.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass ein ordnungsbehördlich geregelter allgemeiner Leinenzwang für Hunde grundsätzlich weder gegen das höherrangige Tierschutzgesetz noch gegen das Grundrecht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit verstößt (vgl. OLG Hamm, NVwZ 2002, 765 ff. m.w.N.).

Der generelle Leinenzwang für Hunde auf dem Stadtgebiet der Stadt Plauen verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Anders als in der Entscheidung des OLG Hamm (NVwZ 2002, 765) erstreckt sich in Plauen der Leinenzwang nicht ausnahmslos auf das gesamte Gemeindegebiet. Die Stadt hat vielmehr entsprechend gekennzeichnete Grünanlagen ausgewiesen, auf welchen die Hunde dem Leinenzwang nicht unterliegen. Dies betrifft laut Verordnung die Grünanlage Regenüberlaufbecken Dresdener Straße sowie die Grünanlage August-Bebel-Hain. Damit ist dem Interesse des Hundehalters an artgerechter Tierhaltung ausreichend Rechnung getragen.

Entgegen der Auffassung der Betroffenen liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 GG nicht deshalb vor, weil die Polizeiverordnung nicht nach Art und Größe der Hunde differenziert. Eine solche Differenzierung ist rechtlich nicht geboten. Der Verordnungsgeber darf ausgehend von der grundsätzlich bestehenden abstrakten Gefahr durch freilaufende Hunde Sachverhalte typisieren. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn er in einer abstrakt generellen Regelung atypische Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigt (vgl. hierzu VGH BW NVwZ-RR 1990, 16 f.; OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).

Nachdem die Überprüfung des Schuldspruches somit keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben hat, war die Rechtsbeschwerde insoweit als unbegründet zu verwerfen.

3. Jedoch greift die Sachrüge zum Rechtsfolgenausspruch durch.

Ausweislich der Urteilsgründe hat das Amtsgericht bußgelderhöhend herangezogen, dass gegen die Betroffene bei der Bußgeldbehörde "derzeit insgesamt ca. 15 Verfahren" liefen, die Betroffene "einschlägig strafrechtlich" vorgeahndet sei, weil ihr Hund einen Mann gebissen habe, sowie die "totale Uneinsichtigkeit, die die Betroffene durch die Einlassungen ihres Verteidigers in der Hauptverhandlung hat erkennen lassen". Diese bußgeldverschärfenden Bewertungen finden in den Urteilsfeststellungen jedoch keine ausreichende Stütze. So wird zwar mitgeteilt, dass die Betroffene mit Strafbefehl des Amtsgerichts Plauen vom 23. Dezember 2005 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt worden ist. Die nähere Darstellung des zur Verurteilung führenden Sachverhalts fehlt jedoch, so dass nicht beurteilt werden kann, ob der Hundebiss durch den nicht angeleinten Hund auf öffentlichen Straßen erfolgt ist. Auch soweit angegeben wird, bei der Bußgeldbehörde liefen derzeit "ca. 15 Verfahren", wird hierzu nichts näheres mitgeteilt. Zwar darf nicht angeklagtes und nicht abgeurteiltes Vorverhalten unter Umständen strafschärfend gewertet werden. Jedoch ist dies nur zulässig, wenn es so genau mitgeteilt wird, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die erforderliche Nachprüfung ermöglicht wird (vgl. BGH, StraFo 2005, 515). Konkrete Feststellungen zu den "ca. 15 Verfahren" lässt das Urteil jedoch vermissen. Schließlich ist auch die Erwägung bedenklich, die "totale Uneinsichtigkeit" der Betroffenen ergebe sich aus den Einlassungen ihres Verteidigers. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nämlich, dass der Verteidiger die Rechtsauffassung vertreten hat, die dem Bußgeldbescheid zugrundeliegende Polizeiverordnung der Stadt Plauen sei unwirksam. Aus dieser Rechtsauffassung des Verteidigers eine "totale Uneinsichtigkeit" der Betroffenen abzuleiten, ist nicht nachvollziehbar.

Das Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung hierüber an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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