Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 23.04.2009
Aktenzeichen: WVerg 11/08
Rechtsgebiete: GWB, VOL/A


Vorschriften:

GWB § 107 Abs. 3 Satz 1
VOL/A § 8 Nr. 1 Abs. 3
1. Die von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB vorausgesetzte Kenntnis von einem Vergabeverstoß liegt vor, wenn der Wissensstand des Bieters einen solchen Grad an Gewissheit erreicht hat, dass sein gleichwohl nicht sicheres Wissen darauf beruht, dass er sich ihm mutwillig verschlossen hat.

2. Die Rüge einer Regelung in einem abzuschließenden Vertrag als vergaberechtswidrig mag darauf schließen lassen, dass der Bieter den Vertragstext auch im Übrigen zur Kenntnis genommen hat, ohne Hinzutreten weiterer Umstände aber nicht, dass er dessen Vergaberechtswidrigkeit im Übrigen ebenfalls erkannt hat. Dann ist das Recht, in einem anderen Vergabeverfahren zunächst ungerügt gebliebene Vertragsklauseln zu beanstanden, weder nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB noch unter dem Gesichtspunkt einer Verwirkung ausgeschlossen.

3. Ob eine vertragliche Regelung ein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A beinhaltet, folgt nicht schon aus einer Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen. Es kommt darauf an, ob dem Bieter ein Risiko auferlegt worden ist, das normale unternehmerische Gefahren übersteigt.

4. Eine Scheinausschreibung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der Auftragswert von der Vergabestelle zu niedrig angesetzt worden ist.

5. Im Beschwerdeverfahren sind die Beigeladenen kostenrechtlich wie Antragsteller oder Antragsgegner zu behandeln, wenn sie sich am Verfahren beteiligen.


Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: WVerg 11/08

Verkündet am 23.04.2009

Beschluss

des Vergabesenats

In dem Vergabenachprüfungsverfahren

wegen Vergabenachprüfung

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden nach Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 15.04.2009 (für die Antragstellerin mit Verlängerung bis zum 17.04.2009) eingereicht werden konnten, durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius, Richter am Oberlandesgericht Piel und Richterin am Oberlandesgericht Wittenberg

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin - unter ihrer Zurückweisung im Übrigen - wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 25.09.2008 - 1 SVK 45/08 - teilweise aufgehoben und die Antragsgegnerin angewiesen, das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin zu tragen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war für die Antragstellerin erforderlich.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1) haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung der Antragstellerin zu tragen.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 89.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Antragsgegnerin schrieb mit europaweiter Vergabebekanntmachung vom 02.05.2008 das Vorhaben "Lieferung eines mandantenfähigen VoIP-Telekommunikationssystems mit Endgeräten für mindestens 5.800 Rufnummern an ca. 50 Standorten und den Aufbau einer Teststellung einschließlich 200 Endgeräten und aller Applikationen in den Räumen der Auftraggeberin" im offenen Verfahren aus.

Nach mehreren Änderungen der EU-Vergabebekanntmachung wandte sich die Antragsgegnerin mit Datum vom 21.05.2008 an alle Interessenten im Vergabeverfahren und teilte diesen mit, dass die ursprüngliche EU-Vergabebekanntmachung aufgehoben werde und in Kürze neu veröffentlicht werde.

Mit Vergabebekanntmachung vom 26.05.2008 veröffentlichte die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Beschaffungsvorhaben erneut.

Die neuen Angebotsunterlagen wurden der Antragstellerin am 10.06.2008 übergeben.

In der Folgezeit übersandte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mehrere Rügeschreiben. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieser Schreiben wird auf die entsprechende Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Beschluss der Vergabekammer vom 25.09.2008 Bezug genommen (dort S. 4-10).

Mit Schreiben vom 24.07.2008 beantragte die Antragstellerin bei der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens mit der Maßgabe, der Auftraggeberin zu untersagen, das Vergabeverfahren fortzuführen, insbesondere die Angebote zu öffnen und in die Wertung einzutreten, sowie das Vergabeverfahren aufzuheben und erneut auszuschreiben. Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Antragstellerin und der Antragsgegnerin wird auf die entsprechende Darstellung im angefochtenen Beschluss der Vergabekammer (dort S. 10-14) Bezug genommen.

Die Vergabekammer des Freistaates Sachsen hat mit Beschluss vom 25.09.2008 die Anträge zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den vorgenannten Beschluss Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, welche am 09.10.2008 per Telefax beim Oberlandesgericht Dresden eingegangen ist. Sie macht unter Bezugnahme auf ihren bisherigen Vortrag geltend, dass entgegen der Auffassung der Vergabekammer ihre Rügen vom 14.07.2008 und 21.07.2008 nicht präkludiert seien. Eine "Fiktion", wie von der Vergabekammer vorgenommen, wonach mit Kenntnis der Ausschreibungsunterlagen zugleich Kenntnis aller darin enthaltener möglicher Vergaberechtsverstöße vorläge, sei unzulässig. Eine Befassung mit der Leistungsbeschreibung trage nicht den Schluss , ein Bieter habe Vergabeverstöße schon bei dieser Gelegenheit erkannt. Im Übrigen treffe den Bieter keine Pflicht zur sofortigen Prüfung der ihm zugesandten Verdingungsunterlagen. Bestünden Zweifel an der Rechtslage, sei eine positive Kenntnis bereits deshalb ausgeschlossen. Bei Einholung von Rechtsrat werde die Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß und damit die Rügeobliegenheit erst mit dessen einen Vergaberechtsfehler aufzeigenden Zugang ausgelöst. Ein entsprechender Rat sei ihr hinsichtlich der beanstandeten Regelungen des Vertragsentwurfes am 10. bzw. 11.07.2008 erteilt worden, wobei die entsprechende Rüge am 14.07.2008 den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin per Fax übersandt worden sei. Die Regelungen des Vertrages über die Lieferung eines VoIP-Telekommunikationssystems bürdeten dem Bieter in vergaberechtswidriger Weise ein ungewöhnliches Wagnis auf. Nach den vertraglichen Regelungen, insbesondere § 11 des Vertrages, schulde der Auftragnehmer einerseits den Gesamterfolg des Vertrages, er trage das volle Erfolgsrisiko, insbesondere das Vergütungs- und Mängelrisiko, obwohl er andererseits auf die Installation und Inbetriebnahme des weitaus größten Teils der Anlage keinen Einfluss habe, da dieser seitens der Auftraggeberin selbst installiert und in Betrieb genommen werde. Darüber hinaus trage der Bieter auch das Risiko für Schäden, die während des Transportes durch die Antragsgegnerin vom Hauptlager zum Endbestimmungsort entstehen können, wie sich aus den Regelungen in § 8 des Vertrages entnehmen lasse. Für den Bieter sei in keiner Weise kalkulierbar, welches Schadensrisiko er mit der Pflicht zum Austausch defekter Komponenten nach § 8 Ziffer 6 des Vertrages übernehme, da er im Ergebnis auch für solche Fehler einstehen müsse, die nicht in seinen Risikobereich fielen, sondern durch einen nachträglichen Eingriff in seine Leistungen entstehen. Ebenfalls lasse das mit den vertraglichen Regelungen zum Gefahrübergang und der Abnahme verbundene Risiko keine Kalkulation nach kaufmännischen Grundsätzen zu. So verschöben die Bestimmungen des § 8 Ziffer 5 und 6 des Vertrages den Gefahrübergang auf den Zeitpunkt der Installation durch den Auftraggeber.

Ebenso wenig erschließe sich den Bietern aus der Anlage "Preisblatt", in welchem Umfang sie Applikationen und Services in ihrem Angebot einkalkulieren müssten. Zudem verstießen die Regelungen des Vertrages gegen geltendes Vergaberecht, da sie entgegen § 9 Nr. 2, Nr. 3 VOL/A von der VOL/B abwichen. So sei in § 2 Ziffer 6 des Vertrages eine Abweichung von § 2 Nr. 3 VOL/B zu sehen. § 6 Ziffer 2 des Vertrages weiche von § 3 Nr. 1 VOL/B ab. Auch stelle § 5 Ziffer 5 des Vertrages eine Abkehr von dem Grundsatz der Eigenverantwortung des Auftragnehmers nach § 4 Nr. 1 Abs. 1 VOL/B dar. Zudem handele es sich seitens der Antragsgegnerin um eine Scheinausschreibung. Eine solche sei dann anzunehmen, wenn die Ausschreibung durchgeführt werde, ohne dass eine konkrete Vergabeabsicht und auch die tatsächliche Möglichkeit der (unbedingten) Zuschlagserteilung bestehe. Dies sei aufgrund des Missverhältnisses zwischen geschätztem Auftragswert von 1,5 Mio. EUR und den tatsächlich zu erwartenden Angebotspreisen der Bieter gegeben. Zudem handele es sich bei dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Konvolut nicht um eine Vergabeakte i.S. der VOL/A. Die überreichten Unterlagen machten deutlich, dass weder die Vergabeakte noch das Vergabeverfahren selbst von der Antragsgegnerin geführt worden sei, sondern vielmehr allein von den von ihr beauftragten Rechtsanwälten. Auch hätten die Antragsgegnerin bzw. die von ihr beauftragten Rechtsanwälte gegen die Dokumentationspflichten verstoßen. Insbesondere fehle es am Nachweis der Kostenschätzung.

Die Antragstellerin beantragt,

unter Aufhebung der Entscheidung der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 25.09.2008 (Az.: 1 SVK/045-08),

1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren " L Lieferung eines VoIP-Telekommunikationssystems" aufzuheben.

2. hilfsweise, die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Gerichts über die Sache erneut zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1) sind dem Beschwerdevorbringen entgegengetreten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen des angefochtenen Beschlusses sowie den Inhalt der im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Akten und Beiakten im Übrigen Bezug genommen.

B.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat überwiegend Erfolg. Denn das Vergabeverfahren ist in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen. Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens ist dagegen nicht veranlasst.

I.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist jedenfalls bezogen auf die im Ergebnis erfolgreiche Rüge, durch die Regelungen unter § 8 Ziffer 4-6 des Vertragsentwurfes werde dem Bieter ein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet, nicht wegen Missachtung der Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB) unzulässig.

1. Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Erforderlich ist insoweit eine positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller zum einen von den tatsächlichen Umständen, auf die er den Vorwurf einer Vergaberechtsverletzung stützt, volle Kenntnis hatte. Zum anderen ist die zumindest laienhafte rechtliche Wertung notwendig, dass es sich um ein rechtlich zu beanstandendes Vergabeverfahren handelt. Eine Obliegenheit, sich die maßgeblichen Kenntnisse durch eigene Nachforschungen zu verschaffen, besteht indessen gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht (vgl. nur OLG Düsseldorf, VergR 2001, 419; Willenbruch/Bischoff, Vergaberecht (2008), § 107 GWB Rz. 49 ff. m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn der Wissensstand des Antragstellers (in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht) einen solchen Grad erreicht hat, dass seine gleichwohl nicht sichere Kenntnis von dem Vergaberechtsverstoß darauf beruht, dass er sich ihr mutwillig verschlossen hat. Dass die strengen Voraussetzungen für eine derartige - den Anwendungsbereich des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB erweiternde - Ausnahme bei einem Bieter vorlagen, hat der Auftraggeber darzulegen.

2. Unter Beachtung der dargestellten Grundsätze ist vorliegend nicht von einer Präklusion der vorgenannten Rüge auszugehen.

Der vom Senat für durchgreifend erachtete Vergabeverstoß bezieht sich auf § 8 des den Verdingungsunterlagen beigefügten Vertragsentwurfes. Dass die Antragstellerin von dieser Klausel im hiesigen Vergabeverfahren vor dem 02.07.2008 mehr als nur Kenntnis genommen hat, kann nicht festgestellt werden. Denn erstmals mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.07.2008 greift die Antragstellerin den Vertrag auf und weist darauf hin, dass u. a. nach dessen § 2 Nr. 3 der Leistungsumfang unklar sei. Dass ihr bzw. ihren Prozessbevollmächtigten zu diesem Zeitpunkt die Vergaberechtswidrigkeit auch des § 8 aufgefallen wäre oder auch nur hätte auffallen müssen, ergibt sich hieraus nicht, zumal eine Verpflichtung zur zeitnahen Durchsicht der Vertragsunterlagen im Hinblick auf etwaige Vergabeverstöße nicht besteht. Es ist deshalb auch unerheblich, ob die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, wie die Antragsgegnerin meint, bereits vor dem 01.07.2008 in dieser Sache bzw. bereits in einem vorausgegangenen Vergabeverfahren mit Ausschreibung des gleichen Auftragsgegenstandes mandatiert waren. Denn auch hieraus könnte nicht darauf geschlossen werden, dass die Antragstellerin bereits geraume Zeit von ihrem Rügeschreiben vom 14.07.2008, das sich auf die Vertragsregelungen in § 8 Nrn. 4-6 bezieht, Kenntnis von deren Vergaberechtswidrigkeit hatte. Nach dem Vortrag der Antragstellerin ergaben sich aufgrund ihres Schreibens vom 20.06.2008 und des daraufhin erfolgten Antwortschreibens der Antragsgegnerin vom 25.06.2008 für sie zunächst lediglich Fragen zum Leistungsumfang. Ausschließlich in diesem Zusammenhang hatten die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin sich mit Schreiben vom 02.07.2008 auf den Vertragstext, nämlich konkret auf § 2 Nr. 3 des Vertrages, bezogen. Es kann der Antragstellerin daher nicht widerlegt werden, dass sie zu diesem Zeitpunkt den Vertragstext nicht bereits auch auf andere sich aus den vertraglichen Regelungen ergebende Vergaberechtsverstöße durchgesehen hat. Vielmehr hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren (siehe S. 11 ff ihres Schriftsatzes vom 09.10.2008), durchaus nicht unplausibel, vorgetragen, dass sie erst als hinsichtlich des Leistungsumfangs bestehende Zweifel und Unklarheiten nicht vollständig ausgeräumt werden konnten, den Vertragsentwurf einer weiteren Prüfung unterzogen hat und im Rahmen dieser Prüfung zunächst am 09.07.2008 und dann noch einmal am 10. bzw. 11.07.2008 Telefongespräche zwischen ihr und ihren Prozessbevollmächtigten erfolgt seien, die neben der vertraglichen Beschreibung der Leistung selbst auch die Modalitäten der Leistungserbringung und die damit verbundenen Risiken zum Gegenstand hatten. Die Antragstellerin ist mit diesem Vortrag im Beschwerdeverfahren entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht präkludiert. Verspätungsregelungen sieht das GWB außerhalb des Anwendungsbereichs des § 107 Abs. 3 nicht vor.

Mit seiner Bewertung des vorliegenden Sachverhalts weicht der Senat schließlich auch nicht von den von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidungen des OLG Naumburg vom 05.12.2008 (Azu.: 1 Verg 9/08) und vom 13.05.2008 (Az.: 1 Verg 3/08) ab. Dies gilt namentlich, soweit das OLG Naumburg an die erste Kenntnisnahme der Verdingungsunterlagen durch einen fachkundigen Mitarbeiter des Bieters die Rügeobliegenheit knüpft. Dem liegt erkennbar die Annahme zugrunde, dass bereits die Kenntnis der Verdingungsunterlagen ohne weiteres den Rückschluss auf einen sich aus ihnen ergebenden Vergabefehler nahelegte. Dies mag sich in dem zugrunde liegenden Fall so verhalten haben, trifft aber auf § 8 Nrn. 4-6 des streitgegenständlichen Vertragstextes nicht zu. Dessen Vergaberechtswidrigkeit erschließt sich erst nach eingehender Prüfung.

3. Die Antragstellerin hat das Recht, einen Nachprüfungsantrag zu stellen, auch nicht verwirkt.

Denn es mangelt vorliegend schon an Umständen, die bei wertender Betrachtung aus der Sicht der Antragsgegnerin deren Vertrauen gerechtfertigt haben könnten, die Antragstellerin werde die Vergaberechtswidrigkeit der nunmehr streitgegenständlichen Vertragsklauseln nicht rügen. Dies gilt, obwohl die Antragstellerin in einem vorausgegangenen Vergabeverfahren in den Jahren 2006/2007 verschiedene Bestimmungen des mit dem streitgegenständlichen Liefervertrag nahezu identischen Vertrages, nicht aber die Klauseln in § 8 Nrn. 4-6 beanstandet haben soll. Denn eine sich nur auf einen Teil eines Vertrages beziehende Rüge besagt nicht, dass der Bieter den Vertragstext auch im Übrigen geprüft und für in Ordnung befunden habe. Daran ändert es auch nichts, wenn die Antragstellerin im Rahmen des vorausgegangenen Vergabeverfahrens ein Angebot abgegeben haben sollte, da die Gründe hierfür vielfältig sein können (siehe dazu auch OLG Naumburg, Beschluss vom 05.12.2008, Az.: 1 Verg 9/08, zitiert nach juris) und nicht notwendig darin liegen müssen, dass nach Prüfung (weitergehende) Beanstandungen nicht zu machen seien.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet, soweit das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen ist. Denn mit dem vorliegenden Vertragsentwurf, der Gegenstand der bisherigen Verdingungsunterlagen war, insbesondere den dort enthaltenen Regelungen zu § 8 Ziffern 4-6 wird dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet. Ob darüber hinaus weitere Regelungen des Vertragsentwurfs - wie von der Antragstellerin im Einzelnen aufgezeigt - sich als vergaberechtswidrig darstellen, kann daher letztlich dahingestellt bleiben.

Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Gründe seines Beschlusses vom 17.12.2008 unter A I. 1.-2. und hält an der dort vertretenen Auffassung fest. Im Hinblick auf die jeweiligen Stellungnahmen der Beteiligten zu dem Hinweisbeschluss sind lediglich folgende Ergänzungen veranlasst:

1. Der Senat hat zur Begründung eines ungewöhnlichen Wagnisses nicht allein auf die Abweichung der vertraglichen Regelungen von den Normen des BGB abgestellt, sondern ausgeführt, dass die Regelungen dem Bieter Wagnisse auferlegen, die normale vertragliche unternehmerische Risiken übersteigen. Denn man wird die Übernahme der Haftung für Zufall und höhere Gewalt, die unzumutbar lange Ausdehung von Verjährungsfristen bzw. die Übernahme einer das Normalmaß übersteigenden Gewährleistung als ungewöhnliches Wagnis ansehen müssen. Die Regelungen unter § 8 Ziffern 4-6 des Vertragsentwurfes bewirken jedoch gerade, dass der Gefahrübergang auf den Zeitpunkt nach dem Transport und der Installation der Komponenten durch den Auftraggeber und damit auf einen für den Auftragnehmer unbestimmten und von ihm auch nicht zu beeinflussenden Zeitpunkt verschoben wird und der Auftragnehmer darüber hinaus die Gefahr trägt, auch für die (zufällige) Verschlechterung der Kompontenten nach Ablieferung im Lager, nämlich während der Lagerung, des Transports oder der Installation durch den Auftraggeber zu haften.

2. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) führen die Regelungen unter § 6 des Vertragsentwurfes zur Teststellung nicht dazu, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A bezüglich der Regelungen unter § 8 Ziffer 4-6 des Vertragsentwurfes zu verneinen. Zwar steht es dem Auftragnehmer nach § 8 Ziffer 5 des Vertragsentwurfes frei, nach der Installation der Komponenten durch den Auftraggeber die ordnungsgemäße Funktion in den Räumen der Teststellung nachzuweisen. Jedoch weist § 8 Ziffer 6 des Vertragsentwurfes ausdrücklich darauf hin, dass vom Auftragnehmer ein Austausch der Komponenten vorzunehmen ist, wenn die Funktion der bemängelten Komponente vom Auftragnehmer weder am Einsatzort noch am Ort der Teststellung nachgewiesen werden kann. Die Regelungen beseitigen mithin entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) nicht die vom Senat aufgezeigten Risiken hinsichtlich der Verschiebung des Zeitpunkts des Gefahrüberganges und der Haftung des Auftragnehmers für die (zufällige) Verschlechterung der Komponenten nach dem Transport bzw. der Installation durch den Auftraggeber.

3. Dass der Antragstellerin eine Kalkulation der Risiken möglich ist, folgt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht aus dem von ihr behaupteten Umstand, die Antragstellerin habe im vorausgegangenen Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben. Denn, wie bereits oben ausgeführt, können die Gründe dafür vielfältig sein; insbesondere kann der Antragstellerin gerade nicht nachgewiesen werden, dass sie vor dem 09. bzw. 10.07.2008 die Vergaberechtswidrigkeit der Klausel erkannt hat, ihr mithin bewusst war, dass ihr mit den Regelungen im vorliegenden Vertragsentwurf ein ungewöhnliches Wagnis i.S.d. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A aufgebürdet wird.

III.

Eine Aufhebung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens ist dagegen nicht veranlasst.

1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lässt sich nicht feststellen, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine sog. "Scheinausschreibung" handelt.

Zwar sind Ausschreibungen für vergabefremde Zwecke (u. a. für eine Markterkundung) unzulässig. Es muss mithin eine konkrete Vergabeabsicht und auch die tatsächliche Möglichkeit der (unbedingten) Zuschlagserteilung bestehen. Dies lässt sich für die konkrete Vergabeabsicht aus § 16 Nr. 1 und 2 VOL/A und für die unbedingte Zuschlagserteilung aus dem Sinn und Zweck eines Vergabeverfahrens ableiten. Der Tatbestand der Scheinausschreibung ist jedoch nur dann gegeben, wenn die Ausschreibung erkennbar in der Absicht durchgeführt wird, lediglich Preislisten und Kostenanschläge einzuholen, ohne dass dahinter der ernsthafte Wille zur Einholung von Angeboten und zur Vergabe steht (vgl. zu Vorstehendem nur Weyand, VergR, 2. Aufl., § 16 VOL/A Rz. 6870 unter Verweis auf die Kommentierung zu § 16 VOB/A, Rz. 1614 f, dort m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht feststellbar. Insbesondere steht der Zuschlagserteilung nicht entgegen, dass der Auftragswert zu niedrig angenommen worden sein soll. Denn auch ein niedrig kalkulierter Vertragspreis lässt es zu, dass der Zuschlag auf ein höherpreisiges Angebot erteilt wird. Die Frage, ob zwischen Preis und Leistung ein offenbares Missverhältnis besteht (§ 25 Nr. 2 Abs. 3 VOL/A), beantwortet sich nicht allein nach dem von der Vergabestelle angenommenen Schätzwert. Erweist sich dieser als Folge der Preise der eingehenden Angebote als zu niedrig, so scheidet er als Maßstab für die Abwägung aus.

Dafür, dass es der Antragsgegnerin an einer konkreten Vergabeabsicht fehlt, liegen auch im Übrigen keine Anhaltspunkte vor. Im Gegenteil spricht die Tatsache, dass die Antragsgegnerin sich mit den Rügen der Antragstellerin im Einzelnen auseinandergesetzt und diese im Mai 2008 sogar zum Anlass genommen hat, eine Neubekanntmachung des Vergabeverfahrens vorzunehmen, dafür, dass die Antragsgegnerin eine konkrete Vergabeabsicht hat und es ihr auf die Durchführung eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens ankommt.

2. Dahingestellt bleiben kann, ob eine mangelhafte Vergabeakte wegen Verstoßes gegen § 2 Nr. 3 VOL/A vorliegt und ob die Antragsgegnerin gegen ihre Dokumentationspflichten gem. § 97 Abs. 7 GWB verstoßen hat, da dies vorliegend jedenfalls nicht zu einem weitergehenden als dem tenorierten Ergebnis, insbesondere nicht zu einer Aufhebung des Vergabeverfahrens führen würde.

C.

I.

Die Entscheidung des Senates bedeutet ein Unterliegen der Antragstellerin in einem Umfang, der bei Anwendung der sich aus § 92 Abs. 2 ZPO ergebenden Grundsätze eine Kostenbelastung der Antragstellerin nicht rechtfertigt.

Was die im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten (Gerichtskosten und Kosten der Beteiligten) anbelangt, so sind die Regeln der Zivilprozessordnung heranzuziehen. Ein Beigeladener ist dabei kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren auch nutzt, indem er sich an diesen Verfahren beteiligt. Im Streitfall hat die Beigeladene zu 1) mit Schriftsatz vom 16.02.2009 zur sofortigen Beschwerde der Antragstellerin sachlich Stellung genommen und insoweit auf Zurückweisung des Begehrens der Antragstellerin angetragen. Neben der Antragsgegnerin hat mithin auch die Beigeladene zu 1) als im Wesentlichen unterliegende Partei die in der Beschwerdeinstanz entstandenen Kosten zu tragen (§§ 91, 92 Abs. 2 ZPO in entsprechender Anwendung). Für die Kostenerstattung haften die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu 1) dabei in entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 1 ZPO nach Kopfteilen (vgl. zu Vorstehendem nur BGH, VergR 2007, 59 ff).

Die Beigeladene zu 2) hat dagegen ausdrücklich mit Schriftsatz vom 25.02.2009 erklärt, sich nicht aktiv am Verfahren beteiligen und weder Anträge nebst Begründungen hierfür stellen noch das Verfahren sonst wesentlich fördern zu wollen. Sie ist daher auch nicht verpflichtet, gemeinsam mit der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen zu 1) die Kosten des Beschwerdeverfahrens bzw. der Antragstellerin zu tragen. Umgekehrt hat sie aufgrund ihrer Erklärung aber auch keinen eigenen Kostenerstattungsanspruch erlangt.

II.

Der festgesetzte Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 50 Abs. 2 GKG und beträgt 5 % der Bruttoauftragssumme. Dabei wurde von dem seitens der Auftraggeberin geschätzten Auftragswert von 1,5 Mio. EUR netto, entspricht 1,785 Mio. EUR brutto, ausgegangen, nachdem die Antragstellerin selbst ein Angebot nicht abgegeben hat.

Ende der Entscheidung

Zurück