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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.08.2001
Aktenzeichen: 1 U 160/99
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, PflVG, ZSG, BGB, StVO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 2
ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 101 Abs. 1
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 708 Ziff. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 1
StVG § 12 Abs. 1 Ziff. 3
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 8 a
StVG § 16
PflVG § 3 Ziff. 1
ZSG § 9 Abs. 3 Nr. 2
BGB § 823
BGB § 291
BGB § 288 Abs. 1
StVO § 3
StVO § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
StVO § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 160/99

Verkündet am 20. August 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E, den Richter am Oberlandesgericht K und den Richter am Landgericht M

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Anschlussberufung der Beklagten zu 1) und 2) wird das am 04.05.1999 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve unter Zurückweisung der weitergehenden Anschlussberufung sowie der Berufung teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und 2} werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.925,20 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.04.1998 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) dem Kläger als Gesamtschuldner alle zukünftigen materiellen Schaden, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 17.01.1995 entstehen, bis zu einer Haftungshöchstgrenze eines Schadensgesamtbetrages von 100.000,00 DM zu ersetzen haben, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergeht.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers, der Erst- und Zweitbeklagten in der ersten Instanz tragen der Kläger zu 4/5 und die Erst- und Zweitbeklagte zu 1/5.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers, der Erst- und Zweitbeklagten im Berufungsrechtsstreit tragen der Kläger zu 85 % und die Erst- und Zweitbeklagte zu 15 %.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) sowie diejenigen der Beklagten zu 5) einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg. In Abänderung des landgerichtlichen Urteils war dem Antrag der Erst- und Zweitbeklagten folgend der Feststellungsausspruch für materielle unfallbedingte Zukunftsschäden des Klägers gemäß § 12 Abs. 1 Ziff. 3 des StVG auf den Haftungshöchstbetrag von 100.000,00 DM zu begrenzen.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten aufgrund des Unfallereignisses vom 17.01.1995 einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 7 Abs. 1 StVG bzw. über § 3 Ziff. 1 Pflichtversicherungsgesetz in Höhe von 2.925,20 DM. Des weiteren steht ihm ein Feststellungsanspruch wegen etwaiger unfallbedingter materieller Zukunftsschäden zu. Die insoweit von der Erst- und der Zweitbeklagten eingelegte Anschlussberufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Landgericht ihre Haftung für diese Positionen angenommen.

1.

Der Verkehrsunfall vom 17.01.1995 erfolgte beim Betrieb (§ 7 I StVG) des PKW Renault der Beklagten zu 1). Dem steht nicht entgegen, dass Renault und Audi sich nicht berührt haben.

a)

Indem die Erstbeklagte mit ihrem Fahrzeug von dem Seitenweg sie einen mitverursachenden Beitrag zu dem Unfall des entgegenkommenden PKW Audi, in dem der Kläger Beifahrer war, geliefert. Ihr Einbiegen hat sich in dem Unfallgeschehen niedergeschlagen und es mitgeprägt. Der verstorbene Fahrer des Audi M G hätte den scharfen Fahrspurwechsel zurück auf die rechte Fahrbahn der H Straße in unmittelbarer Nähe der Einfahrt des Seitenweges I W nicht durchgeführt, wenn ihm nicht der gerade aus dem Seitenweg eingebogene Renault der Beklagten zu 1) entgegen gekommen wäre. Dieser Fahrspurwechsel verbunden mit der Bremsung des Audi hat sodann zu dem Ausbrechen des Fahrzeuges geführt, wodurch der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und von der Straße abkam.

Aufgrund der Begutachtung des Sachverständigen Dipl.-Ing. S vom 18.12.2000 steht fest, dass die Ursache des Unfalls darin liegt, dass ein scharfer Fahrspurwechsel nach rechts vorgenommen wurde, der durch eine sofort anschließende ebenfalls scharfe Lenkbewegung nach links wieder abgefangen werden musste. Weiter hat der Sachverständige festgestellt, dass die Rückkehr des Audi auf die rechte Richtungsfahrbahn unter Berücksichtigung der Spuren in unmittelbarer Nähe zu der Einfahrt I W beendet war. Das Ausbrechen des Hecks des Audi konnte der Sachverständige nur so erklären, dass zwei gegenläufige Lenkmanöver unmittelbar aufeinander folgten. Das Ausbrechen des Hecks ist für ein Fahrzeug mit Frontantrieb untypisch. Bei einem starken Lenkmanöver schiebt das Fahrzeug vielmehr bei Erreichen der Kurvengeschwindigkeit mit den Vorderrädern über die Kurve nach außen. Völlig anders verhält sich dementgegen das Einlenkverhalten, wenn es zu zwei derartigen aufeinanderfolgenden Lenkmanövern kommt. Insbesondere in Verbindung mit einer Bremsung, die die Hinterräder zudem entlastet, wird hierdurch eine Umkehrung des eigenen Lenkverhaltens des Fahrzeugs bewirkt, was das Ausbrechen des Hecks zum Kurvenaußenrand erklärt. Demgemäß reicht ein Verriss der Lenkung des Audi nach links nicht zur Erklärung des Unfalls aus.

b)

Die Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S stehen auch im Einklang mit den Angaben des Zeugen B, der in seiner Aussage vor dem Landgericht Kleve in dem Parallelverfahren Aktenzeichen angegeben hat, der Audi sei nach dem Überholvorgang des von ihm gesteuerten PKW Mercedes aus ca. 70 m vor diesem wieder auf die rechte Spur eingeschert. Dieser Abstand lässt nicht etwa den Schluss zu, dass der PKW Audi sein Überholmanöver früher hätte beenden können. Vielmehr steht nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. S in seiner unfallanalytischen Begutachtung fest, dass dieser Abstand angesichts der von dem Audi gegenüber dem Mercedes gefahrenen überschießenden Geschwindigkeit nachvollziehbar ist und nicht in Widerspruch zu dem festgestellten scharfen Fahrspurwechsel mit zwei abrupten Lenkmanövern zurück auf die rechte Fahrbahn steht. Während der Zeuge B in seinem Mercedes unstreitig nur ca. 70 km/h schnell fuhr, während er überholt wurde, fuhr der Audi bei dem Überholmanöver mit einer Geschwindigkeit von zumindest 123 km/h. Der Sachverständige S hat die Geschwindigkeit des von dem verstorbenen M G gelenkten Fahrzeugs im Einzelnen anhand der Unfallspuren berechnet und ist dabei zu diesem Mindestwert gelangt. Für den Fall, dass G bereits während des Fahrspurwechsels nach rechts eine scharfe Bremsung vorgenommen hat, hat der Sachverständige eine Annährungsgeschwindigkeit bis zu 155 km/h berechnet. Ein früheres Zurücklenken auf die rechte Fahrspur in einem geringeren Abstand zu dem PKW des Zeugen B wäre dem Audifahrer dem entgegen nur möglich gewesen, wenn er eine geringere Überholgeschwindigkeit von 100 bis 120 km/h oder weniger eingehalten hätte.

c)

Der Unfall des PKW Audi ist auch nicht auf äußere Witterungseinflüsse zurückzuführen. Es kann ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des Audi aufgrund von Nässe auf der Fahrbahn oder wegen Windböen von der Straße abkam.

Soweit der Zeuge B in seiner Vernehmung vor dem Landgericht Kleve in dem Parallelprozess Aktenzeichen am 04.09.1996 angegeben hat, zum Unfallzeitpunkt sei "an den Randbereichen" der Straße "eine gewisse Nässe vorhanden" gewesen und es habe eine Temperatur um den Gefrierpunkt geherrscht, steht dies bereits in Widerspruch zu der polizeilichen Unfallaufnahme vom 17.01.1995. Dort ist ausdrücklich vermerkt, dass die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt und zur Antreffzeit trocken war. Selbst wenn man jedoch von einer Nässe in Randbereichen der Straße ausgeht, war diese nicht die Ursache dafür, dass der Audi von der Straße abkam. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Der Sachverständige Dipl.-Ing. S hat in seiner Anhörung vor dem Senat vom 02.07.2001 nachvollziehbar ausgeführt, dass der PKW Audi auf seinem Weg nach links von der Fahrbahn eine Schleuderspur hinterlassen hat. In dieser Spur ist keine Rotation feststellbar, die auf ein Durchdrehen der Reifen wegen Nässe oder Glätte schließen lässt. Für die Schleuderspur, die der Audi hinterlassen hat, muss der Wagen stabil gewesen sein. Eine vorherige Instabilität infolge von Nässe oder Glätte wäre innerhalb dieser kurzen Zeitspanne nicht ausgleichbar gewesen. Hinzu kommt, dass der Wagen bei Glätte auf der rechten Seite der Fahrbahn nach rechts von der Fahrbahn hätte abkommen können, nicht jedoch eine Schleuderbewegung nach links über die Straße genommen hatte.

Ebenso wenig ist es auf den zum Unfallzeitpunkt vorherrschenden böigen Wind zurückzuführen, dass der PKW Audi von der Straße abgekommen ist. Auch dies hat der Sachverständige Dipl.-Ing. S in seiner mündlichen Anhörung im Einzelnen erläutert. Die Instabilität des Fahrzeugs konnte nur aufgrund von zwei kurz aufeinanderfolgenden starken Lenkeinschlägen ausgelöst werden. Alleine der vorherrschende Wind konnte dies nicht auslösen. Allenfalls kann ein sehr starker Wind eine ohnehin aufgrund anderer Ursachen eintretende Instabilität eines Fahrzeugs verstärken.

2.

Bei dem Unfallereignis handelte es sich für die Beklagte zu 1) nicht um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG. Bei Einhaltung der äußersten Sorgfalt, wie sie von einem Idealfahrer zu erwarten ist, wäre der Unfall auch für die Beklagte zu 1) abwendbar gewesen. Dass die Beklagte zu 1) diese hohen Anforderungen an eine "ideale" Fahrweise erfüllt hat, kann der Senat nicht feststellen.

Der Verkehrsunfall war für die Beklagte zu 1) auch nicht deshalb unabwendbar, weil der Audi mit einer "Drohgebärde" auf sie zugefahren kam. Eine solche Drohgebärde kann im Straßenverkehr in einer derartigen Situation nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Im vorliegenden Fall ist jedoch aufgrund der von den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen beim Überholvorgang gefahrenen Geschwindigkeiten - wie festgestellt - davon auszugehen, dass der PKW Audi nach dem Überholvorgang nicht noch länger als notwendig auf linken Spur blieb, sondern es nur knapp schaffte, den Überholvorgang vor dem beklagten Fahrzeug abzuschließen. Soweit der Sachverständige trotzdem in seiner Begutachtung die Möglichkeit einer verspäteten Reaktion des Audifahrers nennt und in diesem Zusammenhang Bezug nimmt auf eine mögliche kurzzeitige Unaufmerksamkeit, ein zu spätes Erkennen des einbiegenden Beklagtenfahrzeugs oder auch einer "Drohgebärde", ist Letzteres nur eine Vermutung, keine gesicherte Erkenntnis.

3. a)

Die Höhe des ersatzfähigen materiellen Schadens des Klägers hat das Landgericht zutreffend mit insgesamt 2.925,20 DM festgesetzt.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz seiner Fahrtkosten für Behandlungstermine, die infolge seiner unfallbedingten Verletzungen notwendig wurden. Im Einzelnen hat der Kläger Fahrten über insgesamt 3.968 km aufgelistet. Die zugrundeliegenden Fahrten und ihre Unfallbedingtheit stehen zwischen den Parteien nicht im Streit. Die vom Kläger geltend gemachte Pauschale von 0,42 DM pro gefahrenen Kilometer war auf ersatzfähige 0,40 DM zu kürzen. Ein weitergehender Abzug ist auch nicht vor dem Hintergrund des in erster Instanz geltend gemachten Einwandes der Beklagten gerechtfertigt, der Kläger habe lediglich einen Anspruch auf Ersatz der reinen Betriebskosten für den PKW. Vielmehr stellt die Pauschale von 0,40 DM pro Kilometer, wie sie auch das Landgericht in Anlehnung an § 9 Abs. 3 Nr. 2 ZSG zugrundegelegt hat, eine angemessene Entschädigung pro gefahrenen Kilometer dar (OLG Hamm VersR 1996, 1513, 1515; Palandt/Heinrichs § 249 Rdnr. 11). Insgesamt ergibt sich ein Schaden des Klägers für Fahrtkosten von 1.587,20 DM.

Der Schaden, den der Kläger bei dem Unfall an Kleidung und Brille erlitten hat, kann gemäß § 287 Abs. 2 ZPO auf 700,00 DM geschätzt werden. Der insoweit bereits vom Landgericht auf 700,00 DM festgesetzte Betrag ist in der Berufung nicht angegriffen worden. Der Kläger konnte den geltend gemachten Schaden für Kleidung und Brille von insgesamt 1.470,00 DM nur zum Teil durch die Vorlage von Quittungen belegen. Auch nach der Anrechnung eines Abzuges "neu für alt" erscheint der festgesetzte Betrag von 700,00 DM als insgesamt gerechtfertigt.

Die Kosten der ärztlichen Begutachtung zur Vorlage bei privaten Versicherern vom 21.11.1995 sind in der durch eine Quittung bestätigten Hohe von 40,00 DM erstattungsfähig. Es handelt sich um einen kausal auf das Unfallereignis zurückführbaren Schaden.

Auch die Kosten der von dem Kläger nach dem Unfall verletzungsbedingt angeschafften Spezialmatratze in Höhe von 548,00 DM sind zu ersetzen. Der Umstand, dass die Anschaffung dieser Matratze aufgrund der unfallbedingten Verletzungen gerechtfertigt war, kann nach § 287 Abs. 1 ZPO zugrundegelegt werden. Der Kläger erlitt durch den Unfall erhebliche Verletzungen im Bereich der rechten Schulter sowie des linken Hüftgelenkes. Über längere Zeit befand er sich unfallbedingt in krankengymnastischer Behandlung. Insoweit war es sinnvoll und angemessen, die Ausheilung der Verletzungsfolgen durch die Anschaffung der Spezialmatratze zu unterstützen. Ein Abzug "neu für alt" war in diesem Zusammenhang nicht vorzunehmen. Die Wertverbesserung, die der Kläger durch die Anschaffung der teureren Spezialmatratze erlangt hat, ist unfallbedingt.

Als weiterer Schaden hinzuzurechnen ist eine allgemeine Unkostenpauschale in Höhe des hier angemessenen Betrages von 50,00 DM.

b)

Dem Kläger steht gegen die Beklagten auch ein Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen zukünftiger unfallbedingter materieller Schäden zu. Bereits aufgrund der Schwere der vom Kläger bei dem Unfall vom 17.01.1995 erlittenen Verletzungen kann die Möglichkeit weiterer in Zukunft zu Tage tretender Verletzungsfolgen nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger hatte bei dem Verkehrsunfall am 17.01.1995 schwerwiegende Brüche und Verletzungen im Bereich der rechten Schulter, der linken Hüfte sowie des linken Beines erlitten, die langwierige Behandlungen und Beeinträchtigungen mit sich brachten. Weitere materielle Einbußen sind nicht fernliegend.

c)

Der Kläger kann seinen Ersatzanspruch wegen seiner materieller Unfallschäden in voller Höhe gegenüber den Beklagten geltend machen und muss sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht im Hinblick auf § 8 a StVG eine Anspruchskürzung unter dem Gesichtspunkt des gestörten Gesamtschuldverhältnisses anrechnen lassen. Es liegt bereits kein sogenanntes gestörtes Gesamtschuldverhältnis vor. Die Haftung des infolge des Unfallereignisses verstorbenen Audifahrers M G gegenüber dem Kläger ist nicht durch § 8 a StVG ausgeschlossen. Diese Haftungsprivilegierung gegenüber Fahrzeuginsassen gilt nur für die Ansprüche aus dem Straßenverkehrsgesetz. Weitergehende Ansprüche wie auch solche nach Deliktsrecht bleiben gemäß § 16 StVG von den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes unberührt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 8 a StVG Rdnr. 1). Ansprüche des Klägers gegen den Audifahrer M G können sich jedoch nicht nur aus dem Straßenverkehrsgesetz ergeben. Vielmehr hat er die Verletzungen und Sachbeschädigungen des Klägers schuldhaft im Sinne von § 823 BGB verursacht. Sein Verstoß gegen § 3 StVO war zumindest fahrlässig. Die Geschwindigkeitsübertretung hat sich auch in dem Unfallereignis niedergeschlagen. Wie der Sachverständige Dipl.-Ing. S weiter festgestellt hat, wäre der Unfall für den Audifahrer bei der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und der unter dieser Voraussetzung entsprechend geringeren notwendigen Querbeschleunigung beim Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn vermeidbar gewesen.

II.

Dem Kläger steht gegen die Erst- und Zweitbeklagte kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen etwaiger immaterieller Zukunftsschäden zu. Die dahingehende Berufung des Klägers ist zurückzuweisen. Ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) im Zusammenhang mit dem Einbiegen in die H Straße kann nicht nachgewiesen werden.

1.

Eine Vorfahrtsverletzung der Beklagten zu 1) vor und bei dem Einbiegen in die H Straße ist nicht feststellbar.

Bei der Seitenstraße "I W", auf dem die Beklagten zu 1) herannahte, handelte es sich um einen untergeordneten Weg im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO. Nicht nachweisbar ist hingegen, dass die demgemäß wartepflichtige Beklagte zu 1) in dem Moment, als sie sich entschloss, in die H Straße einzubiegen, den PKW Audi herankommen sah oder auch nur sehen konnte. Auch für den Zeitpunkt des Beginns mit dem Auffahren auf die Hauptstraße lässt sich die Sichtbarkeit des Audi nicht sicher feststellen. Im Einzelnen gilt:

Für eine Vorfahrtsverletzung durch die Beklagte zu 1) spricht nicht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Auch wenn es sich bei einem Unfall eines aus einer untergeordneten Seitenstraße nach rechts einbiegenden PKW's mit einem Überholer auf der bevorrechtigten Straße um keine ganz seltene Unfallkonstellation handelt, so lag doch hier aufgrund der festgestellten erheblichen Überschussgeschwindigkeit, mit der der PKW Audi den Mercedes des Zeugen B überholte, sowie der vorherrschenden Dunkelheit eine atypische Konstellation vor, in der nicht bereits aus den feststellbaren äußeren Umständen auf einen Sorgfaltsverstoß zurückgeschlossen werden kann.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass der PKW Audi für die Beklagte zu 1) zum Zeitpunkt ihres Abbiegeentschlusses bereits sichtbar gewesen ist. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass er sich für sie in diesem Moment noch unsichtbar im Dunkeln befunden hat. Über die Annäherung des PKW Audi hinter dem Mercedes des Zeugen B sind keine sicheren Feststellungen möglich. Der Zeuge B hat in seiner Aussage vor dem Landgericht Kleve in dem Parallelprozess Aktenzeichen angegeben, insoweit keine Wahrnehmungen getroffen zu haben. Auch der Sachverständige Dipl.-Ing. S konnte aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen bei seiner unfallanalytischen Begutachtung keine Feststellungen dazu treffen, ob der PKW Audi bereits in der Annährungsphase an den Mercedes mit der festgestellten Bremsausgangsgeschwindigkeit von zumindest 123 km/h und höchstens 155 km/h fuhr, oder ob er diese Geschwindigkeit erst bei der Beschleunigung im Rahmen des Überholmanövers erreicht hat. Demgemäß ist zugunsten der Beklagten zu 1) davon auszugehen, dass der Audi bereits in der Annäherung an den Mercedes mit stark überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist. Je schneller er aber auf den Mercedes aufschloss, desto kürzer war die Zeitspanne, um die Scheinwerfer des Audi wahrzunehmen. Ein wahrnehmbares Fahren hinter dem Mercedes, der für die Beklagte zu 1) gut sichtbar war, kann der Senat auch nicht für den Beginn des Einbiegens sicher feststellen.

Die Beklagte zu 1) handelte auch nicht sorgfaltswidrig, indem sie in die H Straße einbog, ohne sich vergewissert zu haben, dass kein Fahrzeug so nahe hinter dem Mercedes des Zeugen B herfuhr, dass seine Scheinwerfer für sie von dem Mercedes verdeckt waren. In der konkreten Situation durfte die Beklagte zu 1) vielmehr davon ausgehen, dass ein Hintermann dem PKW Mercedes in einem ordnungsgemäßen Abstand folgt, jedenfalls nicht derart nahe auffährt, dass seine Scheinwerfer verdeckt werden. Für die Annahme einer derartig sorgfaltswidrigen Fahrweise eines Hintermannes bestand angesichts der Verkehrslage kein Anlass. Der Sachverständige Dipl.-Ing. S hat in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat vom 02.07.2001 angegeben, dass die Scheinwerfer eines hinter dem Mercedes fahrenden Wagens nur dann nicht für die Beklagte zu 1) sichtbar gewesen wären, wenn er ihm in einen Abstand von bis zu etwa 10 m gefolgt wäre. Es kann im übrigen nicht davon ausgegangen werden, dass der PKW Audi vor seinem Überholmanöver, das er mit zumindest 123 km/h durchführte, über einige Zeit in einem derart geringen Abstand hinter dem Mercedes (Geschwindigkeit lediglich ca. 70 km/h) hergefahren ist. Etwas Derartiges hat der Zeuge B in seinem Mercedes auch nicht wahrgenommen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.9.1995 (NJW 1996, 60). Beim Herannahen eines Omnibusses von rechts bei einem unübersichtlichen Straßenverlauf hat er angenommen, dass der Wartepflichtige vor dem Einbiegen so lange warten muss, bis er sicher ist, dass hinter dem herannahenden Bus kein Fahrzeug ausschert. Unter diesen Voraussetzungen hat der BGH eine gesteigerte Sorgfaltsverpflichtung eines Wartepflichtigen angenommen, der rechts in eines Vorfahrtsstraße einbiegen will. Grundsätzlich kann der Wartepflichtige in einer derartigen Situation jedoch darauf vertrauen, dass er keinen Vorfahrtsberechtigten an der Weiterfahrt behindert, wenn sich bei Beginn seines Einbiegens nicht nur von links keine Fahrzeuge nähern, sondern auf der Vorfahrtsstraße auch die für ihn rechte Straßenseite frei ist und keine Anzeichen dafür sprechen, dass eines der sich auf der anderen Straßenseite von rechts nähernden Fahrzeuge die Fahrbahnseite wechselt (BGH NJW 1982, 2668). Dieser Vertrauensgrundsatz galt auch zugunsten der Beklagten zu 1. Anders als in dem Fall BGH NJW 1996, 60 war die Streckenführung der für die Beklagte zu 1) vorfahrtsberechtigten Straße nicht unübersichtlich. Auch handelte es sich bei dem von rechts erkennbar herannahenden Fahrzeug im vorliegenden Fall nicht um einen Omnibus, der aufgrund seiner Breite, Länge und auch Höhe die Einsicht auf die dahinter liegende Straße in erheblich stärkerem Maße beeinträchtigt als ein PKW mit durchschnittlichen Ausmaßen wie derjenige des Zeugen B. Zudem muss der Gegenverkehr beim Herannahen eines Busses oder LKw's anders als bei einem PKW aufgrund der geringeren Geschwindigkeit eher damit rechnen, dass ein dahinter befindliches Fahrzeug zum Überholen ansetzt. Der Senat hat erwogen, ob angesichts der herrschenden Dunkelheit ähnlich strenge Anforderungen an die Wartepflicht eines Rechtseinbiegers zu stellen sind wie im Fall BGH NJW 1996, 60. Er verneint dies, weil die Gefährdungssituationen nicht vergleichbar sind.

Der Kläger als Anspruchsteller muss die Voraussetzungen eines Vorfahrtsverstoßes der Beklagten zu 1) beweisen. Ihm obliegt der Nachweis, dass der Audi für sie bei der Entschlussfassung zum Einbiegen, spätestens bei der Umsetzung des Entschlusses, bereits in Sichtweite war. Eine Änderung der Beweislastverteilung zugunsten des Klägers als Insasse des bevorrechtigten PKW Audi ist nicht gerechtfertigt. Es liegt keine unangemessene Benachteiligung eines Vorfahrtsberechtigten vor, wenn er seine Sichtbarkeit für den Wartepflichtigen nachweisen muss.

Gleiches muss für einen Insassen des bevorrechtigten Fahrzeugs gelten.

2.

Auch beim eigentlichen Einbiegen in die H Straße und auf den ersten Metern fällt der Beklagten zu 1) kein unfallursächliches Verschulden zur Last. Der Senat kann nicht feststellen, dass die Beklagte zu 1) gegen § 1 II StVO verstoßen hat. Allerdings hielt sie ihren PKW Renault bereits kurz nach dem Einbiegen in die H Straße wieder an. Damit war sie möglicherweise ein Hindernis für das entgegenkommende Fahrzeug beim Abschluss seines Überholvorgangs. Diese Behinderung war für die Beklagte zu 1) in der konkreten Situation jedoch im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO unvermeidbar. Um die Behinderung des Audi zu vermeiden, hätte sie ihm ausweichen und mit ihrem Wagen auf den unbefestigten Randstreifen fahren müssen. Dies war ihr zur Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen des § 1 Abs. 2 StVO in der konkreten Situation nicht zuzumuten. Sie musste ihr Fahrzeug nicht von der Fahrbahn lenken und dadurch bei der vorherrschenden Dunkelheit eine zusätzliche Gefahr begründen. Der Beklagten zu 1) kann auch nicht vorgeworfen werden, zu langsam oder zögerlich auf die Hauptstraße aufgefahren zu sein. Sichere Erkenntnisse liegen insoweit nicht vor.

III.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich in der geltend gemachten Höhe von 4 % unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 515 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 546 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 27.925,20 DM festgesetzt. Davon entfallen auf die Berufung 22.000,00 DM (Schmerzensgeldantrag 20.000,00 DM; immaterieller Feststellungsantrag 2.000,00 DM). Auf die Anschlussberufung entfallen 5.925,20 DM (Schadensersatzausspruch 2.925,20 DM; materieller Feststellungsausspruch 3.000,00 DM). Dem Antrag auf Aufnahme der Haftungshöchstgrenze nach dem StVG in den Tenor kommt kein eigenständiger Wert zu. Der Gegenstandswert für die Nebenintervention beträgt 22.000,00 DM.

Die Beschwer der Parteien sowie der Streithelferin beträgt jeweils unter 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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