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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.01.2003
Aktenzeichen: 1 U 99/02
Rechtsgebiete: StVG, BGB, PflVG, StVO, ZPO


Vorschriften:

StVG § 7
StVG § 17
StVG § 18
BGB § 823
PflVG § 3 Nr. 1
StVO § 7
StVO § 7 Abs. 5 S. 1
StVO § 7 Abs. 5 S. 2
ZPO § 141
ZPO § 448
ZPO § 531
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 99/02

Verkündet am 13. Januar 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E den Richter am Oberlandesgericht K und die Richterin am Landgericht S

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 08.03.2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch 15.163,56 DM nebst Zinsen in Höhe von 4 % - und zwar die Beklagten zu 2) und 3) seit dem 28.07.2000 und die Beklagte zu 1) seit dem 26.07.2000 - zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger kann Ersatz der ihm durch den Verkehrsunfall vom 20.10.1999 in Düsseldorf entstandenen Schäden von den Beklagten gemäß §§ 7, 18 StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1 PflVG verlangen. Gegen den Beklagten zu 2) spricht nämlich als Spurwechsler der Anschein schuldhafter Unfallverursachung, den er nicht zu entkräften vermocht hat. Demgegenüber lässt sich ein Verschulden der Ehefrau des Klägers nicht feststellen. Dies führt im Rahmen der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung zur vollen Einstandspflicht der Beklagten.

II.

1.

Sowohl der Kläger bzw. seine Ehefrau als auch die Beklagten haften für die Unfallfolgen, denn keine der Parteien hat den Unabwendbarkeitsnachweis zu führen vermocht. Es ist nicht auszuschließen, dass ein höchst sorgfältiger Fahrer in der Lage der Ehefrau des Klägers die Fahrweise des Beklagten zu 2) so rechtzeitig erkannt hätte, dass sich der Unfall möglicherweise hätte vermeiden lassen. Auf der anderen Seite haften auch die Beklagten für die Unfallfolgen. Für sie war der Verkehrsunfall schon deshalb nicht unabwendbar, da der Beklagte zu 2), wie noch ausgeführt wird, den Unfall verschuldet hat.

2.

a.

Dem Beklagten zu 2) kann indessen nicht zur Last gelegt werden, er haben den Fahrstreifenwechsel nicht rechtzeitig angezeigt, § 7 Abs. 5 S. 2 StVO. Denn der Kläger hat nicht beweisen können, dass der Beklagten zu 2) es versäumt hat, den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen. Insoweit hat zwar seine als Zeugin vernommene Ehefrau angegeben, sie habe ein Blinken des Beklagtenfahrzeugs nicht gesehen. Diese Angaben haben jedoch lediglich indiziellen Charakter, den Vollbeweis für die Richtigkeit erbringen sie hingegen nicht. Der Beklagte zu 2) hat den Unfallhergang im landgerichtlichen Termin am 27.07.2001 nämlich anders geschildert. Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 2) gemäß § 448 ZPO als Partei vernommen oder lediglich gemäß § 141 ZPO angehört wurde. Ebenso ist unbeachtlich, dass der Ehefrau des Klägers formal eine Zeugenstellung zukommt. Denn im Ergebnis haben sowohl die Ehefrau als auch der Beklagte zu 2) in gleicher Weise ein Interesse am Ausgang des Verfahrens und waren auch beide am Unfallgeschehen unmittelbar beteiligt. Neutrale Zeugen sind demgegenüber nicht vorhanden.

b.

Dem Beklagte zu 2) ist jedoch ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO zur Last zu legen. Zwar ist nach dem unstreitigen Sachverhalt die Ehefrau des Klägers auf das Fahrzeug der Beklagten zu 3) aufgefahren. Dies begründet aber gegen die Ehefrau des Klägers nicht den Anschein unaufmerksamen Fahrens oder der Mißachtung des gebotenen Sicherheitsabstandes. Für den gegen den Auffahrenden sprechenden Anschein ist hier mangels typischen Geschehensablauf kein Raum, weil der Vordermann in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen einen Fahrstreifenwechsel begangen hat. Wird dieser Wechsel - wie hier - bewiesen, so spricht umgekehrt gegen den Vordermann der erste Anschein einer unfallursächlichen Mißachtung der sich aus § 7 StVO ergebenden - gesteigerten - Sorgfaltsanforderungen. Nach Abs. 5 dieser Vorschrift darf ein Fahrstreifen nämlich nur dann gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies bedeutet, dass der Fahrer den Fahrstreifenwechsel mit äußerster Sorgfalt vorzubereiten und durchzuführen hat. Dehn durch einen Fahrspurwechsel wird regelmäßig eine besondere Gefahrensituation geschaffen. Angesichts der auf beiden Spuren gefahrenen unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der Gefahr einer fehlerhaften Einschätzung der Geschwindigkeit insbesondere des sich rückwärtig nähernden Verkehrs ist mit einem derartigen Wechsel typischerweise die Gefahr eines Auffahrunfalls verbunden. Hat sich jedoch derjenige, der den Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, wieder ordnungsgemäß eingeordnet hat, so ist es Sache des Nachfolgenden, wieder für den richtigen Sicherheitsabstand zu sorgen (vgl. OLG Hamm VersR 2001, 206; OLG Köln, VRS 93, 46; KG VRS 65, 189; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36 A. 2001, § 7 StVO Rdz. 17; Geigel-Zieres, Der Haftpflichtprozeß, 23. Auflage 2001, Kap. 27 Rdz. 216).

Vorliegend ist zwischen den Parteien zwar streitig, wie weit die Ehefrau des Klägers zu jenem Zeitpunkt, als der Beklagte zu 2) in ihre Fahrspur wechselte, entfernt war; der Beklagte zu 2) hat indessen eingeräumt, er habe den Fahrstreifen wechseln wollen, in den Rückspiegel geschaut und bereits zu diesem Zeitpunkt die Ehefrau herannahen sehen, sie sei ca. 30 Meter weit entfernt gewesen. Hatte sich die Ehefrau aber noch vor Einleitung des Fahrstreifenwechsels durch den Beklagten zu 2) derart stark genähert, dann ist auch unter Zugrundelegung der Entfernungsangaben der Beklagten von einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang auszugehen.

Diesen gegen den Beklagten zu 2) sprechenden Anschein haben die Beklagten nicht zu entkräften vermocht. Der Anscheinsbeweis ist nämlich lediglich dann entkräftet, wenn das Schadensgeschehen Umstände aufweist, die es ernsthaft als möglich erscheinen lassen, dass der Unfall anders abgelaufen ist, als nach dem - "Muster" der der Anscheinsregel zugrundeliegenden Erfahrungstypik. Die häufig nicht auszuschließende reine Denkmöglichkeit, dass ein bestimmtes Schadensereignis auch durch eine andere Ursache ausgelöst worden ist als derjenigen, für die ein Anscheinsbeweis spricht, reicht jedoch noch nicht aus, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Der Hinweis auf eine solche Möglichkeit eines anderen Verlaufs entkräftet deshalb den Anscheinsbeweis noch nicht. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die wegen dieser Abweichungen des Sachverhalts von den typischen Sachverhalten einen solchen Geschehensablauf als ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit nahelegen. Diese Umstände, aus denen sich die ernste Möglichkeit einer anderen Ursache ergeben soll, müssen zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden (vgl. BGH NZV 1990, 386, 387). Hiervon wäre insbesondere dann auszugehen, wenn festgestellt werden könnte, dass sich der Beklagte zu 2) wieder vollständig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat.

Dies haben die Beklagten indessen nicht bewiesen. Zwar hat insoweit der Sachverständige V in seinem Gutachten dargelegt, der Fahrstreifenwechsel könne, müsse aber nicht ausreichende Zeit vor der Kollision abgeschlossen gewesen sein, es spreche weder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Beendigung des Fahrstreifenwechsels im Zeitpunkt der Kollision noch dagegen. Diese Feststellungen stehen jedoch im Widerspruch zu dem in dem Verfahren 52 C 4965/00 AG Düsseldorf, 23 S 473/01 LG Düsseldorf eingeholten Gutachten des Sachverständigen S. Dieser hat nämlich dargelegt, dass entgegen der Schilderung der Beklagten der Fahrstreifenwechsel durchaus nicht abgeschlossen war. Diese unterschiedliche Bewertung durch die Sachverständigen resultiert aus der Annahme eines unterschiedlichen Kollisionswinkels der Fahrzeuge. Auch der S hat jedoch - insoweit seine Ausführungen teilweise einschränkend - dargelegt, der Fahrstreifenwechsel sei zumindest "praktisch abgeschlossen" gewesen.

Welche Feststellungen zutreffend sind, kann indessen dahinstehen. Selbst wenn die Feststellungen des Sachverständigen V zugrunde zu legen sein sollten, so reichen sie gleichwohl nicht aus, um den Anschein zu entkräften. Denn der Sachverständige hat die Beendigung des Überholvorganges und damit die Wiedereingliederung in den fließenden Verkehr lediglich für möglich gehalten, aber noch nicht einmal für überwiegend wahrscheinlich; damit sind indessen Umstände, die die ernsthafte Möglichkeit begründen könnten, dass der Unfall nicht in räumlich zeitlichem Zusammenhang mit dem Spurwechsel stand, gerade nicht bewiesen worden.

3.

Ein Verschulden der Ehefrau des Klägers konnte demgegenüber nicht festgestellt werden. Angesichts des Fahrstreifenwechsels des Beklagten zu 2) spricht, wie bereits dargelegt, gegen sie als Auffahrende nicht der Anschein schuldhafter Unfallverursachung. Ein sonstiges Verschulden haben die Beklagten nicht bewiesen.

Insbesondere konnte von einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Ehefrau nicht ausgegangen werden. Beide Gutachter haben nämlich eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h nicht feststellen können. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die von der Zeugin gefahrene Geschwindigkeit, die sie selbst mit 50 bis 60 km/h angegeben hat, im Hinblick auf die Witterungsbedingungen nicht verkehrsangepaßt war. Hierzu hat der Sachverständige V nämlich ausgeführt, die Fahrbahn sei jedenfalls nicht so feucht gewesen, dass hierdurch das Bremsverhalten nachteilig verändert worden sei.

Auch die Verkehrsverhältnisse erforderten keine geringere Geschwindigkeit. Die Ehefrau des Klägers konnte nämlich darauf vertrauen, dass der Beklagte zu 2) ihren Vorrang beachten würde. Ohne nähere Anhaltspunkte mußte sie deshalb nicht davon ausgehen, dass der Beklagte zu 2. ausscheren würde; dass derartige Anhaltspunkte, insbesondere eine Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers, vorlagen, ist angesichts der widersprechenden Angaben des Beklagten zu 2) und der Ehefrau des Klägers hierzu jedoch nicht bewiesen.

4.

Im Rahmen der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung war damit auf selten der Beklagten neben der Betriebsgefahr der Verstoß gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO zu beachten, wohingegen zu Lasten des Klägers lediglich die Betriebsgefahr zu berücksichtigen war. Die Schwere des den Beklagten zu 2) treffenden Verursachungs- und Verschuldensanteils führte bei der Abwägung zu einem vollständigen Zurücktreten der Betriebsgefahr des von der Ehefrau des Klägers gesteuerten Pkws.

5.

Der Kläger kann Ersatz der Kosten für die Reparatur seines Fahrzeugs in. Höhe von 11.745,56 DM, die Wertminderung in Höhe von 1.000 DM, den Nutzungsausfall in Höhe von 1.368 DM, eine Kostenpauschale in Höhe von 50 DM sowie Gutachterkosten in Höhe von 1.000 DM, insgesamt 15.163,56 DM verlangen.

Mit den hiergegen erstmals in der Berufungserwiderung vorgebrachten Einwendungen, die Forderung sei auf den Kaskoversicherer des Klägers übergegangen, die Reparaturdauer sei ebensowenig wie die Kosten für die Inanspruchnahme des Sachverständigen belegt, ferner ergäben sich Differenzen zwischen dem Gutachten und den Reparaturkosten, vermag sie nicht durchzudringen. Die Beklagte zu 1) hat nämlich nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils den dort tenorierten Betrag gezahlt und hierdurch die Forderung anerkannt. Hierbei handelt es sich um ein deklaratorisches Anerkenntnis, das sich unter Aussparung des Anspruchsgrundes auch allein auf die Höhe beziehen kann. Folge dieses Anerkenntnisses ist, dass alle im Zeitpunkt seiner Abgabe bekannte oder erkennbare Einwendungen ausgeschlossen sind. Die genannten Einwendungen sind indessen ausnahmslos vor der Zahlung durch die Versicherung entstanden, alle nunmehr vorgebrachten Einwendungen lagen bereits in erster Instanz vor, waren insbesondere aus den vorgelegten Belegen hinreichend ersichtlich. Auf die Frage, ob die Einwendungen darüber hinaus auch, wie der Kläger rügt, gemäß § 531 ZPO verspätet wären, kommt es damit nicht mehr an.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, jene über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen.

Streitwert für den Berufungsrechtzug: 3.876,51 Euro

Ende der Entscheidung

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