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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.01.2002
Aktenzeichen: 1 UF 219/01
Rechtsgebiete: RegelbetragVO, BGB, KindUG, UnterhaltstitelanpassungsG, ZPO


Vorschriften:

RegelbetragVO § 1
BGB § 1612 b Abs. 5
BGB § 1612 b Abs. 1
BGB § 1612 a
BGB § 288
BGB § 1612 a Abs. 4
BGB § 1612 b
KindUG § 3
KindUG § 3 Abs. 1 S. 4
UnterhaltstitelanpassungsG § 2
ZPO § 655
ZPO § 655 Abs. 5 S. 2
ZPO § 652 Abs. 2
ZPO § 655 Abs. 5 S. 1
ZPO § 652
ZPO § 655 Abs. 6
ZPO § 646 Abs. 2
ZPO § 645
ZPO § 646 Abs. 1
ZPO § 655 Abs. 4
ZPO § 655 Abs. 3
ZPO § 647 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 c
ZPO § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 UF 219/01

In der Familiensache

pp.

hat der 1 Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. A... sowie die Richter am Oberlandesgericht K., und Dr. K., am 14. Januar 2002

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 23.5.2001 teilweise abgeändert.

Unter Abänderung der vollstreckbaren Urkunde des Jugendamts Eschweiler vom 29.4.1996 (UR-Nr. 47-96) wird der Unterhalt ab 1.1.2001 wie folgt neu festgesetzt:

Der vom Antragsgegner zu zahlende Unterhalt beträgt monatlich 100 Prozent des Regelbetrags nach § 1 RegelbetragVO, und zwar

- vom 1.1.2001 bis 31.5.2002 nach der ersten Altersstufe, - vom 1.6.2002 bis 31.5.2008 nach der zweiten Altersstufe und - ab 1.6.2008 nach der dritten Altersstufe.

Auf den Unterhalt ist das jeweilige hälftige Kindergeld für ein erstes Kind anzurechnen, soweit dieses zusammen mit dem Unterhalt 135 Prozent des Regelbetrags übersteigt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

I.

Zugunsten des antragstellenden Kindes (geb. 7.6.1996) ist gegen seinen nichtehelichen Vater (Antragsgegner) durch vollstreckbare Jugendamts-Urkunde vom 29.4.96 der Regelunterhalt abzüglich 100 DM hälftiges Kindergeld tituliert.

Der Antragsteller hat - vertreten durch das Jugendamt - wegen der Änderung der Kindergeldanrechnung gemäß § 1612b Abs. 5 BGB zum 1.1.2001 die Anpassung der vollstreckbaren Jugendamts-Urkunde nach Art. 5 § 3 KindUG, § 2 Unterhaltstitelanpassungsgesetz beantragt. Die Kindergeldanrechnung soll sich nach dem Antrag in der Form vollziehen, dass "das hälftige Kindergeld für ein erstes Kind anzurechnen ist, soweit dies zusammen mit dem Unterhalt 135% des Regelbetrages entspricht oder übersteigt".

Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss den Unterhalt neu festgesetzt, das anzurechnende Kindergeld aber abweichend vom Antrag betragsmäßig ausgewiesen, und zwar mit 10 DM ab 1.1.2001 und mit 0 DM ab 1.6.2002 (2. und 3. Altersstufe).

Mit der sofortigen Beschwerde begehrt der Antragsteller die Festsetzung entsprechend seinem erstinstanzlichen Antrag.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.

1.

a) Gegen die vom Antrag abweichende Festsetzung gemäß §§ 2 UnterhaltstitelanpassungsG, 655 ZPO ist unter den auf den Antragsteller sinngemäß anzuwendenden Voraussetzungen des § 655 Abs.5 S.2 ZPO (vgl. § 652 Abs.2 ZPO) ein Rechtsmittel gegeben. § 655 Abs.5 S.1 ZPO eröffnet wie § 652 ZPO die sofortige Beschwerde ohne Rücksicht auf die Parteistellung. Sie steht also grundsätzlich auch dem Antragsteller offen.

Das Rechtsmittel ist nicht gemäß §§ 655 Abs.6, 646 Abs.2 ZPO ausgeschlossen. Denn § 646 Abs.2 ZPO betrifft - für das erstmalige Festsetzungsverfahren - nur den Fall der Anfechtung der einen Antrag wegen des Fehlens von Voraussetzungen nach §§ 645, 646 Abs.1 ZPO als unzulässig behandelnden Entscheidung (so zutreffend und mit eingehender Begründung OLG Zweibrücken FuR 2001, 519 m.w.N.; Zöller/Philippi, ZPO, 22.Aufl., § 652 Rdnr.4 unter Aufgabe der in der Vorauflage, § 652 Rdnr.3 vertretenen Ansicht). Entsprechendes muss auch im Verfahren nach § 655 ZPO gelten, für das § 646 Abs.2 nach § 655 Abs.4 ZPO ebenfalls Anwendung findet.

Um eine Zurückweisung des Antrags als unzulässig geht es aber im vorliegenden Fall nicht. Denn hier ist dem Antrag wegen (von der zuständigen Rechtspflegerin erst nach der Entscheidung mitgeteilten) Bedenken gegen die Vollstreckbarkeit des Titels bei nicht betragsmäßig ausgewiesenem Kindergeldabzug nicht vollständig entsprochen worden. Bei sinngemäßer Anwendung der in § 655 Abs.5 S.2 ZPO genannten Voraussetzungen ist die sofortige Beschwerde (entsprechend der Rechtslage im erstmaligen Festsetzungsverfahren nach § 652 ZPO; Zöller/Philippi, ZPO, 22.Aufl., § 655 Rdnr.22) zulässig, zumal es sich um eine in § 655 Abs.3 ZPO aufgeführte "Einwendung" handelt, namentlich eine Beanstandung betreffend die Anrechnung von Leistungen nach § 1612b BGB.

b) Dem Rechtsmittel mangelt es auch nicht an der erforderlichen Beschwer. Zwar kann die Festsetzung des anzurechnenden Kindergelds auf 0 DM (im angefochtenen Beschluss ab 1.6.2002) den Antragsteller nicht beschweren, da sie für ihn nicht nachteilhaft ist. Die Möglichkeit, später mit Abänderungsanträgen nach § 655 ZPO überzogen zu werden, begründet noch keine Beschwer. Verfahrenskosten kann der Unterhaltsberechtigte abwenden, indem er sich außergerichtlich mit einer (bei Jugendamtsurkunden kostenfreien) Anpassung einverstanden erklärt oder auf seine Rechte aus dem Vollstreckungstitel teilweise verzichtet. Im vorliegenden Fall liegt eine - geringe - Beschwer des Antragstellers allerdings darin begründet, dass nach dem angefochtenen Beschluss auch für die Zeit ab 1.7.2001 weiterhin 10 DM an Kindergeld anzurechnen sind. Aufgrund der Anpassung der Regelbeträge zum 1.7.2001 sind nach § 1612b Abs.5 BGB statt dessen nur noch mtl. 6 DM anzurechnen. Die Beschwer wird nicht dadurch kompensiert, dass ab 1.1.2002 aufgrund der Kindergelderhöhung nunmehr 11 € anzurechnen sind (ab 1.6.2002 dann wieder 0 €) und somit mehr als vom Amtsgericht angenommen. Das gilt schon deswegen, weil der Antragsgegner insoweit seinerseits eine Abänderung nach § 655 ZPO beantragen könnte.

2.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Dem Antrag ist - mit einer geringfügigen Korrektur - auch hinsichtlich der an § 1612b Abs.5 BGB orientierten Kindergeldanrechnung zu entsprechen. Die gewählte Formulierung ist nach der Auffassung des Senats nicht mangels Vollstreckbarkeit des gleichlautenden Titels unzulässig.

a) Die Frage der Zulässigkeit der "Dynamisierung" der Kindergeldanrechnung ist umstritten Die bisher h.M. ging - übereinstimmend mit den ursprünglichen Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl. § 655 ZPO, Art.5 § 3 Abs.1 S.4 KindUG) - für die hälftige Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs.1 BGB wie auch für die eingeschränkte Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs.5 BGB a.F. davon aus, dass eine betragsmäßige Festlegung erforderlich sei (Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5.Aufl., § 2 Rdnr.516). Daran wird von Teilen der Rechtsprechung und Literatur auch für die Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs.5 BGB n.F. festgehalten (OLG Düsseldorf, 8.FamS, FamRZ 2001, 1096, 1098; OLG Naumburg FamRZ2001, 854; Scholz, FamRZ 2000, 1541, 1546; Vossenkämper, FamRZ2000, 1547, 1551; Soyka, FamRZ 2001, 740, 741). Zur Begründung wird im wesentlichen angeführt, dass eine an der gesetzlichen Bestimmung des § 1612b Abs.5 BGB orientierte Titulierung zur Vollstreckung nicht hinreichend bestimmt sei, weil der zu vollstreckende Betrag vom Vollstreckungsorgan oder Drittschuldner allein aufgrund des Titels nicht berechnet werden könne.

Demgegenüber wird zunehmend die Auffassung vertreten, die am Gesetzestext orientierte, "dynamisierte" Formulierung des Vollstreckungstitels sei für die Vollstreckungsinstanz hinreichend bestimmt (LG Essen JAmt 2001, 296 - ohne näheres Eingehen auf die besondere Lage im Fall des § 1612b Abs.5 BGB -; Gerhardt FamRZ 2001, 73, 74; Graba NJW 2001, 249, 254; i.E. ähnlich - allerdings ausgehend von einer Titulierung von 135% des Regelbetrags unter Anrechnung des hälftigen Kindergelds auch Wohlgemuth FuR 2001, 390, 392 f.; für die variable Anrechnung im Fall des § 16125 Abs.1 BGB: OLG Schleswig OLGR 2001, 427).

b) Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an. Die Möglichkeit einer dynamisierten oder variablen Titulierung hinsichtlich der Kindergeldanrechnung ist schon aus rechtspraktischen Gründen vorzugswürdig und ist nicht wegen mangelnder Vollstreckbarkeit des auf die gesetzlichen Voraussetzungen bezogenen Titels ausgeschlossen.

Ein Bedürfnis für die variable Kindergeldanrechnung entsteht bei dynamisierter Titulierung des Kindesunterhalts. Die dynamisierte Titulierung des Kindesunterhalts nach § 1612a BGB in der seit 1.7.1998 geltenden Fassung dient insbesondere dem Zweck der Vermeidung künftiger Abänderungsverfahren bei Änderung der Regelbträge oder Wechsel des Kindes in eine höhere Altersstufe der RegelbetragVO. Damit wird einerseits durch eine Erleichterung der Rechtsverfolgung den Interessen der Unterhaltsberechtigten Rechnung getragen, andererseits aber auch die Entlastung der Rechtspflegeorgane bezweckt. Dem würde es widersprechen, wenn für die Kindergeldanrechnung bei den nicht selten vorkommenden Änderungen des Kindergelds stets ein Abänderungsverfahren nach § 655 ZPO erforderlich würde. Nach der Neufassung des § 1612b Abs.5 BGB ergibt sich zudem in der Mehrzahl der Fälle (namentlich wenn der Unterhaltsbedarf den Gruppen 1 bis 5 der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen ist) die Notwendigkeit eines Abänderungsverfahrens im Falle eines betragsmäßig anzurechnenden Kindergelds bei jeder Änderung der Regelbeträge. So hätte z.B. ein Anfang 2001 in dynamisierter Form errichteter Unterhaltstitel nach Gruppe 3 der Düsseldorfer Tabelle (114%) am 1.7.2001 (Änderung der Regelbeträge), am 1.1.2002 (Änderung des Kindergelds) abgeändert werden müssen und sodann wieder am 1.7.2003 (nächste Anpassung der Regelbeträge). Dass dies den Bedürfnissen der Praxis wie auch der gesetzgeberischen Intention bei der Neufassung des § 1612a BGB zuwiderläuft, ist augenfällig.

Dem Bedürfnis der Praxis nach einer Verfahrenserleichterung hat der Gesetzgeber nunmehr auch Rechnung getragen. In der seit 1.1.2002 geltenden Neufassung des § 647 Abs.1 S.2 Nr.1c ZPO (Gesetz zur Einführung des EURO in Rechtspflegegesetzen usw. vom 18.12.2001; BGBl. I 2001, S.3574) ist die frühere Formulierung, dass das Kindergeld "mit dem anzurechnenden Betrag" anzugeben sei, gestrichen worden. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass die variable Anrechnung des Kindergelds in der Praxis anerkannt sei. Dementsprechend lassen auch die geänderten Antragsvordrucke für das vereinfachte Verfahren nunmehr eine variable Angabe des Kindergelds zu (zur gesetzlichen Neuregelung s. Knittel, JAmt 2001, 568).

c) Nachdem der Gesetzgeber somit abweichend von seiner früheren Vorstellung die variable Anrechnung des Kindergelds anerkannt hat, kann auch für die Kindergeldanrechnung nach § 1612b Abs.5 BGB (hier ist das praktische Bedürfnis für eine variable Kindergeldanrechnung besonders groß) im Ergebnis nichts anderes mehr gelten.

Die Anforderungen an das Vollstreckungsorgan oder der Drittschuldner werden dadurch nicht überzogen. Zunächst muss das Vollstreckungsorgan dafür das Kindergeld (wie auch bei der variablen Anrechnung nach § 1612b Abs.1 BGB) dem Gesetz (§ 66 EStG) entnehmen, was keine nennenswerten Schwierigkeiten bereitet. In Anbetracht der Öffenlichkeitswirksamkeit von Kindergeldänderungen gehören die jeweils geltenden Beträge schon beinahe zum Allgemeinwissen. In anderen Rechtsbereichen, so z.B. bei der variablen Titulierung des Zinssatzes bei Geldschulden nach § 288 BGB ("fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz") werden an das Vollstreckungsorgan höhere Anforderungen gestellt, ohne dass dies Bedenken gegen die Vollstreckbarkeit des Titels auslösen würde. Auch der dynamisiert festgesetzte Regelbetrag ergibt sich nicht aus dem Titel selbst. Ihn hat das Vollstreckungsorgan ebenfalls dem Gesetz zu entnehmen. Demnach muss bei der Formulierung der Kindergeldanrechnung nur feststehen, ob es sich um Kindergeld für ein erstes, zweites Kind usw. handelt, da hierzu dem Vollstreckungsorgan keine Erkenntnisse vorliegen.

Die weitere Tätigkeit des Vollstreckungsorgans besteht in einem durch den Titel genau vorgegebenen und überschaubaren Rechenvorgang, der einer Auslegungshilfe nicht bedarf. Im vorliegenden Fall ist nach der Rechtslage vom 1.1.2002 wie folgt zu rechnen: 188 € "Unterhalt" + 77 € "hälftiges Kindergeld" = 265 € - 254 € "135% des Regelbetrags" = 11 € "anrechenbares Kindergeld". Eventuelle Unrichtigkeiten bei unterbliebener Rundung des 135%-Betrages nach § 1612a Abs.4 BGB können bei dynamisierter Titulierung mit festen Anrechnungsbeträgen ebenfalls auftreten und ergeben deshalb keine andere Bewertung.

An das Vollstreckungsorgan oder den Drittschuldner werden durch die an der gesetzlichen Regelung des § 1612b Abs.5 BGB orientierte Titulierung demnach keine überzogenen Anforderungen gestellt. Gegen die Vollstreckungsfähigkeit des Titels bestehen somit keine durchgreifenden Bedenken.

3.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 91 ZPO, die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren bleibt unverändert.

Beschwerdewert bis 600,- DM.

Ende der Entscheidung

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