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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 645/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
StPO § 116
Wird die Hauptverhandlung grundlos vertagt, liegt darin ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, so daß ein bestehender Haftbefehl aufgehoben oder zumindest außer Vollzug gesetzt werden muß.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

1 Ws 645/00 412 Js 610/00 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen Diebstahls

hat der 1. Strafsenat durch die Richter am Oberlandesgericht H, S und Dr. S auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluß der XXII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 2000 - XXII-73/00 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

am 13. Dezember 2000

beschlossen:

Tenor:

Der Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 2000 - 151 Gs 385/00 - wird mit den Anweisungen ausgesetzt, daß der Angeklagte

1. nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft unverzüglich in Düsseldorf oder einer Nachbargemeinde einen festen Wohnsitz begründet und seine Anschrift der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zu dem Aktenzeichen 412 Js 610/00 mitteilt,

2. sich am Tag nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft bei der Polizei Düsseldorf, Altstadtwache, und ab dann einmal wöchentlich zu einem von der Polizei bestimmten Termin dort meldet,

3. alle Ladungen in dieser Sache pünktlich befolgt.

Gründe:

I.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 3. Februar 2000 in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht hat ihn durch Urteil vom 12. April 2000 wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung vom 25. Oktober 2000 hat vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache "auf Wunsch der Prozeßbeteiligten" ein Rechtsgespräch stattgefunden. Verteidiger und Staatsanwalt waren sich einig, daß eine Strafe von einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung verhängt werden könne. Der Verteidiger hat sodann beantragt, den Vollzug des Haftbefehls auszusetzen; die Staatsanwaltschaft hat keine Einwände erhoben. Durch verkündeten Beschluß hat die Strafkammer - mitgeteilt, sie sehe sich "als Kollegium nach Zwischenberatung nicht in der Lage, der vorgesehenen Prozeßabsprache in dieser Form zu folgen; eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (sei) zur Zeit nicht zu verantworten, weil die Fluchtgefahr hoch (sei)..., - die Hauptverhandlung" vertagt, um bei dem Angeklagten eine Besorgnis der Befangenheit der beiden Schöffen auszuschliessen;... jetzt müss(t)en neue Schöffen an einer Sachentscheidung mitwirken".

Neuer Hauptverhandlungstermin ist bestimmt auf den 21. Februar 2001. Der Angeklagte hat Haftbeschwerde eingelegt, der die Strafkammer nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Zwar mag der Angeklagte aufgrund der Feststellungen in dem Urteil des Amtsgerichts dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) sein, die Diebstähle begangen zu haben, die ihm vorgeworfen werden. Auch mag aus den Gründen, die das Landgericht in seinem Haftfortdauerbeschluß angeführt hat, der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) fortbestehen. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist aber nicht gerechtfertigt, weil die Behandlung der Sache durch das Landgericht objektiv willkürlich war und deren Erledigung grundlos verzögert hat.

1. Untersuchungshaft greift in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Freiheit der Person ein. Haftsachen sind deshalb mit der größtmöglichen Beschleunigung zu bearbeiten und zu erledigen (BVerfG StV 1999, 40; StV 2000, 87, 318, 321 und 322; Boujong, in: KK, 4. Aufl. [1999], vor § 112 StPO Rdnr. 19). Wird das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot in Haftsachen grob fehlerhaft verletzt, muß der Haftbefehl aufgehoben oder zumindest sein Vollzug ausgesetzt werden.

2. Am 25. Oktober 2000 stand nach Aktenlage einer Verhandlung über die Berufung des Angeklagten und einer Erledigung der Sache im zweiten Rechtszug nichts im Wege. Der aus dem Protokoll ersichtliche Ablauf des Termins bot jedenfalls keinen Anlaß, die Berufungshauptverhandlung "abzubrechen". Daß - und warum - die Schöffen aus der Sicht des Angeklagten befangen sein konnten, weil die Strafkammer als Kollegium nicht bereit war, das Ergebnis einer Verständigung zwischen Verteidiger und Staatsanwaltschaft zu übernehmen, ist nicht nachvollziehbar. Absprachen ohne Mitwirkung des Gerichts begründen für den Angeklagten im Hinblick auf die gerichtliche Entscheidung keinen Vertrauenstatbestand (Rieß, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. [1998], Einl. G Rdnr. 78).

Im übrigen konnte der Angeklagte nicht ernsthaft annehmen, Richter und Schöffen hätten sich schon zu seinem Nachteil festgelegt, weil sie nicht bereit waren, vor seiner Vernehmung zur Sache "unbesehen" das Ergebnis einer Absprache zu übernehmen.

3. Die fehlerhafte Behandlung der Sache hat deren Erledigung grundlos um mehr als drei Monate verzögert. Damit verbietet sich der weitere Vollzug des Haftbefehls. Der Fluchtgefahr, die auch mit Blick auf einen noch offenen Strafrest von einem Jahr nach wie vor besteht, kann nur durch die Anweisungen in der Beschlußformel als weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO begegnet werden.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

Ende der Entscheidung

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