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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 23.08.2001
Aktenzeichen: 10 W 71/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 694 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 700 Abs. 1
ZPO § 719 Abs. 1
ZPO § 719 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 719 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 707
ZPO § 707 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 341 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 91 ZPO
1. Ein Widerspruch gegen einen Mahnbescheid, den der Rechtspfleger unzutreffend nur als Teilwiderspruch bewertet hat, ist entsprechend § 694 Absatz 2 Satz 1 ZPO als Einspruch gegen den fehlerhaft erlassenen (Teil-) Vollstreckungsbescheid zu behandeln.

2. Eine sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem gemäss §§ 700 Absatz 1,719 Absatz 1, 707 ZPO über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entschieden worden ist, ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Gericht die Grenzen seiner Ermessensausübung deshalb verkannt hat, weil es unzutreffend die Voraussetzungen des § 719 Absatz 1 Satz 2 ZPO für eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung verneint hat.

3. Auch dann, wenn ein Vollstreckungsbescheid nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist, ist die Zwangsvollsteckung nicht zwingend ohne Sicherleistung einzustellen; vielmehr ist auch in einem solchen Fall eine Ermessensentscheidung zu treffen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

10 W 71/01

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Lua sowie der Richter am Oberlandesgericht Esser und Wendel am 23. August 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 15. Juni 2001 aufgehoben. Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens werden den Klägern auferlegt.

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Juni 2001 aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Teilvollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 19. Januar 2001 (Az.) ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens übertragen wird.

Gründe:

1.)

Das Rechtsmittel des Beklagten gegen den Beschluß des Landgerichts vom 15. Juni 2001 ist gemäß § 341 Abs. 2 Satz 2 ZPO als sofortige Beschwerde zulässig, soweit es sich dagegen richtet, daß das Landgericht den Einspruch gegen den o.a. Teilvollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen als unzulässig verworfen hat.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht ist das Landgericht davon ausgegangen, der Einspruch des Beklagten gegen den Teilvollstreckungsbescheid sei verspätet und damit unzulässig.

Zwar ist es richtig, daß innerhalb der Rechtsmittelfrist von zwei Wochen (vgl. §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO) nach Zustellung des Teilvollstreckungsbescheides, die ausweislich des Akteninhaltes am 23. Januar 2001 erfolgt ist, keine Einspruchfrist des Beklagten eingegangen ist. Der Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 20. März 2001, mit dem vorsorglich Einspruch eingelegt worden ist, ist erst am 22. März 2001 und damit nach Fristablauf eingegangen.

Indessen war der Beklagte nicht gehalten, nach Zustellung des Vollstreckungsbescheides eine Einspruchsschrift einzureichen, weil er bereits zuvor einen unbeschrankten Widerspruch gegen den Mahnbescheid vom 27. Dezember 2000 erhoben hat. Dieser Widerspruch ist entsprechend § 694 Abs. 2 Satz 1 ZPO als (rechtzeitiger) Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zu behandeln.

Der Beklagte hat zwar ausweislich des von ihm ausgefüllten Widerspruchsvordrucks erklärt, er widerspreche nur einem Teil des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs, und zwar den Zinsen und den Verfahrenskosten. Dieses Schreiben ist am 15. Januar 2001 beim Mahngericht eingegangen. Zugleich ist indessen ein weiteres Schreiben des Beklagten eingegangen, das ausdrücklich als "Widerspruch der Hauptforderung sowie Kosten u. Zinsen" bezeichnet ist. In dem weiteren Text hat der Beklagte sinngemäß ausgeführt, er wolle die geltend gemachte Forderung nicht ausgleichen; er hat Einwendungen nicht nur gegen Zinsen und Kosten, sondern insbesondere gegen die Hauptforderung erhoben.

Angesichts der Widersprüchlichkeit zwischen dem ausgefüllten Vordruck und dem weiteren Schreiben des Beklagten hätte das Mahngericht ihm Gelegenheit zur Klarstellung geben müssen (BGHZ 85, 361, 364 = NJW 1983, 633). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Bis zu einer Klarstellung ist der Widerspruch als unbeschränkt eingelegt zu behandeln (BGH a.a.O.; Vollkommer in Zöller, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 694 Rdnr. 11). Der Beklagte hat mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 20. März 2001 vorgetragen, der Widerspruch betreffe die Hauptforderung sowie die Kosten und die Zinsen. Mithin ist der Widerspruch unbeschränkt eingelegt worden. Aufgrund dessen hätte der Teilvollstreckungsbescheid vom 19. Januar 2001 nicht ergehen dürfen (vgl. Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 694 Rdnr. 10).

Wenn trotz unbeschränkten Widerspruchs ein Vollstreckungsbescheid erlassen wird, wird der Widerspruch entsprechend § 694 Abs. 2 Satz 1 ZPO als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid behandelt. Dies gilt sowohl dann, wenn der Widerspruch schlicht übersehen worden ist als auch dann, wenn der Rechtspfleger ihn zwar zur Kenntnis genommen, aber falsch bewertet hat (BGHZ 85, 361, 364; OLG Frankfurt am Main OLGRep 1997; 60; KG Rpfleger 1983, 489; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 694 Rdnr. 12; Holch in MünchKomm zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 694 Rdnr. 23). Der Grundsatz, daß ein Rechtsbehelf grundsätzlich nicht wirksam vor Erlaß der angegriffenen Entscheidung eingelegt werden kann, muß hier gegenüber dem Prinzip, daß die Rechtswirkungen einer nicht auf gesetzliche Weise ergangenen Entscheidung zu vermeiden sind, zurücktreten (vgl. BGH a.a.O.; Vollkommer, a.a.O.).

Somit ist der Widerspruch, der am 15. Januar 2001 beim Mahngericht eingegangen ist, als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid vom 19. Januar 2001 zu behandeln, so daß ein rechtzeitiger Einspruch vorliegt. Aufgrunddessen ist es unerheblich, daß das Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 20. März 2001, mit dem vorsorglich (nochmals) Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt worden ist, erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingegangen ist.

2.)

Die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist angesichts des Umstandes, daß der Beklagte gegen den Vollstreckungsbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, gegenstandslos. Für die Behandlung des Widerspruchs als Einspruch analog § 694 Abs. 2 Satz 1 ZPO bedarf es keiner Wiedereinsetzung (vgl. Holch in MünchKomm zur ZPO, a.a.O., § 694 Rdnr. 23).

3.)

Das Rechtsmittel des Beklagten gegen den Beschluß des Landgerichts vom 8. Juni 2001, mit dem sein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem o.a. Teilvollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen zurückgewiesen worden ist, ist ausnahmsweise als sofortige Beschwerde zulässig.

Gemäß §§ 700 Abs. 1, 719 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt die Vorschrift des § 707 ZPO entsprechend, wenn gegen einen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt wird. Mithin ist auch § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzuwenden, wonach eine Anfechtung des Beschlusses, mit dem über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entschieden worden ist, nicht stattfindet. Ein Rechtsmittel ist daher grundsätzlich unstatthaft und damit unzulässig.

Eine sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung entschieden worden ist, ist indessen ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Gericht die Grenze seiner Ermessensausübung verkannt hat (Senat, Beschluß vom 17. Juli 2001, AZ 10 W 68/01; OLG Düsseldorf, 11. Zivilsenat, OLGRep 1999, 277; OLG Düsseldorf, 4. Zivilsenat, OLGRep 2000, 360; OLG Köln NJW-RR 1998, 364; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl. 2001, § 707 Rdnr. 17; Lackmann in Musielak, 2. Aufl. 2000, § 707 Rdnr. 13). Ob es sich insoweit um einen Unterfall der ausnahmsweisen Anfechtbarkeit einer Entscheidung wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit handelt oder um eine selbständige weitere Anfechtungsmöglichkeit, kann dahinstehen.

Das Gericht verkennt die Grenzen seiner Ermessensausübung grundsätzlich dann, wenn es unzutreffend die Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO für eine einstweilige Einstellung ohne Sicherheitsleistung verneint (OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1998, 1450; Lackmann in Musielak, a.a.O., § 707 Rdnr. 13).

Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde liegen hier vor. Das Landgericht hat die Grenzen seiner Ermessensausübung verkannt. Es hat seine Ermessensentscheidung maßgeblich damit begründet, die Rechtsverteidigung des Beklagten sei ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sein Einspruch nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist eingegangen sei. Es sei deshalb davon auszugehen, daß der Teilvollstreckungsbescheid rechtskräftig sei und nicht mehr angefochten werden könne. Es ist mithin davon ausgegangen, es liege kein zulässiger Einspruch vor. Diese Annahme ist indes, wie bereits ausgeführt, unzutreffend; vielmehr hat der Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt, weil sein Widerspruch gegen den Mahnbescheid als Einspruch gegen den Teilvollstreckungsbescheid zu behandeln ist.

Die Entscheidung des Landgerichts beruht mithin auf einer unrichtigen Grundlage, woraus folgt, daß das Gericht die Grenzen seiner Ermessensausübung nicht zutreffend festgelegt und damit verkannt hat.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des Beschlusses vom 8. Juni 2001 und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Der Umstand, daß der Vollstreckungsbescheid nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist, führt nicht zwangsläufig dazu, daß die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen ist. Zwar bestimmen §§ 700 Abs. 1, 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO, daß die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden darf, es sei denn, daß der Vollstreckungsbescheid nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist. Soweit daraus der Schluß gezogen wird, für den Fall eines nicht in gesetzlicher Weise ergangenen Vollstreckungsbescheides sei zwingend die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen (vgl. OLG Celle MDR 1999, 1345; Lackmann in Musielak, a.a.O., § 719 Rdnr. 6), folgt der Senat dem nicht. Er ist vielmehr der Auffassung, daß auch in dem Fall eines nicht in gesetzlicher Weise ergangenen Vollstreckungsbescheides die Voraussetzungen des § 707 ZPO für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu prüfen sind und eine Ermessensentscheidung zu treffen ist (so auch OLG Köln OLGRep 2000, 33; Krüger in MünchKomm zur ZPO, a.a.O., § 719 Rdnr. 8). Allein der Umstand, daß der Vollstreckungsbescheid nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist, vermag die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung nicht zu begründen. Entscheidend ist immer die materielle Rechtslage. Der formell fehlerhafte Erlaß des Vollstreckungsbescheides ermöglicht zwar eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung; eine derartige Einstellung ist indessen nicht zwingend (vgl. Krüger in MünchKomm zur ZPO, a.a.O.). Die Vorschriften der §§ 700 Abs. 1, 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO ordnen lediglich an, daß eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung dann zulässig ist, wenn der Vollstreckungsbescheid nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist. Er schreibt indessen für einen solchen Fall eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung nicht vor.

Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, die Voraussetzungen des § 707 ZPO zu prüfen und sein Ermessen auf einer zutreffenden Grundlage auszuüben.

4.)

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittels gegen den Beschluß des Landgerichts vom 15. Juni 2001 beruht auf § 91 ZPO.

Bezüglich des Rechtsmittels gegen den Beschluß vom 8. Juni 2001 war die Kostenentscheidung dem Landgericht zu übertragen, weil noch nicht feststeht, welche Partei endgültig unterliegt.

5.)

Wert des Rechtsmittels gegen den Beschluß vom 15. Juni 2001: bis DM 25.000,00.

Wert des Rechtsmittels gegen den Beschluß vom 8. Juni 2001 bis DM 5.000,00.

Ende der Entscheidung

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