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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.09.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 220/00
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 45 Abs. 2 S. 3
GVG § 178
GVG § 182
Leitsatz:

1.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen hängt u.a. davon ab, daß das Fehlen des Verschuldens an der Nichteinhaltung der Frist sowie der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Versäumnisgrund und der Säumnis offensichtlich oder aus den Akten ohne weiters erkennbar ist.

2.

Bei der Verhängung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr genügt in der Regel nicht, den Anlaß lediglich in den Gründen des Beschlusses zu erwähnen; der Geschehensablauf ist vielmehr in das Protokoll aufzunehmen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2 Ws 220/00 82 Js 501/99 StA Duisburg

In der Strafsache

wegen versuchten Betruges

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S... und die Richter am Oberlandesgericht B... und B... am

20. September 2000

auf die Beschwerde der Zeugin U... H... aus V... gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Dinslaken vom 22. und 26. Mai 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

1.

Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts Dinslaken vom 22. Mai 2000 wird der Zeugin auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2.

Die angefochtenen Beschlüsse werden aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

In der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2000 hat der Amtsrichter gegen die als Zeugin vernommene Beschwerdeführerin in deren Anwesenheit ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 DM, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft, verhängt. Hierzu heißt es im Sitzungsprotokoll:

"... Der Zeugin wurde ein Ordnungsgeld wegen ungebührlichen Verhaltens von 200,-- DM angedroht.

Die Androhung wurde wiederholt.

buv

Gegen die Zeugin U... H..., ... V..., G..., wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,-- DM, ersatzweise 2 Tage Ordnungshaft gem. § 178 GVG festgesetzt, weil sie unaufgefordert Kommentare zum Verfahrensablauf lautstark abgab."

Durch Beschluß vom 26. Mai 2000 hat das Amtsgericht (außerhalb der Hauptverhandlung) das Ordnungsmittel weiter begründet. Es hat beanstandet, daß die Zeugin Rückfragen an den Angeklagten teilweise ungefragt selbst beantwortet und zudem lautstark Kommentare zum Verfahrensablauf abgegeben habe. Die Ermahnung des Vorsitzenden und dessen Aufforderung, lediglich an sie gestellte Fragen zu beantworten, habe die Zeugin nicht beachtet. Auch nach der Androhung der Verhängung eines Ordnungsgeldes habe die Zeugin keine Ruhe gegeben, sich weiterhin unaufgefordert zum weiteren Verfahrensablauf geäußert und wiederholt die Verhandlungsführung des Vorsitzenden unterbrochen. Die weitere Ermahnung der Zeugin sei ebenfalls wirkungslos gewesen.

Nachdem der Beschluß vom 26. Mai 2000 (mit Rechtsmittelbelehrung) der Zeugin am 3. Juni 2000 zugestellt worden war, legte sie am 9. Juni 2000 Beschwerde ein. Sie gestand ein, "teilweise ungefragt Antworten gegeben" zu haben. Sie habe sich gleichsam als Beschuldigte gefühlt; ihr sei die Zeugenrolle nicht so ganz klar gewesen. Immerhin sei in dem Verfahren zunächst auch gegen sie ermittelt worden; sie habe sich (zu Unrecht) angegriffen gefühlt. Außerdem habe sie den Eindruck gehabt, sie habe nicht das sagen können, was sie habe sagen wollen. Daß sie in der Aufregung die Ermahnung des Gerichts überhört habe, bedauere sie. Für ihr Verhalten entschuldige sie sich.

II.

Die Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluß, über die der Senat nach § 181 Abs. 3 GVG zu entscheiden hat, hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 26. Mai 2000 und des zugleich angegriffenen Beschlusses vom 22. Mai 2000.

1.

Die Zulässigkeit der formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO) eingelegten Beschwerde scheitert nicht daran, daß die Rechtsmittelfrist nicht eingehalten wurde.

a)

Nach § 181 Abs. 1 GVG beginnt die Frist zur Einlegung der Beschwerde mit der Bekanntmachung der Ordnungsmittelentscheidung. Diese erfolgte hier mit der Verkündung des Beschlusses in der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2000. Nach dem Inhalt des Sitzungsprotokolls geschah dies in Anwesenheit der Betroffenen.

Damit begann die zur Einlegung der Beschwerde vorgesehene Wochenfrist. Die Zustellung des Beschlusses vom 26. Mai 2000 ist insoweit ohne Bedeutung. Denn dieser hat keine eigenständigen Rechtsfolgen entfaltet, sondern stellt eine lediglich in Beschlußform gekleidete Ergänzung des bereits am 22. Mai 2000 wirksam erlassenen Ordnungsmittelbeschlusses dar.

b)

Das bei Gericht am 9. Juni 2000 eingegangene Rechtsmittel ist demnach verspätet. Der Beschwerdeführerin war indes von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO zu gewähren.

aa)

Bei Fristversäumung ist dem Rechtsmittelführer nach der genannten Norm Wiedereinsetzung auch ohne Antrag zu gewähren, wenn alle anderen Voraussetzungen des § 45 StPO vorliegen, insbesondere die versäumte Handlung ordnungsgemäß nachgeholt ist (hierzu BGH MDR 1988, 456; OLG Frankfurt VRs 59 [1980], 429, 430) und das Fehlen des Verschuldens sowie der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Versäumungsgrund und der Säumnis offensichtlich oder aus den Akten ohne weiteres erkennbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, JurBüro 1992, 255 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, Rz. 12 zu § 45; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1999, Rz. 29 zu § 45).

bb)

Diese Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen sind vorliegend gegeben.

(1)

Die Beschwerdeführerin ist, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 22. Mai 2000 ergibt, an diesem Tage entgegen § 35 a StPO (vgl. OLG Hamm NJW 1963, 1791 m.w.N.) über die Möglichkeit der Anfechtung des gegen sie ergangenen Ordnungsmittelbeschlusses und die dafür vorgesehene Frist und Form nicht belehrt worden. Dies ist erst mit der Zustellung des Beschlusses vom 26. Mai 2000 am 3. Juni 2000 geschehen. Die Zeugin hat unverzüglich einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt und am 9. Juni 2000, also innerhalb einer Woche seit der am 3. Juni 2000 erfolgten Zustellung, Beschwerde eingelegt.

Aus diesem Ablauf ergibt sich das fehlende Verschulden der Betroffenen an der Fristversäumnis, § 44 Satz 2 StPO.

(2)

Bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unterbliebener Rechtsmittelbelehrung hat der Antragsteller nach obergerichtlicher Rechtsprechung darzulegen und glaubhaft zu machen, daß die Fristversäumung gerade dadurch verursacht worden ist (Senat, NStZ 1989, 242; MDR 1990, 460; OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, NStZ 1986, 233; NJW 1993, 1344; MDR 1997, 282 jeweils m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO., Rz. 22 zu § 44 m.w.N.).

Dieser Ursachenzusammenhang zwischen unvollständiger Rechtsmittelbelehrung und der Versäumung der Beschwerdefrist muß auch bei einer in Betracht kommenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen festgestellt werden. Er muß entweder offenkundig sein oder aus den Akten deutlich erkennbar sein (OLG Saarbrücken, NStZ 1986, 470, 472; OLG Zweibrücken, VRs 88 [1995], 356, 357).

Für den Senat ist aus dem Akteninhalt ohne weiteres ersichtlich, daß die Betroffene gerade deshalb die Wochenfrist des § 181 Abs. 1 GVG versäumt hat, weil sie über die Beschwerdefrist in der Hauptverhandlung nicht unterrichtet worden ist.

Dies ergibt sich daraus, daß die Betroffene sich unmittelbar nach Zugang des nunmehr mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Ordnungsmittelbeschlusses vom 26. Mai 2000 an einen Rechtsanwalt gewandt hat und dieser alsdann innerhalb einer Woche Beschwerde eingelegt hat.

2.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Verfahren, das zu den angefochtenen Ordnungsmittelbeschlüssen geführt hat, leidet unter einem Formmangel. Dieser nötigt den Senat zur Aufhebung der Beschlüsse.

a)

Der Grund für das verhängte Ordnungsmittel wird in dem verkündeten Beschluß vom 22. Mai 2000 lediglich kursorisch ("weil sie unaufgefordert Kommentare zum Verfahrensablauf lautstark abgab") und damit lückenhaft erwähnt. Darüber hinaus enthält das Hauptverhandlungsprotokoll lediglich den Hinweis auf die Androhung eines Ordnungsgeldes wegen "ungebührlichen Verhaltens". Hierin liegt ein Verstoß gegen § 182 GVG. Diese Bestimmung schreibt vor, den Beschluß und dessen Veranlassung in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Sinn dieser Vorschrift ist es, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem (gemäß § 34 StPO zu begründenden) Beschluß geführt hat, unter dem unmittelbaren frischen Eindruck des Geschehens von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer schriftlich niederlegen zu lassen, um dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und so umfassendes Bild des Vorgangs zu geben, daß es Grund und Höhe der Festsetzung des Ordnungsmittels nachprüfen kann (vgl. Senat, StV 1983, 274; KG, MDR 1982, 329, 330; OLG Stuttgart, Justiz 1979, 347; OLG Hamm JMBl. NW 1977, 94; Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl. Stand 1995, Rz. 3 zu § 182 m.w.N.). Fehlerhaft ist es danach, den Anlaß der Verhängung des Ordnungsmittels lediglich in den Gründen des Beschlusses zu erwähnen. Denn damit wäre nur die Darstellung des betreffenden Richters über den Hergang, nicht auch die des Protokollführers niedergelegt.

b)

Regelmäßig muß der das Ordnungsmittel festsetzende Beschluß auf die Beschwerde aufgehoben werden, wenn die Feststellung der Veranlassung im Protokoll fehlt oder erhebliche Lücken aufweist (vgl. OLG Hamm, aaO; OLG Stuttgart, aaO.; Löwe-Rosenberg, aaO. Rz. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. 1999, Rz. 2 zu § 182). Ausnahmsweise ist dieser Verfahrensmangel als unschädlich zu bewerten, wenn der Betroffene den Vorgang ausweislich der Beschwerdebegründung selbst nicht bestreitet (vgl. OLG Stuttgart, aaO.; OLG Hamm, NJW 1963, 1791, 1792; Löwe-Rosenberg, aaO. Rz. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, aaO.). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Begründung des in der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2000 ergangenen Beschlusses ist so lückenhaft, daß aus ihm nicht hinreichend erkennbar ist, aufgrund welcher Vorkommnisse sich der Amtsrichter zu der Verhängung des Ordnungsmittels veranlaßt sah. Das im Beschluß vom 26. Mai 2000 geschilderte Geschehen hat die Beschwerdeführerin nicht uneingeschränkt eingestanden. Zwar hat sie in der Beschwerdeschrift eingeräumt, teilweise ungefragt Antworten gegeben zu haben und in ihrer Aufregung die Ermahnung des Gerichts überhört zu haben. Der Kern ihres Vorbringens geht jedoch dahin, ihr Verhalten damit zu erklären, daß sie sich bei ihrer Vernehmung als Beschuldigte gefühlt und den Eindruck gehabt habe, sie habe nicht sagen können, was sie habe sagen wollen. Somit gesteht sie nur wenige Einzelpunkte aus der detaillierten Schilderung der Vorgänge im Beschluß vom 26. Mai 2000 zu. Keinesfalls hat sie den gesamten tatsächlichen Inhalt der Begründung eingeräumt und "unstreitig" gestellt.

3.

Angesichts der fehlerhaften und lückenhaften Protokollierung der Veranlassung des Ordnungsmittelbeschlusses war dieser mit der Folge aufzuheben, daß die Verhängung des Ordnungsmittels gegen die Beschwerdeführerin endgültig entfällt. Eine Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an den Amtsrichter kam nicht in Betracht, weil die sitzungspolizeiliche Gewalt des Gerichts mit dem Schluß der Sitzung endete (vgl. Senat, StV 1983, 274, 275; OLG Hamm, JMBl. NW 1977, 94).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 7 StPO.

Ende der Entscheidung

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