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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.11.1999
Aktenzeichen: 2 Ws 348/99
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 69
StPO § 111a
StPO § 304 Abs. 1
§ 69 StGB § 111a StPO § 304 Abs. 1 StPO

Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil bewirkt im Verfahren der vorläufigen Entziehung weder die Unzulässigkeit der Beschwerde gegen die Anordnung des Landgerichts noch eine Einschränkung der Sachentscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts.

OLG Düsseldorf Beschluß 11.11.1999 - 2 Ws 348/99 - 7 Js 145/98 StA Mönchengladbach


wegen Diebstahls im besonders schweren Fall

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S. den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. in der Sitzung vom 11. November 1999 auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß der 10. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. Juni 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Am 26. Oktober 1998 verurteilte das Amtsgericht Mönchengladbach den Angeklagten wegen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, entzog ihm die - bereits seit dem 20. Februar 1998 gemäß § 111a StPO vorläufig entzogene - Fahrerlaubnis bei Festsetzung einer sechsmonatigen Sperre für deren Neuerteilung und ordnete die Einziehung seines Fahrzeugs an. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten wurde durch Urteil der 10. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Mai 1999 verworfen. Diese Entscheidung ist auf die Revision des Angeklagten durch Senatsbeschluß vom 3. November 1999 (2a Ss 326/99 - 96/99 II) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen worden.

Das Landgericht hat ferner den Antrag des Angeklagten vom 26. Mai 1999 auf Aufhebung der vorläufigen Maßnahme gemäß § 111a StPO durch Beschluß vom 14. Juni 1999 verworfen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der die Kammer nicht abgeholfen hat.

Das Rechtsmittel ist zulässig, jedoch unbegründet.

I.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft begegnet die Zulässigkeit der Beschwerde keinen Bedenken; sie folgt aus § 304 Abs. 1 StPO.

Die in Rechtsprechung und Schrifttum teilweise vertretene Gegenansicht (OLG Düsseldorf - 3. Strafsenat - VRS 80, 214 f. und NZV 99, 459; OLG Brandenburg NStZ-RR 96, 170 f.; OLG Hamm MDR 99, 954 f.; Schwarzer NZV 95, 239), die eine Beschwerde gegen vorläufige Maßnahmen des Berufungsgerichts gemäß § 111a StPO nicht für statthaft hält, wenn zugleich gegen das die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) anordnende Berufungsurteil Revision eingelegt ist, teilt der Senat nicht. Sie wird mit der Erwägung begründet, daß die im Verfahrensstadium nach Erlaß des Berufungsurteils ausschließlich nach revisionsrechtlichen Kriterien anzustellende Prüfung der richtigen Rechtsanwendung im Rahmen des § 69 StGB dem Revisionsgericht vorbehalten sei und die "isolierte" Durchführung eines Beschwerdeverfahrens mit erneuter Tatsachenprüfung zur Eignungsfrage daher sowohl die Entscheidungskompetenz des Revisionsgerichts unterlaufe als auch die Gefahr widersprechender Entscheidungen heraufbeschwöre.

Diese Begründung überzeugt nicht.

Sie vermag die Annahme einer Unzulässigkeit der Beschwerde gegen vorläufige Maßnahmen des Berufungsgerichts gemäß § 111a StPO bereits nicht zu tragen. Die Gefahr "widersprechender Entscheidungen" oder eines "Eingriffs" in die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts kann allenfalls dann auftreten, wenn die Beschwerde vor Abschluß des Revisionsverfahrens entscheidungsreif ist. Dies stellt jedoch nicht die einzig denkbare prozessuale Fallkonstellation dar. Schon bei gleichzeitiger Entscheidungsreife beider Rechtsmittel besteht die Möglichkeit einer Vorabentscheidung über die Revision mit der Folge, daß die für eine Unzulässigkeit der Beschwerde angeführten Erwägungen keine Geltung mehr beanspruchen. Wird nämlich die Revision verworfen, so begründet die hierdurch eingetretene Rechtskraft der Maßregelanordnung ohne weiteres die Gegenstandslosigkeit einer noch anhängigen Beschwerde im vorläufigen Verfahren gemäß § 111a StPO infolge prozessualer Überholung (OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 205, 206; vgl. ferner Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 111a Rn. 13 m. w. N.).

Führt die revisionsrechtliche Überprüfung des Sachverhalts - wie im hier vorliegenden Fall geschehen - zur Aufhebung und Zurückverweisung mit der Folge einer neuen tatrichterlichen Verhandlung zur Hauptsache, so besteht kein Anlaß, im noch anhängigen Beschwerdeverfahren hinsichtlich der vorläufigen Maßnahme gemäß § 111a StPO von einem Eintritt in die sachliche Prüfung abzusehen. Dies verdeutlicht, daß die als Grund für die Verwerfung der Beschwerde herangezogenen Erwägungen letztlich nicht die Zulässigkeit des Rechtsmittels in Frage stellen können, sondern nur vorhandene Bedenken an der Sachentscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts für den Zeitraum nach Erlaß des Berufungsurteils bis zum Abschluß des Revisionsverfahrens zum Ausdruck bringen (im Sinne einer Behandlung der Problematik bei der Begründetheit des Rechtsmittels daher OLG Karlsruhe VM 99, 16; OLG Köln VRS 93, 348 f; OLG Koblenz VRS 93, 343 ff.; LR-Schäfer, StPO, 24. Auflage, § 111a Rn. 88).

Eine auf derartige Bedenken gestützte Einschränkung der Beschwerde findet indes im Gesetz keine Grundlage. Die Strafprozeßordnung sieht gegen die im landgerichtlichen Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse grundsätzlich das Rechtsmittel der Beschwerde vor, wobei das Beschwerdegericht als zweite Tatsacheninstanz eine eigene Sachentscheidung zu treffen hat (§§ 304 Abs. 1, 309 Abs. 2 StPO). Dies gilt auch für die in § 305 Satz 2 StPO aufgelisteten Entscheidungen, die üblicherweise der Urteilsfällung vorausgehen und die stets in Teilbereichen eine am gegenwärtigen Sachstand orientierte und damit vorläufige Beurteilung der Hauptsache voraussetzen. Für diese Beurteilung entfaltet im Beschwerdeverfahren ein zur Hauptsache - aufgrund durchgeführter Hauptverhandlung - ergangenes Urteil durchaus erhebliche Indizwirkung, wenn es sich hierfür eignet. Eine weitergehende Einschränkung der umfassenden Entscheidungskompetenz sowie Entscheidungspflicht des Beschwerdegerichts - und hierbei insbesondere eine Bindung des Beschwerdegerichts an revisionsrechtliche Beurteilungskriterien nach Erlaß des Berufungsurteils - ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hält der Senat eine - umfassende Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts zur Frage der vorläufigen Maßnahme gemäß § 111a StPO auch nach Erlaß der berufungsgerichtlichen Entscheidung zur Hauptsache für gegeben (ebenso OLG Schleswig NZV 95, 238 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 96, 205 f.).

II.

Die demnach statthafte Beschwerde ist sachlich unbegründet, denn die Voraussetzungen einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis sind nach wie vor gegeben (§ 111a Abs. 1, 2 StPO).

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und aufgrund der zum Schuldspruch unangefochtenen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils vom 26. Oktober 1998 hat der Angeklagte eine rechtswidrige Tat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen, denn er verübte am 27. Januar 1998 einen Einbruchsdiebstahl und benutzte hierfür sein - auch für den Abtransport der Beute vorgesehenes - Fahrzeug, um gemeinsam mit seinem Mittäter zum Tatort zu gelangen.

Es bestehen ferner dringende Gründe für die Annahme einer in der Tat zum Ausdruck gekommenen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die im Beschwerdeverfahren erfolgte Beiziehung und Auswertung der Strafakte 7 Js 584/97 StA Mönchengladbach hat ergeben, daß der Angeklagte bereits im Jahre 1997 durch zwei einschlägige Delikte unter mißbräuchlichem Einsatz eines Kraftfahrzeugs straffällig geworden ist. In diesem Verfahren, das mit dem Erlaß eines rechtskräftigen Strafbefehls endete, war der Angeklagte geständig, in der Nacht zum 12. März 1997 bei einem Einbruchsdiebstahl einen Tresor sowie einen Laptop entwendet und die Beute mit einem geliehenen Kastenwagen vom Tatort abtransportiert zu haben. Ferner war er am 24. Mai 1997 beim Versuch des Einbruchs in ein H. Babybekleidungsgeschäft gefaßt worden, wobei er ausweislich seiner geständigen Einlassung mit seinem eigenen Fahrzeug zum Tatort gefahren war in der vorgefaßten Absicht, dort Kleidung zu entwenden, die er offensichtlich in seinem Wagen wegschaffen wollte. Vor diesem Hintergrund stellt sich der am 27. Januar 1998 erneut unter Ausnutzung der mit einer Fahrzeugverwendung verbundenen Beförderungs- und Transportmöglichkeiten begangene Einbruchsdiebstahl nicht als Ausdruck eines nur einmaligen Fehlverhaltens dar. Er rechtfertigt vielmehr den dringenden Verdacht eines Eignungsmangels im Sinne von § 69 Abs. 1 StPO infolge charakterlicher Unzuverlässigkeit des Angeklagten.

Der seit der Sicherstellung des Führerscheins am 11. Februar 1998 und der anschließenden Anordnung seiner vorläufigen Entziehung verstrichene Zeitraum vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Zwar ist die vorläufige Entziehung aufzuheben, wenn aufgrund des Zeitablaufs eine endgültige Anordnung der Maßregel gemäß § 69 StGB in der Hauptverhandlung unwahrscheinlich wird (OLG Koblenz VRS 93, 343, 347; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 111a Rn. 10-12; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 34. Auflage, § 111a StPO Rn. 9). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in der Begehung dreier einschlägiger Taten innerhalb eines Jahres zum Ausdruck gekommene erhebliche charakterliche Unzuverlässigkeit des Angeklagten läßt ungeachtet der bisherigen Verfahrensdauer eine endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn auch gegebenenfalls mit kürzerer Sperrfrist als bisher, nach wie vor erwarten.

Grobe Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot oder erhebliche Verfahrensverzögerungen, die einer Fortdauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Auch der Umstand, daß die im Berufungsurteil des Landgerichts angeordnete sechsmonatige Sperrfrist in Kürze verstreichen würde, wenn das Urteil Rechtskraft erlangt hätte, rechtfertigt keine Aufhebung der Anordnung gemäß § 111a StPO, denn der Ablauf der Sperrfrist begründet noch keinen Rechtsanspruch auf Teilnahme am Straßenverkehr, sondern eröffnet nur die Möglichkeit, eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach entsprechender Prüfung herbeizuführen (h.M.; vgl. OLG Düsseldorf VRS 64, 262 ff.; OLG Frankfurt NStZ-RR 98, 76 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 111a Rn. 12 m. w. N.). Da überdies der dringende Verdacht einer fehlenden Eignung des Angeklagten für das Führen von Kraftfahrzeugen bisher nicht ausgeräumt ist, kann keine Rede davon sein, daß der Zweck der inzwischen 21 Monate andauernden vorläufigen Entziehung erfüllt ist und ihre Aufrechterhaltung daher gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstößt. Insoweit ist die herausragende Bedeutung des Sicherungszwecks der Maßnahme nach § 111a StPO zu berücksichtigen, die die Allgemeinheit von vornherein, also auch vor einem rechtskräftigen Erkenntnis, vor den Gefahren schützen soll, die von einem möglicherweise ungeeigneten Kraftfahrzeugführer ausgehen (vgl. BVerfG Beschl. v. 11. September 1989 - 2 BvR 1209/88 -, zitiert bei OLG Düsseldorf DAR 90, 355).

Ende der Entscheidung

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