Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 04.11.1999
Aktenzeichen: 2 Ws 355/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 3
StPO § 44
StPO § 45
§ 329 Abs. 3 StPO § 44 StPO § 45 StPO

Der Wiedereinsetzungsantrag nach Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung kann zwar nicht auf Tatsachen gestützt werden, die im Verwerfungsurteil als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt sind. Diese Tatsachen können aber im Zusammenhang mit neuen Tatsachen zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags verwendet werden.

OLG Düsseldorf Beschluß 04.11.1999 - 2 Ws 354-355/99 - 83 Js 819/98 StA Duisburg


wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S. und die Richter am Oberlandesgericht B. und B. in der Sitzung vom 4. November 1999 auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß der 72. kleinen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 3. September 1999 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 26. Mai 1999 gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt der Angeklagte.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die Strafkammer hat am 26. Mai 1999 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 7. Dezember 1998 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Sie hat in den Gründen des Verwerfungsurteils ausgeführt, der Angeklagte sei ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben; die von ihm vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stelle keine Entschuldigung dar, da er nach Auskunft des Arztes nicht gehindert sei, vor Gericht zu erscheinen. Durch den angefochtenen Beschluß hat die Strafkammer den Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren, als unbegründet verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten ist begründet.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist gerechtfertigt.

Der Angeklagte hat zur Begründung des Gesuchs vorgetragen, am 26. Mai 1999 seien über die Beschwerden, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, hinaus weitere akute Beschwerden aufgetreten, die es ihm unmöglich gemacht hätten, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Zur Glaubhaftmachung hat er eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, aus der sich ergibt, daß er sich am 26. Mai 1999 um 14. 06 Uhr im Krankenhaus B. in D. dem Arzt wegen Bandscheibenbeschwerden vorgestellt und dieser ihn unter der Diagnose "akute Lumbago" als Notfall angesehen hat. In der Bescheinigung heißt es: "Patient ist nicht in der Lage, aus gesundheitlichen Gründen heute an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen."

Der Angeklagte war ohne Verschulden im Sinne des § 44 StPO i.V. mit § 329 Abs. 3 StPO verhindert, am 26. Mai 1999 vor dem Berufungsgericht zu erscheinen.

Eine Entschuldigung im Sinne der genannten Vorschriften ist gegeben, wenn eine "genügende Entschuldigung" im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO vorlag. Dieser Begriff muß weit zugunsten des Angeklagten ausgelegt werden, da § 329 Abs. 1 StPO eine Ausnahme von der Regelung enthält, daß ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und deshalb die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich birgt (vgl. BGH, NJW 1962, 2020; OLG Düsseldorf, NJW 1973, 109; OLG Frankfurt, NJW 1988, 2965; KK-Ruß, StPO, 3. Aufl., § 329 Rdnr. 10 m. w. N.). Bei Erkrankung - wie hier - ist der Angeklagte nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist, sondern es reicht aus, wenn die Erkrankung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1984, 331; StV 1987, 9; KK-Ruß, a.a.O., § 329 Rdnr. 11; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 329 Rdnr. 26).

Glaubhaftmachung im Sinne der §§ 45, 329 Abs. 3 StPO bedeutet nicht, daß dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Tatsache zu vermitteln ist; es genügt vielmehr, daß ihm durch das beigebrachte Beweismittel in einem nach Lage der Sache vernünftigerweise zur Entscheidung hinreichendem Maße die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (vgl. BGH, NStZ 1991, 144; KK-Pfeiffer, a.a.O., § 26 Rdnr. 4).

Aufgrund der ärztlichen Bescheinigung, der Angeklagte sei nicht in der Lage, an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, ist nach Lage der Sache in hinreichendem Maß wahrscheinlich, daß die akute Lumbago dem Angeklagten eine Beteiligung an der Berufungshauptverhandlung unzumutbar machte. Der Bescheinigung liegt das berufliche Erfahrungswissen des Arztes über den Grad der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die eine solche Erkrankung im Normalfall verursacht, zugrunde, wobei davon auszugehen ist, daß er bei seinem sachverständigen Resümee bedacht hat, daß der Angeklagte entsprechend seinen Angaben möglicherweise mit einem schmerzlindernden Mittel behandelt worden war. Es ist glaubhaft, daß der vom Arzt am Terminstag kurz nach 14.00 Uhr festgestellte Krankheitszustand auch schon zur Terminszeit um 11.00 Uhr vorlag. Die Erklärung des Arztes, der die vorliegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, der Angeklagte sei auf keinen Fall gehindert gewesen, vor Gericht zu erscheinen, zieht die Glaubhaftigkeit des Wiedereinsetzungsvorbringens des Angeklagten nicht in Zweifel, weil dieser Arzt den Angeklagten nicht am 26. Mai 1999 untersucht hat.

Der Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 3 StPO kann zwar nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht in seinem Verwerfungsurteil als zur Entschuldigung nicht geeignet gewürdigt hat. Diese Tatsachen können aber im Zusammenhang mit neuen Tatsachen zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags verwendet werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 329 Rdnr. 42 m. w. N.). So liegt es hier. Der Angeklagte hat als neue Tatsache vorgetragen, daß sich seine gesundheitlichen Beschwerden, die der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zugrunde liegen, am Terminstag verschlimmert hätten.

Die Entscheidung über die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beruht auf § 473 Abs. 7 StPO, die über die Kosten und notwendigen Auslagen des Beschwerdeverfahrens auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück