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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.11.1999
Aktenzeichen: 22 U 76/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 607
BGB §§ 133,157, 607

Leitsätze:

1.

Eine Klage auf Freistellung ist bereits dann zulässig, wenn die ernsthafte Möglichkeit einer Inanspruchnahme besteht.

2.

Wenn der Inhaber einer Gaststätte, der mit einer Brauerei einen langfristigen "Darlehns- und Bierlieferungsvertrag" geschlossen hat, das Teileigentum an den Gaststättenräumen sowie das Gaststätteninventar "als Gesamtpaket" veräußert und der branchenkundige Erwerber sich verpflichtet, den Verkäufer von der Bezugsverpflichtung aus dem ihm bekannten Vertrag mit der Brauerei "in jeder Hinsicht" freizustellen, so erstreckt sich der Freistellungsanspruch auch auf die Darlehnstilgung und auf eine Vertragsstrafe wegen Verletzung der Bierbezugsverpflichtung.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.11.1999 - 22 U 76/99

rechtskräftig


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

22 U 76/99 4 O 395/98 (Landgericht Wuppertal)

Verkündet am 12.11.1999

Tellmann, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

Firma R GmbH, Sch straße 43, W, vertreten durch den Geschäftsführer H R R, ebenda,

Beklagte und Berufungsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte

gegen

Eheleute P V und M V,

Kläger und Berufungsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 22.10.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, die Richterin am Oberlandesgericht Müller-Piepenkötter und den Richter am Landgericht Galle für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 17.03.1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt klargestellt wird:

Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger gegenüber dem Kö GmbH & Co KG, B Straße K, von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehens- und Bierlieferungsvertrag vom 29. Juli 1992 und der Zusatzvereinbarung vom 29. Juli 1992 in der von der vorgenannten Gläubigerin geltend gemachten Höhe von 40.916,24 DM (Vertragsstrafe gemäß Ziffer II. 5. des Vertrags vom 29.Juli 1992), 56.593,42 DM (Darlehensrestvaluta per 30. Juni 1996 gemäß Ziffer I. 1. und 2. des Vertrages vom 29. Juli 1992) und 25.120,40 DM (Zinsen gemäß Ziffer I. 1. und 2. des Vertrages vom 29. Juli 1992), insgesamt also in Höhe von 122.630,06 DM, freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000 DM abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Sicherheiten dürfen auch durch Bürgschaft einer Bank oder Sparkasse mit Sitz in der Europäischen Union erbracht werden.

Tatbestand

Die Kläger betrieben bis 1995 im Haus J 29, W, eine Gaststätte. Die Gewerberäume standen in ihrem Sondereigentum. Mit "Darlehens- und Bierlieferungsvertrag" vom 29.07.1992 (nachfolgend BLV) gewährte die Fa. W den Klägern ein Darlehen von 70.000 DM (Ziff. I. 1. BLV). Es sollte mit 33.33 DM pro bezogenem Hektoliter Bier getilgt werden (Ziff. I. 2. a. BLV). Die Fa. W wollte nach dem BLV zur Kündigung des Darlehens berechtigt sein, falls weniger als 170 Hektoliter/Jahr bezogen werden (Ziff. I. 6 BLV). Die Kläger verpflichteten sich, gemäß einer anliegenden Sortimentsliste bis zum 30.05.2002 Produkte der Fa. W zu vertreiben (Ziff. II. 1 und 4 BLV). Bei Zuwiderhandlung gegen die Bierbezugsverpflichtung hatten die Kläger eine Vertragsstrafe von 25 % des jeweils gültigen Faßbierpreises für jeden anderweitig oder nicht bezogenen Hektoliter zu bezahlen; eine Zuwiderhandlung sollte u.a. auch dann anzunehmen sein, wenn die Kläger die Bierbezugsverpflichtung aus Ziff. II. 1 BLV nicht ihren jeweiligen Nachfolgern auferlegen (Ziff. II. 5; II. 1 Sätze 4 und 5 BLV). Zur Sicherung aller Forderungen aus Ziff. I und II des Vertrags sollte der Fa. W das in einer Liste verzeichnete Gaststätteninventar übereignet werden (Ziff. III. 1 BLV). Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertragstextes wird auf Bl. 17 bis 24 GA verwiesen. In einer ebenfalls unter dem 29.07.1992 abgefaßten "Zusatzvereinbarung" heißt es, daß die Fa. W abweichend vom BLV auf Verzinsung und Tilgung des Darlehens verzichtet, wenn und solange die Kläger ihrer Bierbezugsverpflichtung nachkommen (Bl. 16 GA).

Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 09.05.1995 veräußerten die Kläger die Gaststättenräume an Frau R (Bl. 6 bis 14 GA). Bei Vertragsschluß war der Ehemann der Frau R zugegen. Dieser ist der Geschäftsführer der Beklagten, deren Geschäftszweck Handel, Planung und Montage von Gaststätten- und Großkücheneinrichtungen ist. Die Kläger gewährten ihm Einsicht in den Vertrag vom 29.07.1992. Während des Notartermins schlossen sie mit der Beklagten einen Vertrag, wonach sie das Gaststätteninventar der Beklagten "frei von Rechten Dritter" zum Preis von 50.000 DM verkauften. Der Vertragstext enthielt zunächst eine Klausel, wonach sich die Beklagte verpflichtete, die Fa. W GmbH als Lieferantin bis zum Jahr 2002 beizubehalten. Nach Verhandlungen zwischen den Parteien - Einzelheiten sind streitig - strich der Notar mit ihrem Einverständnis diese Klausel durch und fügte in den Vertragstext folgende Formulierung ein:

"Die Fa. R GmbH verpflichtet sich, den Verkäufer hinsichtlich der Bezugs- und Lieferverpflichtung aus dem Vertrag mit der W Brauerei, der ihm bekannt ist, in jeder Hinsicht freizustellen, zumindest freizuhalten."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrags wird auf Bl. 15 GA verwiesen. Mit Schreiben vom 12.07.1995 übersandten die Kläger der Beklagten eine Rechnung über 50.000 DM. Sie versicherten darin "an Eides Statt", die verkauften Gegenstände rechtmäßig erworben und daran Eigentum zu haben (Bl.52 GA).

Frau R verpachtete die Gaststätte zunächst an Frau Kr, dann an Herrn Ke, schließlich an Frau B. In den Pachtverträgen war jeweils die Verpflichtung enthalten, Getränke von der Fa. W bzw. von deren Rechtsnachfolgern zu beziehen. Keiner der Betreiber hatte wirtschaftlichen Erfolg, so daß die Pachtverträge jeweils nach kurzer Dauer aufgelöst wurden. Im Oktober 1998 veräußerte Frau R die Geschäftsräume an eine Werbeagentur.

Mit Schreiben vom 09.11.1995 kündigte die Fa. K Brauerei GmbH & Co KG - eine Rechtsnachfolgerin der Fa. W - den BLV. Sie forderte die Kläger zur Rückzahlung der Darlehensvaluta auf und kündigte die Geltendmachung einer Vertragsstrafe an, weil die Kläger es unterlassen hätten, der Beklagten die Bierbezugsverpflichtung aufzuerlegen. Die Firma K GmbH & Co KG (nachf. KVV) - Rechtsnachfolgerin nach der Fa. K Brauerei GmbH & Co KG - erhob vor dem Landgericht Wuppertal gegen die Kläger (dieses Rechtsstreits) Klage auf Rückzahlung des Darlehens nebst Zinsen und Zahlung einer Vertragsstrafe. Den Rückzahlungs- und Zinsanspruch bezifferte sie mit 81.713,82 DM, als Vertragsstrafe machte sie 40.916,24 DM geltend. Die Beklagte trat dem Rechtsstreit als Streithelferin der Kläger bei. Das Landgericht Wuppertal gab der Klage bis auf einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs statt (Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 15.06.1999 - 1 O 397/98, Bl. 126 ff. GA). Über die hiergegen eingelegte Berufung ist noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 06.11.1998 focht die Beklagte den Vertrag vom 09.05.1995 mit der Begründung an, die Kläger hätten sie arglistig über die Eigentumsverhältnisse an dem Gaststätteninventar getäuscht. Ferner verlangte sie Rückzahlung des Kaufpreises von 50.000 DM (Bl.48 bis 50 GA).

Die Kläger haben behauptet, die Parteien seien sich während der Vertragsverhandlungen einig gewesen, daß die Beklagte alle Verpflichtungen gegenüber der Fa. W tragen solle. Die unter Ziffer III. 1. BLV in Bezug genommene Liste mit Inventargegenständen sei ihnen nicht bekannt. Deshalb, so haben sie gemeint, sei die Klausel mangels Bestimmtheit unwirksam. Überdies sei die Freistellungsvereinbarung auch dann wirksam, wenn die Beklagte den Kaufvertrag mit Erfolg angefochten haben sollte.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, sie gegenüber dem Kö GmbH & Co KG, B Straße 116134, K von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehens- und Bierlieferungsvertrag vom 29.07.1992 und der Zusatzvereinbarung vom 29.07.1992 in Höhe von 122.630,06 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 13.10.1998 freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Kläger hätten ihr bei Abschluß des Vertrags vom 09.05.1995 verschwiegen, daß an dem Inventar Sicherungseigentum der Fa. W bestehe. Sie hat die Auffassung vertreten, der handschriftliche Eintrag in der Vereinbarung vom 09.05.1995 beinhalte nur die Bezugsverpflichtungen, weitergehende Freistellungsverpflichtungen seien ihr nicht zu entnehmen.

Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme des geltend gemachten Zinsanspruchs stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vereinbarung vom 09.05.1995 umfasse auch die Freistellung von der Darlehensverbindlichkeit, da diese mit der Bierbezugsverpflichtung untrennbar verbunden sei. Der Anspruch auf Freistellung von der verwirkten Vertragsstrafe sei direkter Ausfluß der Nichterfüllung der Bierbezugsverpflichtung und daher der Beklagten zuzurechnen. Die Beklagte habe den Vertrag vom 09.05.1995 auch nicht wirksam angefochten, da sich aus dem Vertragstext ergebe, daß ihr der Inhalt des BLV bekannt gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des angefochtenen Urteils sowie des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 17.03.1999 (Bl.72 bis 78 GA) verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Sie vertritt die Auffassung, die Klage sei unzulässig. Der Klageantrag sei zu unbestimmt. Die Freistellungsklage sei erst zulässig, wenn die Zahlungsverpflichtung der Kläger rechtskräftig feststehe. Sie behauptet, es sei gemeinsamer Wille der Parteien gewesen, daß die Beklagte dafür Sorge tragen solle, daß der jeweilige Pächter Produkte der Fa. W vertreibt. Frau R habe die Gaststättenräume als Kapitalanlage erwerben wollen. Damit seien die Kläger nicht einverstanden gewesen. Sie hätten das Gaststättenteileigentum nebst Inventar als "Gesamtpaket" veräußern wollen. Die Beklagte habe daher angeboten, das Inventar zu kaufen; derartige Geschäfte gehörten zu ihren Geschäftszwecken. Damit seien die Kläger einverstanden gewesen. Dementsprechend sei der Verkauf der Gaststättenräume und der Verkauf des Inventars in 2 Verträge aufgespalten worden. Daß die Beklagte und nicht Frau R die Bierbezugsverpflichtung übernommen habe, sei auf die laienhaften Vorstellungen der Vertragsparteien zurückzuführen. Dem Notar sei insoweit bei Abfassung des handschriftlichen Zusatzes ein Denkfehler unterlaufen. Von offenen Darlehensforderungen sei nicht die Rede gewesen. Damit habe die Beklagte auch nicht rechnen müssen, da die Kläger ihr zugesichert hätten, daß das Inventar in ihrem Eigentum stehe. Sie meint, sie habe die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß der jeweilige Pächter die Bezugsverpflichtung übernehme, erfüllt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten ihres Sachvortrags wird auf S. 10 bis 14 der Berufungsbegründung (Bl.104 bis 108 GA) verwiesen. Für die Verwirkung der Vertragsstrafe habe sie nicht einzustehen. Das Risiko der mangelhaften Nachfolgeregelung treffe allein die Kläger. Sie behauptet, die Kläger hätten sie arglistig getäuscht, weil sie wahrheitswidrig behauptet hätten, Eigentümer des Inventars gewesen zu sein. Sie meint, daß die Kläger jedenfalls hinsichtlich der bis Ende Juni 1995 aufgelaufenen Rückstände keinen Freistellungsanspruch hätten. Ziff. II. 5. BLV verstoße gegen § 11 Nr. 6 AGBG.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 17.03.1999 die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt zu korrigieren:

Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger gegenüber dem Kö GmbH & Co KG, B Straße 116-134, K, von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehens- und Bierlieferungsvertrag vom 29. Juli 1992 und der Zusatzvereinbarung vom 29. Juli 1992 in der von der vorgenannten Gläubigerin geltend gemachten Höhe von 40.916,24 DM (Vertragsstrafe gemäß Ziffer II. 5. des Vertrags vom 29. Juli 1992), 56.593,42 DM (Darlehensrestvaluta per 30. Juni 1996 gemäß Ziffer I. 1. und 2. des Vertrages vom 29. Juli 1992) und 25.120,40 DM (Zinsen gemäß Ziffer I. 1. und 2. des Vertrages vom 29. Juli 1992), insgesamt also in Höhe von 122.630,06 DM, bei Fälligkeit freizustellen.

Die Kläger behaupten, während der Vertragsverhandlungen darauf hingewiesen zu haben, daß noch erhebliche Darlehensverbindlichkeiten bestünden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe sich bereit erklärt, die Kläger von allen Verbindlichkeiten gegenüber der Fa. W freizustellen. Der Notar habe irrtümlich den Begriff "Lieferverpflichtung" gewählt. Gemeint gewesen sei "Darlehensverpflichtung". Sie vertreten die Auffassung, die Beklagte hätte sie auch von der verwirkten Vertragsstrafe freizustellen. Das folge aus der Formulierung "in jeder Hinsicht".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

I.

Die Klage ist zulässig. Jedenfalls der korrigierte Klageantrag (Bl.133 GA) ist hinreichend bestimmt. Zu streichen ist der Zusatz "bei Fälligkeit". Die Forderungen gegen die Kläger sind - soweit sie bestehen - fällig.

Daß über die Forderungen gegen die Kläger bislang nicht rechtskräftig entschieden ist, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Der Hinweis auf die Entscheidung BGH NJW 1981, 870 ff. geht fehl. In dieser hat der BGH gegen den geltend gemachten Freistellungsanspruch Bedenken erhoben, weil die Versicherung nach § 156 Abs. 2 VVG nur dann zur Zahlung an den Dritten verpflichtet ist, wenn der Haftpflichtanspruch feststeht. Vorliegend ist diese Bestimmung weder direkt noch analog anwendbar. Es genügt die ernsthafte Möglichkeit einer Inanspruchnahme (BGH NJW 1986, 978), an der aufgrund des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 15.06.1999 nicht zu zweifeln ist.

II.

Die Kläger haben aus dem Vertrag vom 09.05.1995 Anspruch auf Freistellung von den im Tenor bezeichneten Verbindlichkeiten.

1.

Die Beklagte ist aufgrund der handschriftlich in den Vertrag vom 09.05.1995 eingefügten Klausel verpflichtet, die Kläger von den Darlehensverbindlichkeiten aus dem BLV freizustellen. Die Klausel bedarf der Auslegung (§§ 157, 133 BGB). Neben dem Wortlaut der Erklärung sind die Begleitumstände, insbesondere die Entstehungsgeschichte des Vertrags, Äußerungen der Parteien und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck in die Auslegung einzubeziehen.

Der Umfang der Freistellungsverpflichtung ist allein dem Wortlaut des Vertragstextes vom 09.05.1995 nicht zu entnehmen. Offenbar mißlungen ist die Formulierung "Bezugs- und Lieferverpflichtung", da die Kläger keine "Lieferverpflichtung" traf. Der Zusatz "in jeder Hinsicht" legt es nahe, daß sich die Freistellungsverpflichtung auf den gesamten Inhalt des BLV beziehen sollte. Da jedenfalls bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Bierbezugsverpflichtung und der Darlehenstilgung bestand, ist diese Formulierung in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Wie das Landgericht unter Ziffer 1 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat, war nach der Konzeption des Vertrages die Rückführung des Darlehens durch Erfüllung der Bierbezugsverpflichtung vereinbart. In der Zusatzvereinbarung vom 29.07.1992 ist bestimmt, daß die Fa. W "abweichend (vom) Formularvertrag" auf Verzinsung und Tilgung des Darlehens verzichtet, "wenn und solange die Bierbezugsverpflichtung erfüllt wird". Die Gegenleistung für die Gewährung des Darlehens bestand in der Erfüllung der Bierbezugsverpflichtung aus Ziff. II BLV; eine Rückzahlung des Darlehens war nicht vorgesehen und auch wirtschaftlich unsinnig. Die Fa. W am Verkauf ihrer Produkte interessiert; die Darlehensgewährung war insoweit nur Mittel zum Zweck. Der Darlehensvertrag sollte solange Bestand haben, wie die Kläger ihren Verpflichtungen aus Ziffer II des Vertrags nachkamen; Ziff. I. 5. und 6 BLV sind durch die Bezugnahme auf die Bierbezugsverpflichtung aus Ziff. II BLV, die keine Mindestabnahmemenge vorsieht, hinfällig geworden. Dementsprechend hat die Fa. W auch nicht gekündigt, obwohl die Kläger jahrelang die unter Ziffer I. 6. BLV festgelegte Menge von 170 hl/Jahr nicht bezogen haben.

Auch die Äußerungen der Parteien während der Vertragsverhandlungen sprechen dafür, daß sie eine umfassende Befreiung vereinbart haben. Es ist unstreitig, daß die Kläger die Gaststätte "als Gesamtpaket" veräußern wollten (Bl.99 GA); es komme ihnen, so hat der Kläger während der Vertragsverhandlungen erklärt, darauf an, nicht wegen des Verstoßes gegen die Zehnjahresbindung "belangt" zu werden (Bl.101 GA). Aus Sicht der Beklagten war das nur dahin zu verstehen, daß die Kläger auch von der Verpflichtung zur Darlehenstilgung freigestellt werden wollten. Dabei kann es offenbleiben, ob die Höhe der Rückzahlungsverpflichtung aus dem Darlehen während der Vertragsverhandlungen thematisiert wurde. Es ist unstreitig, daß dem Geschäftsführer der Beklagten der Inhalt des Vertrags vom 29.07.1992 nebst Zusatzvereinbarung bekannt war (vgl. Bl.98 GA). Da er selbst in der Gaststättenbranche tätig ist, durften die Kläger voraussetzen, daß er mit Vertragsgestaltungen der vorliegend in Rede stehenden Art vertraut war und über den Zusammenhang zwischen Bierbezug und Darlehenstilgung nicht besonders aufgeklärt werden mußte. Da - wie dargelegt - die Höhe der Tilgung vom Umfang des Bierbezugs abhing, eine Mindestabnahmemenge nicht vereinbart war, zwischen Abschluß des BLV und dem Vertrag vom 09.05.1995 nur knapp 3 Jahre lagen und es keine Anhaltspunkte für einen besonders hohen Bierbezug gab, verstand es sich von selbst, daß das Darlehen nur zu einem geringen Teil getilgt sein konnte.

Daß das Geschäft schließlich in zwei Verträge aufgespalten wurde, läßt nicht darauf schließen, daß die Kläger ihre Intention, eine umfassende Freistellung zu erreichen, aufgegeben und dem Interesse der Beklagten, das nur auf den Erwerb des Inventars gerichtet war, Rechnung getragen haben. Die Existenz der Freistellungsklausel im Vertrag vom 09.05.1995 belegt, daß die Beklagte ihr Verhandlungsziel nicht hat durchsetzen können und dem Anliegen der Kläger nachgegeben hat.

2.

Aus dem Vertrag vom 09.05.1995 ergibt sich ferner die Verpflichtung der Beklagten, die Kläger von einer Inanspruchnahme aus Ziff. II 5. BLV zu befreien. Die Formulierung, wonach die Beklagte die Kläger "in jeder Hinsicht freizustellen, zumindest freizuhalten" habe, läßt sich zwanglos dahin verstehen, daß die Beklagte alles zu unternehmen hatte, von den Klägern die Gefahr einer Inanspruchnahme aus dem Strafversprechen abzuwenden. Sie hatte insbesondere dafür zu sorgen, daß keiner der in Ziff. II 5. S. 2 BLV aufgezählten Tatbestände erfüllt wird. Dies konnte zum einen durch Übernahme einer eigenen Bierbezugsverpflichtung geschehen. Dazu war die Beklagte, wie sich aus Seite 5 des von ihr vorgelegten Schriftsatzes der KVV vom 04.01.1999 ergibt, nicht bereit. Hätte sie eine entsprechende Erklärung gegenüber der Rechtsnachfolgerin der Fa. W abgegeben, hätte diese keine Veranlassung gehabt, den BLV mit Schreiben vom 09.11.1995 zu kündigen. Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, es habe ausgereicht, daß Frau R ihren Pächtern die Erfüllung der Bezugsverpflichtung aus Ziff. II 1. BLV auferlegt habe. Das war ungeeignet, von den Klägern die Gefahr einer Inanspruchnahme aus dem Strafversprechen abzuwenden, da die Fa. W nach Ziff. II. 1. S. 5 BLV gegen den Rechtsnachfolger einen Anspruch erwerben sollte. Aus den Pachtverträgen konnten die Rechtsnachfolger der Fa. W keine Ansprüche gegen die Pächter herleiten.

Zum anderen hätte sie die Gefahr einer Inanspruchnahme durch Erfüllung der Bierbezugsverpflichtung abwenden können. Hätten die Pächter der Frau R den Bierbezug nicht eingestellt, hätte für die Rechtsnachfolger der Fa. W keine Veranlassung bestanden, die Kläger aus dem Strafversprechen in Anspruch zu nehmen. Das folgt schon aus Ziff. II. 5 S. 3 BLV, wonach die Höhe der Vertragsstrafe nach der Menge des infolge der Zuwiderhandlung nicht bezogenen Bieres zu errechnen ist. Dementsprechend hat die KVV die Kläger aus dem Strafversprechen erst in Anspruch genommen, nachdem die Pächter der Frau R den Bierbezug ab Juli 1996 eingestellt hatten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hängt der Befreiungsanspruch weder von der Wirksamkeit des Strafversprechens, noch von einer rechtskräftigen Feststellung der Vertragsstrafe ab. Es ist allein ausschlaggebend, daß die Kläger durch das Strafversprechen aktuell beschwert sind. Wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 15.06.1999 rechtskräftig, sind sie zur Zahlung verpflichtet, ohne daß es darauf ankommt, ob das Urteil richtig oder falsch ist. Aus der Formulierung "in jeder Hinsicht" ergibt sich, daß die Kläger auch von den Folgen einer fehlerhaften Verurteilung freizustellen sind. Folglich hat der Senat nicht zu entscheiden, ob die Vertragsstrafe gegen das AGBG oder andere Vorschriften verstößt. Der Befreiungsanspruch entsteht auch nicht erst mit rechtskräftiger Feststellung des Strafanspruchs. Die Kläger sind bereits durch das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 15.06.1999 beschwert, aus dem die KVV die Zwangsvollstreckung betreiben kann. Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus der Formulierung "freihalten", daß die Beklagte schon die Verwirkung der Vertragsstrafe zu vermeiden hatte. Nachdem durch die Einstellung des Bierbezugs und ihre fehlende Bereitschaft zur Übernahme der Bierbezugsverpflichtung der Vertragsstrafentatbestand aus Ziff. II. 5 S. 2 i.V.m II. 1 S. 5 BLV erfüllt ist, hatte sie die Kläger von den daraus erwachsenden Folgen freizuhalten bzw. freizustellen. Zu diesen zählt auch die aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Zahlungstitels bestehende Vollstreckungsmöglichkeit.

3.

Die Verpflichtung zur Befreiung der Kläger ist nicht durch die erklärte Anfechtung wieder entfallen (§§ 123 Abs. 1, 143 Abs. 1 BGB). Der Umstand, daß die Kläger nicht Eigentümer des Inventars waren, berechtigte die Beklagte auch nicht zum Rücktritt wegen anfänglicher subjektiver Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB; vgl. BGH NJW 1988, 2878).

Die in Absatz 1 des Vertrags vom 09.05.1995 übernommene Verpflichtung zum Verkauf des Inventars bedarf ebenfalls der Auslegung (§§ 133, 157 BGB). Diese ergibt, daß die Kläger nicht das Eigentum an dem Inventar, sondern nur den Rückübereignungsanspruch gegen die Fa. W übertragen haben. Mit der Zusicherung, das Inventar sei frei von Rechten Dritter, haben die Kläger der Beklagten nur die Gewähr gegeben, daß das Inventar mit Ausnahme des Sicherungseigentums der Fa. W frei von Rechten Dritter ist.

Für diese Auslegung spricht, daß die Kläger vor Vertragsabschluß dem Geschäftsführer der Beklagten den BLV zur Einsicht überlassen und die Parteien bei Abfassung des Vertrags vom 09.05.1995 den Inhalt des BLV, somit auch das Sicherungseigentum der Fa. W (vgl. Ziff. III. BLV), als bekannt vorausgesetzt haben ("...aus dem Vertrag mit der W Brauerei, der ihm bekannt ist..."). Wie dargelegt, durften die Kläger ferner davon ausgehen, daß der Geschäftsführer der Beklagten wußte, daß das Darlehen noch nicht zurückgezahlt, mithin der Sicherungsgrund noch nicht entfallen war. Vor diesem Hintergrund war ihre Erklärung, das Inventar für 50.000 DM zu verkaufen, dahin zu verstehen, daß sie nur das Recht auf Rückübereignung des Eigentums an dem Inventar übertragen wollten. Nach dem Sinn und Zweck des Vertrags sollte die Beklagte möglichst umfassend in die Rechtsstellung der Kläger aus dem BLV einrücken; die Übertragung sollte, wie die Kläger während der Vertragsverhandlungen zum Ausdruck gebracht haben, als "Gesamtpaket" erfolgen. Dieses umfaßte einerseits ihre Pflichten aus Ziff. I. und II. BLV, andererseits auch ihre Rechtsposition in Bezug auf das Sicherungseigentum. Durch die Erfüllung der Freistellungsverpflichtung sollte die Beklagte die unter III. 4 S. 5a BLV geregelte Voraussetzung für den Eigentumserwerb selbst herbeiführen. Aus den vorstehenden Gründen ist es sachlich richtig und nicht auf laienhafte Vorstellungen zurückzuführen (Bl.100 GA), daß die Parteien nicht die Zeugin R, sondern die Beklagte zur Freistellung verpflichtet haben.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz und zugleich Beschwer der Beklagten: 122.630,06 DM.



Ende der Entscheidung

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