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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.07.2001
Aktenzeichen: 2a Ss 132/01 - (OWi) 37/01 II
Rechtsgebiete: OWiG,


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 u. S. 2
OWiG § 80 Abs. 2 Nr. 2
OWiG § 80 a Abs. 2 S. 1 Nr. 2
1.

Verwirft das Gericht den Einspruch des Betroffenen wegen Nichterscheinens in der Hauptverhandlung (§ 74 Abs. 2 OWiG), so kann diese Entscheidung nicht nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 OWiG angegriffen werden.

2.

Über die vom Einzelrichter des Oberlandesgerichts zugelassene Rechtsbeschwerde entscheidet dieser in eigener Zuständigkeit (und nicht das Gremium), wenn im erstinstanzlichen Verfahren das rechtliche Gehör verletzt worden ist und aus diesem Grunde die Rechtsbeschwerde zugelassen wird.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 2. Senat für Bußgeldsachen durch die Richterin am Oberlandesgericht R. als Einzelrichterin am

27. Juli 2001

auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wesel vom 10. April 2001 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch Bußgeldbescheid vom 4. Oktober 2000 wurde gegen den Betroffenen wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Mindestabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug eine Geldbuße von 220 DM verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen beraumte das Amtsgericht Hauptverhandlungstermin an. Es entband den Betroffenen auf seinen Antrag von dessen Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen. Im Termin erschienen weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Daraufhin verwarf das Amtsgericht den Einspruch durch Urteil vom 10. April 2001 gem. § 74 Abs. 2 OWiG.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Zur Begründung trägt er vor, das Amtsgericht habe den Einspruch nicht verwerfen dürfen, sondern eine Verhandlung in seiner Abwesenheit durchführen müssen.

II.

1.

a) Die Rechtsbeschwerde ist zwar nicht nach § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 4 OWiG zulässig. Nach dieser Vorschrift findet die Rechtsbeschwerde statt, wenn der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen wurde. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Das Amtsgericht hat den Einspruch nicht als unzulässig, sondern vielmehr gem. § 74 Abs.2 OWiG wegen Nichterscheinens des Betroffenen in der Hauptverhandlung verworfen. Auf diesen Fall ist die Vorschrift des § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 4 OWiG nicht entsprechend anzuwenden (OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1681 f.).

Die Voraussetzungen der § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 bis 3 OWiG liegen ebenfalls nicht vor.

b) Die Erklärung, gegen ein Urteil Rechtsbeschwerde einzulegen, war aber als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 OWiG zu behandeln. Dies ergibt sich aus entsprechender Anwendung von § 300 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG, wonach eine Auslegung der Rechtsmittelbegründung in möglichst erfolgsfördernder Weise geboten ist (vgl. OLG Koblenz NJW 1975, 322; BayObLGSt 1969, 113).

2.

Der Antrag auf Zulassung hat Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 80 Abs.2 Ziff. 2 OWiG zuzulassen.

a) Über die Zulassung der Rechtsbeschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit einem Richter gem. § 80 a Abs. 2 Ziff. 2 OWiG (KarlsruherKommentar/Steindorf, 2.Aufl., OWiG, § 80 a Rn. 5; Rebmann/Rotte/Hermann, 3. Aufl., OWiG, Bd. 1, § 80 a Rn. 6; Lemke, Heidelberger Kommentar zum OWiG, § 80 a Rn.3; missverständlich: Göhler, 11. Aufl., OWiG, § 80 a Rn.38).

Da eine Geldbuße von mehr als 200 DM festgesetzt worden ist, kann nach § 80 Abs. 2 OWiG die Rechtsbeschwerde auch wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Normen zugelassen werden.

Ob die Voraussetzungen insoweit gegeben sind, kann aber dahinstehen. Denn die Rechtsbeschwerde ist jedenfalls deshalb zuzulassen, weil dem Betroffenen das rechtliche Gehör versagt worden ist. Die Rüge ist in der dem § 344 Abs. 2 StPO entsprechenden Form vorgebracht. Die vorgetragenen Tatsachen ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung des Vorliegens des Verfahrensfehlers. Der Betroffene hat dargelegt, bereits im Schriftsatz vom 10. November 2000 zur Sache Stellung genommen zu haben. Der verfassungsrechtlich (Art. 103 Abs. 1 GG) geschützte Grundsatz gebietet es, dass das Gericht die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis nimmt und ggf. bei der Entscheidung berücksichtigt. Nur wenn das Gericht aufgrund formellen oder sachlichen Rechts das Vorbringen außer acht lassen darf, liegt keine Verletzung des Art. 103 GG vor. Bei einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG kann zur Begründung der Verletzung rechtlichen Gehörs vorgetragen werden, die Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen (Bay0bLG VRS 83, 180). So liegt hier der Fall. Das Amtsgericht durfte in Abwesenheit des Betroffenen das angefochtene Urteil nicht erlassen. Eine Verwerfung nach § 74 Abs. 2 StPO kommt nur dann in Betrag, wenn der Betroffene nicht erschienen ist, ohne von dem persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein. Hier hatte das Amtsgericht den Betroffenen indes antragsgemäß von der Erscheinenspflicht freigestellt. Aus diesem Grunde hätte es den Einspruch nicht gem. § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen dürfen, sondern vielmehr auf der Grundlage des § 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG verfahren müssen. Danach wird die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Diese Voraussetzungen lagen hier sämtlich vor. Das Amtsgericht hätte die Einlassung des Betroffenen verlesen müssen, um dem Gebot des rechtlichen Gehörs genüge zu tun.

3.

Die somit nach § 79 Abs. 1 S.2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a) Ob über die einmal zugelassene Rechtsbeschwerde immer der Senat in Vollbesetzung entscheidet oder auch der Einzelrichter zuständig ist, wird in Literatur und Rechtsprechung nicht einhellig beantwortet. Eine ausdrückliche Regelung findet sich dazu im Gesetz nicht.

aa) Nach einer Auffassung (so etwa Rebmann/Rotte/Herrmann, aaO., Rn.6; Göhler, aaO., Rn. 4) entscheidet der Senat über die zugelassene Rechtsbeschwerde immer in der Besetzung mit drei Richtern. Begründet wird dies mit dem gesetzgeberischen Willen unter Heranziehung der Begründung zu § 80 a OWiG in BT-Drucks. 13/5418 S. 10. Darin heißt es wörtlich: "Nach Nummer 2 entscheidet über die Zulassung der Rechtsbeschwerde stets nur ein Richter. Über die einmal zugelassene Rechtsbeschwerde entscheidet der Senat dagegen immer in Dreierbesetzung."

bb) Anderer Ansicht zufolge hängt die fortbestehende Zuständigkeit des Einzelrichters auch bei den nach § 80 OWiG zugelassenen Rechtsbeschwerden von dem Wert der Geldbuße ab (Katholnigg in NJW 1998, 568, 572; Lemke, aaO., § 80 a Rn. 3). Übersteigt diese den Betrag von 10.000 DM nicht, so verbleibe es bei der Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters nach § 80 a Abs. 2 Ziff. 1 OWiG. Dies ergebe sich daraus, dass gem. § 79 Abs. 1 S.2 OWiG die zugelassenen Rechtsbeschwerden den nach § 79 Abs. 1 S.1 OWiG zulässigen gleichstehen.

cc) Eine differenzierende Betrachtungsweise nimmt das OLG Köln vor (vgl. VRS 96, 451, 455; NStZ-RR 1998, 345). Für den Fall der Zulassung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG) verbleibt es nach dessen Auffassung bei der Zuständigkeit des Einzelrichters.

Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Sie wird am ehesten den Bedürfnissen der Praxis gerecht. Der gesetzgeberische Wille wird dabei nicht mißachtet. So heißt es in der Begründung zu § 80 a OWiG (BT-Drucks. 13/5418, S. 11):

"Der Entwurf sieht vor, dass der an sich nach § 80 a Abs. 2 zuständige Richter dem mit drei Richtern besetzten Senat überträgt, wenn die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen, die sich an die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde in § 80 Abs. 1 Nr. 1 anlehnen, muß die Übertragung erfolgen."

Daraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber lediglich in den Fallen des § 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG die Entscheidung des vollen Senats geboten hielt. Dies ist auch sinnvoll, da in den Fällen grundsätzlicher Bedeutung und der Fortbildung des Rechts der Senatsentscheidung rechtssetzender Charakter zukommt. Anders verhält es sich beim Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs. Dabei geht es vornehmlich um Einzelfallgerechtigkeit unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebotes des Art. 103 GG.

Für die Ansicht des OLG Köln spricht weiter, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811, 2812; OLG Köln VRS 95, 383; 96; 451, 452). Ist die Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen, wird sie auch begründet sein. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Senat in diesem Fall nochmals in voller Besetzung darüber befinden sollte.

b) Wie bereits dargelegt hat das Amtsgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt, weil es dessen Vorbringen nicht berücksichtigt hat. Auf dem Fehler beruht das Urteil auch (§ 336 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Denn das Gericht hätte den Einspruch des Betroffenen nach Durchführung der Hauptverhandlung nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG durch Prozessurteil verworfen.

Die Rechtsbeschwerde führt deshalb zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz. Ein Anlass, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zu verweisen, besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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