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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.05.2001
Aktenzeichen: 2a Ss 50/01 - 16/01 II
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 185
Leitsatz:

Nicht jede sexualbezogene Handlung, durch die der Täter die Personenwürde des Opfers verletzt, stellt eine Beleidigung dar (hier: Zum Verhalten eines Mannes, der eine Frau auf der Toilette einer Gaststätte kurze Zeit durch den Freiraum unter der Kabinentür beobachtet).


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 50/01 - 16/01 II 342 Js 727/00 StA Duisburg

In der Strafsache

wegen Beleidigung

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht am 29. Mai 2001 auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 2. November 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 70 DM verurteilt.

Die hiergegen gerichtete (Sprung-) Revision des Angeklagten hat mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.

1.

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob das Verhalten des Angeklagten den objektiven Tatbestand des § 185 StGB erfüllt.

a)

Nach dem festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte am 19. Mai 2000 in der in Oberhausen gelegenen Pizzeria D der Zeugin D S auf ihrem Weg zur Damentoilette gefolgt. Als der Angeklagte die Damentoilettenräume betrat, befand sich die Zeugin S bereits in der hinteren Kabine, die sie verschlossen hatte, um ihr "Geschäft" zu verrichten. Der Angeklagte legte sich auf den Boden und schaute unter dem ca. 14 cm hohen Freiraum unter der Kabinentür hindurch, so dass er die Zeugin erkennen konnte. Dabei handelte es sich nach Angaben der Zeugin S "nur um einen flüchtigen Augenblick", dessen Dauer sie auf etwa 10 Sekunden schätzte. Sie stand in der Kabine mit heruntergezogener Hose. Die Zeugin bemerkte zunächst die Haare des Angeklagten und sodann sein Gesicht. Sie sah, dass der Angeklagte sie anguckte bzw. - wie das Amtsgericht bei der rechtlichen Bewertung des Tatverhaltens ausgeführt hat - sie durch den Freiraum "anstarrte". Die Zeugin war durch das Verhalten des Angeklagten erschrocken und beleidigt.

b)

§ 185 StGB stellt die "Beleidigung" unter Strafe, ohne das die Strafbarkeit begründende Verhalten näher zu umschreiben. Schutz- und Angriffsobjekt des § 185 StGB ist die Ehre. Sie ist als der auf die Personenwürde gegründete innere Wert des Menschen zu verstehen (BGHSt 11, 67, 70 f). Die Ehre ist allerdings lediglich ein Aspekt der Personenwürde, nicht identisch mit ihr und dem Bereich, den das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst. Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn der Täter einem anderen zu Unrecht Mängel nachsagt, die, wenn sie vorlägen, den Geltungswert des Betroffenen mindern würden. Nur durch eine solche "Nachrede" (die ein herabsetzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung sein kann), wird der aus der Ehre fließende verdiente Achtungsanspruch verletzt. Sie stellt die Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung dar, die nach der Rechtsprechung den Tatbestand verwirklicht. Das Rechtsgut der Ehre darf nicht mit der Personenwürde oder der (ideellen) Persönlichkeitssphäre gleichgesetzt werden. § 185 StGB ist insbesondere kein "Auffangtatbestand", der es erlaubt, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sittlichkeitsdelikts nahekommen (BGHSt 36, 145, 148 f = NJW 1989, 3028 f).

Das 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23. November 1973 (StRG; BGBL I 1725) hat infolge der gewandelten Auffassung über die Strafwürdigkeit sexueller Verhaltensweisen und neuer Erkenntnisse über die Sozialschädlichkeit solcher Handlungen die Grenze zwischen strafbarem Verhalten und straffreiem Tun - nicht nur bei Delikten gegen Jugendliche - neu gezogen. Die Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände im 4. StRG führt, worauf im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich hingewiesen worden ist, "zu einer Entlastung des Beleidigungsstrafrechts und damit auch zu einer rechtsstaatlichen Präzisierung der Tatbestandsumschreibung" (vgl. 58. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. Wahlperiode, Prot. S. 1771, 1787 und 6. Sitzung in der 7. Wahlperiode, Prot. S. 85: "Gesunde Tendenz, die bisherige "Lückenbüßerfunktion" des § 185 StGB zu beschränken").

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hält auf der Grundlage der Neuregelung eine Bestrafung wegen Beleidigung bei sexuellen Handlungen (an oder vor einem Jugendlichen), die den Tatbestand eines Sexualdelikts nicht erfüllen, dann für möglich, wenn das Verhalten des Täters wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles über die sonst mit der sexuellen Handlung regelmäßig verbundene Beeinträchtigung hinaus einen Angriff auf die Geschlechtsehre enthält (BGH NStZ 1986, 453, 454). Nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes ist der Tatbestand des § 185 StGB nur dann erfüllt, wenn der Täter durch sein Verhalten (die sexuelle Handlung) zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine solche Kundgabe ist in der sexuellen Handlung allein regelmäßig nicht zu sehen und erfüllt deshalb auch nicht den Tatbestand des § 185 StGB. Ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung stellt nur dann (auch) eine Beleidigung der, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine - von ihm gewollte - herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (BGHSt 36, 145, 150 = NJW 1989, 3028 f). Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes ist diesen Rechtsprechungsgrundsätzen gefolgt (vgl. BGH NJW 1989, 3029; NStZ 1995, 129).

Ein Ehrangriff durch Beeinträchtigung differenzierter ethisch-moralischer Gefühle und Wertvorstellungen kann demnach nur dann angenommen werden, wenn der Täter gleichzeitig den Betroffenen in seinem inneren Wert und seiner Selbstachtung oder seiner sozialen Wertschätzung mindert. Danach bedeuten sexualbezogene Handlungen, mit denen der Täter die Personenwürde, die allgemeinen Persönlichkeitsrechte und selbst die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung missachtet, zwar Eingriffe, die die Persönlichkeit eines anderen berühren oder verletzen; sie sind aber nicht ohne weiteres, sondern nur dann als "Sexual-" Beleidigung strafrechtlich erheblich, wenn der Täter die Ehre seines Opfers verletzt, mithin seine Missachtung durch Äußerung eines Ehrenmangels kundgibt (vgl. OLG Zweibrücken NJW 1986, 2960).

c)

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung, der der Senat folgt, kann eine Beleidigung der Zeugin S nicht bereits darin gesehen werden, dass sich der Angeklagte auf den Boden vor die Toilettentür gelegt und durch den ca. 14 cm hohen Freirum die Zeugin mit heruntergezogener Hose gegen ihren durch das Verschließen der Kabinentür zum Ausdruck gebrachten entgegenstehenden Willen beobachtet hat. Ob die Gesamtumstände einen beleidigenden Charakter der Vorgehensweise des Angeklagten aufweisen, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Amtsgericht festgestellten Tatsachen nicht nachprüfen. Zwar kann eine Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung in vielfältiger Form erfolgen (vgl. BGHSt 1, 288, 290). Entscheidend dafür, ob ein Verhalten einen beleidigenden Inhalt hat, ist aber stets der im Wege der Auslegung zu ermittelnde objektive Sinngehalt; bloße Belästigungen und Taktlosigkeiten scheiden aus dem Begriff der Beleidigung aus (vgl. BayObLGSt 1980, 32, 34 = NJW 1980, 1969).

Besondere Umstände, die dem Verhalten des Angeklagten den objektiven Erklärungswert geben könnten, die belästigte Zeugin S solle durch das Beobachten in der Toilettenkabine als minderwertig hingestellt, gedemütigt oder verhöhnt werden, könnten (z.B.) darin gesehen werden, dass der Angeklagte sie über einen längeren Zeitraum hinweg angestarrt und in dieser Beobachtungssituation durch weitere Verhaltensweisen eine herabsetzende Bewertung des Opfers zum Ausdruck gebracht hat. Die Urteilsbegründung ist insoweit nicht frei von Widersprüchen. Wenn der Angeklagte "ca. 10 Sekunden" durch den Freiraum der Toilettenanlage hindurchgeschaut hat, handelt es sich hierbei in der besonderen Situation nicht mehr "nur um einen flüchtigen Augenblick" (UA S. 3). Ebensowenig erlaubt die Feststellung, der Angeklagte habe die Zeugin "angeguckt", bei Fehlen sonstiger Umstände die Beurteilung, die Kundgabe der Miss- und Nichtachtung, verbunden mit einer herabsetzenden Bewertung des Opfers, komme dadurch zum Ausdruck, dass der Angeklagte die Zeugin durch den befindlichen Freiraum "angestarrt" habe (UA S. 4).

2.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils belegen die innere Tatseite nicht.

Die Beleidigung kann nur vorsätzlich begangen werden. § 185 StGB setzt, wie der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden hat, voraus, dass in dem Verhalten des Täters eine - von ihm gewollte - herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (vgl. BGH NStZ 1993, 182; 1995, 129). Notwendig ist daher zumindest bedingter Vorsatz in bezug auf die Kundgabe der Missachtung. Dem Täter muss nachgewiesen werden, dass er auch etwas anderes wollte als sexuelle Befriedigung durch die sexuelle Belästigung, Zumutung oder Neugierde (vgl. OLG Zweibrücken NJW 1986, 2960; BayObLGSt 1998, 89, 91).

Das Amtsgericht hat sich nicht damit befasst, welche Vorstellungen den Angeklagten bei seinem Tun leiteten. Ein Bewusstsein des Angeklagten, das gezielte Beobachten der Zeugin S umfasse unter den gegebenen Umständen nicht nur einen unzulässigen Eingriff in ihre Intimsphäre, sondern weitergehend nach dem objektiven Erklärungsgehalt seines Verhaltens die Kundgabe einer Missachtung ihrer Geschlechtsehre, eine Demütigung oder Erniedrigung und damit eine Verletzung ihres sozialen Achtungsanspruches, kann aus dem bisher festgestellten äußeren Tatgeschehen nicht abgeleitet werden.

3.

Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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