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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 14.09.2000
Aktenzeichen: 2b Ss 222/00 - 64/00 I
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 267
StGB § 22
Durch das Herstellen und Gebrauchen einer Fotokopie, die durch Zusammensetzen und Fotokopieren von Teilen mehrerer Schriftstücke erstellt worden ist, wird der Tatbestand der vollendeten Urkundenfälschung nicht erfüllt; eine solche Collage ist nämlich keine Urkunde im Rechtssinne. In einem solchen Fall liegt eine versuchte Urkundenfälschung vor, wenn der Täter glaubt oder für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass es sich bei dem Produkt seiner Manipulation um eine Urkunde im Rechtssinne handelt.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2b Ss 222/00 - 64/00 I 410 Js 295/98 StA Düsseldorf

In der Strafsache

wegen Urkundenfälschung

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S und die Richter am Oberlandesgericht S und B auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XXII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 15. März 2000 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

am 14. September 2000

einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil und das zugrunde liegende Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 13. September 1999 werden aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges zu zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht "mit der Maßgabe" verworfen, daß der Angeklagte der versuchten Urkundenfälschung schuldig sei. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zum Freispruch.

I.

Der Angeklagte bewarb sich im Februar 1998 um eine Mietwohnung in Neuss, konnte aber den gewünschten Einkommensnachweis aus seinem Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen nicht führen. "Deshalb" - so die Feststellungen des Landgerichts - "konstruierte der Angeklagte aus bei ihm verbliebenen Blankoformularen und aus alten Schriftstücken seines früheren Steuerberaters... (einen) auf den 8. Februar 1998 datierten Einkommensnachweis, wobei der Angeklagte mit einer Papierschneidemaschine mehrere Einzelstücke aus anderen Schriftstücken herausgeschnitten... (,) diese herausgeschnittenen Einzelstücke auf einem Fotokopiergerät zusammengelegt und dann fotokopiert hatte; nach mehrfacher Wiederholung des Fotokopiervorganges sah das erzielte "Produkt" aus wie die Fotokopie eines Originals...". Diese Kopie legte der Angeklagte dem Vermieter als Einkommensnachweis vor. Zum Abschluß eines Mietvertrages kam es nicht, weil der Vermieter auf Anfrage von dem Steuerberater erfuhr, daß dieser den Angeklagten nicht mehr betreute und keinen Einkommensnachweis aufgesetzt hatte.

Das Landgericht hat darin eine versuchte Urkundenfälschung in der Form eines untauglichen Versuchs gesehen. Der Angeklagte habe "die Vorstellung und den Willen einer Urkundenbedeutung" gehabt. Ein versuchter Betrug scheide aus, weil dem alleinstehenden Angeklagten "monatlich wenigstens 2.000 DM netto zur privaten Verwendung zur Verfügung" gestanden hätten und er davon die verlangte "Bruttomiete" von rund 1.000 DM monatlich hätte zahlen können.

II.

Die - allein erhobene - Sachrüge ist begründet, weil die Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen.

1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß der Angeklagte keine vollendete Urkundenfälschung, § 267 Abs. 1 StGB, begangen hat. Der Angeklagte hat mit der Vorlage der Ablichtung des " Einkommensnachweises" keine unechte Urkunde gebraucht. Weder die dem Vermieter vorgelegte Fotokopie noch die ihr zugrunde liegende Vorlage waren Urkunden.

a) Urkunden im Sinne des Strafrechts sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen. Eine Fotokopie enthält dagegen lediglich die bildliche Wiedergabe der in einem anderen Schriftstück verkörperten Erklärung. Die Ablichtung als solche umfaßt regelmäßig nicht die wesentlichen Merkmale einer Urkunde. Eine Beweisbedeutung kommt ihr nicht ohne weiteres zu. Sie weist vor allem ihren Aussteller nicht aus. Ihr kann daher auch die - einer Urkunde grundsätzlich eigene - Garantiefunktion für die Richtigkeit des Inhalts nicht schlechthin zuerkannt werden (BGHSt 20, 17, 18; BGHSt 24, 140; BGH MDR[H] 1976, 813; BGH wistra 1993, 225 und 341; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. [1999], § 267 Rdnr. 12b; Beckemper JuS 2000, 123; jeweils m. w. N.). Nur wenn die Kopie als Original erscheinen soll, ist sie als Urkunde im Sinne, von § 267 StGB anzusehen (BayObLGSt 1988, 30, 31 = NJW 1989, 2553; Tröndle/Fischer, a. a. O.). So war es hier aber nicht. Nach den Feststellungen sah das dem Vermieter vorgelegte Schreiben aus "wie die Fotokopie eines Originals".

b) Vorlage für den "Einkommensnachweis", den der Angeklagte dem Vermieter vorgelegt hat, waren "Einzelstücke" gewesen, die der Angeklagte zusammengelegt und anschließend mehrfach fotokopiert hatte (Collage). Eine derartige Collage ist keine Urkunde (BGHSt 24, 140; BGH wistra 1993, 341; BayObLGSt 1992, 52 = JR 1993, 299 mit Anm. Keller; a. A. Mitsch NStZ 1994, 88), die Vorlage einer Kopie der Collage kein Gebrauchen im Sinne des § 267 StGB (BGH wistra 1993, 341). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier ersichtlich - kein Original, sondern eine Kopie vorgelegt wird.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Urkundenfälschung, § 267 Abs. 2 StGB, in der Form eines untauglichen Versuchs ist rechtsfehlerhaft.

a) Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Beim - strafbaren - sog. untauglichen Versuch befindet der Täter sich in einem "umgekehrten Tatbestandsirrtum": Er stellt sich einen nicht vorhandenen Umstand, an dessen Fehlen die Vollendung des vorgestellten Tatbestands zwangsläufig scheitern muß, als gegeben vor (BGHSt 42, 268, 272 f = NStZ 1997 m. Anm. Kudlich = JR 1997, 468 m. Anm. Arzt). Für die Strafbarkeit kommt es damit allein auf die subjektive Vorstellung des Täters an (BGH a. a. O; BGH wistra 1999, 180).

b) Hier scheiterte die vollendete Urkundenfälschung zwangsläufig daran, daß die Collage, die der Angeklagte dem Vermieter als Einkommensnachweis vorlegte, keine Urkunde und ihre Vorlage kein Gebrauchen im Sinne des § 267 StGB war. Demnach hätte der Angeklagte nur dann eine versuchte Urkundenfälschung in der Form eines untauglichen Versuchs begangen, wenn er geglaubt oder für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätte, daß es sich bei dem "Produkt" seiner Manipulation um eine Urkunde im Rechtssinne handelte.

c) Das Tatbestandsmerkmal "Urkunde" in § 267 StGB ist nicht sinnlich wahrnehmbar, sondern ein "Gebilde der Gedankenwelt" (Schroeder, in: LK, 11. Aufl. [1994], § 16 Rdnr. 5). Bei solchen Tatbestandsmerkmalen ist Voraussetzung der Strafbarkeit, daß der Täter eine "Parallelbewertung in Laiensphäre" vorgenommen und die Erfüllung des Tatbestandes zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (Schroeder, a. a. O. Rdnr. 43; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl. [1997], § 15 Rdnr. 20, 43a).

d) Das Landgericht hat keine tatsächlichen Umstände festgestellt, die den Schluß zulassen, daß der Angeklagte es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, durch seine Manipulation eine Urkunde im Rechtssinne herzustellen oder zu gebrauchen. Daß er dem Vermieter vortäuschen wollte, sein Steuerberater habe ihm sein Einkommen bescheinigt, steht außer Frage. Auch konnte aus der Sicht des Angeklagten nicht zweifelhaft sein, daß sein Vorgehen zu mißbilligen war. Ein allgemein gehaltenes Unrechtsbewußtsein des Täters reicht aber nicht aus, um sein Verhalten strafbar zu machen. Hinzu kommen muß, daß der Täter zumindest nach seiner subjektiven Vorstellung einen konkreten Straftatbestand zu verwirklichen sucht. Hier ist nach den Feststellungen jedoch nicht auszuschließen, daß der Angeklagte nur ein Original für eine Urkunde im Rechtssinne gehalten und - vergeblich - gehofft hat, der Vermieter werde sich mit einer Fotokopie, die als solche zu erkennen war, begnügen.

e) Daß mit der zunehmenden Verbreitung der Kopiergeräte und der gestiegenen Qualität der Kopien die Fotokopie "im Rechtsverkehr weitgehend an die Stelle der Urschrift getreten" sei (Freund JuS 1991, 725; Mitsch a. a. O.), mag richtig sein. Es ist aber nicht Aufgabe der Gerichte, im Wege der Rechtsfortbildung - die im übrigen bedenklich wäre (BGH MDR[H] 1976, 813) - die Fotokopie in den Strafschutz des § 267 StGB einzubeziehen; das wäre Sache des Gesetzgebers (BGHSt 24, 140, 142). Bis dahin gilt, daß auf strafrechtlichen Schutz nicht angewiesen ist, wer sich mit einer Fotokopie zufrieden gibt (Beckemper a. a. O.).

3. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist, daß das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Betruges, § 263 Abs. 1 und 2 StGB, verurteilt hat. Bei einem Nettoeinkommen von 2.000 DM hätten dem Angeklagten nach Abzug von 1.000 DM "Bruttomiete" (d. h. einschließlich Nebenkosten) monatlich 1.000 DM für den laufenden Bedarf zur Verfügung gestanden. Das war fast das Doppelte des Regelsatzes der Sozialhilfe (ohne Unterkunft), der von Juli 1997 bis Juni 1998 bei einem Alleinstehenden 539 DM monatlich betrug (§ 22 Abs. 2 Satz 1 BSHG, §§ 1 Abs. 1, 2 Satz 2 BundesregelsatzVO, § 1 RegelsatzVO NRW [GVBl. NW 1997, 114]). Deshalb ist es jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft, daß das Landgericht nicht zu der Überzeugung gelangt ist, der angestrebte Abschluß eines Mietvertrages hätte das Vermögen des Vermieters gefährdet.

III.

1. Der Senat entscheidet gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind. Der Angeklagte ist freizusprechen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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