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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.01.2001
Aktenzeichen: 3 (s) BRAGO 163/00
Rechtsgebiete: BRAGO, StGB


Vorschriften:

BRAGO § 99
BRAGO § 97 Abs. 3
StGB § 140
StGB § 141
Leitsatz:

Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung sind auch die Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt vor seiner Bestellung als Wahlverteidiger erbracht hat. An seiner anders lautenden Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluß vom 1. April 1992 - 3 (s) BRAGO 241-243/91 - AnwBl 1992/402) hält der Senat nicht länger fest.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

3 (s) BRAGO 163/00 411 Js 741/99 StA Wuppertal

In der Strafsache

wegen Totschlags

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B.., den Richter am Oberlandesgericht von B.. und den Richter am Landgericht R.. am

3. Januar 2001

auf den Antrag des gerichtlich bestellten Verteidigers Rechtsanwalt W.. in D.. auf Bewilligung einer Pauschvergütung gemäß 99 BRAGO nach Anhörung der Vertreterin der Staatskasse

beschlossen:

Tenor:

Dem Pflichtverteidiger wird eine Pauschvergütung in Höhe von 5.700,- DM bewilligt.

Die Pauschvergütung tritt an die Stelle der gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren.

Bereits angewiesene gesetzliche Pflichtverteidigergebühren sind anzurechnen.

Ansprüche auf Ersatz von Auslagen und von Umsatzsteuer bleiben unberührt.

Von dem Mandanten oder Dritten geleistete Zahlungen sind bestimmungsgemäß zu berücksichtigen (§ 101 BRAGO).

Gründe:

I.

Der Antragsteller war Pflichtverteidiger eines von dem Schwurgericht des Landgerichts Wuppertal nach fünftägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf des Totschlags freigesprochenen Angeklagten, dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde.

Der Antragsteller beantragt die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO. Er begründet seinen Antrag damit, da er den wegen einer psychotischen Erkrankung "äußerst verwirrten" Angeklagten zu jeweils mehrstündigen Erörterungen des Tatgeschehens sowie der persönlichen und familiären Verhältnisse in der Zeit von Mai bis Dezember 1999 insgesamt neunmal in der Justizvollzugsanstalt aufgesucht und im Juni 1999 den Tatort in Augenschein genommen habe. Seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger erfolgte im Januar 2000 etwa drei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung.

Die Vertreterin der Staatskasse beantragt, dem Antragsteller insbesondere im Hinblick auf die neun Besprechungen mit dem inhaftierten Angeklagten, den Umfang der Hauptverhandlung und die aus der psychischen Erkrankung des Angeklagten resultierenden Schwierigkeiten an Stelle der gesetzlichen Gebühren von 3.815,- DM eine Pauschvergütung von 5.000,- DM zu gewähren.

II.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO liegen vor. Es handelt sich um eine besonders umfangreiche und schwierige Strafsache.

1.

Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 99 BRAGO sind auch die vom Antragsteller im vorbereitenden Verfahren vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten - insbesondere also die zahlreichen Besprechungen in der Justizvollzugsanstalt - zu berücksichtigen. An seiner bisher anderslautenden Rechtsprechung (vgl. Beschluß vom 1. April 1992, AnwBl. 1992, 402) hält der Senat nicht länger fest:

Nach § 99 Abs. 1 BRAGO ist dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Pauschvergütung zu bewilligen, "die über die Gebühren des § 97 hinausgeht". Diese uneingeschränkte Verweisung auf § 97 BRAGO kann nur so verstanden werden, daß damit auch § 97 Abs. 3 BRAGO eingeschlossen ist (so auch ThürOLG, StV 2000, 94). Nach dieser Vorschrift wird der Pflichtverteidiger auch für Tätigkeiten vergütet, die er während der (gesamten) Zeit vor seiner Bestellung erbracht hat. Eine dem § 97 Abs. 3 BRAGO entsprechende ausdrückliche Regelung ist im Rahmen des § 99 BRAGO somit nicht erforderlich - vielmehr enthält der in Bezug genommene § 97 BRAGO in Absatz 3 selbst die ausdrückliche Regelung. Wäre eine Rückwirkung im Rahmen des § 99 BRAGO vom Gesetzgeber nicht gewollt, so hätte es umgekehrt einer ausdrücklichen Einschränkung in Form der Verweisung auf § 97 BRAGO unter Ausschluß von dessen Abs. 3 bedurft. Auch der Wortlaut des § 97 Abs. 3 BRAGO steht mit der Auffassung des Senats in Einklang: Unter "Vergütung" im Sinne des § 97 Abs. 3 BRAGO ist nämlich nicht nur die "Gebühr" des § 97 Abs. 1 BRAGO, sondern auch die "Pauschvergütung" des § 99 BRAGO zu verstehen (so auch OLG Bamberg, JurBüro 1988, Sp. 1348; OLG Saarbrücken JurBüro 1997, 361, 362).

Soweit sich die Gegenmeinung demgegenüber ihrerseits auf den "ausdrücklichen Wortlaut" des § 99 BRAGO beruft, nach dem eine Pauschvergütung lediglich dem gerichtlich bestellten Verteidiger zu bewilligen ist (OLG Hamm, AnwBl. 1998, 219), wird verkannt, daß dieser Teil der Vorschrift nur den anspruchsberechtigten Personenkreis, nicht aber die inhaltliche Ausgestaltung des Anspruchs selbst betrifft.

Schließlich sprechen auch die Motive des Gesetzgebers für die hier vertretene Ansicht: Dessen Ziel, dem Pflichtverteidiger durch § 97 Abs. 3 BRAGO zu ermöglichen, sich von Anfang an uneingeschränkt und mit voller Arbeitskraft für die Belange des Mandanten einzusetzen, ohne sich um die Realisierung seiner Vergütung Gedanken machen zu müssen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O., Sp. 1348), macht eine Rückwirkung der Pflichtverteidigerbestellung gerade in besonders umfangreichen und schwierigen Sachen erforderlich (so auch OLG Saarbrücken a.a.O., S. 362). Dieses Ziel gilt für die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO gleichermaßen. Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, der Rechtsanwalt müsse das Risiko der Zahlungsunfähigkeit seines Mandanten allein einschätzen und könne sofort einen Antrag auf Beiordnung stellen (so noch KG, Rpfleger 1994, 226 f.), da die Besonderheiten des einzelnen Verteidigermandates derartige Verallgemeinerungen nicht erlauben.

2.

Die schon zur Vorbereitung des Hauptverfahrens vom Antragsteller erbrachte Mühewaltung lag gerade im Hinblick auf die neun Besprechungen mit dem inhaftierten Angeklagten erheblich über dem zeitlichen Aufwand, der einem durchschnittlichen Schwurgerichtsverfahren zu widmen ist. Die weit über das übliche Maß hinausgehende Anzahl der Besprechungen ist angesichts der auf einer psychotischen Krankheit beruhenden Verwirrtheit des Angeklagten als erforderlich nachvollziehbar. Für jeden der Besuche erscheint dem Senat - wie auch für die Tatortbesichtigung - eine Vergütung vom 150,- DM als angemessen. Für diesen Verfahrensabschnitt ist daneben der Umfang der vom Antragsteller vor der Hauptverhandlung durchzuarbeitenden Prozeßakte zu berücksichtigen, der mit ca. 350 Seiten für ein Schwurgerichtsverfahren zwar nur mäßig, im Hinblick auf das darin enthaltene psychiatrische Gutachten gleichwohl mit einem Betrag von 350,- DM belegt ist. Auch der vom Antragsteller im Rahmen der Hauptverhandlung erbrachte zeitliche Aufwand lag im Hinblick auf Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstage - fünf Termine von durchschnittlich ca. 5 Stunden - schon erheblich über dem in einem normalen Schwurgerichtsverfahren Üblichen. Darüber hinaus sind auch in diesem Verfahrensabschnitt die besonderen Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem psychisch kranken Angeklagten zu berücksichtigen, von denen auch der Schwurgerichtsvorsitzende in seiner Stellungnahme berichtet hat. Der Senat bringt für die erste Hauptverhandlung daher die gesetzlichen Gebühren von 850,- DM und für die vier Folgetermine einen erhöhten Betrag von jeweils 750,- DM in Ansatz.

Der sich somit ergebende Gesamtbetrag von 5.700,- DM (10 x 150,- DM + 350,- DM + 850,- DM + 4 x 750,- DM) stellt eine ausreichende und angemessene Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers dar.

Ende der Entscheidung

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