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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.09.2000
Aktenzeichen: 3 Wx 229/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 119 Abs. 1
BGB § 2306 Abs. 1 Satz 2
Ein beachtlicher Rechtsirrtum (Inhaltsirrtum) i. S. v. § 119 I BGB kann vorliegen, wenn der Erbe bei Annahme der Erbschaft davon ausgeht, er könne auch als Alleinerbe ohne Ausschlagung des Erbes den Pflichtteil geltend machen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

3 Wx 229/00 24 T 12/00 LG Duisburg 6 VI 328/99 AG Oberhausen

In der Nachlaßsache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluß der 24. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 19.05.2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Gottschalg, des Richters am Oberlandesgericht von Wnuck-Lipinski und der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Krautter am 18.09.2000

beschlossen:

Tenor:

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 2) trägt die dem Beteiligten zu 1) im dritten Rechtszug notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten.

Wert: 300.000,00 DM.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin aus der Ehe mit dem vorverstorbenen W K. Der weitere Sohn der Erblasserin w ist ebenfalls vorverstorben. Aus dessen Ehe mit Anna K die am 24.02.2000 verstarb, stammt der Sohn U hier der Beteiligte zu 2).

Am 13.12.1982 schlossen die Erblasserin und ihr Sohn W einen notariellen Vertrag, in dem W K auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht, zugleich für seine Abkömmlinge, verzichtete. Am selben Tag schlossen die Erblasserin und ihr Sohn W den notariellen Vertrag UR-Nr.: 344/1982, in dem W K anerkannte, seiner Mutter 200.000,00 DM zu schulden und ihr seine Gehaltsansprüche abtrat. Ebenfalls vom 13.12.1982 stammt die Vereinbarung zwischen der Erblasserin und der Firma B GmbH, in der letztere einen gegen W K bestehenden Anspruch in Höhe von 278.244,73 DM an die Erblasserin abtrat.

Am 23.02.1983 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut:

"Mein letzter Wille

Hierdurch setze ich zu meinem alleinigen Erben, wegen der mir gegen meinen Sohn W zustehenden Forderungen

a. Urkunde des Notars Dr. S vom 13.12.1982 UR 344/82

b. der mir zustehende Anspruch der Firma B G in Höhe von 278.244,73 DM nebst Zinsen meine Schwiegertochter A K ein.

Meinen Schmuck soll meine Enkelin S erhalten.

Die Zeit der Übergabe sollen ihre Eltern bestimmen."

Mit Schreiben vom 20.02.1998 beantragte der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben auswies. Mit weiteren Schreiben vom 30.03. und 03.05.1998 bat er das Gericht, auch seinen Pflichtteils- oder Pflichtteilsrestanspruch festzustellen. Den Wert des Nachlasses gab er mit 70.000,00 DM Aktiva (ohne Vermächtnisse) und ca. 20.000,00 DM Passiva an.

Durch Beschluß vom 23.07.1998 kündigte das Amtsgericht die Erteilung eines Erbscheins an, der den Beteiligten zu 1) als Alleinerben auswies. Das Gericht legte das Testament vom 23.02.1983 dahin aus, daß A K bezüglich der aufgeführten Forderungen lediglich Vermächtnisnehmerin geworden sei. Bezüglich Pflichtteils- oder Pflichtteilsrestansprüchen des Beteiligten zu 1) äußerte sich das Amtsgericht nicht.

Der Erbschein wurde am 08.09.1998 erteilt.

Mit Schreiben vom 25.09.1998 und 11.10.1998 verlangte der Beiteiligte zu 1) von der Mutter des Beteiligten zu 2) (A- K Auszahlung seines Pflichtteilsanspruchs mit der Begründung, als alleinigem gesetzlichen Erben seiner Mutter stehe ihm an den hinterlassenen Forderungen die Hälfte als Pflichtteil zu. Nachdem die Mutter des Beteiligten zu 2) dies verweigerte, erhob der Beteiligte zu 1) im Januar 1999 Klage vor dem Landgericht Duisburg (AZ: 6 O 15/99) und machte Pflichtteilsansprüche aus §§ 2306, 2305 BGB geltend. Auf die mündliche Verhandlung vom 04.05.1999 wurde die Klage durch Urteil vom 08.06.1999 abgewiesen. Das Gericht hat in den Entscheidungsgründen hierzu ausgeführt, nach § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB gelte ein Vermächtnis nur dann als nicht angeordnet, wenn der einem Pflichtteilsberechtigten als Erbe hinterlassene Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteige. So liege der Fall hier nicht, da der Kläger Alleinerbe sei und damit quotenmäßig mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils bekommen habe.

Unter dem 27.05.1999 erklärte der Beteiligte zu 1) zur Niederschrift des Nachlaßgerichts die Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Irrtums. Zur Begründung führte er aus, daß er niemals auf seinen Pflichtteil habe verzichten wollen. Nachdem das Nachlaßgericht im Erbscheinerteilungsverfahren seinem Antrag auf Feststellung seines Pflichtteils weder zugestimmt noch diesen abgelehnt habe, sei er irrtümlich davon ausgegangen, daß sein Anspruch auf einen Pflichtteil eine Selbstverständlichkeit sei, die das Nachlaßgericht nicht ausdrücklich für erwähnenswert gehalten habe; hätte er gewußt, daß sein Schweigen auf den Beschluß nicht nur als Annahme des Erbes, sondern auch als Verzicht auf sein Pflichtteilsrecht gewertet werden könne, hätte er die Erbschaft nicht angenommen. Er habe erstmals am 04.05.1999, im Erörterungstermin des Landgerichts, erfahren, daß ihm als Alleinerbe nicht zugleich ein Pflichtteil zustehe.

Durch Beschluß vom 11.11.1999 hat das Amtsgericht die Einziehung des Erbscheins angekündigt. Dagegen hat der Beteiligte zu 2) als Rechtsnachfolger der A K Beschwerde eingelegt.

Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der weiteren Beschwerde.

Im einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 27 FGG).

Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Beteiligte zu 1) habe am 27.05.1999 die Erbschaft nicht mehr ausschlagen können, da die Ausschlagungsfrist des § 2306 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BGB verstrichen gewesen sei. Der Beteiligte zu 2) habe aber die Annahme der Erbschaft wirksam gemäß §§ 119, 1954, 1955 BGB angefochten; die Erbschaft gelte deshalb nach § 1957 Abs. 1 BGB als ausgeschlagen. Der Beteiligte zu 1) sei einem beachtlichen Rechtsirrtum unterlegen; er sei zunächst immer davon ausgegangen, daß er neben seiner Stellung als Alleinerbe in jedem Fall seinen Pflichtteil erhalte. Der Beteiligte zu 1) habe schon im Erbscheinerteilungsverfahren gewußt, daß der ihm nach Vermächtniserfüllung verbleibende rechnerische Erbteil kleiner war als der wertmäßige Betrag der Forderungen. Da er dennoch davon ausgegangen sei, in jedem Fall seinen Pflichtteil, also die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und damit die Hälfte der Erbmasse zu erhalten, habe er mit seinem Antrag auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe nicht in erster Linie seine Erbenstellung, sondern seinen Pflichtteilsanspruch gesichert sehen wollen. Er habe sich darüber geirrt, daß die Annahme der Erbschaft gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB nach der geltenden Quotentheorie zugleich dazu führt, daß er seinen Pflichtteil nicht mehr geltend machen kann. Der Wegfall seines Pflichtteilsanspruchs stelle deshalb eine ungewollte Hauptfolge dar, die zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB berechtige. Die Anfechtungsfrist des § 1954 BGB sei gewahrt, weil der Beteiligte zu 1) erst am 04.05.1999 von seinem Irrtum Kenntnis erlangt habe.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Beteiligte zu 1) hatte die Erbschaft angenommen durch Stellung des Antrags auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben auswies. Daß er sich dabei im klaren war, mit dem Erbteil einen Wert zu erhalten, der geringer war als der Wert der vermachten Forderungen, zeigt sein Schreiben an das Nachlaßgericht vom 30.03.1998 ("Auch die Tatsache, daß der Wert der Forderungen den des restlichen Nachlasses mit Sicherheit übersteigen wird..."). Der Beteiligte zu 1) meinte jedoch, zusätzlich seinen Pflichtteilsanspruch geltend machen zu können. Das geht aus seinen Schreiben vom 30.03. und 03.05.1998 an das Nachlaßgericht hervor sowie aus seinen Schreiben an die Mutter des Beteiligten zu 2), Anna K, vom 25.09. und 11.10.1998.

Rechtlich einwandfrei hat das Landgericht den Irrtum des Beteiligten zu 1) darin gesehen, daß er die Erbschaft in Unkenntnis der Tatsache annahm, daß er wegen der Geltung der Quotentheorie zu § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB als Alleinerbe den Pflichtteil nur verlangen kann, wenn er den Erbteil ausschlägt. Nur vor diesem Hintergrund ergibt die Vorgehensweise des Beteiligten zu 1) einen Sinn. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, wenn mit der weiteren Beschwerde ein Irrtum des Beteiligten zu 1) im Hinblick darauf bezweifelt wird, daß er "mehrere Semester Jura studiert" habe. Auch kommt es entgegen der - Ansicht des Beteiligten zu 2) nicht darauf an, ob der Irrtum, etwa durch rechtzeitige Inanspruchnahme anwaltlicher Beratung, hätte vermieden werden können.

Auch die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Bewertung der Fehlvorstellung des Beteiligten zu 1) als im Sinne von § 119 BGB beachtlicher Rechtsirrtum ist nicht zu beanstanden. Es ist seit der grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 88, 278, 284) in der Rechtsprechung anerkannt, daß der Rechtsfolgeirrtum dann als Inhaltsirrtum zu qualifizieren ist, wenn "infolge Verkennung oder Unkenntnis seiner rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene Rechtswirkung, die nicht gewollt ist, hervorbringt" (RG a.a.O.; ebenso RGZ 89, 29, 33; 98, 136, 139; 134, 195, 197 sowie in neuerer Zeit Hamm OLGZ 82, 41, 49; BayObLGZ 83, 153 und Düsseldorf DNotZ 98, 839).

Die sechswöchige Anfechtungsfrist gemäß § 1954 BGB hat das Landgericht zutreffend als gewahrt angesehen; die Frist beginnt mit der Kenntnis vom Anfechtungsgrunde, d. h. im vorliegenden Fall: am 04.05.1999, als der Beteiligte zu 1) im Erörterungstermin des Klageverfahrens (Landgericht Duisburg 6 O 15/99) über die Rechtslage aufgeklärt wurde. Daß der Beteiligte zu 1) dort anwaltlich vertreten war und von seinem Anwalt offensichtlich nicht entsprechend korrekt beraten worden war, wirkt sich entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht zu Lasten des Beteiligten zu 1) aus. Auch der auf einem Beratungsfehler beruhende Inhaltsirrtum ist im Sinne des § 119 BGB beachtlich (vgl. OLG Hamm a.a.O. Seite 49).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG.

Ende der Entscheidung

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