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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.03.2000
Aktenzeichen: 3 Wx 436/99
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
BGB § 2229 Abs. 4
Will das Nachlaßgericht in seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit des Erblassers dessen Krankenakte verwerten, so darf es einem Beteiligten, der Einsicht in diese Krankenakte verlangt, die Einsichtnahme nicht verweigern; andernfalls liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.

Gegebenenfalls ist die Krankenakte dem vom Antragsteller entsprechend bevollmächtigten Privatgutachter auszuhändigen, wenn der Antragsteller zu substantiiertem Sachvortrag der Hilfe des Privatgutachters bedarf.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

BESCHLUSS

3 Wx 436/99 19 T 232/97 LG Düsseldorf 55 VI 352/94 AG Neuss

In der Nachlaßsache

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3) gegen den Beschluß der 19. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18.10.1999 unter Mitwirkung

am 29. März 2000

beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert der weiteren Beschwerde: 2.001.196,24 DM.

Gründe:

I.

Die verwitwete Erblasserin ist im Februar 1994 kinderlos verstorben; gesetzliche Erben sind nicht bekannt.

Sie hat unter dem 16.02.1993 ein notarielles Testament (Urk-Nr. 336/93 des Notars in D) errichtet, in dem sie die Beteiligten zu 1) und 2) als ihre alleinigen Erben zu gleichen Teilen eingesetzt hat.

Des weiteren existiert ein privatschriftliches Testament vom 05. oder 06.08.1993, in dem der Beteiligte zu 3) unter Widerruf früherer Testamente zum Alleinerben eingesetzt worden ist.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben im Hinblick auf das notarielle Testament vom 16.02.1993 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben zu je 1/2 ausweist. Sie bestreiten die Echtheit des privatschriftlichen Testaments und tragen vor, die Erblasserin sei am 05./06.08.1993 testierunfähig gewesen.

Der Beteiligte zu 3) hält das zu seinen Gunsten errichtete Testament der Erblasserin für wirksam. Er hat die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins beantragt.

Die Erblasserin hatte sich vom 31.07. bis 13.09.1993 in stationärer Behandlung in der Neurologischen Klinik der Universität D befunden und war durch Beschluß des Amtsgerichts Neuss vom 26.08.1993 umfassend unter Betreuung gestellt worden.

Das Amtsgericht hat zunächst über die Frage der Echtheit des Testaments vom 05./06.08.1993 Beweis erhoben, sodann über die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin. Mit Beschluß vom 05.06.1997 hat das Amtsgericht, gestützt auf das am 16.02.1993 errichtete Testament, angekündigt, es werde einen Erbschein erteilen, durch den die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben zu je 1/2 Anteil ausgewiesen würden. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei davon auszugehen, daß das im August 1993 zugunsten des Beteiligten zu 3) errichtete Testament von der Erblasserin stamme. Es stehe jedoch zur Überzeugung des Amtsgerichts fest, daß die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen und werde durch die darüber hinaus herangezogenen Beweismittel, insbesondere die ärztlichen Zeugnisse des sowie des und das im Betreuungsverfahren erstellte Gutachten des gestützt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 3), der insbesondere vorgetragen hat, die Erblasserin sei zum fraglichen Zeitpunkt zwar überwiegend in einem die Testierfähigkeit ausschließenden Zustand gewesen, es habe jedoch auch Zeiträume geistiger Klarheit gegeben, so daß nicht feststehe, daß sie bei der Errichtung des Testaments testierunfähig gewesen sei, hat das Landgericht nach Einholung ergänzender Sachverständigengutachten der Professoren und zurückgewiesen. Das Landgericht hat offen gelassen, ob das Testament vom 05./06.08.1993 tatsächlich von der Erblasserin errichtet worden ist. Nach Auffassung der Kammer war die Erblasserin bei Errichtung dieses Testaments testierunfähig im Sinne von § 2229 Abs. 9 BGB, so daß für die Erbfolge das die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben einsetzende Testament vom 16.02.1993 weiterhin wirksam ist.

Der Beteiligte zu 3) hat weitere Beschwerde eingelegt.

Im einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Es führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Die angefochtene Entscheidung hält der dem Senat obliegenden rechtlichen Überprüfung (§ 27 FGG) nicht stand; sie beruht auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Beteiligte zu 3) hatte mit Schriftsatz vom 08.02.1999 beantragt, die Krankenakte der Erblasserin aus der Zeit ihres Aufenthaltes in der Neurologischen Klinik der Universität D dem von ihm beauftragten Privatgutachter Prof. zur Verfügung zu stellen. Der Beteiligte zu 3) hat geltend gemacht, eine fundierte Stellungnahme zum Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. vom 23.11.1998 sei ihm nur mit privatgutachterlicher Hilfe möglich. Er hat das Schreiben des Privatgutachters vom 02.02.1999 vorgelegt, ausweislich dessen dieser die Krankenakte für die Begutachtung benötigte. Das Landgericht hat daraufhin veranlaßt, daß die Krankenakte dem Sachverständigen Prof. (dem sie bis dahin nicht vorgelegen hatte) zwecks ergänzender Begutachtung zugeleitet wurde. Der Sachverständige Prof. hat in der Folge das ergänzende psychiatrische Gutachten vom 17.06.1999 erstattet.

Den wiederholten Antrag des Beteiligten zu 3), die Krankenakte dem Privatgutachter. Prof. zukommen zu lassen, hat das Landgericht mit Beschluß vom 12.08.1999 zurückgewiesen, weil der Sachverständige Prof. in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.06.1999 unter 2. den sich aus den Krankenunterlagen ergebenden Krankheits- und Behandlungsverlauf so ausführlich geschildert habe, daß eine Beurteilung der sich aus diesen Angaben ergebenden Konsequenzen für die Frage der Testierfähigkeit ohne Heranziehung der Krankenunterlagen selbst möglich sei. Zudem sei nicht davon auszugehen, daß der mutmaßliche Wille der Erblasserin, auf den nach ihrem Tode mangels einer entsprechenden ausdrücklichen Erklärung abzustellen sei, die Herausgabe ihrer Krankenunterlagen an nicht gerichtlich bestellte Privatgutachter decke; vielmehr sei insoweit von einem überwiegenden Geheimhaltungsinteresse auszugehen.

Das Landgericht hat die Krankenakte verwertet, indem es das Sachverständigengutachten Prof. vom 17.06.1999 verwertet hat. Aus diesem Grunde bestand für den Beteiligten zu 3) ein Recht auf Einsicht in die Krankenakte.

Ein Ausschluß des Einsichtsrechts in die vom Gericht verwerteten bzw. zu verwertenden Akten verstößt objektiv gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Einsichtsrecht der Partei erstreckt sich nicht nur auf die Prozeßakten, sondern auch auf sonstige Urkunden, die im Verfahren, insbesondere als Beweismittel, verwertet werden (vgl. nur Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., § 299 Rdnrn. 1, 6, 7).

Das berechtigte Interesse des Beteiligten zu 3) an der Einsicht in die Krankenakte führt dazu, daß, sofern er seinen Privatgutachter entsprechend bevollmächtigt, diesem die Einsicht zu gewähren ist. Denn das Privatgutachten dient dem (qualifizierten) substantiierten Parteivortrag (vgl. Musielak ZPO 1999, § 402 Rdnrn. 5, 6).

Dem Beteiligten zu 3) kann nicht entgegengehalten werden, der Inhalt der Krankenakte sei in dem Ergänzungsgutachten von Prof. ausführlich wiedergegeben. Das Ergänzungsgutachten enthält keine tageweise Darstellung und Auswertung der Krankenakte. Dies ist aber notwendig, wenn "lucida intervalla" ausgeschlossen werden sollen. Der Einwand des Privatgutachters Prof. in seinem Schreiben vom 07.09.1999, nur bei tageweiser Durchsicht der Krankenunterlagen könne eine detaillierte Stellungnahme vorgenommen werden, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen.

Auch ein mutmaßliches Geheimhaltungsinteresse der Erblasserin steht der Zurverfügungstellung der Krankenakte an den Privatgutachter nicht entgegen. Es ist anerkannt, daß die Aufklärung von Zweifeln an der Testierfähigkeit im wohlverstandenen Interesse eines Erblassers liegt, der ein Testament errichtet hat (BGH NJW 84, 2893; KG OLGZ 29, 118, 119; BayObLG NJW 87, 1492, 1493).

Das Landgericht wird deshalb bei erneuter Sachbehandlung dem Beteiligten zu 3) die Möglichkeit einer fundierten Stellungnahme zum Gutachten des Prof. einzuräumen und zu diesem Zweck dem vom Beteiligten zu 3) beauftragten Privatgutachter die Krankenakte zur Verfügung zu stellen haben.

Ende der Entscheidung

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