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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.12.2001
Aktenzeichen: 4 U 106/01
Rechtsgebiete: VVG, AKB


Vorschriften:

VVG § 62
VVG § 63
AKB § 10
AKB § 2 (1) 1 d
1.

Eine Ersatzpflicht aus der Teilkaskoversicherung besteht nur für einen Schaden infolge eines unmittelbaren Zusammenstoßes zwischen dem Fahrzeug und Haarwild.

2.

Ersatz seiner Aufwendungen (Rettungskostenersatz) steht dem Versicherungsnehmer nach §§ 62, 63 Abs. 1 VVG nur zur Abwendung solcher Schäden zu, die versichert sind, so dass aus der Teilkaskoversicherung für Schäden infolge eines Ausweichmanövers zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem anderen Fahrzeug kein Ersatz zu leisten ist, selbst wenn das andere Fahrzeug durch ein die Fahrbahn kreuzendes Haarwild zu einem plötzlichen Spurwechsel veranlasst worden war.

3.

Anspruch auf Rettungskostenersatz nach §§ 62, 63 VVG hat der Versicherungsnehmer auch nicht aufgrund der Überlegung, er habe durch sein Ausweichmanöver den Eintritt eines Versicherungsfalles in seiner KFZ-Haftpflichtversicherung vermieden; denn er wollte mit der Ausweichbewegung nicht seine Haftpflichtversicherung schonen, sondern sich und sein Fahrzeug vor Schaden bewahren.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 106/01

Verkündet am 18. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, des Richters am Oberlandesgericht Dr. W und der Richterin am Landgericht F

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 27. März 2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Teilkaskoversicherung für seinen PKW der Marke Mazda MX 5-Roadster, amtl. Kennzeichen.

Für dieses Fahrzeug hatte er bei der Beklagten auf der Grundlage ihrer Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (im folgenden: AKB, vgl. Anl. K 1) eine Haftpflichtversicherung und - mit einer Selbstbeteiligung von 300 DM - eine Teilkaskoversicherung abgeschlossen.

Am 14. November 1999 gegen 11.10 Uhr erlitt der Kläger auf der Autobahn A 46 kurz vor der Ausfahrt Wuppertal-Vohwinkel in Fahrtrichtung Düsseldorf einen Verkehrsunfall, wobei an dem Fahrzeug ein Totalschaden entstand. Der Kläger begehrt unter Berücksichtigung der Selbstbeteiligung von 300 DM von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 11.500 DM.

Er hat behauptet, er habe mit seinem PKW die mittlere der drei Fahrspuren befahren. Sowohl rechts neben ihm als auch unmittelbar vor ihm auf der linken Fahrspur habe sich jeweils ein weiterer PKW befunden. Plötzlich habe unmittelbar vor dem links vor ihm fahrenden Fahrzeug ein Reh aus seiner Sicht von links nach rechts die Autobahn überquert. Der Fahrer des links vor ihm fahrenden Wagens sei dem Reh ausgewichen, indem er auf seine, des Klägers, Fahrspur gewechselt sei. Zur Vermeidung einer folgenschweren Kollision mit diesem nun vor ihm fahrenden Fahrzeug habe er seinen Wagen nach links gelenkt. Bei diesem Ausweichmanöver habe er die Gewalt über sein Fahrzeug verloren; dieses sei zunächst vor die Mittelleitplanke und von dort quer über die gesamte Fahrbahn gegen die rechte Leitplanke geprallt, wo es schließlich zum Stillstand gekommen sei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gem. § 12 Ziffer 1., I d) AKB für den Schaden eintrittspflichtig, weil er adäquat kausal auf das die Fahrbahn überquerende Haarwild zurückzuführen sei. Jedenfalls ergebe sich die Ersatzpflicht der Beklagten aber aus §§ 62, 63 VVG, weil sein Ausweichmanöver dem Zweck gedient habe, einen Zusammenstoß mit dem anderen PKW zu vermeiden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.500 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Mai 2000 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den vom Kläger geschilderten Unfallhergang bestritten und behauptet, der Kläger habe gegenüber dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten K als Unfallursache angegeben, dass er einem kleinen Tier, wahrscheinlich einem Hasen, ausgewichen sei, wodurch er die Gewalt über sein Fahrzeug verloren habe. Von einem PKW, der einem Reh ausweichend die Fahrspur gewechselt habe, sei dabei keine Rede gewesen.

Bei dieser Unfallversion lasse sich der Anspruch nicht auf § 63 VVG stutzen, weil es grob fahrlässig sei, um Vermeidung der Kollision mit einem Kleintier bei hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn ein riskantes Ausweichmanöver einzuleiten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein Anspruch aus § 1 Abs. 1 VVG i.V.m. § 12 Ziffer 1., I d) AKB scheide aus, weil dieser einen Zusammenstoß des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges mit Haarwild voraussetze, der hier unstreitig nicht gegeben sei. Die Schaden seien auch nicht als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar drohenden Versicherungsfalles nach §§ 62, 63 VVG ersatzfähig. Der Kläger habe das Ausweichmanöver nicht zur Abwendung eines Wildschadenfalles, sondern einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug gemacht, die in der Teilkaskoversicherung nicht versichert sei. Auch zur Abwehr eines Versicherungsfalles in der Kfz-Haftpflichtversicherung habe der Kläger nicht gehandelt, weil es ihm nach eigenem Vorbringen bei dem Ausweichmanöver darum gegangen sei, einen Schaden am eigenen PKW zu vermeiden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er macht geltend, die Beklagte sei gem. § 12 Ziffer 1., I d) AKB leistungspflichtig, auch ohne dass es zu einem Zusammenstoß mit Haarwild gekommen sei. Entscheidend sei, dass sich die typische Tiergefahr verwirklicht habe, indem ein auf die Fahrbahn tretendes Wild bei dem Fahrer ein Überraschungsmoment ausgelost habe, das ursächlich für den Fahrzeugschaden geworden sei. Jedenfalls ergebe sich die Ersatzpflicht aus § 63 VVG. Denn wenn er nicht ausgewichen wäre, wäre es nicht nur zur Kollision mit dem auf seine Fahrspur wechselnden Fahrzeug, sondern auch zum Zusammenstoß mit dem die Straße querenden Reh gekommen, wie der entgegenkommende Fahrer H bezeugen könne.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 27. März 2001 verkündeten Urteils der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.500 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Mai 2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Es mag dahinstehen, ob an jenem 14. November 1999 tatsächlich ein Reh die vom Kläger befahrene Autobahn kreuzte, ob es ein Hase war oder ob überhaupt kein Tier bei dem vom Kläger geschilderten Unfallgeschehen eine Rolle spielte. Denn dem Kläger steht gegen die Beklagte auch bei dem von ihm behaupteten Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung von 11.500 DM zu.

1.

Zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 12 Ziffer 1., I d) AKB verneint. Die Leistungspflicht des Versicherers in der Teilkaskoversicherung nach dieser Bestimmung setzt voraus, dass die Beschädigung oder Zerstörung des Fahrzeuges durch einen Zusammenstoß des in Bewegung befindlichen Fahrzeugs mit Haarwild i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 BundesjagdG entstanden ist. Dies ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1991, 459, 460; Senat VersR 1994, 592; OLG Nürnberg VersR 1994, 929; OLG Köln NVersZ 2001, 322) nur der Fall, wenn und soweit ein Zusammenstoß mit dem Tier, also eine Berührung des Tieres, den Verkehrsunfall und die Beschädigung oder Zerstörung des Fahrzeuges bewirkt hat, nicht aber schon dann, wenn der Fahrer, um einen Zusammenstoß mit dem Tier zu vermeiden, diesem auszuweichen versucht, das Fahrzeug ins Schleudern gerät und von der Fahrbahn abkommt und dadurch beschädigt oder zerstört wird. Da vorliegend eine Berührung des klägerischen Fahrzeuges mit Haarwild unstreitig nicht stattgefunden hat, scheidet § 12 Ziffer 1., I d) AKB als Anspruchsgrundlage aus.

Entgegen der Auffassung des Klägers besteht auch kein Raum für eine ausdehnende Auslegung des Anwendungsbereiches von § 12 Ziffer 1., I d) AKB auf alle jene Fälle, in denen sich die typische Tiergefahr verwirklicht, indem ein auf die Fahrbahn tretendes Wild bei dem Fahrer ein Überraschungsmoment auslost, das ursächlich für einen Fahrzeugschaden wird. Da die billigere Teilkaskoversicherung anders als die Vollkaskoversicherung keinen allgemeinen Versicherungsschutz für Unfallschaden am eigenen Fahrzeug bietet, muss der Anwendungsbereich von § 12 Ziffer 1., I, AKB eng ausgelegt werden.

2.

Der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt rechtfertigt auch keinen Ersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 62, 63 VVG.

a) Zwar setzt die in § 62 Abs. 1 S. 1 VVG normierte Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers und der ihr korrespondierende ersatz seiner Aufwendungen nach § 63 Abs. 1 VVG - jedenfalls in der Sachversicherung - nicht voraus, dass der Versicherungsfall - hier also der Zusammenstoß mit Haarwild - bereits eingetreten ist, wenn der Versicherungsnehmer die Rettungsaufwendungen verursacht (sog. Vorerstreckungstheorie, vgl. BGH VersR 1991, 459, 460; Prölss/Martin, 26. Aufl., § 12 AKB, Rdnr. 43; Römer/Langheid, § 62 VVG, Rdnr. 3). Vielmehr genügt es, wenn der Eintritt des Versicherungsfalles unmittelbar bevorsteht.

Rettungskostenersatz steht dem Versicherungsnehmer aber nur zur Abwendung oder Minderung solcher Schaden zu, die versichert sind (Römer/Langheid, § 63 VVG, Rdnr. 2; Stiefel/Hofmann, 17. Aufl., § 63 VVG, Rdnr. 10). Nur wenn der Versicherer bei Schadenseintritt leistungspflichtig wäre, kommt ein Ersatzanspruch nach §§ 62, 63 VVG in Betracht.

An dieser Voraussetzung fehlt es bei dem vom Kläger geschilderten, schadensverursachenden Ausweichmanöver. Denn dieses diente nach seinem erstinstanzlichen Sachvortrag ausschließlich dazu, eine Kollision mit dem vor ihm fahrenden, von links auf seine Fahrspur wechselnden Fahrzeug zu vermeiden. Eine Kollision mit einem anderen Fahrzeug ist jedoch in der Teilkaskoversicherung nicht versichert, und zwar selbst dann nicht, wenn jener Fahrspurwechsel des Dritten durch ein die Fahrbahn überquerendes Wild veranlasst war.

Die erstmals vom Kläger in der Berufung aufgestellte Behauptung (GA 66), wenn er nicht von der mittleren Fahrspur nach links ausgewichen wäre, wäre es nicht nur zum Zusammenstoß mit dem ursprünglich die linke Fahrspur benutzenden, in seine Spur wechselnden Fahrzeug, sondern auch zum Zusammenstoß mit dem die Straße querenden Reh gekommen, ist vom tatsächlichen Ablauf her für den Senat nicht nachvollziehbar und deshalb unsubstantiiert. Aus diesem Grund hat der Senat sich nicht veranlasst gesehen, den für diese Behauptung vom Kläger benannten Zeugen H, zu vernehmen. Dass es auf der vom Kläger zunächst benutzten mittleren Fahrspur nicht zu einem Zusammenstoß mit dem Reh gekommen wäre, zeigt sich schon darin, dass das auf seine Fahrspur wechselnde Fahrzeug dort unvermittelt seine Fahrt hat fortsetzen können. Darüber hinaus lässt sich nach dem Sachvortrag des Klägers allenfalls vorstellen, dass es - wenn er nicht nach links ausgewichen wäre - zu einer Kollision mit dem von links in seine Fahrspur wechselnden Fahrzeug gekommen wäre, das seinerseits vor ihm das Reh hätte erfassen können.

b) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt sich ein Anspruch auf Rettungskostenersatz des Klägers gemäß §§ 62, 63 VVG auch nicht mit der Überlegung rechtfertigen, er habe durch sein Ausweichmanöver einen Zusammenstoß mit dem ihm vorausfahrenden, auf seine Fahrspur wechselnden PKW und damit möglicherweise den Eintritt eines Versicherungsfalles in der ebenfalls bei der Beklagten unterhaltenen Kfz-Haftpflichtversicherung vermieden. Denn das Motiv des Klägers für das von ihm behauptete Ausweichmanöver lag nicht darin, seine Haftpflichtversicherung zu schonen, sondern sich und sein Fahrzeug vor Schaden zu bewahren.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 546 ZPO) sind nicht erfüllt.

Streitwert für die Berufung und Beschwer des Klägers: 11.500,- DM.

Ende der Entscheidung

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