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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.01.2002
Aktenzeichen: 4 U 116/01
Rechtsgebiete: BGB, PflVG, SGB VII


Vorschriften:

BGB § 831 Abs. 1 S. 1
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 13 a)
SGB VII § 104 Abs. 1
SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
1.

Löst sich beim Entladen von Steinen mit Hilfe eines Selbstentladekrans durch den LKW-Fahrer des Lieferanten ein Stein von einer Palette und wird dadurch ein Bauarbeiter verletzt, so gehört es zu dem nach § 831 Abs. 1 BGB dem Arbeitgeber des LKW-Fahrers obliegenden Entlastungsbeweis, dass er den Fahrer nach der Einstellung bei der Bedienung des Selbstentladekrans nicht nur auf dem Betriebsgelände, sondern gelegentlich auch während der übertragenen Fahrten kontrolliert hat.

2.

Die Eintrittspflicht des Arbeitgebers des Fahrers und des KFZ-Hafpflichtversicherers für die Körperverletzung des Bauarbeiters ist nicht nach § 104 Abs. 1 SGB VII wegen Eingliederung des Bauarbeiters in den Betrieb des Lieferanten der Steine ausgeschlossen, wenn der Bauarbeiter unwiderlegt erklärt, er habe sich nur zum Schutz von Passanten in den Gefahrenbereich begeben, und deshalb davon auszugehen ist, dass er in erster Linie Hilfe bei gemeiner Gefahr i. S. von § 2 Abs.1 Nr. 13 a SGB VII leisten wollte.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 116/01

Verkündet am 15. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. April 2001 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 89 % und die Beklagte zu 1) allein in Höhe der verbleibenden 11 %. Die dem Kläger zu 1) durch das Berufungsverfahren erwachsenen außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 71 % und die Beklagte zu 1) allein in Höhe der weiteren 29 %. Die der Klägerin zu 2} durch das Berufungsverfahren entstandenen Kosten tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Mit Recht hat das Landgericht die Beklagten zur - im Berufungsverfahren der Höhe nach unstreitigen - materiellen und immateriellen Schadensersatzleistung in Höhe von 1.022,58 Euro (=2.000 DM) und 5.522,55 Euro (= 10.801,17 DM) verurteilt und die Eintrittspflicht der Beklagten für etwaige materielle Zukunftsschaden des Klägers zu 1) festgestellt, weil die Beklagte zu 1) aufgrund eines kraft Gesetzes vermuteten Überwachungsverschuldens für die Körperverletzung des Klägers zu 1) und den auf den Kläger zu 2) übergegangenen Verdienstausfallschaden gemäß § 831 BGB haftet, die Beklagte zu 2) - im Rahmen ihrer Inanspruchnahme - für den materiellen Schaden nach §§ 3 Nr. 1, 2 PflVG i.V.m. § 10 Nr. 1 AKB einzustehen hat und keine Haftungsablösung aufgrund von § 104 Abs. 1 SGB VII bzw. gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII eingetreten ist.

1.

Nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB hat die Beklagte zu 1) für die den Klägern erwachsenen Schäden aufzukommen, weil der LKW-Fahrer P , der unstreitig ihr Verrichtungsgehilfe war, in Ausübung der ihm übertragenen Arbeit widerrechtlich einen deliktsrechtlichen Tatbestand i.S. der §§ 823 ff. BGB, nämlich eine Körperverletzung, verwirklicht hat (vgl. dazu BGH NJW 1996, 3205, 3207). Das folgt bereits daraus, dass der Kläger zu 1) bei der Entladung eines LKW s mittels des von dem Fahrer bedienten Selbstabladekrans verletzt worden ist, da sich ein Stein von der mit dem Kran angehobenen Palette gelost und ihn an der Hand getroffen hat. Denn auf der Grundlage des erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeitskonzepts, dem die Rechtsprechung folgt (BGH, a.a.O.), wird durch die Erfüllung des Haftungstatbestandes bereits die Rechtswidrigkeit der Rechtsgutverletzung indiziert. Eine Einschränkung ist insoweit nur hinsichtlich solcher Schadensfälle geboten, bei denen feststeht, dass der Gehilfe sich so verhalten hat, wie jede mit Sorgfalt ausgewählte und überwachte Person sich sachgerecht verhalten hatte. Denn bei einem objektiv fehlerfreien Verhalten bestünde gegen den Geschäftsherrn auch im Falle eigenen Handelns kein Ersatzanspruch (BGH, a.a.O.). Selbst wenn zugunsten der Beklagten als richtig unterstellt wird, dass Schwenkbewegungen des Krangreifers - zumal auf einer abschüssigen Fläche - auch bei sachgerechter Bedienung nicht zu verhindern sind und dass es durchaus üblich ist, die abzuladenden Steine nicht auf der Palette zu befestigen, ist aber nicht feststellbar, dass sich der Fahrer bzw. das mit der Beladung des LKW betraute Personal der Beklagten zu 1) verkehrsrichtig verhalten hat. Gerade wenn ein Schaukeln der Krangabel nicht verhindert werden kann, muss nämlich zum Schutz von Passanten, mit denen bei der Entladung eines LKW im öffentlichen Verkehrsraum stets zu rechnen ist, entweder die an den LKW angrenzende Verkehrsfläche abgesperrt oder die Ware mittels Schrumpffolien oder Kunststoffbändern so auf der Palette arretiert werden, dass ein Herabfallen beim Entladevorgang zuverlässig verhindert wird. Dass eine Befestigung der Ladung unüblich sein soll, hindert die Annahme einer Pflichtwidrigkeit nicht. Denn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt wird nicht durch Nachlässigkeiten eingeschränkt, die sich in der Branche der Beklagten zu 1) eingeschlichen haben mögen (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 276 Rn. 16).

2.

Von der danach bestehenden Verantwortlichkeit hat die Beklagte zu 1) sich nicht durch die Widerlegung der kraft Gesetzes bestehenden Verschuldensvermutung entlasten können (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). Zweifelhaft ist schon, ob sie ihren Fahrer ordnungsgemäß ausgewählt hat. Auf das vergleichsweise nichtssagende Zeugnis des früheren Arbeitgebers vom 31. Juli 1999 können sich die Beklagten nämlich nicht berufen, weil es bei der Einstellung nicht beigebracht, sondern erst nachträglich - und zwar sogar erst nach dem Unfallereignis - erstellt worden ist. Das bedarf indes keiner Vertiefung, da der Mitarbeiter zum Unfallzeitpunkt (11. März 1999) bereits seit annähernd zwei Jahren in den Diensten der Beklagten zu 1) stand und schon von daher die Frage der ordnungsgemäßen Überwachung in den Vordergrund tritt. Dass die Beklagte zu 1} das zur Erfüllung ihrer Kontrollpflicht Erforderliche getan hat, trägt sie aber nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung sind bei einem angestellten Kraftfahrer im Interesse der Verkehrssicherheit strenge Anforderungen an die Widerlegung der Verschuldensvermutung zu stellen. Seiner Überwachungspflicht genügt der Arbeitgeber daher nur, wenn er den Mitarbeiter bei Ausführung der ihm übertragenen Fahrten kontrolliert (BGH, VersR 1984, 67). Ob es dazu fortdauernder, planmäßiger und unauffälliger Überwachung bedarf (so OLG Hamm, NJW-RR 1998, 1403, 1404; OLG Karlsruhe, VersR 2000, 863), kann im Streitfall dahinstehen, da die Beklagten nicht einmal behaupten, dass ein Repräsentant der Beklagten zu 1) ihren Fahrer auch nur gelegentlich zu Überwachungszwecken begleitet hätte. Dass der Fahrer bei der Bedienung des Kranwagens auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) unter Aufsicht gestanden und sich dabei bewährt hat, stellt für die gebotene Kontrolle bei Ausführung der ihm übertragenen Fahrten keinen angemessenen Ersatz dar. Denn gerade im öffentlichen Straßenverkehr mit den erschwerten Bedingungen (hier: abschüssige Fahrbahn), in dem sich ständige wechselnde Gefahrenlagen ergeben, ist ein sehr viel höheres Maß an Umsicht und Reaktionsschnelligkeit erforderlich, als bei der Arbeit auf einem vertrauten Betriebsgrundstück, auf dem Außenstehende allenfalls in Ausnahmefallen durch Fehler bei der Bedienung des Selbstabladekrans in Gefahr geraten können.

3.

Für die von der Beklagten zu 1) begangene unerlaubte Handlung haftet auch die Beklagte zu 2) als Kfz-Haftpflichtversicherer im Rahmen des Direktanspruchs nach § 3 Nr. 1, 2 PflVG, weil die Entladung des LKW noch zum Gebrauch des versicherten Fahrzeugs (§ 10 Nr. 1 AKB, § 2 Abs. 1 KfzPflVV) gehört. Das gilt selbst dann, wenn das Kfz dabei nur als Arbeitsmaschine zum Einsatz kommt (BGH, VersR 1989, 1187; OLG Frankfurt, VersR 1996, 1403, 1404).

4.

Die Eintrittspflicht der Beklagten ist auch nicht durch § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, haftet der Unternehmer danach nicht für Arbeitsunfälle, wenn der Geschädigte aufgrund seiner Tätigkeit an dem Versicherungsschutz teilnimmt, der für die Angehörigen des Unfallbetriebs mit den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung geschaffen ist. Voraussetzung dafür ist, dass der Geschädigte, der nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem Unternehmen stehen muss, gem. § 2 Abs. 2 SGB VII, der § 539 Abs. 2 RVO entspricht, wie ein Beschäftigter in dem Unfallbetrieb tätig geworden ist (BAG, MDR 1983, 1053). Für eine Eingliederung in den Unfallbetrieb können dabei bereits spontane und punktuelle Tätigkeiten, die über eine bloße Arbeitsberührung hinausgehen, genügen (BGH, VersR 1990, 995, 996; BAG VersR 1991, 902; Rolfs, NJW 1996, 3177, 3178). Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn eine primär anderen Zwecken dienende Tätigkeit sich auch für den Unfallbetrieb als nützlich erweist. So liegen die Dinge aber insbesondere dann, wenn der Geschädigte (auch) Zwecke seines Stammbetriebes verfolgt oder Nothilfe i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB VII geleistet und seine Tätigkeit dadurch das Gepräge erhalten hat (BGH, VersR 1996, 856, 858; BAG VersR 1991, 902). Davon ist auch im Streitfall auszugehen. Denn die Beklagten können jedenfalls nicht widerlegen, dass es dem Kläger zu 1) in erster Linie darum ging, bei gemeiner Gefahr, also bei einem für unbestimmt viele Personen drohenden Schaden (Schmitt, SGB VII, § 2 Rn. 84), Hilfe zu leisten. Der Kläger zu 1) selbst lässt sich dahin ein, er habe sich nur in den Gefahrenbereich begeben, um dafür zu sorgen, dass Passanten, insbesondere Kinder, nicht verletzt würden. Dass er eine solche Gefahrenlage angenommen hat, ziehen die Beklagten nicht in Zweifel (GA 83). Ebenso steht außer Frage, dass in objektiver Hinsicht eine Gefahrenlage für die Allgemeinheit bestanden hat, da sich der LKW der Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt des Abladevorganges im öffentlichen Verkehrsraum befand, die Ladezone nicht abgesperrt war und die Beklagten selbst einräumen, dass sich bei dem Abladen der Paletten immer wieder einmal Teile der nicht besonders gegen das Herabfallen gesicherten Ladung lösen können. Dass es dem Kläger zu 1) unter diesen Umständen weniger um den Schutz der Allgemeinheit als vielmehr um die Interessen des Unfallbetriebs und die Hilfeleistung für ein ihm unstreitig persönlich nicht bekanntes Mitglied der Belegschaft der Beklagten zu 1) ging, liegt somit eher fern. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass letztlich nicht feststellbar ist, welchem Zweck das Einschreiten des Klägers zu 1) vorrangig diente, geht das zu Lasten der Beklagten, die für die Voraussetzungen des Haftungsprivilegs des § 104 Abs. 1 SGB VII beweisbelastet sind.

Ebenso wenig führt schließlich § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII zu keiner Haftungsbefreiung. Dabei kann auf sich beruhen, ob es sich bei der Baustelle, auf der die Klägerin zu 2) Maurerarbeiten zu verrichten hatte und an der die Beklagte zu 1) Baumaterialien anliefern musste, um eine gemeinsame Betriebsstätte gehandelt hat. Denn die Haftungsprivilegierung durch § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB kommt grundsätzlich nur den in der Betriebsstätte tätigen Mitarbeitern der jeweiligen Unternehmen zugute. Deren Inhaber können davon nur dann profitieren, wenn sie selbst vor Ort tätig geworden sind. Das haben die Beklagten hier jedoch nicht geltend gemacht (BGH, VersR 2001, 1028).

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: Schmerzensgeld: 1.022,58 Euro (= 2.000 DM), Feststellung: 2.556,46 Euro (= 5.000 DM), Verdienstausfall: 5.522,25 Euro (- 10.801,17 DM) 9.101,59 Euro (= 17.801,17 DM).

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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