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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.09.2000
Aktenzeichen: 4 U 198/99
Rechtsgebiete: AKB, VVG, StVO


Vorschriften:

AKB § 12 Nr. 1 II e
VVG § 61
StVO § 5 Abs. 2
Leitsatz:

Der Versicherungsnehmer, der mit seinem PKW bei einer Geschwindigkeit von 140 km/h auf einer Bundesstraße mit einer zulässsigen Höchstgeschwindigkeit von 100 Km/h einen Überholvorgang einleitet, diesen abbrechen muß, weil er ein entgegenkommendes Fahrzeug übersehen oder sich verschätzt hat, deshalb scharf bremsen muß und infolgedessen ins Schleudern und von der Straße gerät, hat den Versicherungsfall in der Kaskoversicherung grob fahrlässig herbeigeführt.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 198/99 11 O 164/98 LG Düsseldorf

Verkündet am 28. September 2000

H., Justizsekretär z.A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr., des Richters am Oberlandesgericht Dr. W und des Richters am Landgericht O

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17. August 1999 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts - Einzelrichterin - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.400,00 DM abzuwenden. Die Sicherheit darf auch durch die Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer bei diesem unterhaltenen Fahrzeugvollversicherung wegen eines Unfalls in Anspruch, den ihr Geschäftsführer mit dem versicherten Fahrzeug Mercedes Benz 500 SL am 5. Juni 1997 erlitt.

Der Geschäftsführer, Herr F, befuhr die Bundesstraße B 9 gegen 14.50 Uhr bei K in Richtung holländische Grenze bei gutem Wetter und trockener Straße. Er beabsichtigte, einen PKW mit niederländischem Kennzeichen in einer langgezogenen Rechtskurve zu überholen. Den Überholvorgang mußte er wegen des ihm entgegenkommenden PKW der Zeugin S abbrechen. Er bremste nach eigenen Angaben stark ab und zog den PKW nach rechts. Danach brach der PKW mit dem Heck aus, schleuderte entgegen dem Uhrzeigersinn und rutschte - nachdem der PKW der Zeugin S vorbeigefahren war - nach links über die Fahrbahn hinaus, wo er in einem baumbestandenen Gelände entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen kam. An dem PKW der Klägerin entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Nach einem von dem Beklagten eingeholten Privatgutachten des Sachverständigen P (GA 42 ff., im folgenden: Gutachten P) lag die Geschwindigkeit des PKW Mercedes Benz vor dem Abbruch des Überholvorganges bei mindestens 137 km/h. Gestützt darauf stellte sich der Beklagte auf den Standpunkt, der Geschäftsführer habe den Unfall grob fahrlässig verursacht und lehnte die Ansprüche der Klägerin mit Schreiben vom 24. November 1997 ab.

Die Klägerin hat unter Berufung auf ein von ihr eingeholtes Privatgutachten des Sachverständigen S (GA 154 ff., im folgenden: Gutachten S) vorgetragen, die Ausgangsgeschwindigkeit habe bei allenfalls etwas über 130 km/h gelegen. Den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründe dies nicht. Zudem sei der Geschwindigkeitsverstoß für den Unfall nicht ursächlich geworden. Nach dem Einscheren und dem Passieren des Kfz der Zeugin S habe es noch zwei Sekunden gedauert, bis das Fahrzeug ausgebrochen sei. Technische Ursachen seien nicht ausgeschlossen. Das Ausbrechen beruhe möglicherweise auch auf einer Flickstelle in der Fahrbahn (vgl. Lichtbilder GA 94 sowie in der anl. Hülle), die bei höheren Temperaturen rutschig werde.

Die Klägerin hat folgende Abrechnung vorgenommen:

Sie behauptet einen Wiederbeschaffungswert von 120.000,00 DM Abzügl. des Restwertes von 33.000,00 DM ergebe sich ein Schaden in Höhe von brutto 87.000,00 DM entsprechend netto 75.652,17 DM Nach Abzug einer von dem Beklagten geleisteten Abschlagszahlung in Höhe von 30.000,00,DM errechne sich die restliche Klagesumme mit 45.652,17,DM.

Mit seiner Widerklage verlangt der Beklagte die Abschlagszahlung zurück, die - wie unstreitig ist - unter Rückforderungsvorbehalt erfolgte (vgl. GA 136).

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 45.652,17 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. November 1997 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

sowie widerklagend,

die Klägerin zu verurteilen, an ihn 30.000 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 7. Dezember 1997 zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Verhalten des Geschäftsführers, der Repräsentant der Klägerin sei, sei grob fahrlässig gewesen. Dies ergebe sich bereits aus dem Fehler, den er bei der Einleitung des Überholvorganges gemacht habe. In der langgezogenen Kurve habe er keine ausreichende Sicht gehabt. Es trete hinzu, daß er mit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 140 km/h gefahren sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen V (GA 177 ff.). Danach hat es die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, aufgrund der deutlich überhöhten Geschwindigkeit habe der Geschäftsführer der Klägerin den Gegenverkehr nicht ausreichend beurteilen können, was sich als grob fahrlässig darstelle, so daß der Beklagte leistungsfrei und die Klägerin verpflichtet sei, den Vorschuß zurückzuzahlen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung und trägt vor, auszugehen sei von einer Ausgangsgeschwindigkeit vor dem Spurwechsel von nur 120 bis 135 km/h. Die Geschwindigkeitsüberschreitung sei zumindest subjektiv nicht grob fahrlässig. Nicht zwangsläufig sei auch die Annahme, daß der Überholvorgang ohne Sicht oder unter Mißachtung des Gegenverkehrs erfolgt sei. Überdies sei der Vorgang nicht ursächlich für den Unfall. Der PKW Mercedes-Benz sei nämlich erst zwei Sekunden nach dem Einscheren ausgebrochen. Soweit man von einem zu abrupten Gegenlenken als Unfallursache ausgehen müsse, handele es sich um ein Augenblicksversagen. Auch könnten andere Ursachen nicht ausgeschlossen werden wie insbesondere die am Rande der Fahrbahn befindliche Flickstelle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 17. August 1999 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 45.652,17 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24. November 1997 zu zahlen sowie die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, der unachtsam eingeleitete Überholvorgang bei einer Geschwindigkeit von 140 km/h sei als grob fahrlässiges Verhalten zu bewerten. Nach sämtlichen Sachverständigengutachten sei das Gegenlenken ursächlich für den Schleudervorgang, nicht aber die Flickstelle in der Fahrbahn oder eine ändere technische Ursache. Das Fahrzeug sei auch nicht erst zwei Sekunden nach Ende des Wiedereinscherens ausgebrochen. Der Schleudervorgang sei unmittelbare Folge des unachtsamen Überholmanövers. Ein Augenblicksversagen komme nicht in Betracht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und die mitüberreichten Unterlagen Bezug genommen.

Die Akten des Oberkreisdirektors des Kreises Kleve, Az. 007.14533.0/2618 haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage antragsgemäß verurteilt.

A.

Die Klägerin hat keinen Anspruch aus den §§ 1, 49 VVG, § 12 Nr. 1 II e) AKB, denn der Beklagte ist gemäß § 61 VVG von seiner Leistungspflicht frei, weil der Geschäftsführer der Klägerin, Herr F, den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Das Verhalten ihres Repräsentanten muß sich die Klägerin zurechnen lassen.

I.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Neben den besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt muß der Vorwurf eines subjektiv nicht entschuldbaren Fehlverhaltens treten, das ebenfalls erheblich über das gewöhnliche Maß hinausgeht (st. Rechtspr. z.B. BGH VersR 1989, 583; Senat r + s 1999, 311 f. m.w.N.).

Einen solchen groben Sorgfaltsverstoß sieht der Senat darin, daß der Geschäftsführer der Klägerin mit dem bei der Beklagten versicherten PKW unter wesentlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit versuchte, einen vor ihm fahrenden PKW zu überholen, obwohl Gegenverkehr nahte.

1.

Nach § 5 Abs. 2 StVO darf nur dann überholt werden, wenn jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Dies war hier nicht der Fall. Die Überholstrecke war zwar relativ gut überschaubar, was sich aus den zur Akte gereichten Lichtbildern (GA 92 ff., Anl.-Band) ergibt. Der PKW der Zeugin S (vgl. GA 291) befand sich aber schon in kurzer Entfernung und war für den Geschäftsführer der Klägerin gut sichtbar, als er den Überholvorgang einleitete. Dies ergibt sich daraus, daß die Zeugin das Fahrverhalten des PKW Mercedes-Benz 500 SL der Klägerin beobachtet hat. Konnte die Zeugin S den Beginn des Überholmanövers sehen, hätte der Geschäftsführer der Klägerin den PKW der Zeugin auch sehen können und sehen müssen. Wie nah der PKW der Zeugin gewesen sein muß, ergibt sich überdies, wenn man in die Betrachtung einbezieht, daß der PKW Mercedes-Benz, nachdem er ins Schleudern geriet, hinter dem PKW der Zeugin deren Fahrstreifen überquerte. Nur mit geringer Entfernung ist auch zu erklären, daß der Überholvorgang sofort abgebrochen werden mußte. Danach bleibt die zwingende Annahme, daß der Geschäftsführer der Klägerin den PKW der Zeugin S entweder übersehen oder aber sich verschätzt und geglaubt hat, er komme noch vor deren PKW an dem niederländischen PKW vorbei.

Schon dieser Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO rechtfertigt den Vorwurf objektiv grober Fahrlässigkeit (vgl. nur BGH VersR 1984, 480; OLG Hamm VersR 1982, 1138).

2.

Als besonders grober Verkehrsverstoß erweist sich das Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin zusätzlich deshalb, weil er dabei mit dem PKW Mercedes-Benz die höchstzulässige Geschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 40 % überschritten hat.

a) Auch ohne Berücksichtigung des Geschwindigkeitsabbaues durch das zugestandene starke Abbremsen ist von einer Mindestgeschwindigkeit von 140 km/h zum Zeitpunkt des zurück nach rechts gerichteten Fahrstreifenwechsels auszugehen.

In überzeugender Weise hat der Sachverständige V diese Geschwindigkeit durch Rückrechnung ermittelt. Wie der Sachverständige S ist der Sachverständige V zunächst davon ausgegangen, daß der PKW Mercedes-Benz, kurz bevor er durch zwei Bäume stillgesetzt wurde, noch eine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h hatte. Zuvor stieß der PKW gegen einen Baum, den er umriß. Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Schal ordnet der Sachverständige V diesem Zusammenstoß einen Geschwindigkeitsabbau von 20 bis 25 km/h zu (GA 195). Daraus errechnet sich zweifelsfrei eine Geschwindigkeit des PKW von 70 bis 80 km/h zum Zeitpunkt des Verlassens der Fahrbahn. In überzeugender Weise setzte der Sachverständige V sich im übrigen mit der Annahme des Sachverständigen S auseinander, der PKW könne die Fahrbahn auch mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h verlassen haben. Denn zu Recht weist der Sachverständige V darauf hin, daß in dem Gutachten S unberücksichtigt blieb, daß der PKW durch den Aufprall auf stehengebliebene Bäume stillgesetzt wurde. Zudem hat der Sachverständige S nicht in Betrachtung einbezogen, daß der PKW am Ende der Flugbahn auf das Erdreich schlug und weitere Geschwindigkeit durch die Zerstörung von Buschwerk abgebaut wurde (GA 196). Es ist nicht nachvollziehbar, wenn der Sachverständige S (GA 159) feststellt, es müsse keine Energieaufnahme für den Aufprall auf den Baum, der den Schaden an der rechten Heckseite verursacht hat, berücksichtigt werden. Es überzeugt nicht, daß der Baum keinerlei Energie aufgenommen haben soll.

Zu der Geschwindigkeit bei Verlassen der Fahrbahn von zwischen 70 und 80 km/h addierte der Sachverständige V sodann in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen S einen Geschwindigkeitsabbau, der zu der Annahme einer Geschwindigkeit von zwischen knapp 130 km/h und etwas mehr als 140 km/h zu Beginn der Schleuderspur führt (GA 197). Ebenso wie der Sachverständige S legte der Sachverständige V für den Schleudervorgang eine mittlere Verzögerung zwischen 5 und allenfalls 6 m/s² (GA 197; GA 162) zugrunde. Sodann gehen sowohl der Sachverständige V wie auch der Sachverständige S davon aus, daß eine Verzögerung durch den Spurwechsel nach Abbruch des Überholmanövers erfolgte. Beide Sachverständige ordnen diesem Fahrmanöver einen Bremswert von 1,5 m/s² zu (GA 163, 198), was nach den Feststellungen des Sachverständigen V zu einer Geschwindigkeit von mindestens 140 km/h zu Beginn des nach rechts gerichteten Fahrstreifenwechsels führt.

Fehl geht die Berufungsbegründung, soweit sie gegen das Gutachten V einwendet, er habe - anders als S - nicht erkannt, daß der Bremsvorgang, der bei Abbruch des Überholvorganges erfolgte, nicht zu einer quantifizierbaren Geschwindigkeitsreduktion geführt hat. Genau in diesem Punkt bestätigt nämlich der Sachverständige V ausdrücklich das Ergebnis des Gutachtens S (vgl. GA 199).

b) Gerade das Zusammentreffen eines groben Fehlers beim Überholen mit einem ebenfalls groben Geschwindigkeitsverstoß bewirkte hier eine erhebliche Gefahrerhöhung.

Die überhöhte Geschwindigkeit allein verursachte schon eine erhebliche Herabsetzung des allgemeinen Sicherheitsstandards, den die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h sicherstellen soll. Denn die Überschreitung der Geschwindigkeit bewirkt eine deutliche Steigerung der Gefahren des Straßenverkehrs etwa in bezug auf die Folgen von Fahrfehlern, Zufallseinflüssen oder aber technischen Defekten (vgl. OLG Koblenz, r + s 1999, 498 f. = VersR 2000, 720 f.). Es liegt auch auf der Hand, daß das Führen eines Kfz mit weit überhöhter Geschwindigkeit so viel Aufmerksamkeit erfordert, daß Fahrfehler wahrscheinlicher werden. Zudem bleibt gerade wegen der überhöhten Geschwindigkeit weniger Zeit für Korrekturen, was - wie hier - bei dem Abbruch des Überholmannövers die Fehlreaktion beim Gegenlenken nach dem abrupten Fahrstreifenwechsel geradezu herausforderte. In der Zusammenschau wurde so die Gefahr, die durch den Fehler beim Überholen entstand, deutlich erhöht.

3.

In subjektiver Hinsicht sind keine Umstände ersichtlich, die geeignet wären, das Verhalten des Klägers in milderem Licht erscheinen zu lassen. Insbesondere ist keine Schuldmilderung wegen eines sog. Augenblicksversagens gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR 1992, 1085) kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden.

Anzuknüpfen ist hier nicht an den Fehler, den der Geschäftsführer der Klägerin beim Gegenlenken nach dem Fahrstreifenwechsel begangen hat, sondern an den unfallauslösenden und bestimmenden Fehler beim Überholen mit zu hoher Geschwindigkeit.

Welche Gründe geeignet sein können, den Schuldvorwurf zu mindern, ist eine Frage des Einzelfalles. Dabei ist die Gefährlichkeit des Vorganges an sich einzubeziehen, denn mit der Größe der möglichen Gefahr wächst auch das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (BGH VersR 1992, 1085; Römer, Augenblicksversagen, VersR 92, 1187, 1189). Einem Überholmanöver geht aber nicht ein routinemäßiges Handeln im Straßenverkehr voraus, das auch einmal einen "Ausrutscher" mit sich bringen kann. Vielmehr ist das Überholen auf einer Landstraße ein außergewöhnliches Manöver, das höchste Konzentration des Fahrers verlangt und von ihm unter Vermeidung von Risiken für Dritte planvoll durchgeführt werden muß. Dazu gehört insbesondere, daß der Fahrer genau auf den Gegenverkehr und dessen Geschwindigkeit achtet, um abzuschätzen, ob ausreichend Strecke für das Abschließen des Überholvorganges zur Verfügung steht (vgl. Senat r + s 99, 311, 312; OLG Hamm OLGR 98, 280; OLG Hamm VersR 96, 181, 182; OLG Hamm r + s 95, 48, 49).

An dieser Bewertung sieht sich der Senat nicht durch die Entscheidung des BGH in VersR 1984, 480 gehindert. Denn in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hat der BGH ein in subjektiver Hinsicht gesteigertes Verschulden trotz eines objektiv grob fahrlässigen Verkehrsverstoßes beim Überholen verneint, weil die äußeren Umstände den Schluß auf ein auch subjektiv grobes Fehlverhalten nicht zuließen. Von dieser Auffassung ist der BGH aber in seiner Entscheidung vom 8. Juli 1992 (VersR 1992, 1085) abgerückt.

II.

Der grob fahrlässige Verkehrsverstoß des Geschäftsführers der Klägerin war auch kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls. Den Vollbeweis der Ursächlichkeit hat der Beklagte geführt. Erforderlich ist insoweit nur, daß der Versicherungsfall ohne das Verhalten des Versicherungsnehmers nicht so wie tatsächlich geschehen, eingetreten wäre (BGH VersR 86, 962; LG Bonn VersR 91, 221). Daß der Versicherungsfall auch bei einem nicht grob fahrlässigen Verhalten des Versicherungsnehmers in gleicher Weise eingetreten wäre, muß vom Versicherungsnehmer bewiesen werden (Langheid in Römer/Langheid, VVG, § 61 Rn. 56).

Hier kann gerade nicht davon ausgegangen werden, daß das grob fahrlässige Verhalten nicht ursächlich wurde. Hätte der Geschäftsführer der Klägerin vor Beginn des Überholvorganges seinen Sorgfaltspflichten genügt und die höchstzulässige Geschwindigkeit von 100 km/h eingehalten, wäre es zu dem Schleudern und Ausbrechen des PKW nicht gekommen. Sämtliche Sachverständige gehen davon aus, daß das durch den abgebrochenen Überholvorgang notwendig gewordene Gegenlenken zum Ausbrechen des Fahrzeuges führte. Ein Reifendefekt wurde von dem Sachverständigen V überzeugend ausgeschlossen, da sonst zu erwartende Kratzspuren der Felge auf der Fahrbahn nicht festgestellt werden konnten (GA 197). Nichts spricht auch dafür, der Schleudervorgang könnte dadurch begünstigt worden sein, daß die Fahrbahn durch Öl verschmutzt war. Dies wurde weder vor Ort festgestellt, wie sich aus der Beiakte ergibt, noch von dem Geschäftsführer der Klägerin oder der Klägerin im Prozeß behauptet. Widerlegt ist die Behauptung der Klägerin, eine Flickstelle unmittelbar links neben der rechten Fahrbahnbegrenzung könne ursächlich geworden sein. Denn der Sachverständige P wie der Sachverständige V haben überzeugend ermittelt, daß der Schleudervorgang vor Beginn der Spurzeichnung des rechten Hinterreifens begonnen hat. Wie sich aus den von ihnen gefertigten Unfallskizzen ergibt, befand sich der PKW Mercedes-Benz 500 SL zu Beginn der Schleuderbewegung nicht am Rande der Fahrbahn, sondern soweit mittig, daß als auslösende Ursache die Flickstelle nicht in Betracht kommt (vgl. GA 54, 55, 58, 64; GA 197 sowie Anl. Skizze).

Im übrigen wäre der Kausalzusammenhang selbst dann nicht unterbrochen, wenn man eine Mitursächlichkeit der Flickstelle annähme. Hätte der Geschäftsführer der Klägerin nämlich, was ordnungsgemäßem Verhalten entsprochen hätte, den Überholvorgang unterlassen, wäre es zu einem Schleudern des PKW nicht gekommen.

Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung der Klägerin, der PKW sei nach Abbruch des Überholvorganges und Herüberlenken auf den rechten Fahrstreifen zunächst zwei Sekunden fahrstabil gewesen und dann ausgebrochen. Wenn der PKW wieder einen fahrstabilen Zustand erreicht gehabt hätte, wäre kein Grund mehr für ein Ausbrechen ersichtlich. Wie erwähnt haben die Sachverständigen einen technischen Defekt des PKW überzeugend ausgeschlossen.

B.

Nach dem zuvor Ausgeführten ergibt sich, daß der Beklagte den bereits geleisteten Vorschuß in Höhe von 30.000 DM mit der Widerklage zu Recht zurückverlangt. Die Klägerin ist gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. (Leistungskondiktion) BGB zur Rückzahlung verpflichtet.

Ein Zinsanspruch in Höhe von 6 % besteht aus Verzug. Ein Verzugsschaden von 6 % wird mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz und Beschwer der Klägerin: 75.652,17 DM.

Ende der Entscheidung

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