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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.12.2000
Aktenzeichen: 4 U 32/00
Rechtsgebiete: VVG, VAG, BGB


Vorschriften:

VVG § 5 a
VAG § 10 a
BGB § 138
BGB § 812
Leitsätze:

1.

Kann der Versicherer nicht beweisen, daß er dem Versicherungsnehmer die nach § 5 a Abs. 1 VVG i. V. m. § 10 a VAG vorgeschriebene Verbraucherinformation überlassen hat, so endet der Zustand schwebender Unwirksamkeit des Verischerungsvertrages ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend.

2.

§ 5 a VVG, regelt die Folgen der Vorenthaltung der vorgeschriebenen Verbraucherinformation abschließend, so daß der Versicherungsnehmer ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie vom Versicherer die geleisteten Prämien weder nach § 812 BGB wegen Nichtigkeit des Versicherungsvertrags gemäß § 138 BGB noch als Schadensersatz aufgrund Verschuldens bei Vertragsschluß zurückfordern kann.

3.

§ 5 a VVG verstößt nicht gegen europäisches Recht.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 32/00 11 O 339/99 LG Düsseldorf

Verkündet am 5. Dezember 2000

H., Justizsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S, den Richter am Oberlandesgericht Dr. W und den Richter am Landgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 2. Dezember 1999 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von Lebensversicherungsprämien.

Am 16. Mai 1995 unterzeichnete er einen Antrag auf Versicherung seines Lebens bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme von 150.000,-- DM (GA 29). In einem weiteren, ebenfalls am 16. Mai 1995 unterschriebenen Formular ist als zu versichernde Person die Ehefrau des Klägers eingetragen. Eingangs des Formulares (GA 31) heißt es:

"Erklärung der zweiten zu versichernden Person bei Antrag auf Versicherung für zwei verbundene Leben."

Unter dem 13. Juni 1995 stellte die Beklagte in A den Versicherungsschein aus (GA 10). Bereits vorher, nämlich am 19. Mai 1995, hatte der Kläger die erste Jahresprämie von 8.321,09 DM gezahlt.

Am 15. Juli 1997 trat der Kläger sämtliche Rechte aus der Lebensversicherung an die B Bank zur Sicherung eines Darlehens über 100.000,-- DM ab.

Der Kläger hat vorgetragen:

Der Lebensversicherungsvertrag sei unwirksam, da seine Ehefrau als Versicherte nicht schriftlich in die Versicherung eingewilligt habe. Mangels Möglichkeit der Rücksprache müsse er vorsorglich bestreiten, daß die Unterschrift unter dem Formular vom 16. Mai 1995 von seiner Ehefrau stamme. Zudem sei aus dem Formular nicht ersichtlich, daß einer Lebensversicherung zugestimmt werde.

Er habe von der Beklagten keinerlei Verbraucherinformationen erhalten. Die Unterlagen, deren Übergabe sich die Beklagte berühme, enthielten die gesetzlich notwendigen Verbraucherinformationen nicht vollständig. Die Verletzung der Informationspflicht durch die Beklagte sei derart umfassend, daß der Vertrag allein deswegen gem. § 138 BGB nichtig sei.

Überdies habe die Beklagte ihn nicht über sein Widerrufsrecht nach § 5a VVG belehrt und die Belehrung in dem Antragsformular über die Dauer der Frist, für die er an seinen Versicherungsantrag gebunden sei, sei unverständlich und damit unwirksam. Dies führe dazu, daß eine Bindung des Klägers an den Versicherungsantrag nicht vorhanden gewesen sei und deshalb ein Vertrag nicht zustandegekommen sei.

Die fehlende Antragsbindung werde auch nicht durch § 5a VVG geheilt. Diese Vorschrift verstoße nämlich gegen europäisches Recht, das eine Unterrichtung der Versicherungsnehmer vor Abschluß des Vertrages bzw. einer ihn bindenden Erklärung durch den Versicherer vorsehe. Notfalls sei die Gemeinschaftswidrigkeit von § 5a VVG durch Vorlage vor den Europäischen Gerichtshof zu klären.

Er habe insgesamt 18.673,99 DM Versicherungsprämien an die Beklagte gezahlt, die er mit der Klage zurückfordere.

Der Kläger hat er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.673,99 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26. August 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet:

Auch die Ehefrau des Klägers habe der Versicherung ihres Lebens zugestimmt; sie habe das entsprechende Formular unterzeichnet, aus dem sich entnehmen lasse, daß es sich um eine Lebensversicherung handele.

Dem Kläger seien bei Vertragsschluß die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Verfügung gestellt worden, was unstreitig ist, und außerdem die gesetzlich notwendigen Informationen, nämlich eine Garantiewerttabelle, eine Erläuterung der Methoden der Gewinnberechnung und der Gewinnbeteiligung sowie steuerliche Informationen und ein Merkblatt zur Datenverarbeitung. Letztlich sei dies aber unerheblich, da der Kläger sein Widerrufsrecht gem. § 5a Abs. 2 S. 4 VVG spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie verloren habe.

Aufgrund der Abtretung an die B Bank habe der Kläger seine Befugnis verloren, Rechte aus dem Vertrag herzuleiten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Abtretung an die B Bank umfasse auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen Unwirksamkeit des Vertrages.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, Ansprüche, die sich aus der Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages ergäben, seien nicht von der Abtretung umfaßt. Abgesehen davon seien die Ansprüche von der B Bank inzwischen am 16. März 2000 zurückabgetreten worden (vgl. GA 101). Im übrigen wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.673,99 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26. August 1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil; die Aktivlegitimation des Klägers sei auch weiterhin nicht vorhanden, da es an einem Rückübertragungsvertrag fehle.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen die Beklagte Ansprüche auf Rückzahlung der bereits geleisteten Versicherungsprämien zustehen.

1.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger aufgrund der Abtretung seiner Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die B Bank auch seine Befugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Unwirksamkeit des Vertrages verloren hatte; denn selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte er diese Befugnis mit der Rückabtretung vom 16. März 2000 zurückgewonnen. Hiergegen kann die Beklagte nicht erfolgreich ins Feld führen, bei dem Schreiben der B Bank (GA 101) handele es sich nicht um einen Rückabtretungsvertrag. Das Schreiben stellt nämlich jedenfalls ein Angebot der B Bank auf Rückabtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag dar, das der Kläger spätestens durch Klageerhebung angenommen hätte. Damit wäre die Annahme des Rückabtretungsangebots zwar nicht gegenüber der B Bank erklärt worden, dies war jedoch gemäß § 151 BGB nicht notwendig. Nach dieser Vorschrift ist die Erklärung der Annahme gegenüber dem Antragenden (hier: der B Bank) nicht notwendig, wenn sie nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf die Annahme verzichtet hat. Letzteres ist konkludent dadurch geschehen, daß die B Bank dem Kläger mit dem Schreiben vom 16. März 2000 die Versicherungspolice übersandt hat.

2.

Ein Anspruch des Klägers auf Rückforderung der geleisteten Versicherungsprämien kommt allenfalls nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 BGB) in Betracht. Ein solcher Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, weil ein Lebensversicherungsvertrag zwischen den Parteien wirksam zustandegekommen ist und noch fortbesteht.

a.

Der Kläger hat unter dem 16. Mai 1995 schriftlich eine Versicherung auf sein Leben und das Leben seiner Frau bei der Beklagten beantragt. Diesen Antrag (vgl. Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 5a Rdnr. 9) hat die Beklagte mit Übersendung des Versicherungsscheins vom 13. Juni 1995 angenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Antrag des Klägers noch nicht erloschen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger innerhalb der Fristen, die im Versicherungsantrag genannt sind, an seinen Antrag gebunden war, oder ob die dort vorgesehene Antragsbindung unwirksam war. Wenn letzteres der Fall wäre, dann würden die allgemeinen Vorschriften über die Annahme von Willenserklärungen unter Abwesenden gelten.

Nach § 147 Abs. 2 BGB kann ein Antrag nur solange angenommen werden, wie der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten kann. Hiernach wäre die Annahmeerklärung der Beklagten rechtzeitig erfolgt: Die Annahme eines Lebensversicherungsantrages hängt insbesondere von der Überprüfung des zu versichernden Risikos ab, für das eine Vielzahl von Faktoren, unter anderem die Gesundheit des Versicherten, bedeutsam ist. Dem Versicherer muß deshalb ausreichend Zeit bleiben, das Risiko etwa durch Rückfragen bei den Ärzten des Versicherten abzuklären. Angesichts dessen kann ein Versicherungsnehmer nicht erwarten, daß sein Antrag innerhalb weniger Tage angenommen wird; der von der Beklagten benötigte Zeitraum von ca. vier Wochen erscheint vielmehr als angemessen.

b.

Allerdings ist der Versicherungsvertrag nicht schon mit Übersendung des Versicherungsscheins endgültig zustandegekommen, sondern erst im Mai 1996 mit Ablauf der Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG. 5a VVG bestimmt i.V.m. § 10a VersicherungsaufsichtsG, daß dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen und bestimmte Verbraucherinformationen zu übergeben sind. Die Erfüllung dieser Pflicht hat der Versicherer zu beweisen (§ 5a Abs. 2 Satz 2 VVG). Ob und in welchem Umfang die Beklagte dieser Pflicht in Bezug auf den Lebensversicherungsvertrag mit dem Kläger genügt hat, ist zwischen den Parteien streitig: Der Kläger leugnet den Erhalt jeglicher Verbraucherinformation. Die Beklagte hingegen behauptet die Übergabe der Unterlagen, ohne hierfür ein Datum anzugeben. Abgesehen davon hat sie ihren Vortrag nicht unter Beweis gestellt. Deshalb ist zu ihren Lasten davon auszugehen, daß der Kläger - mit Ausnahme der Versicherungsbedingungen - keinerlei Unterlagen von der Beklagten zur Verfügung gestellt bekommen hat.

Die Folgen dieses Unterlassens ergeben sich aus § 5a VVG. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift gilt der Vertrag aufgrund einer gesetzlichen Fiktion erst dann als geschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen überlassen wurden und er nicht binnen einer Frist von vierzehn Tagen nach Überlassung dem Vertragsschluß widerspricht; bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist ist der Versicherungsvertrag schwebend unwirksam (vgl. Römer/Langheid, VVG, § 5a Rdnr. 25; Lorenz, VersR 1995, 620). Da von der Überlassung der notwendigen Verbraucherinformationen nicht auszugehen ist, begann die zweiwöchige Widerspruchsfrist nicht zu laufen, so daß der Vertrag zunächst schwebend unwirksam war.

Dennoch ist der Lebensversicherungsvertrag der Parteien nicht endgültig unwirksam geworden. Nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG erlischt nämlich das Recht zum Widerspruch spätestens und unabhängig von der Überlassung der notwendigen Unterlagen ein Jahr nach Zahlung der Prämie. Damit endet der Zustand der schwebenden Unwirksamkeit rückwirkend (Prölss/Martin, a.a.O., § 5a Rdnr. 56). Vorliegend hat der Kläger die erste Jahresprämie bereits einige Tage nach dem Versicherungsantrag, nämlich noch im Mai 1995 gezahlt; spätestens mit Ablauf des Monats Mai 1996 hat er sein Widerspruchsrecht verloren und der Versicherungsvertrag ist endgültig wirksam geworden.

c.

Der Vertrag ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam oder aufgehoben.

aa.

Zunächst kann sich der Kläger nicht erfolgreich auf eine Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB berufen, weil ihm sämtliche gesetzlich vorgesehenen Verbraucherinformationen vorenthalten worden seien. Die Folgen dieses Vorenthaltens sind nämlich in § 5a VVG abschließend geregelt worden.

bb.

Weiterhin steht dem Kläger gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (c.i.c.) wegen der Verletzung ihrer Verpflichtung zur Überlassung der Verbraucherinformationen zu. Zwar ist ein solcher Anspruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen; eine Beseitigung des Vertrages im Wege des Schadensersatzes ist aber nicht möglich (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., § 5a Rdnr. 73). Auch hier gilt wiederum, daß der Gesetzgeber mit § 5a VVG die Folgen einer solchen Pflichtverletzung abschließend geregelt hat, soweit es den Bestand des Vertrages betrifft, und deshalb die subsidiäre Haftung aus c.i.c. nicht eingreifen kann.

In der Literatur wird allerdings teilweise (vgl. Dörner/Hoffmann, NJW 1996, 159/160) ohne nähere Begründung eine Rückgängigmachung des Vertrages im Wege des Schadensersatzes angenommen. Der Anspruch soll nach Treu und Glauben aber nur zeitlich begrenzt geltend gemacht werden können, da der Versicherungsnehmer ansonsten die Wahl hätte, sich nach Wegfall des Sicherungsbedürfnisses auf c.i.c. zu berufen und die Rückzahlung der geleisteten Prämien zu verlangen oder aber nach Eintritt eines Schadensfalles die Versicherungsleistung in Anspruch zu nehmen. Diese zeitliche Begrenzung des Schadensersatzes nach Treu und Glauben hat seine gesetzliche Ausprägung in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG gefunden. Dort ist festgelegt, daß sich der Versicherungsnehmer längstens ein Jahr nach Zahlung der Prämie auf die Nichtüberlassung der Verbraucherinformationen soll stützen können. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist auch im Rahmen der Anwendung der Grundsätze der culpa in contrahendo zu beachten.

cc.

Schließlich ist der Versicherungsvertrag nicht wegen Verstoßes gegen § 159 Abs. 2 VVG ungültig, da die Ehefrau des Klägers - wie es die Vorschrift fordert - der Versicherung ihres Lebens am 16. Mai 1995 zugestimmt hat. Soweit der Kläger bestritten hat, die Unterschrift stamme von seiner Ehefrau, ist dieses Bestreiten ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt und damit unbeachtlich.

Aus dem von der Ehefrau des Beklagten unterzeichneten Formular ergibt sich auch ohne Kenntnis des eigentlichen Versicherungsantrages unzweideutig, daß die Zustimmung zu einer Lebensversicherung erklärt wird. Einmal ist nämlich in dem Formular die Ehefrau des Klägers, die Fragen zu ihrem Gesundheitszustand beantwortet hat, als zu versichernde Person bezeichnet; zum anderen ist im Eingang des Formulars ausdrücklich die Rede von einem Antrag auf Versicherung für zwei verbundene Leben. Abgesehen davon hat der Kläger den Vortrag der Berufungserwiderung unangegriffen gelassen, wonach seine Ehefrau das Formular bei derselben Gelegenheit unterschrieben hat, bei der auch der Versicherungsantrag ausgefüllt und unterschrieben wurde. Allein aus diesem Zusammenhang mußte ihr klar sein, daß sie mit ihrer Unterschrift und den Angaben zu ihrer Person einer Versicherung ihres Lebens zustimmen würde.

3.

§ 5a VVG verstößt nicht europäisches Recht.

a.

Die Ansicht des Klägers, die auch teilweise in der Literatur vertreten wird (vgl. Nachweise bei Lorenz, VersR 1997, 774 Rn. 8), § 5a VVG sei europarechtswidrig, ist schon im Ansatz verfehlt (so im Ergebnis auch Prölss/Martin, a.a.O., § 5a Rdnr. 8; Schimikowski, r+s 2000, 355). Nach Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung (Richtlinie 92/96/EWG) bzw. Art. 31 und 43 der 3. Richtlinie Schadensversicherung (Richtlinie 92/49/EWG) hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Abschluß des Vertrages bestimmte Verbraucherinformationen zukommen zu lassen. Diese Verpflichtung ist aber in § 10a VersicherungsaufsG nahezu wortgleich umgesetzt, wenn es dort in Abs. 1 heißt: "Die Versicherungsunternehmen haben zu gewährleisten, daß der Versicherungsnehmer, wenn er eine natürliche Person ist, in einer Verbraucherinformation über die für das Versicherungsverhältnis maßgeblichen Tatsachen und Rechte vor Abschluß und während der Laufzeit des Vertrages nach Maßgabe der Anlage Teil D unterrichtet wird." Die in der Anlage D erwähnten Informationen gehen über die nach den Richtlinien geforderten noch hinaus.

§ 10a VersicherungsaufsichtsG regelt allerdings nicht, wann ein Versicherungsvertrag abgeschlossen ist und welchen Vertragsinhalt er hat. Dies richtet sich nach den allgemeinen privatrechtlichen Grundsätzen sowie nach den spezialgesetzlichen Regelungen in § 5 und 5 a VVG, wobei allerdings nur letztere Vorschrift in Ergänzung des § 10a VersicherungsaufsichtsG und in Umsetzung der europäischen Richtlinien vom Bundesgesetzgeber geschaffen wurde.

Auch § 5a VVG ist entgegen der Ansicht des Klägers und vereinzelter Literaturmeinungen nicht wegen Verstoßes gegen die genannten Richtlinie europarechtswidrig. Zwar ermöglicht § 5 a VVG es dem Versicherer, dem Versicherungsnehmer erst mit Übersendung der Versicherungspolice oder noch später die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen zukommen zu lassen. Das besagt aber nichts über die Umsetzung der Richtlinien. § 5a VVG erhebt nämlich eine derartige Praxis der Versicherer (das sogenannte Policenmodell) gerade nicht zum Regel- oder Normalfall; aus dem Wortlaut des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG ("Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Vertragsbedingungen nicht übergeben...) läßt sich vielmehr entnehmen, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, die Informationen nach § 10a VersicherungsaufsichtsG würden vor oder spätestens bei Antragstellung übergeben.

Der Gesetzgeber mußte allerdings Vorsorge für den Fall treffen, daß der Versicherer seinen Informationspflichten nach § 10a VersicherungsaufsichtsG nicht nachkommt. Dies hätte einmal dadurch geschehen können, daß vor Übergabe der Verbraucherinformationen ein Vertragsschluß verneint wird. Konsequenz wäre allerdings, daß Versicherungsnehmer in einer Vielzahl von Fällen, in denen das Fehlen der Unterlagen zunächst nicht auffällt, ohne Versicherungsschutz blieben und sich im Versicherungsfall allenfalls auf Schadensersatzansprüche berufen könnten. Ein solches Risiko für die Versicherungsnehmer läge nicht im Sinne der genannten Richtlinien, die die Stellung des Verbrauchers stärken wollen, indem ihm notwendige Informationen über den Vertragsinhalt an die Hand gegeben werden und er so in die Lage versetzt wird, die angebotenen Versicherungsprodukte miteinander vergleichen zu können (vgl. Erwägungsgrund 23 zur 3. Richtlinie Lebensversicherung; Lorenz, VersR 1995, 625). Dementsprechend hat sich der Bundesgesetzgeber, um den Konflikt zwischen Erfüllung der Informationspflicht durch den Versicherer und Rechtssicherheit für den Versicherungsnehmer zu lösen, dafür entschieden, diesem zeitlich begrenzt die Möglichkeit zu geben, sich von dem Vertrag zu lösen.

Die vom Gesetzgeber gewählte rechtliche Konstruktion ließe sich im übrigen selbst dann zwanglos mit den Richtlinien vereinbaren und als von diesen gedeckt ansehen, wenn der Gesetzgeber das in § 5a VVG sanktionierte Policenmodell als Regelfall angesehen hätte. Wenn der Versicherungsvertrag beim Policenmodell erst mit Ablauf der Widerspruchsfrist wirksam zustandekommt, weil dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen nicht schon bei Stellung des Versicherungsantrages übergeben wurden, dann ist der Vertrag nämlich - wie ausgeführt - bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist schwebend unwirksam und dem Versicherungsnehmer bleibt bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist Zeit, die Vertragsbedingungen und die zusätzlichen Unterlagen - ggf. im Vergleich zu den Bedingungen anderer Versicherer - zu überprüfen. Das Ziel der europäischen. Richtlinien wird damit erreicht. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß dem Versicherungsnehmer mit der Ausübung des Widerrufsrechtes ein aktives Tun abverlangt wird, das mancher Versicherungsnehmer möglicherweise aus Trägheit oder Unsicherheit nicht wahrnimmt. Diesem Umstand kann aber keine besondere Bedeutung zukommen, weil der Versicherungsnehmer schon durch seinen Antrag zum Ausdruck gebracht hat, daß er vorbehaltlich des Widerrufes eine Bindung will, bevor er seine Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Ihm wäre es unbenommen, einen Versicherungsantrag nicht zu unterschreiben, bevor er über die Informationen verfügt. Abgesehen davon geben die europäischen Richtlinien in keiner Weise vor, in welcher Form die nationalen Gesetzgeber sie umzusetzen haben; die Art der Umsetzung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Richtlinien noch aus dem Ratsprotokoll zu Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung (zitiert bei Lorenz, VersR 1995, 625).

In den Fällen des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG kommt es allerdings überhaupt nicht zu einer Erfüllung der Informationspflichten durch den Versicherer, dennoch erlischt das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie. Auch diese Regelung verstößt als Ausnahmevorschrift nicht gegen die europäischen Richtlinien. Der Bundesgesetzgeber mußte nämlich zum Schutz der Versicherungsnehmer eine Regelung für die Fälle treffen, in denen die notwendigen Verbraucherinformationen nicht oder nicht beweisbar übergeben wurden. Ein vorsätzliches Unterlassen seitens der Versicherer dürfte in der Regel ausscheiden, da sie grundsätzlich daran interessiert sind, nach einer gewissen Zeit Klarheit über den Vertragsbestand zu haben. In den Fällen der vergessenen oder nicht beweisbaren Übergabe der Unterlagen gibt es irgendwann einen Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsnehmer sein Informationsbedürfnis offenbar verloren hat, weil er die Prämien beglichen hat und danach auf seinen vertraglichen Versicherungsschutz vertraut. Diese Frist hat der Bundesgesetzgeber mit einem Jahr großzügig bemessen. Nach Ablauf dieser Zeit ist der Schutz, den die europäischen Richtlinien vorsehen, nicht mehr notwendig.

Soweit der Kläger sich auf ein Schreiben der Generaldirektion der Europäischen Kommission stützt, in dem es heißt, der Versicherungsnehmer sei zu informieren, bevor er eine Verpflichtung eingehe und das selbst dann, wenn der Vertrag nach § 5a VVG nur schwebend wirksam sei, so verkennt dies - abgesehen von den obigen Ausführungen zur Umsetzung der Richtlinien -, daß der Versicherungsvertrag gerade nicht schwebend wirksam, sondern schwebend unwirksam ist (vgl. Lorenz, VersR 1997, 773).

b.

Nach den obigen Ausführungen steht § 5a VVG in Übereinstimmung mit den europäischen Richtlinien. Bedarf an einer Auslegung der Richtlinien durch den Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorlageverfahrens nach Art. 177 des EG-Vertrages besteht nicht.

Eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinien wäre im übrigen allein durch den Bundesgesetzgeber zu korrigieren. Das wäre nur anders, wenn sich aus europäischen Vorschriften Rechtssätze ergäben, die unmittelbar auf den vorliegenden Fall anzuwenden wären und in Widerspruch zu § 5a VVG stünden. § 5a VVG würde dann durch das Europarecht verdrängt, das bei einer Kollison beider Rechtsordnungen vorgeht (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, Rdnr. 938). Solche unmittelbar anwendbaren europäischen Vorschriften sind jedoch nicht ersichtlich. Sie können nicht nur in EG-Verordnungen, sondern auch in EG Richtlinien enthalten sein, müssen in diesem Falle aber so ausgestaltet sein, daß sie ohne weiteren Ausführungsakt Grundlage einer richterlichen Entscheidung sein können (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, a.a.O., Rdnr. 939; BVerfG, NJW 1988, 1460). Das ist bei Art. 31 der 3. Richtlinie Lebensversicherung und bei Art. 31 und 43 der 3. Richtlinie Schadensversicherung nicht der Fall. Diese Vorschriften besagen nur, daß dem Verbraucher vor Abschluß des Vertrages bestimmte Informationen zu erteilen sind, sie besagen aber nichts darüber, welche Folgen eine Unterlassung dieser Verpflichtung hat.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht nach § 546 ZPO keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Streitwert für die Berufungsinstanz und Beschwer des Klägers: 18.673,99 DM.

Ende der Entscheidung

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