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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.08.2001
Aktenzeichen: 4 U 54/01
Rechtsgebiete: AUB 61


Vorschriften:

AUB 61 § 10 (1)
Ein mindestens 25% betragender Mitwirkungsanteil (§ 10 (1) AUB 61) der Vorerkrankung des Unfallversicherungsnehmers an seinem Unfalltod infolge intrakranieller Blutungen nach einem Sturz im Badezimmer kann nicht festgestellt werden, wenn der Versicherungsnehmer zwar wegen einer implantierten Herzklappe regelmäßig das die Blutgerinnung herabsetzende Medikament ASS eingenommen hat, die Schätzungen des Gerichtsgutachters und der Privatgutachter des Versicherers zum Mitwirkungsanteil aber zwischen 10% und 50% variieren und wegen unzureichender Messergebnisse durch ein Obergutachten die über eine bloße, wenn auch hohe Wahrscheinlichkeit hinausgehende, ausreichende Gewissheit eines Mitwirkungsanteils von mindestens 25 % nicht zu erwarten ist.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 54/01

Verkündet am 21. August 2001

In Sachen

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S des Richters am Oberlandesgericht Dr. R und der Richterin am Landgericht F

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Januar 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Mit Recht hat das Landgericht den Klägern als Erben des Versicherungsnehmers eine Todesfallentschädigung in Höhe von (noch) 28.500 DM zugesprochen, weil der - im übrigen unstreitige - Anspruch nicht der Kürzung nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 AUB 61 unterliegt.

Sofern bei Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben, wird die Leistungspflicht des Unfallversicherers nur dann durch § 10 Abs. 1 AUB 61 eingeschränkt, wenn der Mitwirkungsanteil mindestens 25 % beträgt. Das ist im Streitfall jedoch nicht feststellbar. Als gesichert kann allerdings betrachtet werden, dass der Versicherungsnehmer nach der Implantation eines Herzklappenersatzes (Bioprothese) regelmäßig das - die Blutgerinnung herabsetzende - Medikament ASS eingenommen hat. Weiterhin stimmen alle mit dem Streitfall befassten Gutachter darin überein, dass die für den Tod des Versicherungsnehmers ursächlichen intrakraniellen Blutungen durch die Einnahme dieses Medikaments verstärkt worden sind. Der Mitwirkungsgrad ist indes nicht mit der nötigen Sicherheit bestimmbar. Zwar kann die Argumentation des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. U, der den Mitwirkungsanteil in Anlehnung an die Grundsätze über die Bemessung des Grads einer Behinderung auf 10 % schätzt, nicht vollends überzeugen, da der Grad der Behinderung wenig darüber aussagt, wie sich die Folgen der ASS-Dauermedikation im Streitfall konkret ausgewirkt haben. Das hilft der Beklagten aber nicht weiter, weil der Sachverständige - in Ermangelung verlässlicher Anhaltspunkte für den Grad der Herabsetzung der Blutgerinnungsfähigkeit - jede davon abweichende Schätzung nachvollziehbar als pure Spekulation einstuft.

Eine der Beklagten günstigere Beurteilung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil die von ihr beauftragten Privatgutachter Dr. H und Prof. Dr. P den Mitwirkungsanteil der Dauereinnahme von ASS mit mindestens 50 % veranschlagen. Eine weitere Sachaufklärung - sei es durch die Anhörung der gerichtlich bestellten Sachverständigen oder die Einholung eines neuen Gutachtens - ist zwar grundsätzlich veranlasst, wenn ein Widerspruch zwischen dem gerichtlichen Sachverständigen und einem Privatgutachter auftritt (BGH, VersR 2001, 1525, 1526; NJW 1992, 1459; 1996, 1597, 1599; 1998, 2735). Gleichwohl erübrigt sich im Streitfall - nachdem Prof. Dr. U eine konkretere Schätzung für nicht möglich erachtet - die Einholung eines Obergutachtens, da es sich bei dem von Dr. H und Prof. Dr. P angenommenen Mitwirkungsanteil nur um ein Wahrscheinlichkeitsurteil handelt. Als Indiz für die Richtigkeit ihrer Schätzung mag dabei durchaus herangezogen werden, dass - so Prof. Dr. P - das verzögerte Auftreten weiterer Blutungen für eine traumatische Genese ohne zusätzlich komplizierende Faktoren "sehr atypisch" (GA 110) ist. Das kann aber nichts daran ändern, dass die tatsächlichen Auswirkungen der ASS-Therapie nicht zuverlässig beurteilbar sind. Zwar ist bei der stationären Aufnahme des Versicherungsnehmers am 6. August 1998 ein pathologischer Quickwert von 56 % (Referenzbereich: 70-100 %) gemessen worden. Das lässt nach Prof. Dr. U indes keine gesicherte Aussage über die Schwere der hämatologischen Veränderungen zu, da dieser Wert lediglich passager (= vorübergehend auftretend) ermittelt worden und der Tod erst am 26. August 1998 eingetreten ist. Prof. Dr. P geht in diesem Punkt sogar noch weiter. Er spricht dem Quickwert jeden Aussagewert für die Folgewirkungen der ASS-Therapie ab, weil diese nur durch Thrombozytenaggregationsmessungen erfasst werden könnten. Solche Messungen sind bei dem Versicherungsnehmer indes unterblieben. Gerade mit Blick darauf ist aber eine beweiskräftige Aussage über den Mitwirkungsanteil nicht mehr möglich, selbst wenn - so Prof. Dr. P - eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine mehr als 50-%ige Beteiligung sprechen mag. Denn für die Bestimmung der Mitwirkung unfallunabhängiger Faktoren reicht selbst die überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht aus (BGH, NJW-RR 1988, 789; Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 8 Rn. 7). Dass ein für das praktische Leben ausreichender Grad an Gewissheit, der für die Feststellung eines Mitwirkungsanteils von mindestens 25 % erforderlich ist (BGH, a.a.O., OLG München, r+s 1996, 465), durch die Einholung eines Obergutachtens erzielt werden kann, ist - in Anbetracht der unzureichenden Messergebnisse - nicht zu erwarten. Das bestätigen nicht zuletzt die extrem variierenden Schätzungen der mit der Sache befassten Ärzte. Die nach alldem zwangsläufig verbleibende Unsicherheit geht zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten (Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 8 AUB 88 Rn. 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: 28.500 DM.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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